Homöopathie und Depression

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Homöopathische Arzneien wirken mindestens so gut wie Antidepressiva und besser als Placebo

Harald Walach

Vorbemerkung und Einführung:

Pharmakologische Antidepressiva – das vorläufige Ergebnis eines Trauerspiels

Peter Gøtzsche, der ehemalige Leiter des Nordischen Cochrane Centers in Kopenhagen und auf Rang  1.849 der 100.000 meistzitierten wissenschaftlichen Autoren, hat die Psychiatrie mit seiner Brandschrift unter Druck gebracht1. Darin hat er argumentiert, die Psychiatrie insgesamt und die von ihr verwendeten Antidepressiva seien wissenschaftlich zweifelhaft, weil ihre positiven Wirkungen die potenziell schädlichen Wirkungen kaum aufwiegen würden, weil viel zu viel davon verordnet werden würden und weil die Studien, auf denen ihre Verordnung basiert, methodisch unsauber seien. Dafür hat er vor Kurzem die Quittung erhalten und ist von seiner Rolle innerhalb der Cochrane Collaboration entbunden worden und hat sogar seine Stelle verloren2. Dieses Beispiel zeigt: in diesem Gebiet sind die kommerziellen Interessen sehr mächtig und es ist nicht ungefährlich, die Mainstream-Meinung herauszufordern.

Das mache ich jetzt trotzdem, weil ich es ärgerlich finde, dass sich die Anti-Homöopathie-Lobby nun eines Grünenparteitags zu bemächtigen sucht, in krasser Unkenntnis der Datenlage. Ich nehme die Depressionstherapie als Beispiel, ein heiß umstrittenes Gebiet.

Angefangen hat der Disput um die Wirksamkeit der Antidepressiva schon in den 90er Jahren, eigentlich schon früher. Es sei daran erinnert: Das erste weit verbreitete Antidepressivum, Fluoxetin, mit dem Handelsnamen Prozac, ist nie als Antidepressivum entwickelt worden, sondern hatte wechselnde Schicksale als Appetitzügler, Schmerzmittel etc., bis es durch eine Bestechungsaktion eines mittlerweile abgesprungenen Pharmamanagers in Schweden auf den Markt kam und so durch die Hintertür auf den amerikanischen und dadurch auf den Weltmarkt3. Irving Kirsch wies als erster darauf hin, dass Antidepressiva nur wenig wirksamer seien als Placebo4. Die Analyse aller, auch der unpublizierten Studien zu den modernen Antidepressiva, den sog. selektiven Serotonin-Reuptake Inhibitoren (SSRIs), zeigte: Ihre Effektgröße ist vergleichsweise klein gegenüber Placebo, nämlich etwa eine Drittel Standardabweichung5 und damit eigentlich niedriger als die halbe Standardabweichung die NICE, die englische Agentur, die für die Bewertung von Gesundheitsmaßnahmen zuständig ist, fordert6. Eine neue Netzwerk-Metaanalyse, ein massives Unterfangen, das alle verfügbaren Studien miteinander in Beziehung setzt, hat nun versucht ein abschließendes Wort zu sprechen7, findet eine generelle Wirksamkeit gegenüber Placebo und immer noch die bescheidene Effektgröße von weniger als einem Drittel Standardabweichung (d = 0.3). Prompt wurde dieser Publikation durch eine Re-Analyse aus der ehemaligen Arbeitsgruppe von Gøtzsche  widersprochen, die der Studie handwerkliche Fehler und schlampige Analyse nachweist.8 Die Effekte sind kleiner, bei den unpublzierten Studien sogar winzig, die Verzerrungsmöglichkeit ist groß und die Verlässlichkeit der Befunde geringer als man denkt. Die größte je durchgeführte Studie zu Antidepressiva in der unkontrollierten Praxis, die STAR*D-Studie, zeigt nur geringe Effekte9 und eine Re-Analyse kommt zu dem Schluss, dass auch diese geringen Effekte nur dadurch zustande kommen, dass die Autoren sich nicht an ihr eigenes Protokoll gehalten und ihre Daten aufgehübscht haben10.

Ich referiere diese Geschichte absichtlich etwas ausführlicher um zu signalisieren: selbst in einem anscheinend so klaren Gebiet wie der pharmakologischen Antidepressionstherapie ist die Datenlage sehr verworren, trotz Milliarden von Forschungs- und Entwicklungsgeldern, trotz einem scheinbaren Konsens in der wissenschaftlichen Gemeinschaft und der Gesundheitspolitik.

Nun wurden ausgerechnet in diesem Gebiet zwei interessante Homöopathiestudien publiziert: eine Studie von Macias-Cortés und Kollegen aus Mexiko11 und 6 Jahre davor eine Studie von Adler und Kollegen aus Brasilien12.

Homöopathische Therapie der Depression: 2 Beispiele

Macias-Cortés et al. (2015) Individualized Homeopathic Treatment and Fluoxetine for Moderate to Severe Depression in Peri- and Postmenopausal Women11

Die Studie von Macias-Cortés verglich homöopathische individualisierte Therapie, die in den Potenzen C30 oder C200 verabreicht wurde, in einer dreiarmigen Studie mit Fluoxetin (das unter dem Handelsnamen Prozac verbreitet ist) und mit Placebo in einer sog. double-dummy Technik. Das funktioniert so, dass jeder Patient zwei Medikationen erhält, von denen entweder eine oder beide ein Placebo sind, aber jedenfalls beide so aussehen wie das Original. Patienten der Placebo-Gruppe erhalten, verblindet natürlich, zwei Placebos, ein Fluoxetin-Placebo und ein Homöopathie-Placebo. Patienten der Homöopathie-Gruppe erhalten ein homöopathisches Arzneimittel und ein Fluoxetin-Placebo. Patienten der Fluoxetin-Gruppe erhalten ein echtes Fluoxetin und ein Homöopathie-Placebo. Alle Patienten und alle Forscher waren verblindet bezüglich des Inhaltes. Eingeschlossen wurden Frauen mit Depression in der Menopause. Alle 133 Patientinnen erhielten zunächst eine homöopathische Erstanamnese, woraufhin ein homöopathisches Arzneimittel verordnet wurde, das aber nur jenes Drittel der Patientinnen erhielten (insgesamt 44), die in die Homöopathiegruppe randomisiert, also per Zufall zugeteilt, wurden. Da sie zusätzlich das Fluoxetinplacebo erhielten, wussten sie natürlich nicht, dass sie in der Homöopathie-Gruppe waren. Die homöopathische Arznei wurde übrigens aufgelöst in eine Wasser-Alkohol-Lösung zur täglichen Einnahme aufbereitet und hat damit etwas Ähnlichkeit mit der Einnahme von Q- oder 50.000er-Potenzen, die in der Adler-Studie (siehe unten) zur Anwendung kamen. Dadurch nahmen alle Patienten der Homöopathiegruppe täglich entweder ein homöopathisches Arzneimittel oder ein Placebo zu sich. Das Arzneimittel konnte in der Potenz oder im Inhalt angepasst werden, falls sich Symptome verschlimmerten oder neue zeigten. Wer interessiert daran ist, kann in der Zusatztabelle der Online-Publikation die homöopathischen Arzneimittel nachschauen, die verabreicht wurden.

46 Patientinnen erhielten Fluoxetin plus das Homöopathie-Placebo und 43 Patientinnen erhielten zwei Placebos.

Die Studie war offenkundig gut geplant und ausgewertet: Alle Patientinnen, die in die Studie eingeschlossen waren, waren auch in der Auswertung. Das ist das sog. „intention-to-treat“ Prinzip. Dabei wird der robuste Effekt einer Intervention untersucht, weil die Patienten, die herausfallen, normalerweise mit ihren letzten Wert oder dessen Extrapolation in die Auswertung eingehen, was die Analyse konservativ macht. Als Hauptzielkriterium war definiert worden: die Verbesserung auf der Hamilton-Depression-Rating Skala. Das ist eine Fremdeinschätzung, bei der ein Psychiater oder Psychologe Symptome nach einem Interview einstuft. Die einstufende Person muss natürlich verblindet sein, was sie hier war. Oft wird dem Verfahren mangelnde Glaubwürdigkeit attestiert, weil manchmal die Gruppenzugehörigkeit aufgrund von Nebenwirkungen erraten werden kann. Das war in dieser Studie sicher nicht der Fall. Denn die Nebenwirkungen waren auf alle drei Gruppen gleich verteilt und manche „typische“ Nebenwirkungen waren sogar in der Placebo-Gruppe etwas häufiger, wie etwa Verstopfung, Magenprobleme und Erschöpfung. Damit kann also das Hauptzielkriterium als gültig gemessen gelten. Es gab zwei Nebenzielkriterien: die selbstberichtete Verbesserung auf der Beck Depression Skala und die Veränderung der Greene Klimakteriumsbeschwerden-Skala.

Gemessen wurde nach 4 und nach 6 Wochen. Im Hauptzielkriterium war die Homöopathiegruppe signifikant besser als Fluoxetin und besser als Placebo. Der Unterschied der Homöopathiegruppe zu Fluoxetin ist mit einer Effektgröße von d = 0.58 relativ groß und damit auch größer als der durchschnittliche Unterschied von Fluoxetin zu Placebo in den Meta-Analysen. Der Unterschied der Homöopathiegruppe zu Placebo ist ebenfalls signifikant und mit einer Effektgröße von d = 1.5 fast dreimal so groß wie der Unterschied zu Fluoxetin. In dieser Studie ist übrigens auch Fluoxetin mit einer Effektgröße von d = 0.89 Placebo signifikant überlegen. Das Nebenzielkriterium BDI zeigte zwar die gleiche Tendenz, aber die Unterschiede sind klein (d = 0.3 Homöopathie gegenüber Fluoxetin) und nicht signifikant. Der Unterschied in der Greene-Klimakteriumsbeschwerdenskala ist hingegen wieder signifikant, und zwar sowohl Homöopathie gegenüber Fluoxetin als auch gegen Placebo. Eine mehr als 50%ige Besserung in der Hamilton Rating Skala und damit ein deutlicher therapeutischer Effekt zeigte sich bei 54% der Patienten in der Homöopathie-Gruppe, bei 41% in der Fluoxetin-Gruppe und bei knapp 12% in der Placebo-Gruppe, was ebenfalls einen signifikanten Unterschied darstellt. In den Remissionsraten, also der vollständigen Besserung der Depression (definiert als weniger als 7 Punkte auf der 17-Punkte Skala) unterscheiden sich die beiden aktiven Gruppen kaum: 15,9% unter Homöopathie, 15,2% unter Fluoxetin, aber von Placebo, das eine Remissionsrate von 4,7% aufweist.

Die Studie ist in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert:

  1. Sie ist dreiarmig und zeigt einen klaren Effekt.
  2. Sie zeigt, dass individualisierte Homöopathie besser ist als Placebo und Fluoxetin.
  3. Sie hat klinisch relevante Effektstärken dokumentiert und zwar bei Patientinnen mit mittelschwerer bis schwerer Depression in der Menopause.
  4. Und das alles, obwohl sie methodisch, soweit ich sehen kann, auf hohem Niveau geplant und durchgeführt wurde und verblindet war.

Die Einschränkungen sollten nicht übersehen werden:

  1. Die Studie war mit 6 Wochen relativ kurz. Das hat den technischen Vorteil, dass sich eine natürliche Erholung in diesem kurzen Zeitraum nicht so leicht finden lässt, wodurch der klinisch-statistische Unterschied deutlicher wird.
  2. Die Studie hat mit Frauen, die im Klimakterium depressiv waren eine spezielle Patientinnengruppe untersucht.
  3. Sie ist trotz der guten Vergleichbarkeit in den Ausgangsparametern relativ klein und monozentrisch.

Dennoch scheint mir dieser Studie im Vergleich mit anderen Antidepressiva-Studien relativ gut zu sein und zeigt einen klaren Effekt individualisierter Homöopathie mit hohen Potenzen (C30 und C200), die in verdünnter Form täglich eingenommen wurden. Das ist ein Befunde, der nicht einfach ignoriert werden kann, solange nicht nachgewiesen wird, dass er durch Betrug oder Selbsttäuschung zustande kam, und das scheint nicht der Fall zu sein.

Adler et al (2009) Homeopathic individualized Q-potencies versus fluoxetine for moderate to severe depression: double-blind, randomized non-inferiority trial12

Die Studie von Adler und Kollegen aus Brasilien ist ein anderes Beispiel. Sie ist eine zwei-armige aktiv-kontrollierte Studie, in der individualisierte Therapie mit Fluoxetin verglichen wurde in einem sog. Non-Inferioritäts-Design. Während die Studie von Macías-Cortés ein Überlegenheitsdesign hatte, also statistisch daraufhin testete, ob Homöopathie besser als Placebo und besser als Fluoxetin ist, waren Adler und Kollegen bescheidener und testeten, ob Homöopathie Fluoxetin nicht unterlegen ist, also ungefähr gleich gut und auf keinen Fall schlechter. Solche aktiv kontrollierten Designs verwendet man häufig dann, wenn es bereits gut eingeführte Standards gibt – wie etwa in der pharmakologischen Depressionsbehandlung – und wenn eine Ethik-Kommission oder die Forscher Patienten nicht unnötigerweise einer Scheinbehandlung durch Placebo aussetzen wollen. Die Planung solcher Designs ist häufig zwei Hintergründen geschuldet: Manchmal fordern es Ethik-Kommissionen ein, manchmal machen Studienplaner das absichtlich, weil es einfacher ist Nicht-Unterlegenheit zu zeigen als Überlegenheit.

In dieser Studie wurden Patienten mit Depression, entweder einfacher oder wiederkehrender Depression, eingeschlossen und erhielten entweder individualisierte homöopathische Therapie mit Q-Potenzen oder Fluoxetin und das jeweils andere Placebo in einer double-dummy Technik, wie oben beschrieben, um die Verblindung aufrecht zu erhalten. Der Erfolg wurde wiederum über eine Rating-Skala durch einen verblindeten Kliniker gemessen, in diesem Falle war es die Montgomery-Asperger Rating Skala. Randomisiert wurden 91 Patienten, 48 in die Homöopathie- und 43 in die Fluoxetin-Gruppe. Beide Gruppen besserten sich deutlich über die 8 Wochen Studiendauer. In die statistische Analyse wurden wiederum alle Patienten eingeschlossen. In der Homöopathiegruppe brachen 19 Patienten die Studie ab, 3 aufgrund von Nebenwirkungen, 5 aufgrund klinischer Verschlimmerung (also kein therapeutischer Effekt), 10 kamen einfach nicht wieder. In der Fluoxetingruppe wurden 8 aufgrund von Verschlimmerungen und einer aufgrund mangelnder klinischer Effekte ausgeschlossen und 8 kamen nicht wieder. Das zeigt: in dieser Studie war offenbar das Monitoring der Patienten weniger sorgfältig und eng, sodass mehr Ausfälle zu verzeichnen sind. Da die Statistik sich aber auf alle Daten stützt und die fehlenden extrapoliert wurden, ist die Analyse zwar robust, weist aber dadurch wohl weniger Sensitivität auf. Die Analyse zeigt: Keine der Gruppen überschreitet die vorher definierte Indifferenzgrenze. Man überlegt bei solchen Designs vorher, was ein minimaler, klinisch relevanter Unterschied ist. Die Nicht-Unterlegenheit ist gezeigt, wenn das Vertrauensintervall des Unterschiedes zwischen den Therapien diesen klinisch-relevanten Unterschied nicht übersteigt. Das tut er nicht, und daher ist in dieser Studie Homöopathie nicht von Fluoxetin zu unterscheiden. Es gibt sogar eine kleine, positive Effektstärke zugunsten von Homöopathie (d = 0.4); aber weil unklar ist, ob die berichteten Daten die Daten aller Patienten sind oder nur die Daten von denen die abgeschlossen haben (was ich vermute), würde ich diesem Unterschied nicht so viel Gewicht beimessen wollen. Bei der statistischen Analyse kann man allerdings Robustheit annehmen, da hier die fehlenden Daten mit den Ausgangswerten interpoliert wurden.

In dieser Studie ist also individualisierte Homöopathie gleich gut wie Fluoxetin, tendenziell etwas besser, aber es war nicht Ziel der Studie, dies zu belegen. Interessant an dieser Studie war die Individualisierung und Behandlung ausschließlich mit Q-Potenzen. Das hat meines Wissens keine andere Studie gemacht. Q-Potenzen sind ja solche, bei denen von der C3 ausgehend alle weiteren Verdünnungsschritte in Schritten 1:50.000 – ungefähr – vorgenommen werden. Von dieser dann als Q1 bezeichneten Potenz wird jeweils weiter potenziert. Von jeder Q-Potenz wird dann wieder ein Kügelchen in Wasser aufgelöst und täglich ein kleiner Schluck genommen. In dieser Studie war das dreimal die Woche der Fall. Man versucht damit einen milden, kontinuierlichen Stimulus zu setzen und Erstverschlimmerungen zu vermeiden. Das scheint einigermaßen funktioniert zu haben. Die Studie war mit 8 Wochen etwas länger als die andere, war ebenfalls doppelt verblindet, allerdings sprechen die größere Zahl von Aussteigern dafür, dass entweder in der Studienlogistik manches nicht so gut funktioniert hat, oder dass überhaupt die Patientenführung nicht optimal war.

Fazit

Zwei Studien zeigen, verblindet und methodisch sauber, dass Homöopathie mindestens gleich gut (Adler), oder sogar besser (Macías-Cortés) als Fluoxetin, ein Standard-SSRI, gegen Depression hilft. Außerdem zeigt eine Studie, dass Homöopathie besser ist als Placebo. Man kann hier natürlich die üblichen Caveats anführen: Das sind erst zwei Studien, in Lateinamerika durchgeführt, die eine ausschließlich bei Frauen in der Menopause, und überhaupt brauchen wir mehr, größere und repräsentativere Studien. Ich weiß gar nicht, ob man sie so viel besser machen kann, als die, die hier vorliegen. Man kann vielleicht für weniger Drop-outs sorgen, länger beobachten, härtere Outcomes verwenden (Komplettremission statt kontinuierlicher Besserung). All das geht und all das sollte man tun. Aber bis diese Forderungen erfüllt sind kann man konstatieren:

Bei Depression ist klassische Homöopathie mindestens genauso gut wie Fluoxetin.

