Wirklichkeit, Fakten, Realität

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Der ursprüngliche australische Homöopathiebericht des National Health and Medicine Research Council (NHMRC) und ein paar Gedanken zu Daten in Zeiten politischer Kämpfe

Harald Walach

Zu Zeiten, in denen sich selbst ansonsten kluge Leute wie der halbe Grünenvorsitzende Robert Habeck zu öffentlichen Aussagen hinreißen lassen, die Homöopathie hätte keine über den Placebo-Effekt hinausgehende Wirkung, ist es nützlich zu überlegen, woher so vielbeschäftigte Leute wie Habeck und viele andere in den Medien die Zeit nehmen, um sich so gründlich zu informieren, dass sie solche Sätze ungeschützt und offenbar ohne jede Zweifel formulieren können. Meistens stößt man dann ziemlich rasch auf den sog. „Australischen Homöopathiebericht“ oder, ausführlicher, den Bericht des Australian National Health and Medical Research Council (NHMRC). Das ist ein sog. Health Technology Report, also ein pragmatischer Bericht darüber, inwiefern eine Intervention, in dem Fall die Homöopathie, der Sache nach gut genug wirkt und politisch und ökonomisch vertretbar ist. Solche Berichte mischen in der Regel wissenschaftliche mit pragmatisch-politischen Erwägungen, weil es am Ende darum geht, eine Intervention im Rahmen eines öffentlichen Gesundheitssystems anzubieten.

Dieser NHMRC-Bericht zur Homöopathie kam zum Schluss, Homöopathie hätte keinen wesentlich über den Placebo-Effekt hinausgehende Wirkung und solle daher nicht im Rahmen des öffentlichen Gesundheitssystems Australiens angeboten werden. Dazu muss man zwei Dinge wissen:

  1. Der Bericht stützt sich nicht auf Originalliteratur, also auf die originalen klinischen Studien, die eigentlich allein eine Basis für solche Schlussfolgerungen abgeben. Er geht vielmehr nur auf die Ebene der sekundären Analysen, also systematische Reviews und Meta-Analysen, deren Prämissen und Schlussfolgerungen er übernimmt.
  2. Der offiziell publizierte Bericht ist bereits der zweite seiner Art. Der erste verschwand still und heimlich in der Schublade der Medizinbürokraten. Warum?

Hier wird es spannend. Die Tatsache, dass es einen ersten Vorgängerbericht gab, war lange ein gut gehütetes Geheimnis der australischen Behörden, bis über einige Leaks bekannt wurde, dass es einen unter Verschluss gehaltenen Vorgängerbericht gab (https://www.informationen-zur-homoeopathie.de/?p=1037). Australische und später auch englische Homöopathen und Institutionen bemühten sich zunächst auf informellem, dann auf formellen Weg den Zugang zu dem ursprünglichen Bericht zu erhalten. Als das nichts fruchtete klagte das Homeopathic Research Institute (HRI) in London zusammen mit einigen australischen Homöopathen formell auf Freigabe des Berichts im Rahmen des Freedom of Information Acts, also der öffentlichen Verfügbarkeit von behördlichen Informationen. Das war nun erfolgreich und vor einigen Wochen wurde der erste Bericht, grummelnd und mit vielen Wenns und Abers freigegeben.1 Hier kann man ihn nachlesen: https://www.hri-research.org/resources/homeopathy-the-debate/the-australian-report-on-homeopathy/.

Dort tauchen dann erstaunliche Dinge auf: Die Autoren des Berichts, eine unabhängige universitäre Arbeitsgruppe, die ansonsten meines Wissens wenig mit Homöopathie zu tun hat, kommen zu dem Schluss, dass Homöopathie bei folgenden Indikationen einen zwar nicht unbedingt starken, aber immerhin vorhandenen Beweis der Wirksamkeit über Placebo hinaus erbracht hätte:

  • Otitis media
  • Ileus
  • Fibromyalgie
  • Obere Atemwegsinfekte bei Erwachsenen
  • Nebenwirkungen von Krebsbehandlungen, und zwar Stomatitis und Dermatitis, die aufgrund von Bestrahlungen und Chemotherapie auftreten können

Das sind wohlgemerkt nur diejenigen Indikationen, für die ausreichend viele Studien für quantitative oder qualitative Zusammenfassungen nach Indikationsgebieten möglich sind und für die diese Zusammenfassungen positiv ausgefallen sind. Für viele andere Gebiete gibt es gar keine Zusammenfassungen, und für manche fielen diese auch negativ aus.

Warum dieser erste Bericht in der Schublade verschwand und umgehend ein neuer in Auftrag gegeben wurde, wird das Geheimnis der Behörde bleiben. Die offizielle Lesart ist: Der erste Bericht sei nicht ausreichend wissenschaftlich gewesen. Wer auch nur kursorisch den ersten Bericht liest, in dem dann auch die Randbemerkungen des Lektors oder der Lektorin des NHMRCs zu finden sind, der kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Da hat irgendjemandem die Schlussfolgerung nicht gefallen und darum mussten ausreichend viele Haare in der Suppe gefunden werden, um sie neu kochen zu lassen.

Es ist übrigens interessant sich die einzelnen Indikationen anzusehen: Es sind allesamt solche, für die konventionell wenig Behandlungsoptionen bestehen. Bei Otitis media, eine hauptsächlich bei Kindern vorkommende Krankheit, werden zwar gerne Antibiotika verordnet. Diese sind aber zum einen meistens nicht indiziert, weil die Erkrankung bei Kindern häufig viralen Ursprungs ist und außerdem auch nicht sonderlich effektiv in der Verhinderung von Komplikationen2,3, führen überdies zu Resistenzbildungen4 und erhöhen die Gefahr späterer chronischer entzündlicher Darmerkrankungen und Diabetes 5,6.

Bei Fibromyalgie sind allenfalls verhaltenstherapeutische Hilfen und vielleicht Achtsamkeitsinterventionen erfolgversprechend, aber keine konventionell-pharmakologischen. Für die anderen Indikationen gibt es keine guten konventionellen Optionen der Behandlung. Warum also will man partout die vorhandene Datenlage, die zeigt, dass die Homöopathie hilfreich sein kann, nicht zur Kenntnis nehmen? Könnte es sein, dass, wie schon des Öfteren beobachtet, weniger die Daten als eine politisch-weltanschauliche Voreingenommenheit den Ausschlag gibt?

Aber einmal ganz abgesehen von diesen Argumenten und Informationen: Ein tertiärer Literaturbericht, und um einen solchen handelt es sich hier, kann nur so gut sein, wie die sekundäre Literatur, die in ihn einfließt. Manche dieser sekundären Reviews sind ganz ordentlich, setzen aber manchmal Einschluss Kriterien, die die in Frage kommende Originalliteratur einengen, und verkürzen so das Bild, ganz abgesehen davon, dass einige Akteure in dem Feld gerne mal schlampig arbeiten, was man erst bei genauerem Hinsehen bemerkt7.

Ich finde, ein nationaler HTA-Bericht, der bindende Wirkung haben soll, sollte sich zumindest die Mühe machen, die Originalliteratur zu sichten. Ginge nicht, sagten die Auftraggeber ursprünglich, weil zu viel Literatur da wäre und das zu lange dauern würde. Interessant, oder? Auf der einen Seite hört man immer, es gäbe keine Information und keine Studien zur Homöopathie, auf der anderen Seite begründet eine offizielle, staatliche Beratungsbehörde es wäre zu viel Originalliteratur, als dass man sich in sie vertiefen könne. Ein anderer HTA-Bericht zur Homöopathie, der die Originalliteratur gesichtet hat, kommt zu genau gegenteiligen Schlüssen8: Homöopathie sei effektiv und solle Teil des Gesundheitssystems sein.

