Frankreich hat die Homöopathie aus der öffentlichen Erstattung genommen

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– wegen angeblicher Unwirksamkeit –

Ein paar Gedanken zum französischen Homöopathie Health Technology Assessment Bericht

Harald Walach

Im Sommer hat Frankreich bekanntlich die Homöopathie aus der öffentlichen Erstattung genommen. Grundlage dafür war ein offizielles Health-Technology-Assessment Dokument. In ihm werden Vorläufer-Entscheidungen, namentlich der Australische Bericht, genannt. Von diesem hat sich ja, das habe ich im letzten Blog dargelegt, gezeigt, dass die Behörde gegen ihre eigenen Richtlinien verstieß, einen positiven Vorgängerbericht klammheimlich in der Schublade verschwinden ließ, um dann mit dem offiziellen negativen aufzuwarten. Nun passiert in Frankreich etwas Ähnliches, nur anscheinend etwas systematischer und wissenschaftlicher und ohne, dass erst ein positiver Bericht entstehen konnte, den man dann peinlicherweise hätte verschwinden lassen müssen. Da ist die französische Bürokratie seit Napoleon um einiges effizienter. Wenn man das Dokument liest, das unter https://www.has-sante.fr/upload/docs/application/pdf/2019-06/homeopathie_pic_avis3_cteval415.pdf frei verfügbar ist [1], dann ist man erst einmal beeindruckt von der Sorgfalt der Hintergrundrecherche: 364 systematische Reviews und 517 randomisierte kontrollierte klinische Studien (RCTs) identifizierte sie. Da sag noch einer, es gäbe keine Forschung zur Homöopathie!

Doch dann passiert, zauber-zauber, Abrakadabra, das, was jeder systematische Reviewer unbedingt braucht, damit er überhaupt eine Chance hat den Überblick zu behalten: Dann werden ein paar ganz unschuldig klingende Ausschlusskriterien angelegt, die ganz vernünftig klingen und die Informationsdichte reduzieren. Da werden eben nur solche Einzelstudien eingeschlossen, die nicht schon in systematischen Reviews und Meta-Analysen verbacken sind. Und natürlich nur solche Studien, die nicht auch für Marktautorisierung verwendet worden sind. Das finde ich jetzt mal eine kluge Idee! Wenn man das auf konventionelle pharmakologische Produkte anwenden würde, dann hätte man gleich mehrere Klassen extrem teurer Medikamente vom Tisch, z.B. die meisten Krebsmedikamente, fast alle Psychotropika und vermutlich noch ein paar mehr. Warum da noch keiner drauf gekommen ist? Jedenfalls, man darf der Haute Autorité de Santé (HAS) zu dieser genialen Idee gratulieren. Außerdem sind alle Studien ausgeschlossen, die nicht auf Englisch und Französisch publiziert sind, denn andere Sprachen können sie ja bekanntlich in Frankreich nicht. Deutsch fällt dann flach. Und wenn man in die Liste der ausgeschlossenen Studien blickt, dann ist da eine ganze Reihe drunter, die deswegen nicht weiter in Betracht gezogen worden sind. Denkbar, aber eigentlich eine schlechte Idee, wenn man schon den Anspruch hat sorgfältig zu sein. Und dann, ja klar, werden alle Studien ausgeschlossen, die man nicht kriegt, weil sie vielleicht nur in einer obskuren Publikation in einem Verlag im Hindukusch verlegt sind. Kann man verstehen. Wenn man dann mal genau schaut, was das für Studien sind, die da nicht auffindbar waren (seitens der Bibliothéque National, schätze ich mal, Frankreichs Prachtstück, wo sozusagen alles, was auf der Welt an geistigem Wert publiziert wird, gebunkert wird), dann sieht man: Das waren Studien aus dem Jahr 2003 oder 2005, wichtige Studien, etwa die Sepsis-Studie von Frass, die in Homeopathy publiziert wurde [2]. Die meisten Studien, die da als nicht auffindbar markiert sind, kommen aus Homeopathy, eine der ältesten medizinischen Spezialzeitschriften, eine Zeitschrift die lange von Elsevier verlegt wurde, jetzt von Thieme, die Medline gelistet ist und mindestens einmal in jedem Land der Welt verfügbar ist. Die ist nicht auffindbar? Welche Bibliothekare waren denn da am Werk? – fragt man sich. Ja, und dann noch ein wichtiger, einsichtiger Grund: Wenn eine Intervention gar nicht Homöopathie war, sind die Studien auch ausgeschlossen. Klar, leuchtet ein. Dann sieht man ins Verzeichnis und stellt fest: Studien, die mit LM-Potenzen gemacht wurden, wurden grundsätzlich ausgeschlossen, etwa die wegweisende Studie von Heiner Frei und Kollegen, die gezeigt hat, dass man mit Homöopathie ADHS sehr gut behandeln kann [3] oder die Depressionsstudie von Adler [4], die wir vor kurzem besprochen haben. Das ist zwar ärgerlich, weil damit einige wirklich klinisch, wissenschaftlich und modell-theoretisch sehr gute Studien ausgeschieden wurden, aber in Frankreich gibt es eben keine LM-Potenzen in der öffentlichen Versorgung und von daher kann man das noch verstehen.