Referenzen:

  1. Gøtzsche PC. Deadly Psychiatry and Organised Denial. Copenhagen: People’s Press; 2015.
  2. Gøtzsche PC. Death of a Whistleblower and Cochrane’s Moral Collapse. Copenhagen: People’s Press; 2019.
  3. Virapen J. Side Effects: Death. College Station, TX: Virtualbookworm; 2010.
  4. Kirsch I, Sapirstein G. Listening to prozac but hearing placebo: A meta-analysis of antidepressant medication. Prevention & Treatment http://journalsapaorg/prevention 1998; 1: 2a.
  5. Turner EH, Matthews AM, Linardatos E, Tell RA, Rosenthal R. Selective publication of antidepressant trials and its influence on apparent efficacy. New England Journal of Medicine 2008; 358: 252-60.
  6. Kirsch I, Deacon BJ, Huedo-Medina TB, Scoboria A, Moore TJ, Johnson BT. Initial severity and antidepressant benefits: A meta-analysis of data submitted to the food and drug administration. PLoS Medicine 2008; 5(2): e45.
  7. Cipriani A, Furukawa TA, Salanti G, et al. Comparative efficacy and acceptability of 21 antidepressant drugs for the acute treatment of adults with major depressive disorder: a systematic review and network meta-analysis. The Lancet 2018; 391(10128): 1357-66.
  8. Munkholm K, Paludan-Müller AS, Boesen K. Considering the methodological limitations in the evidence base of antidepressants for depression: a reanalysis of a network meta-analysis. BMJ Open 2019; 9(6): e024886.
  9. Trivedi MH, Rush AJ, Wisniewski SR, et al. Evaluation of outcomes with citalopram for depression using measurement-based care in STAR*D: implications for clinical practice. American Journal of Psychiatry 2006; 163(1): 28-40.
  10. Pigott HE, Leventhal AM, Alter GS, Boren JJ. Efficacy and effectiveness of antidepressants: current status of research. Psychotherapy and Psychosomatics 2010; 79: 267-79.
  11. Macías-Cortés EdC, Llanes-González L, Aguilar-Faisal L, Asbun-Bojalil J. Individualized Homeopathic Treatment and Fluoxetine for Moderate to Severe Depression in Peri- and Postmenopausal Women (HOMDEP-MENOP Study): A Randomized, Double-Dummy, Double-Blind, Placebo-Controlled Trial. PLOS ONE 2015; 10(3): e0118440.
  12. Adler UC, Paiva NMP, Cesar AT, et al. Homeopathic individualized Q-potencies versus fluoxetine for moderate to severe depression: double-blind, randomized non-inferiority trial. eCAM 2009; doi:10.1093/ecam/nep114.
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Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Homöopathie – Teil 2

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Harald Walach

Wir haben im ersten Teil dieser Serie die rechtliche Situation der Zulassung und Prüfung von Homöopathika im deutschen Arzneimittelrecht untersucht und kommen nun zum zweiten Teil:

Wirksamkeit der Homöopathie

Methodische Vorüberlegungen

Der Gesetzgeber, so sahen wir, geht von der klinischen Wirksamkeit der Homöopathie aus. Deswegen müssen einzelne Phase-3-Studien zur Wirksamkeit für klassisch-homöopathische Arzneimittel, also solche, die als Einzelarzneien verordnet werden, nicht vorgelegt werden. Nur indikationsbezogene Arzneien müssen solche Belege vorlegen und tun dies auch. Wie aber steht es mit der Wirksamkeit der Homöopathie im klassischen Sinne, also der Überlegenheit von Homöopathie gegenüber Placebo oder der vergleichbaren Wirksamkeit gegenüber Standardtherapien?

Bevor wir das diskutieren nochmals eine Erinnerung:

Phase-3-Studien, die die Wirksamkeit einer Substanz gegenüber Placebo oder einer Standardanwendung testen sind immer Studien, die eine Patientengruppe mit einer definierten Diagnose einschließen und dort eine Anwendung testen. Das ist relativ einfach. Alle Patienten erhalten das gleiche Medikament oder die gleiche Anwendung, verglichen mit einem Placebo oder einer Standardbehandlung. Die Zuteilung der Patienten auf die Gruppen erfolgt zufällig und idealerweise sind die Patienten und Behandler verblindet und wissen nicht, wer was erhält.

Dieses Studienmodell wurde nun auch auf die Homöopathie angewandt. Allerdings muss man dabei folgendes bedenken: Wenn man Patienten mit einer Diagnose in eine Studie einschließt, dann wird es selten nur ein Homöopathikum geben, das für alle Patienten indiziert ist. Man hat im Prinzip drei Möglichkeiten:

  1. Man verwendet keine eigentliche, individualisierte Homöopathie, bei der ja nach der besten Passung der Symptome ein Arzneimittel aus einer Fülle von mehr als 1.500 Arzneien auszuwählen wäre. Sondern man nimmt eines der auf dem Markt befindlichen oder zuzulassenden Komplexhomöopathika, bei denen eine Mischung aus möglicherweise in Frage kommenden Arzneien zu einer Arznei mit Indikation verwendet wird. Dann wird z.B. Arnica, Rhus toxicodendron, Ruta und Bellis perennis, meistens in eher niedrigen Potenzen, zu einer Fertigarznei gemischt und bei Patienten mit Zerrungen und Prellungen verwendet. Diese Verwendung kommt der konventionellen Art der Therapie nahe und ist meist für akute Fälle gedacht. Solche Studien gibt es eine ganze Reihe, z.B. 1.
  2. Man definiert eine oder mehrere, häufig bei einer Krankheit in Frage kommender Arzneien und deren Arzneimittelbild und schließt dann nur solche Patienten ein, die dieses Arzneimittelbild haben. Das war etwa bei der Fibromyalgie-Studie von Peter Fisher der Fall2, oder bei der Kopfschmerzstudie von Brigo, die von Whitmarsh wiederholt wurde3,4. Man kommt damit einer klassisch-homöopathischen Anwendung, also einer Individualisierung, relativ nahe, schließt aber zum einen relativ viele in Frage kommende Patienten und Arzneimittel aus und wird bei der Definition der Arzneien möglicherweise Symptome übersehen oder unscharf werden.
  3. Man erlaubt die volle Individualisierung, also so, wie sie in der klassisch-homöopathischen Praxis vorgenommen wird und damit alle Arzneien bei Patienten mit einer bestimmten Diagnose. Aber der Arzt muss verblindet werden und weiß also nicht, ob der Patient nun seine Verordnung erhalten hat oder Placebo. Da solche Studien meistens bei Patienten mit chronischen oder komplexeren Störungen durchgeführt werden, ist eine einzige Verordnung selten ausreichend. Der Arzt muss also entweder seine Verordnung wiederholen, oder das Arzneimittel wechseln, wenn die erste Verordnung nicht passend war. Diese Entscheidung muss er oder sie aufgrund der Berichterstattung des Patienten nach einigen Wochen treffen. Weil er aber nicht weiß, ob der Patient sein Arzneimittel erhalten hat oder Placebo, ist diese Entscheidung alles andere als trivial und bildet auch die normale klinische Realität nicht ab, weswegen sie allen Verordnern ein hohes Maß an Kenntnis und Sicherheit abverlangt und zu eigenen Problemen führt. 5

Natürlicherweise sind Studien des Typs c), also der voll individualisierten Homöopathie selten und wenn sie vorkommen meistens eher kurz. Eine Variante ist ein Studientyp, bei dem zunächst ohne Verblindung bei Patienten die richtige Arznei gesucht wird und dann in einem verblindeten Schema weitergemacht wird.6 Die meisten vorliegenden Studien fallen in die Kategorie a) – bewährte Indikation – oder b) – Definition einiger weniger Arzneien.

Diese Situation hat folgende Konsequenzen: Die klassische, individualisierte Homöopathie, so wie sie in der klinischen Praxis verwendet wird, ist bislang eher wenig, eher schlecht und eher nur in kurzzeitigen Studien untersucht. Sie wurde in Langzeitbeobachtungen untersucht, also in offenen Dokumentations- oder Beobachtungsstudien, und zeigt dort einen klinischen Effekt bei etwa 75% der Patienten.7 Anders ausgedrückt: Wer mit einem chronischen Problem zu einem homöopathischen Arzt geht, der individualisiert behandelt, hat eine relativ hohe Chance, nämlich in 3 von 4 Fällen, eine klinisch relevante Besserung zu erleben. Die Frage ist: Ist dieser klinische Erfolg die Folge der homöopathischen Arzneien, die Folge der therapeutischen Interaktion, die Folge eines gigantischen Placebo-Effektes oder einer Mischung aus diesen. Wahrscheinlich ist es eine Interaktion all dieser Effekte. Für den Patienten (und das Gesundheitssystem) ist es allerdings eigentlich völlig unerheblich, wie der Effekt zustande kommt, solange er zuverlässig, einigermaßen kostengünstig und ohne große Nebenwirkungen und Gefahren zustande kommt.

Insofern ist die Frage, ob homöopathische Arzneien nun von Placebo verschieden sind, eigentlich eine sehr spezielle, akademische, aber natürlich höchst interessante Frage. Wenn wir nun die Studienlage betrachten, muss uns dies klar sein. Denn verblindete klinische Studien untersuchen nur diese Frage, sonst nichts. Und im Fall der Homöopathie haben sie meist eine vereinfachte Form der Homöopathie untersucht, nämlich bewährte Indikationen (a) und verkürzte Individualisierung (b).

Meta-Analysen

Klassischerweise werden Fragen nach der generellen Wirksamkeit („efficacy“) wie gesagt in einzelnen verblindeten, placebo-kontrollierten Studien untersucht oder in Studien, die gegen einen klinischen Standard vergleichen. Da einzelne Studien aber immer auch anfällig für Fehler und zufällige Schwankungen sind, führt man Meta-Analysen durch. In solchen Meta-Analysen werden die Effekte der einzelnen Studien statistisch zusammengefasst, und durch die größere Zahl der Studien und damit natürlich auch der Patienten und Behandlungstypen wird eine robustere Schätzung des Effektes und seiner statistischen Absicherung möglich.

Solche Meta-Analysen gibt es für die Homöopathie eine ganze Reihe. Ich fasse in der Tabelle die wichtigsten zusammen. Das sind solche, die entweder neue und innovative Aspekte eingebracht haben oder aber in der Literatur einflussreich waren. Daneben gibt es eine Reihe von Teil-Analysen, oder Meta-Analysen von Teilbereichen, die ich ausklammere.

Autoren Anzahl Studien/
ausgewertet
Ergebnis
Linde et al. 1997 8 119/89 OR = 2.45/1.78*
Kommentar:Relativ robust; Effekt für methodisch bessere Studien geringer
Cucherat et al. 2000 9 118/17 p < 0.00036
Kommentar:Sehr konservative und technisch unzulängliche Zusammenfassung der Signifikanzen
Shang et al. 2005 10 110/8 Kein Effekt
Kommentar:Wenn man nur 8 Studien berücksichtigt kein Effekt, sonst schon
Lüdtke&Rutten 2008 11 110/21 OR = 0.76*
Kommentar:Re-Analyse der Daten von Shang und Sensitivitätsanalyse. 21 Studien mit der besten Qualität ergeben einen signifikanten Effekt. Wenn man die Studien der Größe nach ordnet (wie Shang), dann findet man ab 14 eingeschlossenen Studien immer einen signifikanten Effekt
Mathie et al. 2014 12 32/22 OR = 1.53 (1.98)*
Kommentar:Nur Studien mit individualisierter Homöopathie
*= signifikantes Ergebnis

Linde et al. 1997

Die erste dieser Analysen war die von Klaus Linde und Kollegen. Sie recherchierte alle damals vorhandenen placebo-kontrollierten Studien und fand immerhin 119, eine Zahl die schon damals sowohl Befürworter als auch Kritiker überraschte. Zusammengefasst ergibt sich eine signifikante Effektstärke mit einer Odds Ratio (OR) von 2.45, die auf 1.78 schrumpft, aber immer noch signifikant ist, wenn man nur die besten Studien nimmt.

Eine Odds Ratio ist eine Effektstärke, die das Verhältnis von therapeutischen Erfolgen und Misserfolgen in der Behandlungs- und Kontrollgruppe abbildet, also dichotome Maße zusammenfasst. Je nachdem, wie das Verhältnis gebildet wird, sind Werte über 1, wie hier, oder kleiner als 1, wie bei Lüdtke, Indikatoren für Erfolg. Hier bedeutet die OR = 2.45, dass Patienten in der Homöopathiegruppe 2.45 mal so häufig Erfolg hatten, oder 1.78 mal in den Studien, die höhere methodische Qualität aufwiesen. Beide Effektstärken waren signifikant. Allerdings zeigte sich eine lineare Abnahme des Effektes, je höher die methodische Güte der Studie war.

Verschiedene Validitätstypen

Dazu muss man folgendes wissen: die methodische Güte einer Studie ist kein eindeutiges Merkmal, wie die Farbe eines Autos. Es gibt zwar Kriterien, wie Verblindung, oder Randomisierung, etc. Diese bilden aber nur die sog. interne Validität ab, also die Sicherheit, mit der man sich auf die Schlussfolgerungen einer Studie verlassen kann. Wichtig ist aber auch die externe Validität, also die Anwendbarkeit, und die Modellvalidität, also die Sorgfalt, mit der eine Studie die zu untersuchende Therapie abgebildet hat. Interne und externe Validität sind eigentlich inkompatibel 13, d.h. man kann sie praktisch nicht in ein und der selben Studie optimieren sondern braucht dafür unterschiedliche Studientypen, und Modellvalidität ist sehr schwer zu fassen. Der Befund, den Klaus Linde und Kollegen dokumentieren, dass mit steigender interner Validität die Effekte kleiner werden ist ein wohlbekannter Effekt, der praktisch überall zu beobachten ist. Immerhin hatten auch noch die besten Studien eine signifikante Effektstärke. Diesen Befund haben zwar dann in der Folge verschiedene Autoren durch Sekundärpublikationen versucht zu relativieren. Das geht immer und wurde auch hier so gemacht, indem man eben Gründe sucht, um Studien nicht einzuschließen und dann eben nur die 5 oder 3 besten Studien nimmt. Dann verschwindet die Signifikanz der Effekte, weil sich die Variabilität vergrößert und die statistische Mächtigkeit abnimmt. Aber solche Strategien halte ich nicht für wissenschaftlich lauter, weswegen ich sie auch nicht weiter bespreche.

Cucherat et al. 2000

Die Analyse von Cucherat und Kollegen entstammte einem größeren Evaluationsprojekt und der Publikation ist anzumerken – und die Autoren machen auch keinen Hehl daraus, dass man versuchte mit allen Mitteln die verblüffende Signifikanz des Gesamtergebnisses zu reduzieren. Die Zusammenfassung selber ist vom Standpunkt der Meta-Analyse schwach, weil keine Effektstärken zusammengefasst wurden sondern eine extrem konservative Methode verwendet wurde, um die zusammengefasste Signifikanz zu dokumentieren. Das entsprach eigentlich schon damals nicht dem Stand der Kunst und tut es heute noch weniger. Die Autoren reduzierten den Gesamtpool an Studien auf die 17 besten und auch die kommen noch auf ein insgesamt signifikantes Ergebnis. Das schwindet erst dann, wenn man nur die 5 oder 3 allerbesten nimmt, aber dann hat man, wie schon oben besprochen, eben das Problem, dass man hohe Variabilität mit reduzierter statistischer Mächtigkeit paart. Das ist eine schlechte und technisch auch nicht empfohlene Methode, wenn man einmal die Literatur zur Meta-Analyse zur Kenntnis nimmt 14-17.

Shang et al 2005

Am häufigsten zitiert wird die Analyse von Shang und Kollegen, die aus dem schweizerischen Programm zur Evaluation der Komplementärmedizin (PEK) hervorgegangen ist. (Aus diesem Programm ist auch ein Health Technology Assessment Report zur Homöopathie entstanden, also ein pragmatischer Überblick. Dieser ist ebenfalls positiv ausgefallen.18) Shang und Kollegen fanden etwas weniger Studien als die Meta-Analysen vor ihnen. Das ist wohl das geringere Problem. Dann ordneten sie alle Studien nach Größe, die größten zuerst. Das hat eine gewisse Berechtigung, denn große Studien sind in aller Regel robuster in der Schätzung von Effekten als kleine, einfach weil bei ihnen die Schätzfehler statistisch gesehen geringer sind. Allerdings darf man folgendes nicht übersehen: Die Größe einer Studie, das hatten wir im vorigen Teil bereits gesehen, hängt auch davon ab, ob es für eine Krankheit bereits andere Therapien gibt, ob eine Therapie ganz neu ist, wie groß die zu erwartenden Effekte sind, etc. Bei Studien, die auf Pilotstudien aufbauen, die einen relativ großen Effekt gezeigt haben, wird sowohl aus ethischen als auch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine relativ kleine Studie ausreichen, den Effekt zu zeigen. Bei Studien, die einen eher kleinen Effekt antizipieren, wird die Studie größer geplant. Daher das Vorgehen, nur die größten Studien zu berücksichtigen, nur in Grenzen sinnvoll.