Ich habe bereits in meinem letzten Blogbeitrag darauf hingewiesen: Weder beim NHMRC-Bericht noch in der momentanen Debatte geht es um Daten. Wenn es nur um Daten ginge, blieben lediglich zwei Optionen: Entweder, man verwendet die gängigen Kriterien, die für alle medizinischen Interventionen gelten. Dann müsste man die Homöopathie zähneknirschend als wirksam anerkennen. Oder man verwendet die durchaus harten und oftmals überaus scharfen Kriterien, die die Cochrane Collaboration anwendet. Dann würde man vermutlich dem zweiten NHMRC-Bericht folgen und argumentieren, es gäbe zwar Studien zur Homöopathie, aber die sind noch nicht groß genug, gut genug, repräsentativ genug. Dann müsste man aber auch vermutlich 80% dessen, was in der konventionellen Praxis geschieht aus der öffentlichen Versorgung, genauer aus der Erstattung ausschließen. Denn maximal 20% – bei wohlwollender Lesart – dessen, was derzeit in der Medizin geschieht ist wirklich so gut untersucht und zweifellos wirksam, dass man dazu keine Forschung mehr braucht9. Wollen wir das? Wäre das vernünftig?

Nein, wäre es nicht. Warum nicht? Ganz einfach. Weil wir noch viele andere Erkenntnisquellen außer randomisierten Studien haben, und weil solche Studien nur einen bestimmten Ausschnitt der Wirklichkeit in den Blick nehmen. Auch andere Daten – Kohortenstudien, Einzelfälle, Erfahrungen, nicht-randomisierte Vergleiche, historische Vergleich – spielen bei unseren Bewertungen eine wichtige, wenn auch schwer formalisierbare Rolle, wie wir des Öfteren gezeigt haben10,11. Und mit einer komplexeren, nämlich Bayes’schen Analyse könnte man das formalisieren, wie wir an einem konkreten Beispiel, der ketogenen Diät, ebenfalls belegt haben12.

Die Polemik gegen die Homöopathie ist politischer Korrektheit geschuldet. Eine Minderheit von lauten Stimmen, die Definitionshoheit für sich beanspruchen, hat die politische Parole ausgegeben: Weg mit der Homöopathie, sie passt uns nicht in den Kram. Und pflichtschuldigst stimmen alle, die dazu gehören und modern sein wollen, in diesen Hymnus ein. Sachlich, das haben wir gesehen, ist das in keiner Weise gerechtfertigt. Aber es ist politisch opportun. Woraus man lernt: Das politisch Opportune und das sachlich Richtige sind zwei sehr verschiedene Paar Stiefel, so wie Realität und Wirklichkeit.

Referenzen

  1. National Health and Medical Research Council, International Center for Allied Health Evidence. The Effectiveness of Homeopathy: An Overview Review of Secondary Evidence – An Annotated Draft Report. Canberra, AU: National Health and Medical Research Council, 2019, orif. 2012.
  2. Szőke H, Maródi M, Sallay Z, Székely B, Sterner MG, Hegyi G. Integrative versus Conventional Therapy of Chronic Otitis Media with Effusion and Adenoid Hypertrophy in Children: A Prospective Observational Study. Complementary Medicine Research 2016; 23(4): 231-9.
  3. Grelotti DJ, Kaptchuk TJ. Placebo by proxy: Clinicians‘ and family members‘ feelings  and perceptions about a treatment may influence their judgments about its effectiveness. British Medical Journal 2011; 343: d4345.
  4. Costelloe C, Metcalfe C, Lovering A, Mant D, Hay AD. Effect of antibiotic prescribing in primary care on antimicrobial resistance in individual patients: systematic review and meta-analysis. BMJ 2010; 340: c2096
  5. Livanos AE, Greiner TU, Vangay P, et al. Antibiotic-mediated gut microbiome perturbation accelerates development of type 1 diabetes in mice. Nature Microbiology 2016; 1: 16140.
  6. Hviid A, Svanström H, Frisch M. Antibiotic use and inflammatory bowel disease in childhood. Gut 2011; 60: 49-54.
  7. Vickers AJ. Reducing systematic reviews to a cut and paste. Forschende Komplementärmedizin 2010; 17: 303-5.
  8. Bornhöft G, Matthiessen PF, editors. Homeopathy in Healthcare: Effectiveness, Appropriateness, Safety, Costs. Heidelberg: Springer; 2012.
  9. El Dib RP, Atallah AN, Andriolo RB. Mapping the Cochrane evidence for decision making in health care. Journal of Evaluation in Clinical Practice 2007; 13: 689-92.
  10. Walach H, Falkenberg T, Fonnebo V, Lewith G, Jonas W. Circular instead of hierarchical – Methodological principles for the evaluation of complex interventions. BMC Medical Research Methodology 2006; 6(29).
  11. Walach H, Loef M. Using a matrix-analytical approach to synthesizing evidence solved incompatibility problem in the hierarchy of evidence. Journal of Clinical Epidemiology 2015; 68: 1251-60.
  12. Klement RJ, Bandyopadhyay PS, Champ CE, Walach H. Application of Bayesian evidence synthesis to modelling the effect of ketogenic therapy on survival of high grade glioma patients. Theoretical Biology and Medical Modelling 2018; 15(12).
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Reihe Klassische Klinische Studien

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Es wird ja immer wieder behauptet, es gäbe keine Forschungsergebnisse zur Homöopathie. Diese Behauptung ist falsch. Das zeigen auch eine Reihe klassischer klinischer Studien. Klassisch deshalb, weil sie schon vor geraumer Zeit durchgeführt wurden und oft zitiert werden.

Homöopathie bei Heuschnupfen –

zwei randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudien

Harald Walach

Reilly, D. T., & Taylor, M. A. (1985). Potent placebo or potency? A porposed study model with initial findings using homeopathically prepared pollens in hayfever. The British Homoeopathic Journal, 74, 65-75.

Reilly, D. T., Taylor, M. A., Mc Sharry, C., & Aitchinson, T. (1986). Is homoeopathy a placebo response? Controlled trial of homoeopathic potency with pollen in hayfever as a model. Lancet, Oct. 18, 881-886.

Die Heuschnupfenperiode hat begonnen. Pollen fliegen, Nasen tropfen, Augen weinen. Dagegen gibt es wenig Hilfe. Man kann die Symptome bekämpfen und Antihistaminika nehmen. Sie reduzieren die allergische Reaktion des Körpers auf die Antigene der Pollen, ändern aber nichts an der Empfindlichkeit, und bei vielen Menschen lösen sie unangenehme Nebenwirkungen wie Müdigkeit aus. Man kann den Weg der immunologischen Desensibilisierung beschreiten. Dabei werden die entsprechenden Antigene zunächst ausfindig gemacht und dann dem Körper in einer Art umgekehrter Homöopathie von der gerade noch harmlosen über eine aufsteigende Dosisreihe präsentiert, in der Hoffnung, dass damit die Sensitivität verschwindet und der Körper sich anpasst. Das hilft auch vielen. Aber nicht allen. Wenn diese Methode nichts hilft, dann bleibt die Homöopathie.