Auf jeden Fall, das Ergebnis der Zauberei: Aus den 881 Studien werden auf diese Weise ganze 21, die man zu Kenntnis nehmen muss; und von denen, die das öffentliche Versorgungssystem betreffen und die nicht notwendiger Weise randomisierte klinisch-experimentelle Studien waren sondern epidemiologische Beobachtungsstudien, bleiben dann noch fünf übrig. Die ganze Expertise stützt sich also auf 26 Studien. Das sind gerade einmal 3% der gesamten Datenbasis. Natürlich, man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass die Synthese der Einzelstudien ja von den systematischen Reviews gemacht worden ist. Das stimmt dann, wenn diese Reviews sauber gemacht worden sind bzw. wenn deren Ausschlusskriterien nicht auch auf wackligen Beinen standen. Da das nicht immer gegeben ist, ist aus meiner Sicht dieses Vorgehen nur begrenzt zulässig. So gilt auch hier, was ich schon bei früherer Gelegenheit immer wieder betont habe, ein Schluss, den Hahn (https://www.karger.com/Article/FullText/355916) deutlich gemacht hat [5]: Man kann nur dann zum Schluss kommen, dass Homöopathie klinisch unwirksam ist, wenn man mehr als 90% aller Daten ignoriert. Genau das ist nun mal wieder passiert. Dann stimmt natürlich die Schlussfolgerung. Dann sieht auch alles ganz wissenschaftlich aus, und dann kann man die Entscheidung natürlich auch politisch vertreten. Mein Eindruck ändert sich dadurch kaum, was die öffentliche Behandlung der Homöopathie angeht und meine Diagnose ist nach wie vor:

Die Homöopathie stellt ein theoretisches Ärgernis dar. Denn wir verstehen nicht, wie das denn überhaupt funktionieren können soll. Also, so die Konsequenz der meisten, kann es apriori gar nicht funktionieren. Dann setzen wir den Filter auf, der auch genau dieses Ergebnis erzeugt, indem wir all die Daten, die dieser Vormeinung nicht entsprechen, ignorieren. Und fertig ist die Zitierkatze, die sich in den Schwanz beißt: Kann nicht funktionieren, sagt die Vormeinung. Wird nicht funktionieren, sagt die Erwartung. Funktioniert auch nicht, sagt das HTA-Ergebnis, gestützt auf all die Daten, die diese Meinung bestätigen.