Der entscheidende, und häufig kritisierte Schritt der Autoren war nun aber, lediglich acht aller Studien in die formale Analyse einzuschließen. Dieses Vorgehen wurde nirgends begründet, war nicht apriori definiert und wurde auch anschließend nie begründet. Erst auf vielfältigen Druck und Kritik hin19,20 gaben die Autoren auf ihrer Webseite bekannt, welches die 8 Studien waren, die eingeschlossen wurden. Das ist aus meiner Sicht ein inakzeptables Vorgehen, und eigentlich verstößt es gegen die Praxis guter Meta-Analysen, weswegen sich der Kenner wundern muss, warum Lancet diese Arbeit überhaupt zur Publikation angenommen hat. Wenn man nur diese 8 Studien analysiert, ergibt sich eine nicht-signifikante Effektstärke. Außerdem haben Shang und Kollegen noch eine weitere methodische Besonderheit eingebaut: sie haben zu jeder Homöopathie-Studie zufällig eine konventionelle Vergleichsstudie gesucht. Wenn man das macht, dann sieht man, dass die Effektstärken der konventionellen Studien auf einen Punkt konvergieren, der von Null verschieden ist, die Effekte der Homöopathiestudien aber gegen Null gehen und also von Placebo nicht verschieden sind.

Allerdings haben Shang und Kollegen nie den Gesamteffekt aller Studien berichtet, außer dass sie in ihrer Publikation gesagt haben, er sei signifikant.

Lüdtke & Rutten (2008)

Dies haben Lüdtke und Rutten in einer Re-Analyse der Shang-Daten nachgeholt. Sie haben zunächst die Analyse von Shang wiederholt und kamen zum gleichen Ergebnis. In einer sog. Sensitivitätsanalyse haben sie dann überprüft unter welchen Bedingungen der Effekt auftaucht und verschwindet. Sensitivitätsanalysen sind eigentlich Standard in der Meta-Analyse, und man muss sich wundern, warum Shang und Kollegen diese nicht selber durchgeführt und publiziert haben (und warum die Gutachter von Lancet bzw. der Herausgeber das nicht eingefordert haben). Solche Analysen zeigen nämlich, wie robust die Ergebnisse gegenüber den Vorannahmen sind. Da jede Meta-Analyse immer auch Annahmen trifft, ist es wichtig zu überprüfen, welchen Einfluss diese Annahmen auf die Robustheit des Ergebnisses haben, in diesem Fall etwa die Annahme dass es sinnvoll und richtig ist, die Daten nach Studiengröße zu ordnen und nur 8 aufzunehmen. Lüdtke und Rutten haben nun eine Analyse gerechnet, in der sie sukzessive immer mehr Studien einschlossen. Man sieht dabei: die Zahl von 8 Studien bezeichnet einen Punkt, an dem eine kumulative Meta-Analyse in den nicht-signifikanten Bereich kommt, nimmt man mehr Studien hinzu, wird die Effektgröße wieder signifikant, dann wieder nicht. Ab 14 Studien und bis zum Schluss, also zum Einschluss aller Studien, wird man immer eine signifikante Effektgröße finden, die immer um die Größe von OR = 0.76 schwankt, aber dann eben immer signifikant ist. Diese Effektgröße bedeutet, dass der Effekt unter Placebo 24% schwächer ist als unter Verum.

Es ist wichtig sich noch einmal vor Augen zu halten: Die Effektgröße schätzt den klinischen Effekt einer Intervention gegenüber Kontrolle, in dem Fall Placebo. Die Signifikanzberechnung fragt, ob dieser Effekt eine Zufallsschwankung darstellt oder nicht. Sie hängt im Wesentlichen davon ab, ob die Effektgrößen sehr stark schwanken, also davon, wie hoch die Variabilität der individuellen Effektgrößen in allen Studien ist, und davon, wie viele Studien zusammengefasst werden. Ist die Variabilität gering, dann können auch schon wenige, konvergierende Studien einen signifikanten Effekt zeigen. Umgekehrt müssen bei einer hohen Variabilität wie hier, viele Studien zusammengefasst werden, um einen signifikanten Effekt zu zeigen. Die Re-Analyse von Lüdtke und Rutten zeigt: es müssen 14 Studien sein, um einen robusten Effekt schätzen zu können, der immer signifikant ist. Das ist eigentlich bei insgesamt 110 Studien gar nicht übel und lässt im Nachhinein die Frage als berechtigt erscheinen, warum Shang und Kollegen sich auf 8 Studien kapriziert haben. Weil sie dann einen nicht-signifikanten Effekt belegen konnten? Weil die 8. Studie meine eigene war, die insgesamt die größte negative Effektstärke in der ganzen Literatur zeigt?21 Weil sie die Studiengröße von 100 als Grenzwert sahen? Warum aber dann meine Studie als 8. einschließen, die 98 Teilnehmer hatte und nicht 100? Wäre diese weggelassen worden und nur 7 Studien eingeschlossen worden, dann wäre der Effekt wieder signifikant geworden. Man sieht: die Übung von Lüdtke und Rutten war keineswegs umsonst. Denn sie zeigt, wie anfällig die Analyse von Shang und Kollegen gegenüber Entscheidungen ist. Und wenn Entscheidungen, wie hier, nicht rational begründet wurden, regt sich der Verdacht, dass Vormeinungen eine größere Rolle spielten als die leidenschaftslose Suche nach dem richtigen Vorgehen.

Außerdem zeigte die Analyse von Lüdtke und Rutten: den größten Einfluss auf die Signifikanz der Daten nimmt eine einzige negative Studie, die auch zu den größten überhaupt gehört, bei der Arnica zur Verhinderung eines Muskelkaters bei Marathonläufern verwendet wurde.22 Man kann sich zu Recht fragen, inwiefern eine solche Anwendung eine Aussagekraft für klinisch angewandte individualisierte Homöopathie hat. Schließt man diese Studie aus, dann ist der Effekt immer positiv, auch bei einem Datensatz von 7 Studien.

Mathie et al (2014)

Die Analyse von Mathie hatte explizit das Ziel, nur individualisierte, klassische oder individualisierte Homöopathie zu untersuchen. Sie fand einen signifikanten Effekt von OR = 1.53, der bei den methodisch besten Studien auf 1.98 anstieg. Ein Kranker, der in einer Homöopathiegruppe behandelt wird ist also um mehr als 50% besser dran als einer, der in einer Placebo-Gruppe behandelt wird. Nimmt man nur die besten Studien dann ist der Behandlungserfolg in der Homöopathiegruppe sogar fast doppelt so gut als in der Placebogruppe. Beide Effektschätzungen sind signifikant, also überzufällig von Null verschieden.

Robert Hahn, ein Schmerztherapeut aus Linköping in Schweden, wo damals ein heftiger Streit über anthroposophische und homöopathische Medizin  tobte, wollte sich einfach einmal informieren; er war weder Homöopath noch kannte er sich vorher in der Literatur aus. Er sichtete daher neugierig und interessiert die Literatur und stellte die Meta-Analysen, die ich oben besprochen habe, zusammen. 23 Er stellte erstaunt fest: Nur wenn man 90% bis 95% aller vorhandenen Studien ignoriert, kann man behaupten, die Homöopathie sei von Placebo nicht zu unterscheiden.

Ich persönlich stimme dem zu. Es ist eine merkwürdige Praxis, möglichst viele Studien aus der Effektberechnung auszuschließen, wie das Cucherat, Shang und andere immer wieder gemacht haben. Schließlich versucht man in jeder Meta-Analyse und in jedem systematischen Literaturüberblick alle Daten zu erfassen, sogar solche, die in obskuren Zeitschriften publiziert sind, die gar nicht publiziert sind oder die nur als Abstract oder Buchkapitel erschienen sind. Und im Normalfall ist eine Meta-Analyse umso gründlicher und zuverlässiger, je mehr Daten sie berücksichtigt. Gerade hier, bei der Homöopathie, wollen manche diese Praxis umkehren. Das Argument dafür ist: Nur die größten und zuverlässigsten Einzelschätzungen sind hilfreich. Dann kann man auch gleich wieder zu der Idee zurückkehren, mit einer einzigen, großen Studie alles entscheiden zu wollen. Weil genau das gar nicht geht, hat man ja die Idee der Meta-Analyse entwickelt. Aber genau für die Homöopathie soll das nun anders sein? Merkwürdige Logik.

(Selbst-)Kritische Gedanken

Ich persönlich meine, man kann das Motiv der kritischen Forscher und Literaturübersichten verstehen. Allerdings explizieren sie das Motiv nicht ganz genau. Hier ist eine kurze Rekonstruktion: Die gewöhnliche, sog. frequentistische Statistik, geht davon aus, dass wir nichts, aber auch gar nichts über den zu erforschenden Effekt wissen, dass also die Ausgangswahrscheinlichkeit 50:50 ist, dass wir einen Effekt finden. Das ist immer dann der Fall, wenn wir z.B. eine neue Substanz testen, von der wir nichts wissen. Allerdings haben wir dann, wenn wir z.B. erste Daten aus Tierversuchen und aus theoretischen Überlegungen haben bereits ein gewisses Vorwissen und unsere Ausgangswahrscheinlichkeit verschiebt sich. Streng genommen ist dann die klassische Statistik gar nicht mehr anwendbar und man müsste eine sog. Bayes’sche Statistik verwenden. Diese geht auf den irischen Pastor Bayes zurück, der klar erkannt hat, dass unsere Entscheidungen abhängig davon sind, welche Ausgangswahrscheinlichkeiten („prior odds“ oder „priors“) wir haben. Denn davon hängt ab, wie wir ein empirisches Ergebnis bewerten und welche Endwahrscheinlichkeit („posterior odds“ oder „posteriors“) entsteht. Das Gefüge unserer wissenschaftlichen Entscheidung enthält also nicht nur das nackte Ergebnis einer Studie, sondern das Ergebnis, bewertet auf dem Hintergrund unseres Vorwissens.

Diese Situation führt nun dazu dass Menschen, die implizit oder explizit skeptisch sind, der Homöopathie eher eine sehr niedrige Ausgangswahrscheinlichkeit – „prior odds“ – zubilligen. Wenn diese sehr niedrig ist, dann muss ein empirisches Ergebnis sehr mächtig sein, um diese zu verschieben und einen Skeptiker zu überzeugen. Genauer gesagt: das geht praktisch nicht. Denn so stark sind empirische Ergebnisse nie. Die Forschung ist fehlerbehaftet, die Studien sind nicht mächtig genug, oder man müsste extrem viele machen, was unrealistisch ist. Und vor allem: solange keine brauchbare Theorie der homöopathischen Wirkung existiert wird auch das stärkste empirische Ergebnis die theoretische Ausgangsskepsis nicht verändern können.

Wer will, kann diese Situation an einem Bayes-Rechner im Internet nachvollziehen; im Menu „interpret p-values“ wählen).

Man gibt hier bei „alpha“ den empirischen p-Wert ein, z.B. das empirische Ergebnis der Meta-Analyse von Cucherat 0.000038. Man wählt eine vernünftige statistische Mächtigkeit oder Power (siehe https://harald-walach.de/methodenlehre-fuer-anfaenger/13-power-analyse-die-magie-der-statistik-oder-der-unterschied-zwischen-signifikanz-und-relevanz/), also z.B. 90%. Dann kann man bei „prior probability“ die Ausgangswahrscheinlichkeit eingeben, z.B. 50% für jemanden, der eine ausgewogene Ausgangssituation hat, oder 0.1% für einen starken Zweifler, 0.0001% für einen extremen Skeptiker, oder 80% für einen der Homöopathie sehr Gewogenen. Dann erhält man die Endwahrscheinlichkeit (posterior odds) und sieht, wie stark die Ausgangswahrscheinlichkeit die Endwahrscheinlichkeit prägt. Für einen ausgewogenen Menschen, der keine Vormeinung hat, reicht eine starke Studie, um seine Endwahrscheinlichkeit fast in Sicherheit zu verwandeln und bei einem positiv der Homöopathie Zugeneigten sowieso. Aber bei einem Skeptiker wird eine solche Studie gar keine großartige Verschiebung der Position bewirken.

Aus diesem Grund sind diese Wahrscheinlichkeiten aus Studien eher theoretische Größen, die praktisch, je nach Ausgangssituation, ganz unterschiedlich bewertet werden. Weil die Menschen sich dieser Situation meist nicht bewusst sind, werden dann alle möglichen anderen Gründe aus dem Hut gezaubert. Ehrlicher wäre es zu sagen: „Ich glaube einfach nicht, dass Homöopathie funktionieren kann. Daher wird mich auch ein noch so starkes empirisches Ergebnis nie und nimmer überzeugen.“ Oder wie es Daniel Dennett einmal angesichts der Diskussion um die Parapsychologie, für die ähnliche Verhältnisse gelten, gesagt hat: „Wenn diese Daten stimmen würden, dann würde ich mich umbringen.“ 24, p. 269 Daher wird die Diskussion um die Wirksamkeit der Homöopathie nie und nimmer nur eine simple empirische Frage sein. Wäre sie das, wäre die Frage schon entschieden: die meisten Meta-Analysen, vor allem der komplette Datensatz der klinischen Homöopathiestudien, egal wie man sie analysiert, zeigen, dass Homöopathie von Placebo verschieden ist und also im herkömmlichen Sinne wirksam ist. Aber eben nur, wenn man mit einer offenen Sicht oder einer Ausgangswahrscheinlichkeit von 0,5 an die Daten herantritt.

Ein weiterer kritischer Gedanke:

Ein zentrales Anliegen von Forschung ist es, Fehler und Schwankungen zu korrigieren. Die Physiker zum Beispiel akzeptieren Daten normalerweise erst dann, wenn ein Effekt mit einer Wahrscheinlichkeit gesichert wurde, der 5 Standardabweichungen der Standardnormalverteilung entspricht, das berühmte „5 Sigma“. Das entspricht einer Wahrscheinlichkeit von p = 10-6, oder einer Kommazahl mit 6 Nullen hinter dem Komma. So stark sind die Effekte der homöopathischen Meta-Analysen bei weitem nicht. Allerdings gilt das für die gesamte Medizin, wie Horton, der Herausgeber von Lancet vor Kurzem einmal angemahnt hat 25. Der Unterschied ist, dass es für die Medizin insgesamt einen stillschweigenden Konsens gibt (und eine moderat robuste Datenbasis, würde ich sagen), dass die Ausrichtung, die theoretische Fundierung und daher die Bewertung der Ergebnisse solide sind. Manche bezweifeln das, vor allem angesichts der massiven Replikationskrise nicht nur in der Medizin und der Psychologie 26, sondern auch anderswo. 27,28 Aber insgesamt sind die Kritiker doch eher geneigt, den konventionellen Daten Glauben zu schenken, auch wenn sie verglichen mit denen der Homöopathie so verschieden und so besser oft nicht sind. Das hat aber wie gesagt eher theoretische und ideologische Gründe.

Allerdings muss man eines zugestehen: Es ist in der Homöopathie sehr schwierig replizierbare Befunde innerhalb eines Modells zu erzeugen, also z.B. 5 oder 10 Studien zum gleichen Krankheitsbild und mit der gleichen Methode zu machen, und dabei die ursprünglichen Effekte zu reproduzieren. Wo das versucht wurde, z.B. beim erfolgreichen Modell von Brigo mit Homöopathie bei Migräne – die wohl erfolgreichste Studie in der gesamten Homöopathie-Literatur 3 – da scheiterten die Nachfolgeversuche bzw. zeigten wesentlich schwächere Effekte 4,21,29. Man sieht das auch teilweise bei den erfolgversprechenden Versuchen von David Reilly, die wir besprochen haben (https://www.homöopathie-forschung.info/klassische-studien_heuschnupfen/). Zwar sind Einzelstudien sehr erfolgreich gewesen und die Meta-Analyse über alle Studien ist signifikant 30. Es gibt aber auch spektakulär gescheiterte Replikationen 31. Ob das anders und deutlicher ist als in der konventionellen Medizin weiß ich nicht; das mögen andere beurteilen. Auf jeden Fall zeigt diese Situation: wir haben die Homöopathie noch nicht gut genug verstanden. Ich persönlich bin der Meinung, dass sich dahinter eine völlig andere Kategorie von Effekten zeigt, die wir momentan nicht in unser wissenschaftliches Weltbild einordnen können.32-34 Daher ist auch der Kampf so heiß. Aber dies ist eine sehr spezialisierte Diskussion, die weit über die Frage der Wirksamkeit hinaus geht; daher will ich sie hier beschließen und vielleicht ein andermal wieder aufgreifen.

Fassen wir zusammen:

Die mehrfachen Meta-Analysen zur Homöopathie kommen in der Mehrzahl zu dem Schluss, dass Homöopathie von Placebo unterscheidbar ist. Man kann dieses Resultat ignorieren oder man kann es auch negieren, wenn man 90% bis 95% aller Daten ausschließt. Dann kann man auch getrost die Behauptung aufstellen, Homöopathie sei Placebo. Ob das lauter, sachgerecht und sinnvoll ist? Ich finde, das ist eine Verzerrung der Sachlage. Wenn man, wie bei Meta-Analysen üblich, alle Daten zusammenfasst, zeigt sich klar, dass Homöopathie von Placebo signifikant unterscheidbar ist. Für einen extremen Kritiker und Skeptiker, der mit einer starken negativen Vormeinung zur Plausibilität der Homöopathie die Daten beurteilt, wird die statistische Signifikanz nicht ausreichen, um seine Skepsis zu überwinden. Aber wenn man unvoreingenommen an die Daten herantritt muss man eingestehen: Homöopathie ist Placebo überlegen, jedenfalls über alle Studien hinweg. Das gilt für die individualisierte, klassische Homöopathie, aber auch für die vielen Studien, die die Homöopathie auf einfachere Weise modelliert haben. Daher ist es auch gerechtfertigt, um auf unsere Ausgangsfrage zurückzukommen, wenn der Gesetzgeber im Arzneimittelgesetz homöopathischen Einzelmitteln den je individuellen Nachweis der Wirksamkeit erlässt.