An dieser Stelle kommen David Reillys Studien ins Spiel. Ich habe den Autor 1985 einmal auf einer Tagung in London erlebt, wie er seine Studien vorgestellt hat. Die Idee sei ihm gekommen, als er in einer Apotheke Nelson’s „Mixed Grasspollen C30“ gesehen habe, ein homöopathisches Fertigpräparat zur Behandlung allergischer Rhinitis, also Pollenallergie. Darin enthalten sind die 24 häufigsten Pollenallergene von Gräsern, potenziert zur C30, also eine „Verdünnung“ von 100-30 oder 10-60. Unter molekularen Gesichtspunkten ist das eine absurd niedrige Verdünnung, bei der statistisch kein Molekül mehr vorhanden ist, weil die Avogadrosche Zahl (ungefähr 10-23) längst unterschritten ist; die gibt an, bei welcher Verdünnung noch mit einem Molekül zu rechnen ist. Wenn eine solche Potenz eine Wirkung entfaltet, dann sicher nicht über die vorhandenen Moleküle sondern über andere Prozesse. Zumal man ja bedenken muss, dass bei dem Herstellungsprozess die Ursprungslösung noch auf Zuckerkügelchen, oder in diesem Falle auf Milchzuckertabletten aufgeträufelt wird in einem Sprühverfahren, bei dem zwar alle Tabletten oder Kügelchen erreicht werden – das wurde bereits öfter untersucht. Aber die Menge der Ausgangslösung ist extrem gering. Die Wahrscheinlichkeit, dass also irgendein Molekül der Ausgangslösung beim Patienten ankommt ist praktisch gleich Null. Daher ja der Disput. Kann nicht wirken, sagen klassische Pharmakologen, Kritiker und Wissenschaftler. Wirkt eben doch, zeigt die Praxis – und eben auch die Forschung.

David Reilly hat zwei verblindete, placebo-kontrollierte, randomisierte klimische Studien mit einem sehr ähnlichen Aufbau durchgeführt. Die erste war eine Pilotstudie und diente der Klärung der Frage, ob sich dieses Modell überhaupt lohnt. Dabei wurde eine kleine Zahl von Patienten, insgesamt 13 in der Homöopathie und 26 in der Placebo-Gruppe, behandelt. Die ungleichen Zahlen kamen daher, dass die Vorbereitung der Präparate in Paaren geschah, das erste Glas immer Placebo enthielt, ohne dass das jemand wusste (außer dem Apotheker), und das zweite Verum. Die Idee war, dass dadurch nach Möglichkeit immer zeitnahe Paare eingeschlossen werden sollten, um zeitliche und lokale Schwankungen im Pollenflug experimentell auszugleichen. Da manche Ärzte aber mehrere Patienten einschlossen (und damit immer wieder ein neues Paar anfing), ergaben sich oft ungerade Zahlen und daraus diese Imbalance.

Die Patienten durften keine Erfahrung mit Homöopathie haben, mussten eine dokumentierte 2jährige Geschichte mit Pollenallergie haben, akute Symptome, keine Infekte, und keine relevante Vormedikation mit konventioneller Therapie mit entsprechenden Karenzfristen für Medikamente. Diese Kriterien wurden in der Hauptstudie noch verschärft dahingehend, dass auch ein immunologischer IgE-Antikörpertest gegen Pollen vorliegen musste. Die eingeschlossenen Patienten waren also wirklich Pollenallergiker.

Gemessen wurde in beiden Studien über Patiententagebücher:

Zum einen wurde eine visuelle Analogskala erfasst, die die Gesamtbelastung durch die Symptome abbilden sollte. Das ist ein 10cm langer Stricht, vergleichbar einem Thermometer. Auf ihm gibt der Patient durch Ankreuzen täglich an, wie belastend die Symptome sind zwischen „überhaupt nicht“ und „extrem“. Man misst dann die Länge des Strichs und diese dient als Masszahl. Solche Skalen sind in der Forschung seit langer Zeit üblich und sehr sensibel. Außerdem wurden die 6 wichtigsten Symptome im Tagebuch erfasst (Niesen, laufende und juckende Nase, rote, tränende und schmerzende Augen), die in der Pilotstudie mit einem dreistufigen und in der Hauptstudie mit einem vierstufigen Rating einzustufen waren. Zusätzlich wurde die Menge an Ausweichmedikation erfasst. Dazu war ein Antihistaminikum für alle vorgesehen.

Die Medikamente wurden 2mal täglich über 2 Wochen eingenommen und noch 2 Wochen nachbeobachtet. In der Hauptstudie wurde zusätzlich eine einwöchige Placebo-Run-in-Phase eingeführt, um eine Baseline zu haben, also einen Ausgangswert, gegen den Veränderungen berechenbar sind.

Schon die Pilotstudie hatte deutliche Effekte gezeigt, die mit einem robusten, non-parametrischen statistischen Test signifikant waren. Die Homöopathie-Gruppe verbesserte sich um 80%, die Placebo-Gruppe um 18%. Dabei hatten die Homöopathie-Patienten tendenziell weniger Antihistaminika eingenommen als die Placebo-Patienten. Auch waren aus der Homöopathie-Gruppe weniger Patienten wegen irgendwelcher Verschlimmerungen oder Unverträglichkeiten ausgeschieden als aus der Placebogruppe. Die Pilotstudie war also vielversprechend.

In der Hauptstudie konnten nun die Ergebnisse sehr deutlich repliziert werden. Die Stichprobe war deutlich grösser: 158 Patienten, 79 in jeder Gruppe, wurden behandelt. Die Behandlung fand in zwei Zentren, in Glasgow und in London, statt. Ausserdem wurden noch die Pollenflugdichten berechnet und in die Studie einbezogen. Durch die einwöchige Run-in-Phase, in der alle Patienten Placebo einnahmen, war auch eine Ausgangslage dokumentiert. Man hätte sich hier vielleicht eine Baseline ohne irgendeine Intervention gewünscht. Gegenüber dieser Baseline, die ja eigentlich schon psychologisch gesehen einen gewissen Behandlungseffekt gezeigt haben dürfte, wurden nun die Effekte berechnet.

Das Hauptzielkriterium in der Hauptstudie war die visuelle Analogskala der Symptombelastung. In der Homöopathiegruppe hatte diese nach 4 Wochen um 17,2 mm abgenommen, in der Placebogruppe um 2,6 mm. Das ist mit d = 0.47 eine mittelgroße, aber durchaus klinisch relevante Effektgrösse. Die Studie war statistisch mit einer Mächtigkeit versehen, die einen 10%igen Unterschied sichtbar machen sollte. Der Effekt hier ist leicht kleiner gewesen, aber er war statistisch signifikant. Eine Sensitivitätsanalyse führte dann noch eine Korrektur für die Pollenzählung durch und bestätigte den Effekt (Abbildung).

Der Effekt von homöopathischem gemischten Graspollen C30 gegenüber Placebo nach 4 Wochen, adjustiert für Pollenzählung; offene Quadrate: Homöopathie-Gruppe; Striche: Placebogruppe; angegeben ist der Wert der visuellen Analogskala der Symptombelastung. Aus Reilly et al (1986) mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

Die Patienten in der Homöopathie-Gruppe nahmen signifikant weniger Antihistaminika, nämlich 11,2 im Durchschnitt gegenüber 19,7 in der Placebogruppe. Das ist mit d = 0.5 eine mittelgrosse und klinisch relevante Effektgröße. Die Verbesserung in der Homöopathie-Gruppe ist also keinesfalls auf eine vermehrte Einnahme konventioneller Medikamente zurückzuführen.