Vielleicht sollte man nochmals auf einen winzigen Sachverhalt hinweisen, den ich vor Zeiten schon mal kurz beschrieben habe (https://www.homöopathie-forschung.info/alles-zufall/): Vor vier Jahren erschien ein amerikanischer Marktforschungsbericht, der der Homöopathie ein wirtschaftliches Wachstum weltweit von 400 Millionen Marktumsatz auf 17 Milliarden prophezeite, also ein Wachstum um den Faktor 40, getrieben von der Entwicklung in Europa, vor allem in Deutschland. Ich glaube nicht, dass es irgend eine Industrie weltweit gibt, die Robotik und Biotechnologie eingeschlossen, die von derart märchenhaften Wachstumszahlen ausgehen kann, und ich weiß auch nicht, ob der Bericht recht hat und ob die Information stimmt; mir erscheint er nach wie vor sehr traumtänzerisch und den ganzen Bericht habe ich nicht lesen können, weil er 2.500 USD kostet. Aber die Faktizität ist in postfaktischen Zeiten egal. Wichtig ist, was wichtige Akteure glauben, dass faktisch stimmt. Und dass manche „stakeholder“, also Interessensgruppen, solche Informationen nicht gerne hören und dann über Verdrängungsoperationen nachdenken, das kann man leicht nachvollziehen und dazu gehört nicht einmal ein ausgesprochen verschwörungstheoretisches Naturell. Ich denke, es genügt, wenn man systemtheoretische Überlegungen heranzieht: Die Homöopathie passt nicht ins herrschende Denkmodell und auch nicht ins herrschende Versorgungssystem der vor allem apparativ und molekularbiologisch orientierten Versorgung. Da dieses Modell immer mächtiger wird, ist es kein Wunder, wenn es Unkraut auszumerzen versucht, wie das die hochtechnisierte Landwirtschaft auch macht. Irgendwann, wenn das Unkraut dann ausgemerzt ist, kommt man dann drauf, welch wichtige Rolle es in der Ökologie, der Tier- und Pflanzenwelt gespielt hat und versucht es dann mühsam wieder anzusiedeln, Klatschmohn und Kornblume am Rande der Weizenfelder, wo es schön aussieht, aber nicht stört. Hoffentlich haben wir genügend Verstand und Toleranz, um an dieser Stelle anders mit der Homöopathie umzugehen. Jedenfalls ein großes Vorbild ist der französische HTA-Bericht nicht, und Politiker sollten es sich mindestens dreimal überlegen, ob sie sich der Peinlichkeit hingeben wollen, ihn zu zitieren.

  1. Haute Autorité de Santé. (2019). Commission de la Transparence: Évaluation des médicament homéopathiques soumis à la procédure d’enregistrement prévue à l’articcle L.5121-13 du CSP. Zugriff am 18.12.19 auf https://www.has-sante.fr/upload/docs/application/pdf/2019-06/homeopathie_pic_avis3_cteval415.pdf.
  2. Frass, M., Linkesch, M., Banyai, S., Resch, G., Dielacher, C., Löbl, T., et al. (2005). Adjunctive homeopathic treatment in patients with severe sepsis: a randomized, double-blind placebo-controlled trial in an intensive care unit. Homeopathy, 94, 75-80.
  3. Frei, H., Everts, R., von Ammon, K., Kaufmann, F., Walther, D., Hsu-Schmitz, S.-F., et al. (2005). Homeopathic treatment of children with attention deficit disorder: a randomised, double-blind, placebo controlled crossover trial. European Journal of Pediatrics, 164, 758-767.
  4. Adler, U. C., Paiva, N. M. P., Cesar, A. T., Adler, M. S., Molina, A., Padula, A. E., et al. (2009). Homeopathic individualized Q-potencies versus fluoxetine for moderate to severe depression: double-blind, randomized non-inferiority trial. eCAM, doi:10.1093/ecam/nep114.
  5. Hahn, R. G. (2013). Homeopathy: Meta-Analyses of pooled clinical data. Forschende Komplementärmedizin, 20, 376-381.
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