Referenzen

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Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Homöopathie

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Einige Überlegungen und Daten in 3 Teilen

Harald Walach

Derzeit häufen sich öffentliche Einlassungen zum Thema Homöopathie in der veröffentlichten Meinung, meistens mit dem anscheinend klaren Konsens: Homöopathie ist Placebo, also sollte es von der medizinischen Bildfläche verschwinden.

Wie immer bei solchen – oft von Aktivisten befeuerten Kampagnen, über deren Motive man zwischendurch einmal nachdenken sollte – ist die Diskussion extrem verkürzt. Daher will ich in einer Artikelserie mit drei Folgen unsere ursprünglich geplante Diskussion einzelner Studien unterbrechen.

Wir beginnen mit der juristischen Lage in Deutschland und warum es dazu kam, fahren dann fort mit ein paar Gedanken zur Wirksamkeit und schließlich zur Wirtschaftlichkeit.

Zulassung, rechtlicher Status und Prüfung von Homöopathika im deutschen Arzneimittelrecht

Der Gesetzgeber hat in Deutschland die Zulassung von Homöopathika und anderen naturheilkundlichen Arzneien im Arzneimittelgesetz geregelt.

Wie das Arzneitelegramm in seiner Juni-Ausgabe richtig berichtet, gibt es für die Phytotherapie, die anthroposophischen Medikamente und die Homöopathika im deutschen Arzneimittelrecht von den konventionellen Pharmaka verschiedene Zulassungsvoraussetzungen. Während neue chemische Arzneien einem komplexen Testverfahren unterzogen werden, müssen die anderen Arzneien diese Verfahren nicht durchlaufen.

Die Zulassung konventioneller, neuer Pharmaka

Potenzielle Wirksamkeit und Toxizität: Phase I

Das Testverfahren für neue chemische Arzneien sieht meistens so aus: Erst wird im Tierversuch im Rahmen eines Modells getestet, ob eine neue Substanz überhaupt eine Chance hat, therapeutisch zu wirken.

Dazu nimmt man Tiere, meistens Mäuse, die entweder genetisch so verändert sind, dass sie die zu behandelnde Krankheit von Natur aus bekommen, z.B. Diabetes-Mäuse, und behandelt sie dann mit dieser neuen Substanz, um zu sehen, ob sich irgendwelche klinischen Parameter, z.B. der Blutzuckerspiegel oder die langfristige Anlagerung von Zucker an Blutproteine verändert.

Oder aber man gibt den Fremdstoff, z.B. Tumorzellen, in eine gesunde Maus ein, so dass sie einen Tumor entwickelt und testet dann den neuen Stoff, z.B. ein neues Immuntherapeutikum oder ein neues Chemotherapeutikum.

Solche Studien werden meistens im Labor des Herstellers gemacht oder ausgelagert an Universitätsinstitute, die dann mit Geldern der Hersteller, sog. „Drittmittel“ diese Versuche machen.

In dieser Phase fallen bereits viele Substanzen durch, weil sie weniger wirksam sind, als man zunächst gedacht hatte.

Wenn sie aber im Tiermodell – so heißen diese Versuche in der Fachsprache – klinisch wirksam sind, also im kranken Tier relevante klinische Maße verändert haben, dann folgen zunächst erste Sicherheitsstudien. Genauer gesagt sind das Vergiftungsstudien. Denn nun werden andere Tiere mit relativ hohen Dosen des neuen Stoffes behandelt um zu sehen, ab welcher Dosis z.B. die Hälfte der Mäuse stirbt. Es werden auch Versuche gemacht, bei denen man an schwangeren Mäusen untersucht, ob es zu Missbildungen bei Föten kommt. Es ist dabei wichtig zu verstehen: Bei den meisten dieser Versuche werden die Tiere am Ende getötet, denn sie sind entweder ohnehin so schwer krank, dass sie elend verenden müssten, oder aber man muss sie töten, um bestimmte Parameter – etwa die Vergrößerung der Leber, oder Veränderungen im Gehirn – messen zu können.

Sicherheit und Unbedenklichkeit beim Menschen: Phase II

Wenn nun diese ersten Versuche vielversprechend sind und wir eine neue Substanz vor uns haben, bei der im Tierversuch Wirksamkeit und die mögliche Vergiftungsschwelle festgestellt wurde, dann werden erste Versuche am Menschen gemacht.

Zunächst wird in sog. Phase-2-Studien die Sicherheit am Menschen getestet.

Das sind meistens die Versuche, bei denen gesunde Freiwillige gesucht werden, die dann für ein paar Tage oder eine Woche in ein Labor eingeladen werden, wo sie mit der Substanz versorgt werden und man alle wichtigen physiologischen Funktionen untersucht, um zu sehen, ob das gewöhnliche Einnehmen einer solchen Substanz ein Sicherheitsrisiko darstellt. Gesunde Menschen vertragen solche Substanzen in der Regel ohne Probleme, weil man ja auch mit Dosen arbeitet, die – abgeleitet von der tödlichen oder schädigenden Dosis an der wesentlich kleineren Maus – viel geringer sind als diejenigen, die das Tier schädigen würden.

Aber dennoch kommt es immer wieder zu Zwischenfällen.

Daher sind die Probanden versichert und erhalten auch meistens ein relativ gutes Honorar – weil solche Versuche potenziell nicht ungefährlich sind.

Daher werden solche Versuche i.d.R. an einer eher kleinen Gruppe von Probanden durchgeführt. – Häufig sind das Studenten.

Und das ist auch der Grund, warum echtes Nebenwirkungspotenzial von neuen, zugelassenen Substanzen oft erst viel später sichtbar wird. Denn in dieser Phase werden nur solche Substanzen ausgefiltert, die schon bei der gewöhnlichen klinischen Dosierung sichtbare Probleme bereiten.

Klinische Wirksamkeit bei Patienten (Efficacy): Phase III

Wenn diese zweite Phase erfolgreich war, dann beantragen die Hersteller bei der Zulassungsbehörde, dem Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM), die Zulassung einer Phase-3-Studie. Das ist eine klinische Studie, bei der Patienten behandelt werden, die die Krankheit haben, für die die neue Substanz als Arznei vorgesehen ist. In der Regel werden solche klinischen Studien so geplant, dass gerade so viele Patienten eingeschlossen werden, wie man vermutlich braucht, um einen klinischen Effekt zu sehen. Nicht mehr und nicht weniger. Das hat ethische und wirtschaftliche Gründe. Zum einen will man nicht unnötig viele Patienten behandeln, wenn man noch nicht weiß, ob eine Substanz wirkt. Zum anderen kosten solche Studien enorm viel Geld. Daher hält man sie so klein wie möglich und macht sie gerade so groß wie nötig. Nun stellt sich die Frage der Kontrollbehandlung. Wenn für eine Krankheit bereits wirksame Behandlungen bekannt sind – sagen wir ein Hersteller will ein neues Immuntherapeutikum gegen Brustkrebs auf den Markt bringen – dann werden in aller Regel aktive Vergleichsstudien geplant, bei denen, je nach vermutetem Wirkprofil die Gleichwertigkeit mit vorhandenen oder die Überlegenheit gegenüber solchen Arzneien getestet wird.

Handelt es sich um eine relativ neue Substanz für eine Krankheit, bei der es keine oder wenig Standardbehandlungen gibt, dann fordert die Behörde meistens placebo-kontrollierte Studien. Diese werden in letzter Zeit aber immer weniger durchgeführt und gefordert, weil es eben schon relativ viele Substanzen gibt, die im klinischen Falle verwendet werden und die Frage meistens weniger die ist, ob eine neue Substanz besser wirkt als Placebo als die, ob sie gleich gut (und z.B. billiger und mit besseren Nebenwirkungsprofil) ist als bereits auf dem Markt befindliche Medikamente. Placebo-kontrollierte Studien werden meistens bei Krankheiten durchgeführt, wo es noch nicht viel Vergleichbares gibt, oder wo man mit einem relativ hohen Placebo-Effekt oder mit hohen Spontanheilungsraten rechnet.

Das ist oft nicht die Entscheidung des Herstellers allein, sondern auch der Zulassungsbehörde. Hier ist in Deutschland wie gesagt das Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM), oder für Europa die European Medicines Agency (EMA), oder für die USA die Federal Drug Agency (FDA) zuständig. Diese operieren selbständig, aber meistens bedeutet die Zulassung bei einer der größeren Behörden einen erleichterten Zugang zu einem anderen Markt. In der Regel fordern die Behörden mindestens eine, oft zwei kontrollierte Studien, die die Wirksamkeit der neuen Substanz belegen sollen. Dabei ist es unerheblich, wie viele Studien der Hersteller gemacht hat, die erfolglos waren und keine Wirksamkeit belegt haben. Wichtig ist, dass eine oder meistens zwei im Portfolio sind, die eine Wirksamkeit belegt haben.

Diese Situation ist wie gesagt zentral für die Zulassung einer Substanz. Ob sie damit auch wirklich klinisch relevant wirkt, ist eine ganz andere Frage.

Sicherheit und klinische Effektivität (Effectiveness): Phase IV und Post Marketing Surveillance (PMS)

Die klinische Effektivität lässt sich nämlich nur im Überblick prüfen: über alle durchgeführten Studien hinweg, z.B. in einer Meta-Analyse, oder in sehr großen klinischen, pragmatischen Studien, bei denen zum Beispiel die neue Substanz in einer großen randomisierten Studie, bei der also Teilnehmer per Zufall auf Gruppen verteilt werden, im Vergleich mit konventioneller Behandlung, in der wenig Ausschlußkriterien verwendet werden. Typische Phase III – Studien enthalten nämlich meistens ziemlich viele Ein- und Ausschlußkriterien, um die Patientengruppe möglichst homogen zu halten, damit man einen potenziellen Behandlungseffekt leichter erkennen kann. Das vermindert sozusagen das Rauschen, damit das Signal leichter erkennbar wird. In der klinischen Praxis hat man aber meistens keine derart saubere Situation. Die meisten Antidepressiva-Studien zum Beispiel werden mit Patienten gemacht, die nur Depression haben, sonst nichts, und die auch keine anderen Medikamente nehmen.

Solche Patienten sind allerdings selten. Daher dauern solche Zulassungsstudien oft auch lang und sind teuer. In der klinischen Praxis kommen solche „reinen“ Patienten nicht oft vor. Die meisten haben zu ihrer Depression oder Zielerkrankung auch noch andere Krankheiten, nehmen noch andere Arzneien, oder sind sonst irgendwie anders.

Pragmatische Studien versuchen nun typische Patienten, ohne viel Ein- und Ausschlußkriterien einzuschließen.

Solche Studien sind eigentlich nicht mehr im Interesse der Hersteller und werden daher auch selten von ihnen finanziert.

Die öffentliche Hand – Universitätsinstitute und staatliche Förderstellen – finanzieren noch am ehesten solche Studien. Aber im Vergleich zum Budget der Firmen sind diese Forschungsbudgets sehr klein. Daher wissen wir auch wenig über die klinische Brauchbarkeit von neu zugelassenen Arzneien, kurz nachdem sie auf den Markt gekommen sind. Wir wissen nur: Sie wirken! – Wir wissen nicht: wie gut, bei wem und bei wem nicht. Und wir wissen auch wenig über deren Nebenwirkungspotenzial. Zwar werden in den typischen Phase-III-Studien auch viele Frage zur Sicherheit und zu Nebenwirkungen gestellt und diese Punkte werden bei der Zulassung berücksichtigt. Bedenkt man aber, dass typische Zulassungsstudien oft nur 50 bis 200 Patienten behandeln, in seltenen Fällen (und bei sehr kleinen pharmakologischen Effekten) auch mal bis zu mehreren Tausend, dann kann man sich leicht ausrechnen, dass seltene, aber schwerwiegende Fälle statistisch gesehen in solchen Zulassungsstudien nicht auftauchen.

Diese seltenen, aber schweren Nebenwirkungen tauchen erst in großen Vergleichsstudien der Phase IV oder in sog. Post-Marketing Surveillance Studien auf. Das sind Beobachtungsstudien, bei denen verordnende Ärzte den beobachteten Effekt und Nebenwirkungen der neuen Substanz in der klinischen Praxis dokumentieren.

Das ist auch der Grund, warum  bei manchen Substanzen die Erkenntnis, dass sie zu gefährlich sind, um sie regulär anzuwenden, oft um 10 Jahre oder länger hinter der Zulassung hinterherhinkt.

Es brauchte erst den Vioxx-Skandal, um die Gefährlichkeit der neuen Cox2-Inhibitoren zu erkennen, die eben manchmal zu Herztod führen können.1-5

Das Selbstmordpotenzial von selektiven Serotonin-Reuptake-Inhibitoren, vor allem bei Kindern und Jugendlichen, aber auch bei anderen, benötigte fast 20 Jahre von den ersten Berichten bis zur Aufnahme in den Beipackzettel.6-11

Wirksamkeit, Zulassung und klinische Brauchbarkeit

Diese Situation führt nun zu der merkwürdigen Situation, dass wir jede Menge zugelassener Substanzen haben, die dann oft auch noch jenseits der ursprünglich definierten Zulassungsbedingungen („off label use“) angewandt werden, also offiziell „wirksam“ sind, deren klinische Brauchbarkeit aber zweifelhaft ist.

Hier sind zwei Beispiele, die gerade angesichts der Grippesaison, die im Anrollen ist, bedenkenswert sind:

Vor einigen Jahren machten die Neuroaminidase-Hemmer als Grippemittel Furore (z.B. https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2000/daz-1-2000/uid-6109) und werden immer noch verwendet. Tamiflu, die Substanz mit dem Wirkstoff Oseltamivir, wurde aggressiv beworben als extrem wirksam. Die WHO forderte Regierungen auf, angesichts der damals grassierenden Vogelgrippe die Substanz in die öffentlichen Regale zu nehmen. Regierungen kauften sie zu Millionen, ja Milliardenbeträgen. Veröffentlichte Studien belegten die Wirksamkeit.

Die Cochrane-Collaboration Arbeitsgruppe wollte eine Meta-Analyse durchführen und forderte von Roche und anderen Herstellern die Überlassung aller Zulassungsstudien, auch der negativen, was ihnen abgeschlagen wurde. Erst ein langwieriger juristischer Prozess, angestoßen von Peter Gøztsche und seiner Arbeitsgruppe, der die EMA am Ende zwang, die Unterlagen herauszurücken, führte dazu, dass eine Meta-Analyse erstellt werden konnte, die auch die negativen Daten enthielt, also Studien, die keine Wirksamkeit belegen konnten12. – Diese waren zwar vom Hersteller an die Zulassungsbehörde gegeben worden, wie es rechtlich erforderlich ist. Sie waren aber meist nicht in der wissenschaftlichen Literatur publiziert, wie es sich eigentlich gehören würde. Denn die Daten der Zulassungsstudien sind immer noch Eigentum der Hersteller, die sie dann publizieren, wenn es ihnen in den Kram passt und dann eben nicht publizieren, wenn sie sich damit selber schädigen würden. Das ist ja auch nachvollziehbar. Aber im öffentlichen Interesse wäre es, wenn die Zulassungsbehörden immer alle Unterlagen publik machen würden. Das ist eben in diesem Falle geschehen und ab jetzt kann auch jeder bei der EMA alle Unterlagen anfordern.

Diese Meta-Analyse belegt nun eine nur geringgradige Wirksamkeit: Während eine normale Grippe nach 7 Tagen, im Durchschnitt besser wird, führt Tamiflu dazu, dass sie nach 6.3 Tagen besser wird.13 Prophylaktische Effekte, deretwegen Regierungen zum Hamsterkauf von Tamiflu aufgefordert worden waren, sind bei Kindern gar nicht und bei Erwachsenen nur bei manchen Substanzen und in geringem Grad erkennbar. Nebenwirkungen hingegen sind deutlich: Wenn 30 Leute damit behandelt werden, hat ein Patient Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Schwindel und in seltenen Fällen treten auch neurologische und psychiatrische Nebenwirkungen auf.

Dann schon lieber Grippe, würde ich sagen.

Ein zweites Beispiel: Wenn die Grippesaison naht, prangt in jeder Apotheke prominent die Werbung für irgendwas mit Aspirin.

Das leuchtet ein. – Denn Aspirin ist ja u.a. ein Entzündungshemmer, lange schon zugelassen und wirksam. Sucht man in der medizinischen Literaturdatenbank Pubmed mit den sog. „medical subject heading“ terms, also offiziellen Schlagwörtern, „influenza“, „aspirin/pharmacology” und “randomized controlled trial, RCT, oder placebo” in Titel und Abstract aller publizierter Studien, will also wissen, welche Informationen es zur Wirksamkeit von Aspirin bei Grippe gibt, dann findet man genau eine Studie, in Zahlen: 1 (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed?term=(((((randomized%20controlled%20trial%5BTitle%2FAbstract%5D)%20OR%20RCT%5BTitle%2FAbstract%5D)%20OR%20placebo%20controlled%5BTitle%2FAbstract%5D))%20AND%20%22influenza%20a%20virus%22%5BMeSH%20Major%20Topic%5D)%20AND%20%22aspirin%2Fpharmacology%22%5BMeSH%20Major%20Topic%5D).

Das ist eine kleine Studie aus dem Jahr 1994, die bei 65 alten Menschen, die gegen Grippe geimpft wurden zusätzlich Aspirin verwendet haben, um zu sehen, ob sich die Reaktion auf die Impfung verbessert. – Tut sie nicht.

Dies sind jetzt zugegeben zwei unfreundliche, aber durchaus nicht unrepräsentative Beispiele. Wir wissen in der Regel viel über die Wirksamkeit von Substanzen auf dem Markt. Wären sie nicht in einem relativ engen Sinne wirksam, wären sie nicht zugelassen. Aber diese Wirksamkeit heißt noch lange nicht klinische Effektivität. Da diese sehr selten formell und sorgfältig untersucht ist, weil es gar nicht im Interesse der Hersteller liegt werden Substanzen oft lange angewandt und über ihren eigentlichen Bereich hinaus, bevor Probleme sichtbar werden.