Ein Manko ist aus meiner Sicht, dass die differenzierten Tagebuchdaten der 6 Symptome lt. Angaben im Methodenteil in einer anderen Publikation erscheinen sollten. Das ist aber meines Wissens nie geschehen. Möglicherweise waren die Daten dieser Tagebücher nicht ganz so eindeutig wie die VAS? Das könnte leicht sein. Darüber weiss ich aber nichts. Es ist für die Bewertung dieser Studie allerdings nicht sehr relevant, weil die VAS-Skala als Hauptzielkriterium formuliert worden war und einen deutlichen Effekt zeigt, der durch die Abnahme des Antihistaminika-Verbrauchs in der Homöopathiegruppe gegenüber der konventionellen Gruppe auch noch gestützt wird.

Insgesamt ist dies eine Serie von zwei Studien, die einen deutlichen und replizierten Effekt von homöopathisch hochverdünnten gemischten Graspollen in der C30 zeigt. Auch eine Verbesserung der Methodik in der zweiten Studie, wie etwa die Objektivierung der Allergie durch IgE und Rast-Testung oder der Einbezug der Pollenzählung hat dem Effekt keinen Abbruch getan. Die Effektgrössen sind in der Hauptstudie kleiner als in der Pilotstudie. Aber sie sind immer noch in einem Bereich, der sie klinisch relevant macht.

David Reilly hat in einer Studie mit einem anderen Modell – nämlich potenziertem individuellem Antigen bei Asthma – diese Serie fortgesetzt und damit den Effekt in einer konzeptuellen Replikation bestätigt [1]. Eine vierte Studie, dieses Mal wieder bei Heuschnupfen, konnte dann allerdings den Effekt nur noch indirekt bestätigen. [2] Denn hier war das primäre Zielkriterium, die visuelle Analogskala, nicht mehr signifikant. Dafür aber das sekundäre, nämlich der objektive Histaminverbrauch. Diese Studie hatte auch eine Meta-Analyse des Gesamteffektes durchgeführt und alle vier Studien zusammengefasst. Diese Meta-Analyse ist signifikant und zeigt einen gemittelten Effekt von 11.1 mm Verbesserung auf der visuellen Analogskala, also in etwa den Effekt, der auch in der hier besprochenen Hauptstudie dokumentiert wurde.

Diese beiden anderen Studien besprechen wir separat, weil sich an ihnen noch ein paar andere Dinge zeigen lassen. Wir sehen: homöopathische Therapie kann durchaus Effekte haben, die signifikant von Placebo verschieden sind. Auch wiederholt. Allerdings zeigen manchmal weitere Wiederholungen Kapriolen: Die Effekte springen plötzlich hinüber ins Nebenzielkriterium. Diese Situation erlaubt es jedem, sein eigenes Weltbild zu zimmern: Die Homöopathie ist nicht replizierbar, sagen dann die Kritiker. Sie haben, wie wir gesehen haben, nur teilweise recht. Manchmal ist sie in der Tat replizierbar. Manchmal nicht. Das ist allerdings das Schicksal guter Forschung. Nur wenige Befunde, auch in der konventionellen Forschung, sind wirklich strikt replizierbar. In der Homöpathieforschung ist Replizierbarkeit noch seltener. Diese Serie von zwei Studien zeigt, dass auch in der Homöopathie replizierbare Befunde vorliegen. Und in der Praxis erlaubt es dem rational gesinnten Allergiker durchaus, Homöopathie auszuprobieren. Möglicherweise hat er oder sie ja mit einer klassisch-homöopathischen Therapie sogar noch mehr Chancen? Denn vergessen wir nicht, dass hier ja ein relativ grober homöopathischer Ansatz getestet wurde.

An diesem Beispiel zeigt sich auch eine subtile Dialektik der Homöopathieforschung: Forschungslogisch sind diese beiden Studien sehr schön, weil klar, eindeutig, aufeinander aufbauend und repliziert. Praktisch sind sie relativ wenig interessant. Denn kaum ein Homöopath wird Heuschnupfen mit gemischten Gräserpollen behandeln, zumindest nicht in Deutschland und vermutlich auch anderswo nicht. Das hier verwendete Modell der Isopathie – also „Gleiches mit Gleichem“, nicht „Ähnliches mit Ähnlichen“ behandeln – ist zwar dem der Homöopathie sehr verwandt, ist aber eben nicht Homöopathie. Es wird zwar manchmal auch von Homöopathen angewandt. Dann gibt ein Arzt z.B. potenzierte Kuhmilch, wenn klar ist, dass Milch zu den Problemen führt und andere Arzneimittel nicht gut wirken. Aber klinisch gesehen ist diese isopathische Art der Anwendung, wie sie auch den Studien von Reilly zugrundeliegt, eher eine Randerscheinung. Praktisch-klinisch hat diese Studienreihe also wenig Bedeutung. Dafür ist es aber ein schönes, sauberes Forschungsmodell das beispielhaft zeigt, dass potenzierte Substanzen in einem klinischen Modell wirken können. Das ist überhaupt ein Forschungsdilemma, das auch in der konventionellen Forschung kaum wegzubekommen ist. Man kann es selten so haben, dass die Befunde wirklich für die angewandte, niedergelassene Praxis relevant sind und dass sie gleichzeitig wissenschaftlich sauber sind. Wir haben das vor Kurzem so ausgedrückt: Interne und externe Validität sind keine kompatiblen Konzepte, die in der gleichen Studie maximiert werden können. [3] Hier ist die interne Validität hoch, aber die externe Validität, also die Übertragbarkeit auf die Praxis eher niedrig. Dennoch, oder vielleicht deswegen, zeigt sie beispielhaft: Homöopathische Prinzipien sind offenbar weniger dumm, als manche meinen, und Homöopathie kann bei Allergien durchaus eine rationale Wahl sein, vor allem dann, wenn alles andere nicht gut funktioniert. Doch dann würde ich lieber klassische Homöopathie wählen, auch wenn diese hier nicht untersucht wurde. Das Prinzip hat sich nämlich bewährt.

Referenzen

[1] Reilly, D., Taylor, M. A., Beattie, N. G. M., Campbell, J. H., & McSharry, C. (1994). Is evidcence for homoeopathy reproducible? The Lancet, 344, 1601-1606.

[2] Taylor, M. A., Reilly, D., Llewellyn-Jones, R. H., McSharry, C., & Aitchison, T. C. (2000). Randomised controlled trial of homoeopathy versus placebo in perennial allergic rhinitis with overview of four trial series. British Medical Journal, 321, 471-476.

[3] Walach, H., & Loef, M. (2015). Using a matrix-analytical approach to synthesizing evidence solved incompatibility problem in the hierarchy of evidence. Journal of Clinical Epidemiology, 68, 1251-1260.

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Aktuelle Forschungsergebnisse

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Es wird ja immer wieder behauptet, es gäbe keine Forschungsergebnisse zur Homöopathie. Diese Behauptung ist falsch. Um aktuelle Ergebnisse zu illustrieren, werden wir in dieser Reihe eine bunte Mischung aktueller Forschung präsentieren: von Grundlagenforschung über Fallserien bis hin zu neueren klinischen randomisierten Studien. Von diesen gibt es natürlicherweise weniger. Denn sie sind langwierig und teuer.

