Diskutieren statt debattieren: Den kranken Menschen in den Mittelpunkt stellen!

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Hartmut Schröder

Die gegenwärtigen Angriffe gegen die Homöopathie, die in der Forderung nach einer Abschaffung der ärztlichen Zusatzbezeichnung gipfelten, sehe ich keineswegs als Beitrag zu einer (durchaus erwünschten und auch notwendigen) kritischen Diskussion zur Homöopathie. Es handelt sich vielmehr um eine Debatte, die vor allem emotional und mit dem Ziel des kompletten Ausschlusses einer traditionellen Richtung der Medizin geführt wird. Diskussion und Debatte unterscheiden sich grundlegend voneinander. Während es in einer Diskussion darum geht, Ansichten und Meinungen auszutauschen sowie eine Übereinstimmung herzustellen, geht es in der Debatte darum, einen vermeintlichen Gegner mit der Macht des Wortes zu schlagen, die eigene Position durchzusetzen und die andere zu vernichten. Die Debatte kennt nur ein entweder-oder – für die Diskussion ist auch ein sowohl-als-auch möglich. Ist die Debatte eher eine Art Gegeneinander, so ist die Diskussion immer ein Miteinander.

Als Sprachwissenschaftler fällt mir in der gegenwärtigen Debatte zur Homöopathie besonders auf, dass es hier keineswegs um die Sache bzw. den Austausch von Meinungen geht. Vielmehr sollten Menschen emotional beeinflusst werden. Dies lässt sich am gewählten Wortschatz und an den benutzten Argumentationsmustern gut erkennen, soll hier aber nicht weiter Gegenstand der Betrachtungen sein. Stattdessen möchte ich ein zentrales Argument aufgreifen, dass in der Debatte eine besonders wichtige Rolle spielt: „Homöopathie als reiner Placebo-Effekt“.

Die Aussage „Homöopathie ist ja nur ein Placebo“ ist als Vorwurf gedacht und soll Globuli in den Bereich der Irrationalität und Pseudowissenschaft verbannen. Dabei wird schlicht übersehen, dass der Placebo in gewisser Weise der am besten erforschte Effekt in der Medizin ist und in keinem Heilprozess fehlt. Bei diesem Effekt geht es auch keineswegs nur um Glauben und Erwartung, sondern es geht um die Wirkmächtigkeit von Sprache und Information in einem bestimmten Kontext. Und hier wird es interessant: bloße Informationen, d.h. etwas Immaterielles ohne jedweden Wirkstoff, können zugleich heilen und schaden.

Dazu ein beeindruckendes Beispiel zum Potenzial von Information, Kommunikation und Sprache als Stimuli für innere Wirkprozesse. In einer renommierten Studie von Silvestri et al. (2003) [1] wurde aufgezeigt, wie durch Information unerwünschte Nebenwirkungen verursacht bzw. durch das Fehlen von Information vermieden werden können. In der Studie geht es um erektile Dysfunktion im Kontext der Einnahme eines Betablockers. Gefragt wird, ob durch Information erektile Dysfunktion erzeugt bzw. verstärkt werden kann. Männliche Patienten, denen ein Betablocker verordnet worden war, wurden in drei Gruppen eingeteilt: Die erste Gruppe erhielt keine Information darüber, dass sie einen Betablocker einnimmt. Die zweite Gruppe bekam die Information, dass ein Betablocker verordnet wurde. Und die dritte Gruppe wurde explizit darüber aufgeklärt, dass das Medikament als unerwünschte Nebenwirkung auch „gelegentlich“ eine Störung der Erektion auslösen kann. Drei Monate später wurde in allen Gruppen die Häufigkeit einer erektilen Dysfunktion per Befragung erhoben. In der ersten Gruppe betrug sie 3,1 Prozent, in der zweiten Gruppe 15,6 Prozent und schließlich in der dritten Gruppe 31,2 Prozent. Eine spätere ähnlich angelegte Studie von Cocco (2009) [2] bestätigte die Ergebnisse der Studie von Silvestri et al. (2003) weitgehend.

Kann man den Teilnehmern dieser Studien, die erektile Dysfunktion entwickelt haben, nun – in tröstender Absicht – mitteilen, dass das alles nur ein Nocebo war? Würde diese Information ihr Problem dann lösen? Vermutlich nicht, denn das „Wirken des vermeintlich Wirkungslosen“ entsteht in einem sehr komplexen Prozess der Interaktion zwischen Arzt und Patient. Prof. Jütte, der Vorstand des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer argumentiert in einer Stellungnahme der Bundesärztekammer zum Thema „Placebo in der Medizin“: „Die Arzt-Patienten-Interaktion ist ganz zentral. Mit seinem Verhalten kann der Arzt ungemein viel erreichen – mit Empathie, Vertrauen und dem therapeutischen Setting. All das muss stimmen, damit der Arzt mit seiner Maßnahme – auch wenn sie noch so evidenzbasiert sein mag – Erfolg haben kann.“ Und weiter: „Es kommt also nicht selten vor, dass eine Maßnahme mit geringerer Evidenz effektiver ist, weil die Umstände besser passen und der Gesamteffekt damit größer wird.“ [3]