Preise und Bezahlung

Man kann sich vorstellen: Diese ganze Zulassungsprozedur ist nicht ganz billig. Für moderne Krebsmedikamente werden die Entwicklungskosten auf ca. 650 Millionen USD pro Medikament geschätzt.

Im Durchschnitt nehmen die Firmen damit 6.5 Milliarden USD pro Medikament ein.14

Das sind aber nur die Erfolgsgeschichten: Auf anderen Sektoren sind Firmen oft nicht erfolgreich. So wurden etwas mehr als 84 unterschiedliche Substanzen durch verschiedene Testverfahren gebracht, die man bei Alzheimer Demenz verwenden wollte. Davon haben es nur 4 auf den Markt geschafft 15. Das heißt: die Kosten für erfolglose Entwicklungen müssen bei den erfolgreichen eingepreist werden; und das passiert auch. Der Endverbraucher, also Privatpersonen und Krankenkassen, bezahlen die Entwicklung, den komplexen Zulassungsprozess und die dafür nötigen Studien, sowie die von den Investoren erwarteten, teilweise zweistelligen oder hohe einstellige prozentualen Zuwachsraten der Arzneimittelhersteller 1.

Wir fassen zusammen:

Der moderne Zulassungsprozess für neu entwickelte Arzneien geht von unten nach oben und gleicht einem umgekehrten Trichter: In den Trichter wird viel Energie, Forschung, Ideen, erste Studien eingebracht.

Am Ende kommen nur wenig vermarktbare Substanzen heraus, die eine Zulassung schaffen.

Von denen, die die Zulassung schaffen ist zunächst nur bekannt: Sie sind wirksam in einem eng definierten Sinn. Entweder (und eher selten) sind sie besser als Placebo. Oder sie sind mindestens nicht schlechter als bereits bekannte und auf dem Markt befindliche Substanzen. Und von diesen altbekannten Substanzen nimmt man einfach an – oder weiß es aus früheren Untersuchungen – dass sie besser sind als Placebo.

Bei Cytostatika, also Krebsmedikamenten z.B. werden placebo-kontrollierte Studien sehr selten durchgeführt, weil man immer davon ausgeht, dass die alten Cytostatika wirksam sind.

Diese Wirksamkeit im Sinne der Zulassung heißt aber noch nicht klinische Nützlichkeit. Es kann sein, dass eine Substanz wirksam ist, aber die Effekte so klein sind, dass sie, im Vergleich zu Kosten und Nebenwirkungen eigentlich unbrauchbar ist.

Das dürfte bei den meisten Antidementiva, also Arzneien zur Behandlung der Alzheimer-Demenz, der Fall sein 16.

Oder es kann sein, dass eine Substanz sehr wirksam ist, aber die Nebenwirkungen so drastisch, dass man sich die Anwendung überlegen muss.

All diese Punkte gehen in das Kalkül der Hersteller ein, die die Preise gestalten und darin meistens komplett frei sind. Zumindest bis jetzt.

Das soll sich allmählich ändern.

Aber noch immer ist der Markt eine Bonanza für Hersteller. Auch wenn die Kosten für die Zulassung hoch sind: Einmal zugelassene Substanzen spielen oft das 10-fache oder mehr dessen ein, was für die Entwicklung aufgewendet wurde.

Die Zulassung von Homöopathika und anderen naturheilkundlichen Substanzen in Deutschland

Mit Homöopathika und anderen naturheilkundlichen Substanzen aus dem Bereich der Phytotherapie, der Anthroposophie oder anderer traditioneller Heilverfahren ist die Situation anders, eigentlich komplett anders herum; darauf hatten wir vor Zeiten schon hingewiesen 17.

Hier haben wir meistens eine bereits lange vorhandene Tradition von Arzneimitteln, die im Falle der Homöopathie fast per definitionem sicher sind.

Denn, wie bereits in anderen Blog-Beiträgen (z.B. https://www.homöopathie-forschung.info/populaere-irrtuemer_1/) erläutert: Homöopathische Arzneien werden zumindest so stark verdünnt, dass bei giftigen Ausgangssubstanzen keine Gefahr mehr besteht und meistens sowieso so stark, dass keine oder fast keine Ausgangsmoleküle mehr in der Arznei sind. Daher muss hier in den seltensten Fällen Sicherheit nachgewiesen werden.

Das Screenen, also das Untersuchen, bei welcher Krankheit eine Substanz hilfreich sein kann, entfällt auch, weil dieser Prozess durch die Erfahrung bereits vorgenommen wurde, also durch die Jahrhunderte des Gebrauchs, der Bewährung und des Versuchs und Irrtums. Auch die mögliche Indikation und die Anwendung wurden durch die Tradition bereits nahegelegt.

Homöopathische Einzelarzneien

Der Gesetzgeber hat nun klar erkannt, dass diese Situation genau umgekehrt zu derjenigen ist, die wir bei modernen Arzneien vorfinden und daher auch ein anderes Zulassungsverfahren eingeführt. Er hat im Falle der Homöopathie ein Homöopathisches Arzneibuch eingeführt, eine Herstellungsrichtlinie für Homöopathika, an die sich Hersteller halten müssen. Dazu gehört etwa die spektralanalytische Untersuchung von Ausgangsstoffen, so dass gewährleistet ist, dass die Ausgangssubstanz tatsächlich die ist, die behauptet wird und frei von Verunreinigungen. Dazu gehört aber auch ein geregelter und sauberer Herstellungsprozess.

Damit sind also Phase I und II des konventionellen Verfahrens überflüssig – nicht ganz. Denn Phase II im konventionellen Prozess entspricht die homöopathische Arzneimittelprüfung (https://www.homöopathie-forschung.info/populaere-irrtuemer_4/). Die Arzneien werden am Gesunden geprüft. Im Grunde ist Hahnemann sogar der Erfinder der Phase II-Prüfung, denn er war der erste, der Arzneisubstanzen systematisch am Menschen geprüft hat. Diese Arzneimittelprüfungen ergeben, so haben wir gesehen, das Arzneimittelbild der Homöopathie. Dieses ist aber, anders als in der konventionellen Medizin, keine Diagnose, sondern eine Sammlung von Symptomen, die die Anwendung der Arznei anzeigen (https://www.homöopathie-forschung.info/populaere-irrtuemer_3/). Die Phase III, also der Nachweis der Wirksamkeit gegenüber Standard oder Placebo, schenkt der Gesetzgeber den homöopathischen Herstellern und Arzneien. Warum? Eben weil es eine Erfahrungsmedizin ist, die sicher ist (Phase I und II) und sich aus der traditionellen Nutzung ergibt.

Solche traditionelle Nutzungen haben auch viele konventionelle Arzneien – wie etwa Aspirin – für sich reklamiert, ohne dass sie die Zulassung nochmals neu erringen mussten.

Die Arzneimittelkommission D beim BfArM hat über viele Jahre die homöopathische Arzneimittellehre gesichtet und für die einzelnen Arzneien die wichtigsten bewährten Indikationen und Symptome in sog. „Monographien“ zusammengetragen. Man kann diese als herstellerischen und zulassungstechnischen Minimalkonsens über die Wirkung homöopathischer Arzneien sehen. Diese Angaben stammen aus der publizierten homöopathischen Literatur, aus Arzneimittelprüfungen und Einzelfällen. Dabei sollte man nicht vergessen: Die homöopathischen wissenschaftlichen Zeitschriften sowohl in Deutschland als auch in England und den USA gehören zu den ältesten wissenschaftlichen medizinischen Zeitschriften überhaupt und enthalten sehr viel Erkenntnismaterial in Form von solchen Arzneimittelprüfungen und Fallbeschreibungen.

Aus diesem Grund müssen homöopathische Einzelarzneien auch nur registriert werden: d.h. für sie ist nachgewiesen, dass sie sicher sind, dass sie so hergestellt wurden, wie das Gesetz es verlangt, dass sie nicht verunreinigt sind und also im Sinne der homöopathischen Therapie verwendet werden können. Mehr nicht.

Wir wissen also nicht: Soll man es bei Schnupfen, Kreuzweh oder kaputten Zehennägeln verwenden? Denn eine Indikation ist damit nicht verbunden.

Daher kann man auch nicht so einfach eine Phase III Prüfung verlangen und durchführen. Denn homöopathische Arzneien werden nicht für Indikationen und Krankheiten, sondern für kranke Menschen mit einem bestimmten Symptomenbild verwendet. Wollte man das verlangen, so wäre für jede der potenziell über 1.500 Arzneien eine Vielzahl von Studien nötig für jede der potenziellen Indikationen. Das ist klarerweise eine Forderung, die unsinnig ist. Zum einen deswegen, weil Homöopathie wie gesagt so gar nicht verwendet wurd. Nicht zuletzt aber auch deswegen, weil es niemand gibt, der das bezahlen kann. Denn der Umsatz der homöopathischen Hersteller ist allenfalls zwei Prozent des gesamten Marktes und in keiner Weise zu vergleichen mit dem der großen Arzneimittelhersteller, und die öffentliche Hand hat für derlei Späße kein Geld. Der Umsatz an homöopathischen Arzneien lag 2018 bei 670 Mio Euro und betrug damit 1.7% des Gesamtumsatzes von knapp 39 Milliarden Euro, die die gesetzlichen Krankenkassen 2018 für Arzneimittel ausgegeben haben. Daher ist die oft verlautete und wenig durchdachte Forderung nach der „Gleichbehandlung“ der Homöopathie mit konventionellen Pharmaka ein verkapptes Totschlagargument. Denn die, die es lauthals vertreten, wissen genau, dass es den Tod der Homöopathie einläuten würde, und zwar nicht deshalb, weil Studien negativ ausfallen würden – das tun sie nicht, wie wir noch sehen werden – sondern weil dies keiner bezahlen kann. Ausserdem ist die Forderung reine Propaganda. Denn sie ist zu großen Teilen schon Praxis, wie wir jetzt sehen werden.

Bewährte Indikationen

Nun gibt es aber sog. „bewährte Indikationen“, also Krankheitsbilder, bei denen immer wieder ähnliche Symptome im Vordergrund stehen, die bestimmte homöopathische Arzneien indizieren. Also etwa das hohe Fieber und der rote Kopf bei Belladonna, oder die Schmerzen in Sehnen und Bändern bei Zerrungen, die besser werden bei leichter Bewegung, die Rhus toxicodendron anzeigen.

Nun sind viele Hersteller dazu übergegangen Arzneien für Indikationen herzustellen, also eine Salbe bei Zerrungen, oder ein Erkältungsmittel. Bestandteil solcher Arzneien sind dann eben z.B. Belladonna und eine Reihe weiterer Substanzen oder Rhus tox. und Arnica und noch ein paar Arzneien in einer Mischung. Einige solcher Substanzen sind schon lange auf dem Markt. Sie konnten daher über eine einfache Registrierung und einen Beleg über die Anwendung dieser Arzneien bei solchen Erkrankungen in der Tradition zugelassen werden. Viele der homöopathischen Kombinationsarzneimittel sind traditionell zugelassen und schon sehr lange auf dem Markt.

Sehr oft aber wurden in neuerer Zeit solche Arzneimittel, entweder weil sie neu beantragt wurden oder weil die Behörde das bei Nachzulassungen forderte, auch klassischen Wirksamkeitsstudien im Sinne der oben erwähnten Phase III Studien unterzogen18-23. Manchmal müssen Hersteller Studien nachliefern, um z.B. eine spezielle Dosierung für Kinder erhalten zu können, die an sich in der traditionellen Zulassung dabei war,24,25 oder um eine spezielle Indikation mit einem Medikament beanspruchen zu können26.

Für neu beantragte Präparate mit Indikationsanspruch, also Mischungen von homöopathischen Arzneien, gilt generell, dass der Hersteller über Daten die Wirksamkeit belegen muss. Der Anspruch an diese Daten ist bei Trivialindikationen – Schnupfen, Husten, Heiserkeit z.B. – wenig hoch. Dann genügen aussagekräftige Beobachtungsstudien die argumentieren, dass die Anwendung der Substanz sicher ist und einen Vorteil gegenüber dem bekannten natürlichen Verlauf oder anderen konventionellen oder naturheilkundlichen Anwendungen hat.27

Wollte hingegen ein Hersteller ein Homöopathikum zur Behandlung von, sagen wir, Depression, auf den Markt bringen, so würde das BfArM eine veritable klinische Studie fordern wie für konventionelle Substanzen auch. Meines Wissens hat das aber noch niemand gemacht, weil eine Depressionsbehandlung homöopathisch fast immer nur mit einer individualisierten Behandlung glückt, wenn überhaupt. Für eine solche individualisierte homöopathische Behandlung liegen übrigens sogar einige Studien vor, die wir bei anderer Gelegenheit noch gesondert besprechen28-30. Die entsprechende BfArM-Richtlinie legt fest: Je stärker die beanspruchte Indikation, desto höher die Anforderung an die Daten.

Sicherheit ist in der Regel durch die Herstellung geklärt. Gefahren bestehen praktisch nicht. Die Anwendung ist durch die Tradition gegeben und durch die Monographien festgeschrieben. Und falls Indikationen für ein zugelassenes Arzneimittel beansprucht werden, müssen  Daten vorgelegt werden – zusätzlich zu der Begründung der Kombination aus den Monographien – im Ernstfall auch klinische Phase-3-Studien. Die oben genannten Beispiele sind nur eine zufällige Auswahl. Bei systematischer Suche würde sich eine große Zahl von randomisierten Studien zu Zulassungszwecken von homöopathischen Komplexarzneimitteln finden, die vergleichbar sind mit konventionellen Zulassungsstudien. Daher ist es falsch, wenn immer wieder behauptet wird, homöopathische Arzneien müssten ihre Wirksamkeit nicht belegen. Sie müssen das dann nicht, wenn sie als Einzelarzneien ohne Indikationsanspruch angewandt und ausgegeben werden. Sie müssen das aber sehr wohl, wenn sie mit einem Indikationsanspruch zugelassen werden sollen und haben dies auch getan. Die vom „Arzneitelegramm“ zitierte Aussage des BfArm, dass es keine einzige „zum Beleg der Wirksamkeit geeignete Studie“  gibt ist nur für schwere Indikationen richtig (siehe Jahresbericht BfArM 2017/18), nicht aber für einfachere Indikationen.

Platt gesagt: Je näher die Verwendung einer homöopathischen Arznei an der konventionellen Diagnostik, Denkungsart und Anwendung liegt („Arznei xyz gegen abc-Krankheit“), umso stärker gleicht auch hier der Zulassungprozess der konventionellen Zulassung.

Diese Situation argumentativ verändern zu wollen, würde viele Klimmzüge erfordern. Da bei klassischer Homöopathie gar keine Indikationen maßgeblich sind, jedenfalls nicht in erster Hinsicht: Wie soll eine indikationsbezogenen Zulassung erfolgen? Das kann nur bei bewährten Indikationen geschehen, und dort ist sie bereits gefordert. Da die Sicherheit sozusagen per definitionem gegeben ist: Warum sollten unnütze Tierversuche gemacht werden? Da Phase-II Studien am Menschen per definitionem als Arzneimittelprüfung am Gesunden gemacht wurden: Warum sollen sie nochmals gemacht werden?

Wir sehen: das Geschrei nach Gleichbehandlung ist allenfalls Kampagnenradau oder schlecht informierte Publizistik, entstammt aber nicht sorgfältiger, sachgerechter Überlegung.

Wie aber sieht es nun mit der Wirksamkeit der Homöopathie aus im Sinne von Wirksamkeit gegenüber Placebo und klinischer Effektivität? Darüber geben teilweise unsere Reihe zu klinischen Studien Auskunft. Etwas detaillierter will ich mich aber dann doch noch in der nächsten Folge dazu auslassen.

Referenzen

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Die populärsten Irrtümer

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– über die Homöopathie und die konventionelle Medizin – Teil 1

Harald Walach

Weil ich in Debatten immer wieder die gleichen falschen Aussagen höre, stelle ich sie hier einmal zusammen mit den entsprechenden Argumenten, Daten und Fakten: Irrtümer, die über die Homöopathie geäussert werden, meistens mit entsprechenden Irrtümern über die Medizin gepaart. Ich hoffe, das entspannt die Debatte, die ich als unnötig polarisiert und wenig konstruktiv wahrnehme. Es geht los mit

Irrtum Nr. 1 – Therapieprinzip unbewiesen

Die therapeutischen Prinzipien der Homöopathie, das Ähnlichkeitsprinzip, das Prinzip der Potenzierung und das Individualisierungprinzip sind wissenschaftlich nicht bewiesen. Die therapeutischen Prinzipien der konventionellen Medizin hingegen sind rational ableitbar und belegt.