Allerdings gibt es solche Studien in der  homöopathischen Literatur durchaus. Eine andere Reihe „Klassische klinische Studien“, die teilweise auch über den „Forschungsreader“ von WissHom zugänglich sind, besprechen wir parallel in einer anderen Reihe.

Wir setzen diese Reihe fort mit einer klinischen Studie:

Klassische Homöopathie bei chronischer Schlaflosigkeit –

eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie

Harald Walach

Michael, J., Singh, S., Sadhukhan, S., Nath, A., Kundu, N., Magotra, N., et al. (2019). Efficacy of individualized homeopathic treatment of insomnia: Double-blind, randomized, placebo-controlled clinical trial. Complementary Therapies in Medicine, 43, 53-59. https://doi.org/10.1016/j.ctim.2019.01.007

Aktueller geht es kaum: gerade sind wir alle von der Zeitumstellung in unserem Schlafrhythmus gestört worden. Auch diejenigen unter uns, wie ich beispielsweise, mit einem relativ robusten Schlaf-Wachrhythmus und vergleichsweise wenig Schlafstörungen merken, wie sehr sogar ein Eingriff in den Schlafrhythmus – wie die Umstellung auf Sommerzeit – sich bemerkbar macht. Da kann man sich ein bisschen besser in diejenigen Zeitgenossen einfühlen, die dauernd mit Schlafproblemen zu kämpfen haben – weil sie schlecht einschlafen können und oft Stunden wachliegen, oder in der Nacht aufwachen und nicht mehr einschlafen können, oder zu früh aufwachen und nicht mehr zurück in den Schlaf finden. Wenn das öfter als dreimal pro Woche auftritt und länger als einen Monat andauert, geben die Schlafforscher diesem Syndrom den Namen „chronische Schlaflosigkeit“. Etwa 10-30% der Bevölkerung eines Landes leiden unter einem solchen Problem – es ist also ein klinisch wichtiges Thema. [1]

In dieser neuen Studie haben nun indische Forscher mit klassischer Homöopathie in einer drei Monate dauernden Studie bei insgesamt 60 Patienten mit chronischen Schlafstörungen gezeigt, dass individualisierte homöopathische Therapie bei chronischen Schlafstörungen einem Placebo überlegen ist. Die Studie war doppelt verblindet. Das Placebo war ununterscheidbar. Die meisten Items für sorgfältige Studiendurchführung kann man mit Ja beantworten: die Studie war verblindet; der Randomisationscode war ebenfalls verblindet; Patienten und Therapeuten/Beurteiler auch; die Auswertung erfolgte erst, nachdem die Datenbank „eingefroren“, also fertiggestellt war; die Studie hatte eine zwar etwas wacklige, aber immerhin prospektive Fallzahlplanung; sie wurde prospektiv in einem Studienregister eingetragen, damit keine Protokolländerungen nach der Auswertung möglich sind; sie wurde nach den Standardregeln berichtet und einigermaßen sauber ausgewertet.

Methodik

Die homöopathische Therapie erfolgte individualisiert: D.h. für jeden Patienten wurde individuell das passende Arzneimittel ausgewählt. Anschließend erhielten die Patienten von einem Apotheker, der der einzige war, der den Randomisationscode hatte, entweder das Arzneimittel oder das Placebo. Die Arzneien wurden in allen Fällen als sog. Q-Potenzen verabreicht, obwohl laut Protokoll auch C-Potenzen möglich gewesen wären. Das Spezielle an Q-Potenzen ist, dass sie zum einen stärker verdünnt sind (eben etwa im Verhältnis 1:50.000; daraus leitet sich das Kürzel „Q“ für „Quinquagesimillesimal“ – ein 50.Tausendstel ab) und daher auch öfter, normalerweise täglich, genommen werden können. Sie sind eine Spätentdeckung Hahnemanns und wurden dementsprechend spät, erst mit der Entdeckung der letzten Auflage des Organons 1921 bekannt und wurden zum ersten Mal von Flury 1942 hergestellt [2]. Im Wesentlichen wird dabei als Ausgangspotenz eine durch Verreibung bis zur C3 erzeugte Potenz verwendet, mit der dann in alkoholischer Lösung eine Anzahl Kügelchen imprägniert werden. Diese Kügelchen werden dann in alkoholischer Lösung aufgelöst, so dass das Mengenverhältnis in etwa 1:50.000 beträgt. Dies ergibt die Q1. Diese Lösung wird dann durch Schütteln weiter potenziert und mit ihr wiederum Kügelchen imprägniert, usw. Mit den Kügelchen wird dann eine Gebrauchslösung hergestellt, in diesem Fall aus destilliertem Wasser und 10% Alkohol (zu Konservierungszwecken) mit vier darin aufgelösten etwa mohnsamengroßen Streukügelchen – also die der ganz kleinen Sorte. Diese Lösung wird jedes Mal beim Einnehmen, in diesem Falle täglich, 10mal fest geschüttelt. Dann wird daraus etwa die Menge eines Löffels in eine Tasse Wasser gegeben, umgerührt, davon ein Mund voll eingenommen; der Rest der Tasse wird weggeleert. Das ist also wirklich die Extremform der Verdünnung und Streckung: die ursprünglich schon 1:50.000mal verdünnte und potenzierte Lösung wird auf kleine Kügelchen aufgebracht, diese nochmals verdünnt und von dieser Verdünnung wird nochmals ein kleiner Teil verdünnt. Daher werden solche Q-Potenzen auch täglich gegeben.

In dieser Studie wurden also ausschließlich solche Q-Potenzen verwendet; diese aber offenbar durchaus in einem konstitutionellen Sinn. Das sieht man an den verordneten Substanzen: vor allem Nux vomica, Natrium muriaticum, Calcium carbonicum, Thuja, Lycopopdium, Phosphor, Sulfur, Pulsatilla, Sepia; also lauter homöopathische „Polychreste“, häufig verordnete Konstitutionsarzneien.

Als Haupt-Ergebnismaß wurde ein tägliches Schlaftagebuch verwendet, das aus insgesamt 6 Items besteht und ein weit verbreiteter Standard ist (u.a. verwendet das amerikanische Militär dieses Instrument): Latenz bis zum Einschlafen, Aufwachen in der Nacht, zu frühes Erwachen, Zeit im Bett, Schlafzeit, Schlafeffizienz. Dieses Tagebuch wurde täglich geführt, kann also als prospektives Outcome-Maß gewertet werden, obwohl es natürlich naturgemäß nur nach jeder Nacht bewertet werden kann. Zusätzlich wurde ein Schlafindex geführt. Das ist ein relativ ähnliches Instrument, das aber eher globale Einschätzungen über einen längeren Zeitraum vornimmt. Beides ist in der Schlafforschung üblich. Manche Studien nehmen auch polysomnographische Maße – also objektive Maße wie EEG, Bewegungsmessung, oder andere physiologische Maße. Meistens sind solche Variablen aber an ein Labor gebunden und werden daher bei klinischen Studien, bei denen die Patienten in ihrer gewohnten Umgebung sind, in der Regel nicht eingesetzt.