So gesehen wäre der Placeboeffekt also unverzichtbarer und wünschenswerter Kern einer jeden Behandlung. Allerdings kann er sich – und das ist die Gefahr in der gegenwärtigen Debatte – in bestimmten Kontexten auch in einen Noceboeffekt verwandeln bzw. neutralisiert werden. Die Ideologie eines Arztes und Berichte in den Medien können zu einem Nocebo-Reiz für Patienten werden. Viele Ärzte der komplementären Medizin machen in dieser Hinsicht die Erfahrung, dass ihre Patienten durch direktes Infragestellen und/oder implizite Verunglimpfung bzw. in milderer Form durch Lächerlichmachen durch zusätzlich konsultierte Schulmediziner zumindest verunsichert werden. Damit können diese Ärzte diesen Patienten schaden, ohne dass dies ihre Absicht ist.

Die gegenwärtigen Angriffe gegen die Homöopathie leisten also nicht nur keinen konstruktiven Beitrag in einer durchaus zu führenden Diskussion zur Homöopathie, sondern sie schaden objektiv all den Patienten, die homöopathisch behandelt werden. Auf diesen Umstand hat vor einigen Jahren in einem Editorial der Münchner Medizinischen Wochenschrift Prof. Füeßl, der damalige Chefredakteur dieser sicher nicht unter Esoterik-Verdacht stehen Fachzeitschrift, hingewiesen. Er schreibt: „Schließlich wird das Befinden eines Patienten und damit die tatsächliche oder empfundene Besserung seiner Beschwerden ganz wesentlich vom Vertrauensverhältnis zu seinem Arzt beeinflusst. Doch dieses ist mit wissenschaftlichen Methoden kaum zu untersuchen, da es von irrationalen Momenten gefördert oder gestört wird. Die Wirkung alternativer Verfahren anzuzweifeln könnte genau dieses Vertrauensverhältnis stören und dadurch per se kontraproduktiv sein.“ [4]

Es ist zutiefst unethisch, wenn auf Grund von unterschiedlichen Ideologien in polemisch geführten Debatten kranke Menschen verunsichert werden, ihnen das Vertrauen genommen wird und letztendlich heilende Placebo-Reize in schadende Nocebo-Reize verwandelt werden. Selbst wenn Homöopathie nicht über einen reinen Placeboeffekt hinausgehen würde, so ist sie dennoch für eine patientengerechte Versorgung von großer Bedeutung. Einen Streit darüber zu führen ist nicht zielführend – in einem pauschalen entweder-oder kann der kranke Mensch nur verlieren. Schul- und Komplementärmedizin können und sollen (durchaus auch in einem Spannungsfeld) miteinander diskutieren, sich aber mit gegenseitigem Respekt und in einer Haltung des sowohl-als-auch begegnen. Das Wissen über den Placebo- und Nocebo-Effekt kann neuen Wind in die Medizin bringen und zu einer Kulturheilkunde erweitern, die spezifische Wirkmittel keineswegs ausschließt, sondern diese durch die sogenannten unspezifischen Wirkmittel bzw. Kontextfaktoren noch wirksamer machen könnte. Eine solche Kulturheilkunde wirkt durch folgende Faktoren:

  • Autonomie, Kompetenz und Selbstwirksamkeit des Patienten;
  • Empathie, Haltung und Intuition des Therapeuten;
  • Passung und Resonanz zwischen Patienten und Therapeuten;
  • sowie durch ein heilendes Umfeld in Gesellschaft, Medien und Politik, das Resilienz und Salutogenese fördert.

Wir brauchen also keine Debatte, wir brauchen eine Diskussion, die den kranken Menschen in den Mittelpunkt stellt.

Hartmut Schröder ist Inhaber des Lehrstuhls für Sprachgebrauch und Therapeutische Kommunikation an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. Hartmut Schröder

Therapeium – Zentrum für Natur- und Kulturheilkunde

Hohenzollernstr. 12

14163 Berlin

E-Mail: h.schroeder@therapeium.de

Literatur:

[1] Silvestri A, Galetta P, Cerquetani E, Marazzi G, Patrizi R, Fini M, Rosano GM: Report of erectile dysfunction after therapy with beta-blockers is related to patient knowledge of side effects and is reversed by placebo. Eur Heart J. 2003 Nov; 24(21):1928-32.

[2] Cocco G: Erectile dysfunction after therapy with metoprolol: the Hawthorne effect. Cardiology. 2009;112(3):174-7.

[3] Deutsches Ärzteblatt, 19. Juli 2010.

[4] MMW-Online, 3-4/2009

 

 

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