Abbildung 1: Telephos; Relief aus einem Haus in Herculaneum (Foto privat)

Die Homöopathie fußt im Wesentlichen auf drei therapeutischen Prinzipien, dem Ähnlichkeitsprinzip, dem Potenzierungsprinzip und dem Prinzip der Individualisierung. Das erste, das Ähnlichkeitsprinzip, ist dabei das zentrale, die andern beiden haben Hilfs- und Brückenfunktion. Das Ähnlichkeitsprinzip wurde von Hahnemann, dem Begründer der Homöopathie so formuliert: similia similibus curentur – Ähnliches soll man mit Ähnlichem heilen (das „curentur“ ist grammatikalisch ein Konjunktiv und drückt damit die Aufforderung, die Injunktion aus). Fälschlicherweise meinen viele Kritiker, Hahnemann habe dieses Prinzip erfunden und aus seinem Chinarindenversuch abgeleitet. Bei diesem hatte er ein damals populäres Arzneimittel zur Fieberbekämpfung, Chinarinde, im Selbstversuch in massiver Dosis eingenommen und fieberähnliche Symptome bemerkt (wohlgemerkt: Es handelte sich um Symptome wie Schüttelfrost, nicht um veränderte Körpertemperatur).1 China wird in Form des Alkaloids Chinin heute noch verwendet in der Malaria-Behandlung (insbesondere bei ansonsten resistenten Erregern) und ist als Chinin auch traditioneller Bestandteil von Getränken wie Schweppes, die genau auf diese Erkenntnis zurückzuführen sind, dass China bei Fiebern wie Malaria nützlich sein könnte. Allerdings hat Hahnemann das Prinzip weder erfunden, noch aus diesem Versuch abgeleitet, noch hat dieser Versuch irgendeine andere als eine historisch-heuristische Funktion. Das Ähnlichkeitsprinzip gibt es schon bei Hippokrates. Es dürfte wesentlich älter sein. Denn schon der Telephos-Mythos, der noch vor-homerisch ist, bildet es ab (Abb. 1).2

In dieser Geschichte wird Telephos, der König der Mysier, von den Griechen, die auf dem Weg nach Troja sind, genauer vom Speer des Achill, verwundet. Als die Griechen abgezogen sind und die Wunde nicht heilen will, schickt Telephos nach Delphi um zu fragen, was er machen solle und erhält die kryptische Antwort: „Ho trosas kai iasetai – der, der die Wunde schlug, wird sie auch wieder heilen“. Das ist der erste kulturell nachweisebare Klang des Ähnlichkeitsprizips, wohl etwa um 1000 v. Chr. in unserer Kultur zu verorten. In der Geschichte reist Telephos dann ins Heerlager der Griechen und wird dort durch den Rost von Achilles‘ Speer – die Handlung in der Abbildung – behandelt und geheilt.

Die Ähnlichkeitsregel ist also uralter Bestand abendländischer Medizin. Hippokrates und die großen römischen Ärzte nach ihm kannten sie. Bei Paracelsus spielt sie eine wichtige Rolle, und Hahnemann kannte sie natürlich, weil zu seiner Zeit eine Paracelsus-Rennaissance im Gange war.3-5 Das Verdienst Hahnemanns war die Operationalisierung dieser Regel, durch die Arzneimittelprüfung am Gesunden. Aber auch das ist nicht Hahnemanns Erfindung. Andere große Ärzte seiner Zeit, Albrecht von Haller etwa, hatten sie schon – wenn nicht selber betrieben –  dann doch gefordert.6 Hahnemann setzte diese Forderung nach einer empirischen Fundierung der Medizin um und kam so auf die Idee, dass die Ähnlichkeit, von der die Regel sprach zwischen den Symptomen der Kranken und den Symptomen besteht, die eine Substanz beim Gesunden erzeugen kann: Die Tollkirschenvergiftung führt zu geweiteten Pupillen, hochrotem Kopf, rasendem Puls und verrückten Ideen, großer Hitze und noch einigen anderen Symptomen. Kranke, die durch Belladonna, die Tollkirsche, geheilt werden, haben ähnliche Symptome. Deshalb ist diese Arznei sehr nützlich bei bestimmten Typen von Fiebern mit diesen Symptomen. Davon kann sich jeder überzeugen, der Kinder hat, die diese Art von Fieber häufig bekommen. Wenn die Symptome stimmen, geht das Fieber i.d.R. innerhalb weniger Stunden zurück und das Kind ist wieder putzmunter.

Hahnemann entwickelte das Potenzierungsprinzip erst später, indem er seine Arzneien aufbereitete und sie dabei verdünnte. Das war ein zunächst rein empirisch und intuitiv naheliegender Vorgang. Denn manche Stoffe, wie etwa Belladonna, oder Aconit, der Eisenhut, sind sehr giftig und konnten daher nur verdünnt gegeben werden. Es war daher naheliegend, damals apothkerübliche Methoden einer stufenweisen Verdünnung zu verwenden. Bevor man die heutigen Möglichkeiten der Analytik hatte, war man gut beraten stufenweise zu verdünnen. Manche Stoffe waren fest und konnten nur duch feine Verreibung löslich gemacht werden. Bei dieser Gelegenheit entdeckte Hahnemann die kolloidale Löslichkeit: Feste Stoffe gehen nach Zerkleinerung und einer Verdünnung von etwa 100-3 (eine homöopathische Potenz von C 3) in einen löslichen Zustand über. Erst später experimentierte Hahnemann dann mit höher verünnten und verriebenen/verschüttelten Stoffen. Dabei wurden die Stoffe meistens mit einer Alkohol-Wasserlösung verdünnt, im Verhältnis 1:100 und dann geschüttelt. Davon wieder der hunderste Teil, usw. Diese Potenzierungsreihe nennt man Centesimal-Reihe (von lateinisch „centum – hundert“). Die Ordnungszahl gibt die Anzahl der Verdünnungs- und Verschüttelungsschritte an, also die Potenzierung. Eine C30-Potenz wäre dann also 30mal im Verhältnis 1:00 verdünnt und verschüttelt worden.

Was Hahnemann noch nicht wusste, aber ahnte: Ab einer Verdünnung von 10-23, D23 oder C12, ist die statistische Wahrscheinlichkeit, dass sich noch Moleküle der Ausgangssubstanz in der Arznei befinden, sehr gering. Ausserdem lösen sich durch die Potenzierung eine Reihe von Stoffen – Silikate, Bor, etc. – aus der Glaswand, so dass, molekular gesehen, homöopathische Potenzen eigentlich immer Stoffgemische sind, bei denen die Ausgangssubstanz nur eine sehr geringe Rolle spielt. Es gibt zwar Untersuchungen die zeigen, dass je nach Herstellung auch bei Hochpotenzen noch Ausgangssubstanz vorhanden ist, aber ich glaube es ist fair zu sagen: Die Substanz, also die Moleküle selber, dürften für die homöopathische Arzneimittelwirkung keine Rolle spielen. Das ahnte schon Hahnemann. Daher sprach er von der „geistartigen Wirkung“ der Arznei und sprach von „Dynamisierung“. Denn er machte die paradoxe Entdeckung: je höher verdünnt und potenziert die Arzneien, desto höher die Anforderung an die Ähnlichkeit zwischen Arzneiwirkung und Patienten-Symptomen, desto größer aber offenbar die Wirkung bei hinreichender Ähnlichkeit. Es ist diese große Paradoxie, die der Homöopathie den größten Spott einträgt. Und man muß fairerweise zugeben: Es gibt im Moment kein kluges Argument, mit dem man verstehbar machen kann, warum eine solche Arznei Wirkung entfalten könnte, ausser dem empirischen, dass man das immer wieder beobachtet hat. Nicht nur in der klinischen Praxis, sondern auch in kontrollierten Studien, in Tier- und in Pflanzenexperimenten. Warum? Kein Mensch weiss es. Es gibt ein paar abgedrehte Theorieversuche, auch von mir;7 aber ich finde nicht, dass irgend eine dieser Theorien ausreichend gut gestützt oder akzeptiert ist. Daher sollten wir fairerweise sagen: Warum potenzierte Arzneien wirken sollten, weiss kein Mensch. Wenn sie es allerdings tun, dann wäre dies eine wissenschaftliche Anomalie allererster Güte, die es zu erkunden gilt. Denn Wissenschaft schreitet in der Regel voran, indem sie sich darum kümmert wie man Anomalien, die nichts ins herrschende Weltbild passen, verstehen kann.8

Aus dem Ähnlichkeitsprinzip ergibt sich das Individualisierungsprinzip: Man wendet Arzneien nicht für bestimmte Krankheitsentitäten an – also Belladonna bei Fieber und irgendwas anderes bei Kopfschmerzen – sondern bei Symptomkonstellationen. Und diese sind mehr oder weniger individuell. Zwar gibt es immer wieder Typen – daher kann man auch häufig vorkommende Arzneimittel bei bestimmten Krankheitsentitäten zusammengeben und eine Art Schrotschussarznei basteln, die dann vielleicht bei 70% aller Zustände funktioniert – aber die rechte Kunst ist es, für die Gesamtheit aller Symptome eines Patienten, auch die in der Vergangenheit vorhandenen oder die scheinbar nicht mit der Krankheit in Verbindung zu bringenden, eine passende Arznei zu finden. Dieses Prinzip wurde wohl von der Homöopathie zum ersten Mal so konsequent in der Medizin angewandt.

Nun, wie sieht es in der modernen konventionellen Medizin aus. Fangen wir von hinten an. Der neueste theoretische Schrei der modernen Pharmakologie ist die „personalisierte“ oder „individualisierte“ Medizin. Sie hat damit, Halleluja, ein Prinzip entdeckt, das die Homöopathie schon seit über 200 Jahren anwendet. In der modernen Medizin ergibt sich dies aus der Einsicht, dass es sehr unterschiedliche genetische Typen gibt, die die enzymatische Verstoffwechslung von pharmakologischen Substanzen definieren und dass es genetische Untertypen von Krankheiten, z.B. Tumoren, gibt, die verschiedene therapeutische Ziele bieten. Wir kennen das: Die einen nehmen irgendeine Tablette und haben schreckliche Nebenwirkungen, die anderen nehmen drei davon und merken nichts. Der Hintergrund ist die enzymatische Effektivität im Umbau der Substanzen: Wieviel davon für den Organismus verfügbar ist bestimmt der individuelle Metabolismus. Aus dieser Einsicht heraus lernt man langsam zu verstehen, dass man pharmakologische Rezepturen fein abstimmen muss, eben individualisieren. Bei Tumoren hat man begonnen zu verstehen, dass sie ganz unterschiedliche genetische Marker tragen, die sie für unterschiedliche therapeutische Massnahmen empfindlich machen. Das nennt sich dann „personalisierte Medizin“: man beginnt den individuellen Konstitutionstyp eines Menschen aufgrund seiner Genetik bei der Therapie in Rechnung zu stellen. Der Unterschied zur homöopathischen Individualisierung besteht darin, dass die Homöopathie auf der phänomenologischen Oberfläche bleibt, also die Ebene der Symptomatik für die Individualisierung verwendet und die moderne Medizin diese versucht aufgrund der Genetik besser zu verstehen. Ich finde: Das ist beides Individualisierung, für den Patienten gut und sinnvoll und muss sich nicht ausschließen. Nicht entweder oder, sondern sowohl als auch.

Die moderne Medizin verwendet auch das Ähnlichkeitsprinzip und in Grenzen das Potenzierungsprinzip. Weniger sichtbar zwar, aber immerhin. In der Allergologie wird etwa damit gearbeitet, dass Substanzen, die eine Allergie verursachen, in absteigender Verdünnungsreihe als Medikamente verabreicht werden. Hier wird der umgekehrte Weg wie bei der Homöopathie beschritten: Man sucht die Verdünnung des Allergens, die gerade keine oder nur eine minimale Allergie auslöst, gewöhnt den Organismus daran und nimmt dann die nächst höhere Konzentration. Man kann auch die Psychotherapie als eine Anwendung des Ähnlichkeitsprinzips verstehen, zumindest bestimmte Formen: Der Krankheitsauslöser wird in veränderter Form präsentiert – durch Verstehen, durch Imagination, durch sprachliche Verarbeitung aufbereitet.

Abgesehen davon verwendet die Medizin als praktische Wissenschaft sehr viele Erkenntnisse und nicht nur einen einzigen Erkenntnisweg. Es ist ein weit verbreitetes (Selbst-)Missverständnis der Medizin, sie sei eine Naturwissenschaft. Das ist sie definitiv nicht.9-11 Sie ist eine Handlungswissenschaft, die u.a. naturwissenschaftliche Erkenntnisse verwendet, aber auch andere, z.B. sozialwissenschaftliche und psychologische. Das führt dazu, dass es nicht DEN Erkenntnisweg in der Medizin gibt, oder DIE rationale Therapeutik. Es gibt viele. Einer von den vielen ist der, den die moderne Pharmakologie beschreitet. Dort versucht man, aufgrund pathophysiologischer Erkenntnisse zu verstehen, wie man intervenieren kann. Dann werden Substanzen entwickelt, die etwa ein bestimmtes Enzym blockieren, oder einen bestimmten Rezeptor aktivieren. Dieser Weg funktioniert so einigermassen, ist aber erstens alles andere als rational, ist zweitens nicht immer zielführend und drittens nicht sehr kostengünstig. Denn welche der Erkenntnisse aufgegriffen werden, hängt oft davon ab, wo man sich einen großen Markt verspricht. Dort wird dann geforscht. Vieles, was erforscht wird, funktioniert im Tiermodell ganz gut. Aber nur sehr wenig von dem, was dort funktioniert, findet seinen Weg in die klinische Anwendung. Einfach deshalb, weil es beim Menschen eben nicht funktioniert oder weil das Ganze doch etwas komplexer ist als anfangs gedacht. Alles in allem betrachtet ist es ein extrem aufwändiger Weg. Wir begehen ihn, weil er sich eben so eingebürgert hat und weil wir meinen, er sei gut. Ob er das wirklich ist, wage ich sehr zu bezweifeln.

Hier sind zwei Beispiele, die sich vermehren liessen, und die zeigen, dass es mit der vermeintlichen Rationalität nicht so weit her ist:

Irgendwann – im Laufe der 60er Jahre oder so – kam die Idee auf, psychiatrische Erkrankungen seien Erkrankungen des Gehirnstoffwechsels. Die biologische Psychiatrie war geboren. Auf dieser Idee aufbauend entwickelte man eine ganze Reihe von Substanzen, die die vermeintlichen Entgleisungen des Gehirnstoffwechsels wieder richten sollten. Berühmt geworden sind die selektiven Serotonin-Reuptake Inhibitoren (SSRIs). Diese wurden übrigens ursprünglich, das weiß kaum jemand, für ganz andere Probleme entwickelt: zur Schmerztherapie; später dachte man, sie könnten bei Gewichtsproblemen nützlich sein, bis wer auf die Idee kam sie für Depression einzusetzen. Dann wurden sie als „happy pills“ vermarktet. Spezialisten in der Psychiatrie geben seit einiger Zeit unumwunden zu dass die Serotoninhypothese bankrott sei12,13: Sie sei wissenschaftlich nie bewiesen, sie funktioniere therapeutisch nicht richtig und das Festhalten an ihr blockiert den Fortschritt. Die modernen Antidepressiva sind manchmal Serotoninwiederaufnahmenhemmer, die Serotonin zur Verfügung stellen, sie sind manchmal Serotoninblocker, die Serotonin aus dem System entnehmen, sie sind manchmal ganz anderer Natur.14,15 Wo genau sind hier die Rationalität und der Fortschritt, frage ich mich? Möglicherweise ist Depression etwas ganz anderes? Eine komplexe Störung, bei der Traurigkeit ein Symtpom ist? Manchmal durch Ernährung verursacht, manchmal durch soziale Umstände, manchmal durch persönliches Fehlverhalten, manchmal genetisch, manchmal durch ein Zusammenwirken all dieser Faktoren. Und wer sagt, dass eine Krankheit auf der Ebene zu behandeln sei, auf der sie sich äußert? Wenn man etwas tiefer schürft merkt man schnell, wie tönern die Beine und wie schief sie sind, auf denen dieses Gebäude ruht. Und überlegt man, wieviel Geld nicht nur die Industrie, sondern die öffentliche Hand durch Subventionierung dieses Modells in die Entwicklung dieses Wolkenkuckucksheims der biologischen Psychiatrie, der Serotoninhypothese der Depression zumal, gepumpt hat, dann muss man sich wahrlich fragen, wie rational es hier wirklich zugeht.16

Ein zweites Beispiel: Die Alzheimer Demenz wird gemeinhin als eine komplexe Entzündung des Gehirns verstanden, die durch die Ansammlung von Amyloid-Beta, einem Protein und die Hyperphosporylierung von Tau, einem anderen Protein, ausgelöst wird, wodurch eine Entzündungspirale entsteht, die zum Untergang der Neuronen und am Ende zur Demenz führt.17 Aufbauend auf diesem biologischen Modell wurden Arzneien entwickelt, die entweder die Actylcholinesterase hemmen sollen – denn Acetylcholinerzeugende Neuronen gehen zuerst zugrunde -, oder die das Erregungsniveau durch den neurotoxischen Transmitter Glutamat hemmen sollen. Oder Impfungen gegen das Amyloid Beta. Alle diese Ansätze haben im Tierversuch sehr gut funktioniert, sind theoretisch-pathologisch irgendwie einsichtig und rational, funktionieren aber beim Menschen gar nicht oder nur in Grenzen. Die Impfversuche wurden eingestellt. Die auf dem Markt befindlichen Medikamente haben sehr schwache Wirkungen und erhebliche Nebenwirkungen. Seitens der pharmazeutischen Firmen, die sich eine Weile am Rennen um die Blockbusterarznei beteiligt haben, wurde ein höherer dreistelliger Milliardenbetrag in die Entwicklung gesteckt. Das Resultat ist ärmlich: es ist keinerlei pharmakologische Therapie in Sicht.18 Die vier derzeit zugelassenen Arznein sind allenfalls kurzfristig palliativ und in keinem Fall therapeutisch dauerhaft wirksam.19 Alternative Denkrahmen und Handlungsansätze gibt es,20,21 sie werden aber derzeit nicht priorisiert. Warum? Vermutlich weil alle auf den großen pharmakologischen Durchbruch warten und weil das herrschende Denkmodell die Phantasie hat verarmen lassen – scheint mir.