Weil das Hauptmaß aus 6 Items besteht, haben die Autoren vernünftigerweise das Niveau der Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% auf 1% reduziert; das ist eine Möglichkeit der Anpassung für multiples Testen (geschickter wäre es aus meiner Sicht gewesen, entweder einen Gesamtwert zu bilden oder eine multivariate Testprozedur einzuführen). Die Autoren haben sich so vor einer Überschätzung geschützt. Von ihren 6 Items zeigen insgesamt 3 Items einen Gruppenunterschied auf, der das apriori postulierte Signifikanzniveau erreicht oder unterschreitet, nämlich die drei letzten Items „Zeit im Bett“ (unter Homöopathie etwas länger, während die Placebo-Gruppe weniger Zeit im Bett verbringt), „Schlafzeit“ (unter Homöopathie etwa eine Stunde länger, während die Placebo-Gruppe weniger Schlaf hat) und „Schlafeffizienz“(ein Anstieg um 11 Punkte, bei der Placebo-Gruppe um 4 Punkte). Bei den anderen Items gibt es ebenfalls Verbesserungen, diese heben sich aber statistisch nicht von den Veränderungen in der Placebogruppe ab. Nach den Regeln der klinischen Forschung haben die Autoren aber mit dem Erreichen der vorher geforderten Signifikanzgrenze bei 3 von 6 Items ihr Ziel mehr als erreicht; denn es hätte gereicht, wenn eines der Items die Grenze von p < 0.01 erreicht hätte. Außerdem ist auch das sekundäre Kriterium, der Schlafindex in der Verum-Gruppe mit p = 0.013 deutlich besser.

Sind die Effekte auch klinisch bedeutsam?

Das halte ich ja sowieso für die wichtigere Frage, vor allem angesichts der Tatsache, dass vor Kurzem eine große Gruppe von mehr als 800 Forschern einen in Nature publizierten Aufruf unterzeichnet hat, man solle doch endlich ein Ende machen mit der absurden Signifikanztesterei [3] (siehe hierzu auch meinen aktuellen Methodenblog https://harald-walach.de/2019/03/27/der-signifikanz-mythos-broeckelt/). Ja, die Effekte sind klinisch bedeutsam. Ich bin zwar bei meinen Berechnungen auf leicht niedrigere Effektstärken gekommen als die Autoren. Das liegt vermutlich daran, dass ich eine pi-mal-Daumen-gemittelte Standardabweichung zur Berechnung genommen habe; die Unterschiede sind aber nicht drastisch. Die Effektgrößen zwischen den Gruppen, die die Autoren berichten, liegen zwischen d = 0.6 für den Schlafindex und d = 1.1 für das Item „Schlafeffizienz“, bzw. ca. d = 0.9 und d = 1.0 für die anderen signifikanten Items (meine leicht konservativere Schätzung). Für die nicht-signifikanten Items sind die Effektstärken klein und liegen bei d = 0.2. (Was eine Effektgröße ist, habe ich in meinen Methodenblogs ausführlicher erläutert (https://harald-walach.de/methodenlehre-fuer-anfaenger/13-power-analyse-die-magie-der-statistik-oder-der-unterschied-zwischen-signifikanz-und-relevanz/). Effektgrößen sind dimensionslose Maße, die beschreiben, wie groß ein Unterschied zwischen zwei Gruppen oder ein Zusammenhang von Variablen ist. Sie sind unabhängig von der Größe der Studie; diese bestimmt einfach, ob ein gegebener Unterschied signifikant belegt werden kann bzw. wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Unterschied signifikant gefunden werden kann. Die hier dokumentierten Effektgrößen zwischen d = 0.6 und d = 1.1 kann man als große und klinisch relevante Effekte bezeichnen, zumal sie gegen aktive Kontrolle, also Placebo, gesichert worden sind. Zur Kalibrierung: NICE, der englische Regulator, fordert, dass ein neu eingeführtes Antidepressivum mindestens eine Effektgröße von d = 0.5 gegenüber Placebo aufweisen muss; tatsächlich weisen alle Antidrepressiva-Studien zusammen in einer Meta-Analyse Effektgrößen gemittelt gegen Placebo von d = 0.38 auf [4]. Wir haben es hier also mit einem klinisch bedeutsamen Effekt zu tun, der statistisch gegen das Rauschen einer Placebo-Gruppe abgesichert ist. Auch in dieser findet man positive klinische Effekte. Diese sind aber kleiner.

Dies ist also eine unzweideutig signifikante Studie die zeigt, dass verblindete individualisierte homöopathische Therapie bei Schlaflosigkeit hilfreich sein kann und besser wirkt als ein Placebo. Die Autoren weisen darauf hin, dass es bereits eine Reihe anderer positiver Studien zu diesem Thema gibt, die meisten allerdings nicht individualisiert. Eine ältere brasilianische Studie zeigte ebenfalls positive Effekte einer verblindeten individualisierten homöopathischen Therapie [5]. Ich hatte sie mir vor langer Zeit einmal durchgesehen und ebenfalls eine mittlere Effektgröße von d = 0.40 errechnet, wenn ich recht erinnere. Iris Bell hat einige Forschung zum Thema Schlaf gemacht und konnte zeigen, dass Menschen mit unterschiedlichem Persönlichkeitsprofil (ängstlich versus aggressiv) und Schlaflosigkeit, die durch Kaffeemissbrauch induziert war, mit unterschiedlichen EEG-Mustern auf die Gabe von unterschiedlichen Arzneien (Nux vom. vs. Coffea in der C30) reagieren, je nachdem welches Persönlichkeitsprofil sie hatten. In dieser Studie wurde nach einer Placebo-Run-in-Periode die beiden Homöopathika doppelt verblindet gegeben und alle Masse erfolgten in einem Schlaflabor mit Polysomnographie (also mit EEG, Bewegungsmessung, Okulogramm) [6].

In diesen Kontext reiht sich diese kleine Studie gut ein. Die Poweranalyse war etwas wacklig; aber die Autoren hatten Glück und einen deutlichen Effekt gefunden; wäre sie negativ ausgegangen, hätten sie vermutlich mit zu geringer Power argumentiert, was bei einer kleinen Studie immer möglich ist und dann eine Folgestudie nötig gemacht hätte. Die Präsentation zeigt ein paar handwerkliche Schwächen: Es ist beispielsweise ein weit verbreiteter Unsinn, das Randomisationsergebnis auf statistische Imbalancen hin zu testen; darauf verweist auch die CONSORT Gruppe [7]. Denn schließlich haben wir es bei der Randomisation mit einer theoretischen Größe zu tun, die nicht durch ein einmaliges empirisches Ereignis getestet werden kann. Ich finde auch, die Autoren hätten sich im Vorfeld überlegen können, die Schlafitems zu einem Gesamtwert zu vereinen, was ihre Statistik etwas klarer gemacht hätte, oder aber sie hätten die Daten anhand eines linearen Modells mit entsprechenden Kovarianten (Baseline-Werte, andere mögliche Prädiktoren) auswerten können, wie das mittlerweile üblich ist. Aber so robust wie die Daten sind, spielt das eine relativ geringe Rolle und ist eher kosmetische Kritik. Man hätte die Studie länger laufen lassen können als drei Monate und hätte dann vermutlich deutlichere Effekte gesehen. Allerdings ist bei verblindeter individualisierter Homöopathie eine längere Studie meistens etwas komplex und von daher kann man verstehen, dass die Autoren nach drei Monaten aufgehört haben.

Die Schlussfolgerungen bleiben: Wir haben eine Studie vor uns, die belegt, dass klassisch angewandte Homöopathie bei chronischen Schlafstörungen wirksam ist. Sie tut dies in einem Kontext einiger anderer positiver Studien.

Literatur

[1] Roth, T. (2007). Insomnia: definition, prevalence, etiology, and consequences. Journal of Clinical Sleep Medicine, 3(5 Suppl), S7-S10. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1978319/

[2] De Schepper, L. (1999). LM potencies: one of the hidden treasures of the sixth edition of the Organon. British Homeopathic Journal, 88, 128-134.