Das waren zwei Beispiele im Kurzdurchgang die zeigen, dass es um die theoretisch-therapeutische Rationalität in der modernen Medizin nicht so gut bestellt ist, wie man das gerne hätte. Ich weiss, das ist ein bisschen unfair: Ich habe zwei deutliche Negativbeispiele gewählt. Ich finde aber, sie sind durchaus repräsentativ. Denn sie betreffen weit verbreitete Probleme. Es gäbe viele andere Beispiele: die mangelnde Wirksamkeit pharmakologischer Ansätze bei der Schmerztherapie,22-25 die langfristigen Nebenwirkungen vieler akut sehr gut wirksamer Therapien,26 die Tatsache, dass die Krebsinzidenz steigt trotz eines nunmehr Dekaden währenden „Krieges gegen den Krebs“,27,28 die Tatsache, dass immer mehr Kinder mit ernsthaften neurologischen Störungen diagnostiziert werden,29,30 usw. Es geht mir auch nicht darum, die moderne Medizin schlecht zu reden sondern plausibel zu machen: Was im Akutfall gut funktioniert ist nicht unbedingt auch wirksam und hilfreich im chronischen oder funktionellen Fall. Das Denkmodell der Medizin, so hilfreich es im Notfall ist, erweist sich als Bumerang, der im chronischen und funktionellen Fall auf denjenigen zurückkommt, der ihn verwendet hat. Und das erinnert mich an die alte Geschichte von dem Mann, der sich darüber beschwerte, dass er seinen alten Bumerang nicht los wird, weil er immer wieder zurückkommt…

Literatur

  1. Bayr G. Hahnemanns Selbstversuch mit der Chinarinde im Jahre 1790. Heidelberg: Haug; 1989.
  2. Vonessen F. Was krank macht, ist auch heilsam. Mythisches Gleichheitsdenken, Aristoteles‘ Katharsis Lehre und die Idee der homöopathischen Heilkunst. Heidelberg: Haug; 1980.
  3. Gantenbein UL. Similia Similibus: Samuel Hahnemann und sein Schatten Paracelsus. Nova Acta ParacelsicaBeiträge zur Paracelsusforschung 1999; 13: 293-328.
  4. Schadewaldt H. Der Ähnlichkeitsgedanke bei Paracelsus. Allgemeine Homöopathische Zeitung 1972; 217: 265-8.
  5. Schadewaldt H. Der Ähnlichkeitsgedanke bei Paracelsus. Allgemeine Homöopathische Zeitung 1973; 218: 12-20.
  6. Walach H. Wissenschaftliche Homöopathische Arzneimittelprüfung. Doppelblinde Crossover-Studie einer homöopathischen Hochpotenz gegen Placebo. Heidelberg: Haug; 1992.
  7. Walach H. Entanglement model of homeopathy as an example of generalizsed entanglement predicted by Weak Quantum Theory. Forschende Komplementärmedizin und Klassische Naturheilkunde 2003; 10: 192-200.
  8. Laudan L. Science and Hypothesis. Dordrecht: Reidel; 1981.
  9. Wieland W. Diagnose. Überlegungen zur Medizintheorie. Berlin: de Gruyter; 1975.
  10. Meyer-Abich KM. Wie naturwissenschaftlich ist die Medizin? Das Leitbild Gesundheit in der Medizin und in den Umweltwissenschaften. Forschende Komplementärmedizin und Klassische Naturheilkunde 2001; 8: 34-8.
  11. Meyer-Abich KM. Was es bedeutet, gesund zu sein. Philosophie der Medizin. München: Hanser; 2010.
  12. Healy D. Serotonin and depression. British Medical Journal 2015; 350: h1771.
  13. Kleinman A. Rebalancing academic psychiatry: why it needs to happen – and soon. The British Journal of Psychiatry 2012; 201(6): 421-2.
  14. Kirsch I. Der Placeboeffekt in der antidepressiven Behandlung. Verhaltenstherapie 2016; 26: 55-61.
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  16. Gøtzsche PC. Deadly Psychiatry and Organised Denial. Copenhagen: People’s Press; 2015.
  17. Pantel J. Alzheimer Demenz von Auguste Deter bis Heute. Fortschritte, Enttäuschungen und offene Fragen. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 2017; 50: 576-87.
  18. Mangialasche F, Solomon A, Winblad B, Mecocci P, Kivipelto M. Alzheimer’s disease: clinical trials and drug development. Lancet Neurology 2011; 9: 702-16.
  19. Ströhle A, Schmidt DK, Schultz F, et al. Drug and exercise treatment of Alzheimer disease and mild cognitive impairment: A systematic review and meta-analysis of effects on cognition in randomized controlled trials. American Journal of Geriatric Psychiatry 2015; 23: 1234-49.
  20. Walach H, Loef M. Alzheimer’s dementia and lifestyle: Towards a primary prevention. In: Hall PA, ed. Social Neuroscience and Public Health: Foundations for the Science of Chronic Disease Prevention. Heidelberg, New York: Springer; 2013: 193-213.
  21. Loef M. Moderner Lebensstil und Demenzrisiko – Empirische Untersuchungen. Essen: KVC Verlag; 2013.
  22. Gregori D, Giacovelli G, Barbetta B, et al. Association of pharmacological treatments with long-term pain control in patients with knee osteoarthritis: A systematic review and meta-analysis. JAMA 2018; 320(24): 2564-79.
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  25. Kuijpers T, van Middelkoop M, Rubinstein SM, et al. A systematic review on the effectiveness of pharmacological interventions for chronic non-specific low-back pain. European Spine Journal 2011; 20(1): 40-50.
  26. Gøtzsche PC. Deadly Medicines and Organised Crime: How Big Pharma Has Corrupted Health Care. London: Radcliff; 2013.
  27. Global Burden of Disease Study 2013 Collaborators, Vos T, Barber RM, et al. Global, regional, and national incidence, prevalence, and years lived with disability for 301 acute and chronic diseases and injuries in 188 countries, 1990-2013;2013: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2013. The Lancet 2015; 386(9995): 743-800.
  28. Allemani C, Matsuda T, Di Carlo V, et al. Global surveillance of trends in cancer survival 2000-14 (CONCORD-3): analysis of individual records for 37 513 025 patients diagnosed with one of 18 cancers from 322 population-based registries in 71 countries. The Lancet 2018; online first: https://doi.org/10.1016/S0140-6736(17)33326-3.
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  30. Boyle CA, Boulet S, Schieve LA, et al. Trends in the prevalence of developmental disabilities in US children, 1997–2008. Pediatrics 2011; 127(6): 1034-42.

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Die Europäischen Wissenschaftsakademien und die Homöopathie

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Harald Walach

Das EASAC (European Academies Science Advisory Council) ist so etwas wie das Gralshütergremium der europäischen Wissenschaft und berät die EU Kommission und indirekt natürlich auch die Mitgliedsstaaten über den Stand der Wissenschaft in verschiedenen Bereichen und gibt Empfehlungen aus. Die haben keine rechtliche, aber sehr wohl eine moralische Verbindlichkeit. Denn immerhin macht sich der versammelte europäisch-wissenschaftliche Sachverstand, so hat es den Anschein, daran eine Sache klarzustellen. In diesem Falle die Homöopathie. Das Verdikt dieses wissenschaftlichen Rates der europäischen Akademien, formuliert von einer Arbeitsgruppe von europäischen Medizinern, ist einigermaßen vernichtend. In der Essenz sagt das EASAC Memorandum „Homeopathic products and practices: assessing the evidence and ensuring consistency in regulating medical claims in the EU” (http://www.easac.eu/home/press-releases/detail-view/article/homeopathy.html), in klarem Deutsch:

Homöopathie ist Quatsch. Denn wir verstehen nicht, wie sie funktioniert und was bisher drüber gesagt worden ist, ist unplausibel. Außerdem ist Homöopathie empirisch gesehen maximal Placebo und das sollte nicht von öffentlichen Kassen finanziert werden. Damit ist sie aber auch Irreführung der Patienten, die immer noch glauben, sie würden eine wirksame Arznei erstehen und könnte außerdem durchaus gefährlich sein, denn sie könnte ja verhindern, dass wirklich effektive medizinische Maßnahmen unterbleiben oder zu spät angewandt werden. Insgesamt sollten nationale Zulassungsverfahren daher einen Standard anwenden und nur solche Produkte zulassen, die wirklich die Probe aufs Exempel bestanden haben und damit dem Maßstab der Wissenschaft, im Moment der randomisierten klinischen Studie (idealerweise placebo-kontrolliert) entsprochen haben.

Das klingt, wenn nicht unbedingt sympathisch, doch wenigsten rational und vernünftig – auf den ersten Blick. Daher lohnt es sich, ein bisschen hinter die Argumente zu schauen und diese genauer zu analysieren. Stimmen sie? Wie werden sie begründet? Was gibt es dazu zu sagen?

Gefährliches Placebo

Fangen wir mit dem wichtigsten Argument an: Homöopathie ist unwirksam und empirisch gesehen maximal ein Placebo und als solches gefährlich, weil es wirksame Maßnahmen verhindern könnte.

Die Creme de la Creme der europäischen Wissenschaft gibt sich aus meiner Sicht eine ziemliche Blöße, indem sie nicht, wie das wissenschaftlich üblich ist, auf Primärdaten Bezug nimmt, um diese Aussage zu treffen, sondern sich auf „excellent science-based assessments performed by other authoritative and impartial bodies“ (S.3) verlässt. Was genau heißt hier „excellent“? Oder „science-based“? Fragt sich der naive Beobachter. Dass diese Institutionen autoritativ sind – die Schwedische oder Ungarische Akademie der Wissenschaften, die englische Royal Society, das Australische National Health and Medical Council – steht außer Frage. Aber sind sie auch „impartial – unparteiisch“? Da hätte ich, mit Verlaub, meine Zweifel. Denn dass die Homöopathie ein Stein des wissenschaftlichen Anstoßes ist, ist seit Hahnemanns Zeiten keine Neuigkeit. Und dass Institutionen, die den wissenschaftlichen Mainstream verkörpern, keine Freude mit ihr haben und sie lieber von der Bildfläche verschwunden sähen, um ihr Weltbild rein und ihren Geist fein zu erhalten ist auch verständlich. Dass es mit der Unparteilichkeit nicht so weit her ist, sieht man an folgender Vignette und einigen Fakten:

Der australische Bericht – NHMRC

Der australische Homöopathiebericht wurde zweimal verfasst. Die erste Version, die offenbar zu ganz positiven Ergebnissen gekommen ist, scheint in der Schublade verschwunden zu sein. Momentan läuft ein Gerichtsverfahren in Australien, das vom Homeopathic Research Institute (HRI) in London angestrengt wurde und das die Herausgabe dieser ersten Version zum Gegenstand hat. Auf der letzte HRI Konferenz in Malta hat Rachel Roberts dieses Problem minutiös analysiert (man kann ihre Präsentation hier ansehen: http://www.hrimalta2017.org/presentations/). Was hier also als „science-based, authoritative“ angeführt wird ist vermutlich verzerrt und im schlimmsten Falle sogar betrügerisch. Überhaupt pflegen diese Akademieberichte, soweit ich weiß, ebenfalls nicht auf Primärdaten zurückzugreifen, genausowenig wie der australische Bericht, sondern sich auf publizierte Analysen, meistens Sekundäranalysen, zu stützen und haben damit nicht mehr und nicht weniger Aussagekraft als diese.

Metaanalyse Shang et al.

Die am meisten zitierte, weil im Ergebnis negative Analyse, war die von Shang und Kollegen [1], die auch vom EASAC als Beleg für die Unwirksamkeit der Homöopathie angeführt wird. Dabei werden geflissentlich folgende Fakten übersehen, auf die schon vielfach hingewiesen wurde:

  1. Das Ergebnis dieser Analyse ist nur dann negativ, wenn man, wie die Autoren, nur die größten 8 Studien von 21 methodisch besten Studien einschließt. Für diese Entscheidung gab und gibt es kein gutes Argument. Die Entscheidung wurde nie begründet, auch nicht nachträglich. Eine Sensitivitätsanalyse, die die Auswirkungen dieser Entscheidung untersucht, unterblieb. Das widerspricht – eigentlich – jeder guten Praxis von Meta-Analysen und verletzt – eigentlich – auch die Publikationsstandards von Lancet, dem Journal, das die Arbeit publiziert hat. Eigentlich. Denn in dem Fall der Homöopathie kann man ja beide Augen zumachen. Man weiß eh, dass dabei nichts herauskommen kann, oder? Die Sensitivitätsanalyse wurde von anderen nachgeliefert [2]. Schließt man alle 110 Studien ein, ergibt sich ein klarer signifikanter Effekt. Schließt man sukzessive immer mehr Studien aus, bleibt der Effekt sehr lange stabil signifikant. Nimmt man etwa 14 Studien aus dem Ensemble der qualitätvollen 21, dann ist der Effekt immer noch signifikant. Der negative Effekt ist hauptsächlich auf eine große Studie zurückzuführen, bei der Arnica präventiv gegen Muskelkater bei Marathonläufern getestet wurde. Man kann sich sehr fragen, ob und inwiefern eine solche Studie wirklich etwas über ärztliche homöopathische Praxis aussagt. Ist eine solche Publikation ein wissenschaftlich belastbarer Befund, aufgrund dessen so weitreichende Aussagen getroffen werden sollen?
  2. Die Studie wurde ausführlich kritisiert [3, 4]. Es ist gute wissenschaftliche Praxis bei der Bewertung einer Arbeit auch auf deren Kritikpunkte einzugehen bzw. diese bei weiteren Bewertungen zu berücksichtigen. Das unterblieb damals wie heute. Das wiederum ist schlechte wissenschaftliche Praxis.

Metaanalysen: Der aktuelle Stand

Es ist außerdem gute Praxis, den aktuellen Stand der Wissenschaft in einem solchen schwerwiegenden Fall zu berücksichtigen. Und das bedeutet: neuere Publikationen zur Kenntnis zu nehmen. Die gibt es durchaus. Hahn, ein schwedischer Anästhesiologe, der sich unvoreingenommen die Literatur ansah – er war und ist kein Homöopath, sondern einfach nur neugierig –, war ganz erstaunt, wie viel positive Befunde es zur Homöopathie gibt und meinte, man müsse über 90% aller Befunde ausblenden, wenn man das Ergebnis von Shang oder anderer homöopathiekritischer Berichte aufrecht erhalten wolle [5]. In der Tat. Dies ist, was geschieht. Man blendet unter einem Vorwand Befunde aus und hat wieder eine saubere intellektuelle Welt. Kann man machen, muss man nicht. Mathie hat in der Zwischenzeit eine neue Meta-Analyse vorgelegt und unter sehr strikten Auswahlkriterien nur klassisch homöopathische Therapie, in placebokontrollierten, randomisierten Studien untersucht, in seiner Arbeit berücksichtigt. Das Ergebnis ist signifikant und kommt zu dem Schluss, dass Homöopathie sich von Placebo unterscheiden lässt [6].

Nun meine Kollegen vom Scientific Advisory Council der Europäischen Akademien, wollen wir doch einmal folgendes festhalten: Die Aussage, Homöopathie ist Placebo, lässt sich nur unter folgenden Bedingungen aufrechterhalten.

  1. Man ignoriert Befunde.
  2. Man stützt sich auf primäre Publikationen dort, wo sie einem in den Kram passen und ignoriert sie dort, wo sie die eigene Weltsicht trüben.
  3. Man biegt Kriterien, die allgemein gelten, mal kurzfristig um. Denn allgemein gilt das Kriterium, dass Meta-Analysen jeweils auf den neuesten Stand gebracht werden (also Mathie vor Shang) und dass Meta-Analysen den höchsten Evidenzgrad darstellen (also Meta-Analysen vor selektierten Einzelbefunden).

Evidenz zu einzelnen Diagnosen

Man kann sich natürlich, wie diese Kommission, auf den Standpunkt stellen, es gäbe keine konsistenten Befunde für Diagnosen. Diese Aussage stimmt teilweise. Es gibt allerdings einige Diagnosen und Befundcluster, für die sie nicht stimmt, aber das ist jetzt eher nebensächlich. Wichtiger scheint mir folgendes zu sein: Die Gruppierung von Interventionen für Diagnosen ist dem Verständnis dessen, wie die Homöopathie sich selbst sieht, nicht angemessen. Die Frage ist auch gar nicht: Ist Homöopathie Placebo für, sagen wir, Asthma bei Kindern? Sondern die Frage ist: Ist Homöopathie generell ein Placebo. Denn das ist ja die Behauptung. Die Meta-Analysen – nicht nur die von Mathie, sondern auch andere, sogar die von Shang – zeigen, dass sie das nicht ist. Daher ist das Ausweichen auf einzelne Diagnosen eher ein Wechsel der Bühne um die Peinlichkeit zu vertuschen: Homöopathie ist doch – klinisch-empirisch – von Placebo zu unterscheiden, jedenfalls im Durchschnitt, und wir verstehen überhaupt nicht, warum.

Evidenz für homöopathische Arzneimittel

Wenden wir uns dem nächsten Argument zu: Man solle auch im Fall der Homöopathie die strikten (Evidenz-)Kriterien anwenden, die konventionelle Behandlungen erfüllen müssen.

Das klingt wiederum auf den ersten Blick vernünftig, ja sogar zwingend. Denn immerhin müssen ja alle neuen konventionellen Substanzen eine Zulassungsprozedur durchlaufen, bei der sie in der Regel zwei klinische Studien vorweisen müssen. Diese können entweder placebo-kontrolliert sein oder Vergleiche mit Standard. Sind diese positiv, werden sie zugelassen. Man vergisst bei dieser Argumentation: Sie setzt zwingend die Logik voraus, dass eine Substanz für eine bestimmte Krankheit entwickelt und für diese verwendet wird. Genau das ist bei der Homöopathie ja nicht der Fall. Vielmehr können homöopathische Arzneien in der Theorie für alle möglichen Krankheiten verwendet werden, solange das Symptombild mit dem Arzneimittelbild übereinstimmt. Eine Arznei, die bei Kopfschmerz helfen kann, kann auch bei Husten erfolgreich sein oder bei Dysmenorrhoe – wenn die Symptome stimmen. Und eine Arznei, die einen Patienten von Kopfschmerzen geheilt hat, kann bei einem anderen Kopfschmerzpatienten versagen. Daher ist die normale Zulassungslogik für die Homöopathie nicht zielführend. Deswegen gibt es auch das Argument des „traditional use“, der Registrierung über die Erfahrungstradition. Diese Zulassungspraxis gibt es im Übrigen auch für viele ältere konventionelle Präparate, die einfach über die Tradition ihre Zulassung beibehalten haben. Sollen die nun auch alle über die Klinge springen?