Mayr, S. (2014). Herstellung homöopathischer Arzneimittel – Von Hahnemann bis zu Schwabes Pharmakopöe. Essen: KVC Verlag.

[3] Amrhein, V., Greenland, S., & MCShane, B. (2019). Retire statistical significance. Nature, 567, 305-307. https://www.nature.com/articles/d41586-019-00857-9

[4] Turner, E. H., Matthews, A. M., Linardatos, E., Tell, R. A., & Rosenthal, R. (2008). Selective publication of antidepressant trials and its influence on apparent efficacy. New England Journal of Medicine, 358, 252-260. https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMsa065779

Kirsch, I., Deacon, B. J., Huedo-Medina, T. B., Scoboria, A., Moore, T. J., & Johnson, B. T. (2008). Initial severity and antidepressant benefits: A meta-analysis of data submitted to the food and drug administration. PLoS Medicine, 5(2), e45. https://journals.plos.org/plosmedicine/article?id=10.1371/journal.pmed.0050045

[5] Carlini, E. A., Braz, S., Troncone, L. R., Tufik, S., Romanach, A. K., Pustiglione, M., et al. (1987). Efeito hipnotico de medicacao homeopatica e do placebo. Avaliacao pela técnica de „duplo-cego“ e „cruzamento“. Revista de Associacao medica brasileira, 33, 83-88. https://europepmc.org/abstract/med/3329355

[6] Bell, I. R., Howerter, A., Jackson, N., Aickin, M., Baldwin, C. M., & Bootzin, R. R. (2011). Effects of homeopathic medicines on polysomnographic sleep of young adults with histories of coffee-related insomnia. Sleep Medicine, 12(5), 505-511. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1389945710001735?via%3Dihub

[7] Moher, D., Hopewell, S., Schulz, K. F., Montori, V. M., Gøtzsche, P. C., Devereaux, P. J., et al. (2010). CONSORT 2010 Explanation and Elaboration: updated guidelines for reporting parallel group randomised trials. BMJ, 340, c869. https://www.bmj.com/content/340/bmj.c869

Schulz, K. F., Altman, D. G., Moher, D., & CONSORT Group. (2010). CONSORT 2010 Statement: updated guidelines for reporting parallel group randomised trials. BMC Medicine, 8(1), 18. https://bmcmedicine.biomedcentral.com/articles/10.1186/1741-7015-8-18

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Aktuelle Forschungsergebnisse

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Es wird ja immer wieder behauptet, es gäbe keine Forschungsergebnisse zur Homöopathie. Diese Behauptung ist falsch. Um aktuelle Ergebnisse zu illustrieren, werden wir in dieser Reihe eine bunte Mischung aktueller Forschung präsentieren: von Grundlagenforschung über Fallserien bis hin zu neueren klinischen randomisierten Studien. Von diesen gibt es natürlicherweise weniger. Denn sie sind langwierig und teuer.

Allerdings gibt es solche Studien in der  homöopathischen Literatur durchaus. Eine andere Reihe „Klassische klinische Studien“, die teilweise auch über den „Forschungsreader“ von WissHom zugänglich sind, besprechen wir parallel in einer anderen Reihe.

Effektivität von Homöopathie zur Schmerzlinderung bei Gelenksblutung bei Hämophilie-Patienten

Harald Walach

Kundu, T., Ghosh, K., Shaikh, A., Singh, P., Shaikh, A., Shah, H., et al. (2018). Homeopathic medicine reduces pain and hemarthrosis in moderate and severe hemophilia: A multicentric study. Complementary Medicine Research, 25(5), 306-312. https://www.karger.com/Article/Abstract/486557

Es gibt manche Situationen, in denen benötigt man keine kontrollierte Studie, um einen klinischen Effekt zu dokumentieren. Das ist in der Regel dann der Fall, wenn die Effekte überdeutlich sind, oder wenn man ziemlich genau weiss, was passieren würde, wenn man nicht behandeln würde. Daher muss keiner eine randomisierte Studie zur Wirksamkeit von Fallschirmen durchführen, wie einmal ein paar Witzbolde in der Weihnachtsausgabe des British Medical Journals angemerkt haben [1]. Auch viele wichtige und lebensrettende Interventionen in der klinischen Medizin wurden nie in einer randomisierten Studie untersucht, z.B. die Wirksamkeit von Penicillin, oder die Nützlichkeit der Schienung gebrochener Knochen, oder Bypassoperationen zur Blutversorgung des Herzens bei verschlossenen Arterien, und andere Interventionen der Chirurgie. Daher ist aus meiner Sicht der allgemeine Ruf nach randomisierten, placebo-kontrollierten Studien als einzige rationale Methode der klinischen Forschung insgesamt ziemlich kurzsichtig. Ich habe dazu an verschiedenen Stellen auch noch eine Reihe Argumente geliefert, auf die ich jetzt nicht eingehe [2].

Die hier besprochene Studie ist eine solche klinische Situation, in der keine randomisierte Studie nötig ist, wenngleich eine ranomisierte Studie vielleicht eine noch klarere Schlußfolgerung zugelassen hätte. In dieser Studie indischer Forscher aus Mumbai, Nashik im Bundesstaat Maharashtra und Surat in Gujarat wurden alle Patienten, die an erblich bedingter Hämophilie – also der Bluterkrankung – litten in die Studie eingeschlossen, die in ihren Krankenhäusern in homöopathischer Betreuung waren. Dazu muss man wissen: Die Erkrankung ist erblich und kann nicht geheilt werden. Es können allenfalls Symptome gelindert werden und durch Plasmagaben von Gerinnungsfaktoren akute Probleme so behandelt werden, dass die Patienten nicht sterben bzw. dass innere Blutungen gestoppt werden. Probleme treten auf, wenn etwa Blutungen in die Gelenke auftreten und keine sofortige Plasmagabe zur Verfügung steht. Wenn ein Mensch mit normalen Gerinnungsfaktoren eine dumme Bewegung macht oder sich stößt, hat er vielleicht eine Mikroverletzung in einem Gelenk oder Band mit einer kleinen Blutung, die aber sofort zum Stillstand kommt. Wenn das bei einem Bluter passiert, dann fliesst sehr lange Blut und löst natürlich Entzündungen und Schmerzen aus. Klassische Entzündungshemmer sind dort oft nicht sinnvoll, weil sie das Problem schlimmer machen. Opiate sind auch nur bedingt nützlich, weil man nicht dauernd zu Opiaten greifen will. In Indien kommt erschwerend hinzu, dass nicht immer Plasmakonzentrate zur Akutbehandlung genau dann vorhanden sind, wenn sie gebraucht werden. Daher wird in Indien durchaus auch in solchen relativ schweren Erkrankungsfällen Homöopathie verwendet.

Da in Indien Homöopathie durch das Gesundheitsministerium gestützt und verbreitet wird – unter dem ministeriumseigenen Department AYUSH (das ist eine Abkürzung für Ayurveda, Yoga, Unani, Siddhi, Homeopathy, also die fünf in Indien anerkannten traditionellen Heilweisen) – gibt es dort auch staatliche Krankenhäuser und Ambulanzen, die sie anwenden. Meistens, das muss man auch sagen, ist es in Indien eine Medizin der armen Leute, weil Homöopathie eben billig ist.