Die Cochrane-Kriterien

Die Autoren führen auch an, dass man am besten die strikten Kriterien der Cochrane-Collaboration erfüllen solle. Das ist ein Netzwerk von Wissenschaftlern, die systematische Meta-Analysen und Übersichtsarbeiten durchführen und dabei sehr strikten Protokollen folgen. Daher sind ihre Schlussfolgerungen in der Regel enttäuschend und konservativ. El Dib und Kollegen haben bereits 2007 die Probe aufs Exempel gemacht [7]: Sie zogen 1016 zufällig ausgewählte Cochrane-Reviews aus der riesigen Cochrane Library und untersuchten, wie häufig sie zu klaren positiven oder negativen Schlüssen kommen. Die meisten davon übrigens konventionelle Interventionen. Das Resultat habe ich in der Abbildung 1 zusammengestellt:

Abbildung 1 – prozentualer Anteil von 1016 zufällig ausgewählter Cochrane-Reviews die klare Wirksamkeit belegen, klar schädlich sind, vermutlich schädlich, möglicherweise wirksam und unklar. Nach El Dib et al. [7]

Cochrane-Reviews nach El Dib et al.

Bei je 2% der Reviews zeigt sich, dass die untersuchte Intervention klar wirksam oder klar schädlich ist. Bei weiteren 5% zeigt sich, dass sie vermutlich schädlich ist, wir es aber noch nicht genau wissen. Bei 43% zeigt sich, dass sie möglicherweise wirksam ist und bei der Mehrzahl, nämlich 48% ist die Sache unklar.

Jetzt nochmals zum Mitschreiben: bei gerade mal 4% haben wir eine sog. wissenschaftliche Evidenz. Immerhin deutet eine große Zahl von Studien, nämlich bei 43% der Interventionen, auf eine mögliche Wirksamkeit hin. Aber wissenschaftliche Evidenz sieht anders aus. Und bei fast der Hälfte haben wir keine Ahnung, ob die Intervention etwas taugt oder nicht. Kann man daraus folgern, dass das, was normalerweise in Krankenhäusern und Arztpraxen passiert, „evidenzbasiert“ ist, wie man das neudeutsch gerne nennt? Ich glaube nicht.

Meine Herausforderung an die Kollegen vom EASAC wäre: Wenn Sie mit der gleichen Striktheit, Vollmundigkeit und Sicherheit bereit sind, 96% aller konventionellen medizinischen Interventionen aus der Versorgung nehmen, so lange, bis Klarheit herrscht, mit der Sie die Praxis der Homöopathie kontrolliert und reguliert sehen wollen, wenn Sie bereit sind jene 2% Interventionen, von denen wir wissen, dass sie eher schaden als nutzen sofort abzuschaffen und jene 5% zu suspendieren, von denen wir annehmen können, dass sie schädlich sind, zum Beispiel so manche Screenings, und dies von den Krankenhäusern und nationalen Regulatoren fordern, dann könnte man sicher auch über die Homöopathie reden, so wie Sie es tun. Das ist natürlich rhetorisch. Denn keiner würde auf die Idee kommen, aufgrund dieser Daten 98% der Medizin auszusperren und vom Markt zu nehmen. Denn: Wir haben ja schließlich auch noch unsere klinische Erfahrung, oder? Genau. Genau wie die Homöopathie, die zuallererst einmal erfahrungsbasiert ist und sich erst langsam wissenschaftlich selbst durchdringt.

Ich finde: Wenn man sehr genau hinsieht, ist vieles an der anscheinend so evidenzbasierten Medizin weniger gut evidenzbasiert, als man meint. Gøtzsche ist etwa der Meinung, man könnte die ganze biologische Psychiatrie in die Tonne treten, weil sie keine gute Datenbasis hat [8], eine Stimme aus der Cochrane Collaboration übrigens, eine wichtige zumal. Vor nicht allzulanger Zeit zeigten Autoren aus der Kardiologie [9]  und Onkologie [10], dass nur 11% (Kardiologie) bzw. 6% (Onkologie) von therapeutischen nationalen Leitlinien-Empfehlungen in den USA sich auf Daten der Evidenzklasse A (also Meta-Analysen oder mehrere gute randomisierte Studien) stützen können. Da steht doch die Homöopathie so schlecht nicht da im Vergleich, auch wenn sie in keiner nationalen Leitlinie vorkommt, oder?

Nebenwirkungen

Nehmen wir ein weiteres Argument: Homöopathie ist schädlich. Entweder werden Leute von wichtigen Behandlungen abgehalten oder sie schadet gleich direkt, weil ja häufig doch mehr Moleküle drin sind, als man denkt und weil Leute die Sachen dann länger nehmen als sie sollten, im Glauben, sie seien harmlos.

Die erste Aussage ist schlicht eine ungedeckte Behauptung. Es gibt keinerlei wissenschaftliche Belege dafür. Im Gegenteil, alle Daten, die wir kennen zeigen: Homöopathie wird in der Regel komplementär, also in Ergänzung zu, konventionell-medizinischen Behandlungen verwendet, oder im Rahmen von Selbstbehandlungen bei trivialen Erkrankungen wie Erkältung [11]. Oder sie kommt dann in Frage, wenn alle anderen konventionellen Angebote versagt haben oder mit zu vielen Nebenwirkungen behaftet waren. Der Krebspatient, der sich weigert, sich konventionell behandeln oder untersuchen zu lassen und gleich zum Homöopathen geht ist eine Rarität [12,13]. Ich will gar nicht abstreiten, dass es Homöopathen gibt, die sich und ihre Methode überschätzen. Aber gibt es solche Menschen nicht auch anderswo? Interessant ist: Wenn so was bei Homöopathen entdeckt wird, kommt der moralische Zeigefinger. Passiert es anderswo oder im eigenen Stall, naja dann halt. Dumm gelaufen.

Beim zweiten Teil des Argumentes wird gerne auf einen akuten Fall abgehoben. Einige Kinder in den USA hatten epileptische Anfälle. Gleichzeitig hatten sie von ihren Eltern homöopathische Zahnungskügelchen bekommen. Man vermutete, dass das homöopathische Belladonna in den Zahnungskügelchen schuld war, bzw. gab ihm gleich mal die Schuld, ohne dass das in irgend einer Form bewiesen oder auch nur plausibel wäre und forderte Regulierung, eine historische Vorlage für den EASAC-Vorstoß [14]. Was sicher denkbar ist, ist die Tatsache, dass der amerikanische Hersteller gepatzt hat und mehr Belladonna in den Kügelchen war als nominal angegeben (D3). Was auch denkbar ist, dass in seltenen Einzelfällen Kinder überreagieren, vor allem wenn jemand eine homöopathische Substanz zu lange nimmt. Das dürften aber sehr seltene Fälle sein, die im übrigen rein theoretisch eben dafür sprechen, dass homöopathische Arzneien kein Placebo sind. Aus genau dem Grund hat das deutsche BfArm auch eine Richtlinie erlassen, in der bei der Selbstmedikation auf die Zeit- und Dosisbegrenzung der Einnahme hingewiesen wird.

Insgesamt ist die Homöopathie unter Garantie sicherer als jede konventionelle Arzneitherapie. Die einzige Überblicksarbeit, die bedeutsame Nebenwirkungen gefunden haben will [15] ist, wie wir gezeigt haben [16], so voll von Fehlern, dass sie keine zuverlässige Literaturquelle darstellt.

Plausibilität

Bleibt die Implausibilität der Homöopathie. Da würde ich den EASAC Autoren zustimmen. Die fairste Aussage ist aus meiner Sicht: Homöopathie hat klinische Wirkung, die sich manchmal in klinischen Studien, und über alle Studien hinweg, von Placebo unterscheiden lässt. Es gibt sogar einige Hinweise aus der Grundlagenforschung, dass sich homöopathische Substanzen von Placebo unterscheiden lassen, die die EASAC-Autoren geflissentlich übergehen. Aber wir haben keinen blassen Schimmer warum und wie sie wirkt. Alle theoretischen Möglichkeiten die bislang angeführt wurden – und das EASAC-Papier ist an diesem Punkt relativ dünn, denn es gibt eine ganze Reihe von anderen Modellen als die dort diskutierten – sind hoch spekulativ und keinesfalls bewiesen. Aber nur weil ein Phänomen noch unverstanden ist und wir es nicht in unser Weltbild einbauen können es zu bannen und als prinzipiell undenkbar zu brandmarken? Das ist, finde ich, keine gute Idee. Dann hätte man viele Substanzen nicht verwenden dürfen, denn ihre Wirkungsweise wurde erst viel später klar, von Aspirin angefangen. Im Gegenteil: Wissenschaftshistorisch war die wissenschaftliche Beschäftigung mit Anomalien – und eine solche stellt die Homöopathie dar – immer der Anfang einer neuen Erkenntnis und der Garant für Fortschritt. Die Implausibilität der Homöopathie als Argument für die Beendigung der Auseinandersetzung mit ihr zu verwenden ist zutiefst unhistorisch und in der Sache unwissenschaftlich.

Und noch am Rande eine kleine, pikante aktuelle Vignette: Eine ganz neue Befragung der Universität Tübingen, Abt. Allgemeinmedizin, an 138 Ärzten in Weiterbildung ergibt: 46% der Befragten wendet komplementäre Verfahren bereits in der Praxis an, weil sie finden, das würde den Patienten nützen. Die Homöopathie gehört mit 16% der Nennungen dabei zu den häufigeren Verfahren. Aber das Interessanteste: 56% der Befragten wenden komplementäre Verfahren bei sich selber an, und das am meisten verwendete Verfahren bei der Selbstanwendung von Ärzten ist dabei, Sie ahnen es, die Homöopathie, die von 21% angewandt wird. [17] Was hat nun das wohl zu bedeuten? Ärzte, die von den besten europäischen Ausbildungsinstitutionen ausgebildet werden, wenden das angeblich schlechteste und unwissenschaftlichste Verfahren, die Homöopathie, mehrheitlich bei sich selber an? Warum wohl? Weil sie zu dumm sind, wirksam von unwirksam zu unterscheiden? Weil sie den Segnungen der konventionellen Pharmakologie zu wenig trauen? Weil sie sich vielleicht lieber mit einem nebenwirkungsarmen Placebo als mit einer wirksamen, aber nebenwirkungsbehafteten antiinflammatorischen Substanz behandeln?

Was wir wirklich brauchen

ist eine solide, öffentlich geförderte Auseinandersetzung mit diesem Phänomen. Die Autoren der EASAC zitieren den CAMbrella-Abschlußbericht, eines der wenigen EU-geförderten Projekte zur Komplementärmedizin [18]. Allerdings nicht vollständig, sondern nur die Passagen, die ihnen in die Argumentationsschiene passen. Die CAMbrella-Mitglieder haben nämlich in der Tat argumentiert, dass für die Komplementärmedizin keine eigenen Spielregeln gelten sollen, sondern die allgemeinen. Dass dies aber nur möglich sei, wenn es auch entsprechende Forschung und deren Förderung gäbe. Daher brauchen wir nicht weniger, sondern mehr Forschung in diesem Bereich. Auf dem gesamten Gebiet der Komplementärmedizin, aber auch auf dem Gebiet der Homöopathie. Daher hatten wir bei einer Nachpräsentation im Europaparlament gefordert, die EU sollte wenigsten eine dediziertes Forschungsprogramm, aber eigentlich besser, wie die USA, Australien und Norwegen, ein Forschungsinstitut einrichten [19]. Das wäre die Konsequenz aus der empirischen Situation und aus der Tatsache, dass Patienten und Ärzte immer noch Homöopathie verwenden, obwohl Experten wie die der EASAC es ihnen versuchen auszureden. Der Punkt ist: Die Leute sind nicht dumm, ungebildet und leichtgläubig. Sondern sie machen ihre Erfahrungen. Sie machen sie meistens zuerst in der Medizin, wie wir sie haben. Z.B. mit ihren Kindern. Und wenn diese dann nach dem x.ten Kurs Antibiotika für ihre Ohrenschmerzen immer wieder neu Ohrenschmerzen bekommen, suchen sie sich andere Möglichkeiten. Die Freundin rät: geh mal zum Homöopathen, und wenn alles gut läuft, bricht eine gute homöopathische Behandlung den Zirkel und läutet eine dauerhafte Veränderung, vielleicht Genesung ein, warum auch immer, wie auch eine Studie zeigt [20]. Vielleicht wäre es an der Zeit, sich solche Themen einmal genauer anzusehen, z.B. in randomisierten Systemvergleichen. Diese aber sind nicht mal eben aus der Portokasse zu bezahlen. Dafür braucht man Forschungsprofis, Geld und willige Klinikchefs. Aber nur solche Studien helfen uns wirklich dabei, die relevanten Fragen zu klären. Und diese relevanten Fragen sind noch nicht einmal gestellt, geschweige denn beantwortet.

Was in diesem EASAC-Papier geschieht ist, juristisch gesprochen, eine Vorverurteilung unter Ignorierung bekannter Daten und unter Unkenntnis relevanter Daten, aus dem ästhetisch-theoretischen Grund, dass einem das vermeintliche Theoriemodell nicht behagt, weil es nicht in die momentane Weltsicht passt. Stimmt. Tut es nicht. Aber das ist kein wissenschaftliches, sondern ein ideologisches Argument.

Lesen Sie hier auch das WissHom-Statement zu EASAC …

[1] Shang, A., Huwiler-Münteler, K., Nartey, L., Jüni, P., Dörig, S., Sterne, J. A. C., et al. (2005). Are the clinical effects of homeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy. Lancet, 366, 726-732.

[2] Lüdtke, R., & Rutten, A. L. B. (2008). The conclusions on the effectiveness of homeopathy highly depend on the set of analyzed trials. Journal of Clinical Epidemiology, 61, 1197-1204.

[3] Fisher, P., Bell, I. R., Belon, P., Bolognani, F., Brands, M., Connolly, T., et al. (2005). Letter to the Editor: Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Lancet, 366, 2082.

[4] Walach, H., Jonas, W., & Lewith, G. (2005). Letter to the Editor: Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy. Lancet, 366, 2081.

[5] Hahn, R. G. (2013). Homeopathy: Meta-Analyses of pooled clinical data. Forschende Komplementärmedizin, 20, 376-381. https://www.karger.com/article/fulltext/355916

[6] Mathie, R. T., Lloyd, S. M., Legg, L. A., Clausen, J., Moss, S., Davidson, J. R., et al. (2014). Randomised placebo-controlled trials of individualised homoeopathic treatment: sytematic review and meta-analysis. Systematic Reviews, 3(142). https://systematicreviewsjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/2046-4053-3-142

[7] El Dib, R. P., Atallah, A. N., & Andriolo, R. B. (2007). Mapping the Cochrane evidence for decision making in health care. Journal of Evaluation in Clinical Practice, 13, 689-692. http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1365-2753.2007.00886.x/abstract

[8] Gøtzsche, P. C. (2015). Deadly Psychiatry and Organised Denial. Copenhagen: People’s Press.

[9] Tricocci, P., Allen, J. M., Kramer, J. M., Califf, R. M., & Smith Jr, S. C. (2009). Scientific evidence underlying the ACC/AHA clinical practice guidelines. Journal of the American Medical Association, 301, 831-841.

[10] Poonacha, T. K., & Go, R. S. (2010). Level of scientific evidence underlying recommendations arising from the National Comprehensive Cancer Network clinical practice guidelines. Journal of Clinical Oncology, 29, 186-191.

[11] Eardley, S., Bishop, F. L., Prescott, P., Cardini, F., Brinkhaus, B., Santos-Rey, K., et al. (2012). A systematic literature review of Complementary and Alternative Medicine prevalence in EU. Forschende Komplementärmedizin, 19(suppl 2), 18-28.

[12] Güthlin, C., Walach, H., Naumann, J., Bartsch, H.-H., & Rostock, M. (2010). Characteristics of cancer patients using homeopathy compared with those in conventional care: a cross-sectional study. Annals of Oncology 21, 1094-1099.

[13] Rostock, M., Naumann, J., Güthlin, C., Günther, L., Bartsch, H. H., & Walach, H. (2011). Classical homeopathy in the treatment of cancer patients – a prospective observational study of two independent cohorts. BMC Cancer, 11(19).

[14] Podolsky, S. H., & A.S., K. (2016). Regulating homeopathic products – A century of dilute interest. New England Journal of Medicine, 374, 201-203.

[15] Posadzki, P., Alotaibi, A., & Ernst, E. (2012). Adverse effets of homeopathy: a systematic review of published case reports and case series. The International Journal of Clinical Practice, 66, 1178-1188.

[16] Walach, H., Lewith, G., & Jonas, W. (2013). Can you kill your enemy by giving homeopathy? Lack of rigour and lack of logic in the systematic review by Ernst and colleagues on adverse effects of homeopathy. International Journal of Clinical Practice, 67, 385-386.

[17] Valentini, J., Flum, E., Schwill, S., Krug, K., Szencsenyi, J., & Joos, S. (2018, in print). Komplementäre und Integrative Medizin in der Facharztweiterbildung Allgemeinmedizin – Ergebnisse einer Bedarfserhebung bei Ärzten in Weiterbildung. Complementary Medicine Research, 25 (DOI:10.1159/000485319).

[18] Weidenhammer, W., & Walach, H. (Eds.). (2012). Complementary Medicine in Europe – CAMbrella. Freiburg: Karger. Forschende Komplementärmedizin, Sonderheft.

[19] Walach, H., & Pietikäinen, S. (2014). A Roadmap for CAM Research towards the Horizon of 2020. Forschende Komplementärmedizin / Research in Complementary Medicine, 21(2), 80-81.

[20] Friese, K.-H., Kruse, S., Lüdtke, R., & Moeller, H. (1997). The homoeopathic treatment of otitis media in children: comparisons with conventional therapy. International Journal of Clinical Pharmacology and Therapeutics, 35, 296-301.

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