In der hier vorliegenden Studie wurden nun retrospektiv alle in einem Krankenhaus in Behandlung befindlichen Hämophilie-Kranke eingeschlossen, deren Episode von Einblutung in ein Gelenk nicht durch konventionelle Mittel behandelt werden konnten, entweder weil es keine Plasmaprodukte gab oder weil die Patienten aus anderen Gründen keine konventionelle Behandlung hatten. Alle Patienten waren genetisch getestete Hämophilie-Patienten, also echte Bluter-Kranke.

Insgesamt 343 Patienten von ursprünglich 430 durchgesehenen gingen in die Analyse ein. 23 Patienten hatten vorher anderswo Plasmafaktoren erhalten; bei weiteren 38 Fällen waren die Daten unvollständig und bei 26 Patienten hatte keinerlei Gelenksblutung vorgelegen. 287 von den eingeschlossenen Patienten hatten eine schwere und 56 eine mässig schwere Hämophilie. Insgesamt 1.679 Blutungsepisoden waren die Datenbasis. Die Patienten hatten im Durschnitt 6.9 Gelenksblutungen pro Monat und wurden homöopathisch behandelt. Schwellungen und Untersuchungen von Schmerzen wurden von unabhängigen allopathischen Ärzten dokumentiert.

Die homöopathische Behandlung erfolgte dreistufig: alle Patienten bekamen Hamamelis in der Urtinktur zur äusserlichen Anwendung, um die Blutung zu stillen. Ausserdem bekamen alle eine homöopathische Akutverordnung und danach eine homöopathische Konstitutionsverordnung. Die Idee bei der Akutverordnung ist natürlich, dass das akute Geschehen kontrolliert werden soll, und zwar möglichst rasch. Und die Konstitutionsverordnung soll nach Möglichkeit die Gefahr weiterer Blutungen reduzieren oder die Konstitution so gut als möglich stärken. Die homöopathischen Arzneimittel die dort verwendet wurden sind sehr vielfältig. Bryonia, das Arzneimittel mit der Modalität „Schmerz, verschlimmert durch kleinste Bewegung“ und Rhus toxicodendron, das Arzneimittel das bei Bänderzerrungen sehr hilfreich sein kann, weil es starke Schmerzen in Gelenken hat die langsam duch Bewegung gebessert werden, waren dabei die häufigsten akuten Verordnungen und ansonsten die typischen homöopathischen Konstitutionsmittel. Neben Lachesis waren das Calcium carbonicum, Sulphur, Arsenicum album, Lycopodium, Calc. fluoratum, Nux vomica und Ruta, um nur die häufigeren zu nennen. Alle wurden in C200 oder C1.000 (oft auch als „M“ abgekürzt) gegeben.

Nach einem halben Jahr waren die Gelenksblutungen mit 2.9 pro Monat verlgichen mit den 6.9 zu Beginn deutlich weniger. Die Effekte waren in der Regel schon nach 6 Stunden sichtbar und nach 48 Stunden deutlich. Die Schwellungen hatten nach 24 Stunden um 1,1 (beim Knöchel) bis 3,1 cm abgenommen. Die Schmerzen nahmen ab von durchschnittlich 6,1 (Knie) bis 8,4 (Schulter) auf einer numerischen Ratingskala zu Beginn der Behandlung (die von 0 bis 10 reicht) auf 1,5 (Knie) und 1,7 (Schulter); bei den anderen Gelenken waren die Schmerzen noch besser. Insgesamt 3,9% bis 6,8% der Patienten waren als Therapieversager kategorisiert, also als solche, die nach 48 Stunden weniger als 50% Verbesserung erlebt hatten.

Es wäre nun natürlich schön, wenn man eine Kontrollgruppe hätte, bei der mit Gerinnungsfaktor behandelt worden wäre oder alle Patienten nach Einsatz des Gerinnungsfaktors entweder mit Homöopathie oder anders weiterbehandelt worden wären. Dann hätten wir einen wirklich klaren Vergleichsstandard. Aber auch so zeigt uns die Studie: homöopathische Behandlung kann offenbar einen positiven Einfluß auf innere Blutung und die damit verbundenen Entzündungs- und Schmerzprozesse nehmen und offenbar auch langfristig die Tendenzen beeinflussen. Das soll nun natürlich kein Aufruf sein, Plasmabehandlungen einzustellen. Wir erinnern uns: in Entwicklungsländern ist Plasmabehandlung nicht überall und immer möglich. Hier stellt Homöopathie eine günstige und klinisch effektive Ergänzung bereit, wenn und solange keine Plasmabehandlung möglich ist oder nicht verwendet werden kann. Die große Zahl der Patienten, die Konsistenz der Ergebnisse und der relativ deutliche klinische Effekt scheinen mir durchaus interessant zu sein, vor allem weil bei dieser Erkrankung Alternativerklärungen – Placebo-Effekte, natürliche Verbesserungen, Spontanverläufe – eher unwahrscheinlich sind als Erklärungsmodelle.

Referenzen

[1] Smith, G. C. S., & Pell, J. P. (2003). Parachute use to prevent death and major trauma related to gravitational challenge: systematic review of randomised controlled trials. British Medical Journal, 327, 1459-1561. https://www.bmj.com/content/327/7429/1459

[2] Walach, H., Falkenberg, T., Fonnebo, V., Lewith, G., & Jonas, W. (2006). Circular instead of hierarchical – Methodological principles for the evaluation of complex interventions. BMC Medical Research Methodology, 6(29). https://bmcmedresmethodol.biomedcentral.com/articles/10.1186/1471-2288-6-29

Walach, H., & Loef, M. (2015). Using a matrix-analytical approach to synthesizing evidence solved incompatibility problem in the hierarchy of evidence. Journal of Clinical Epidemiology, 68, 1251-1260. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0895435615003212

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H. Walach

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Die populärsten Irrtümer

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– über die Homöopathie und die konventionelle Medizin – Teil 2

Harald Walach

Weil ich in Debatten immer wieder die gleichen falschen Aussagen höre, stelle ich sie hier einmal zusammen mit den entsprechenden Argumenten, Daten und Fakten: Irrtümer, die über die Homöopathie geäussert werden, meistens mit entsprechenden Irrtümern über die Medizin gepaart. Ich hoffe, das entspannt die Debatte, die ich als unnötig polarisiert und wenig konstruktiv wahrnehme. Es geht weiter mit

Irrtum Nr. 2 – Unwissenschaftlich

Die Homöopathie ist empirisch nicht belegt, wohingegen die konventionellen medizinischen Interventionen gut gesichert sind

Das Lieblingsargument aller Homöopathiekritiker ist das der mangelnden empirischen Belegbarkeit homöopathischer Therapie. Ich habe dazu in früheren Blogs immer mal wieder Stellung genommen, daher hier nur so viel: Man kann der Homöopathie nur dann empirische Unwirksamkeit bestätigen, wenn man gewillt ist, etwa 95% aller Befunde zu ignorieren. Das hat damals schon Hahn festgestellt, ein schwedischer Intensivmedizinforscher, der von Homöopathie keinerlei Ahnung hatte und einfach einmal neugierig die Literatur sichtete und bemerkte, dass es erstaunlich viele auch relativ robuste Befunde, gibt: Meta-Analysen, die der Homöopathie signifikante Überlegenheit über Placebo bestätigen.1 Dazu kommt eine große Zahl von Tierversuchen und Pflanzenexperimenten. Man kann all das ignorieren. Aber ist das redlich, frage ich mich?

Ich würde zwei Argumenten zustimmen: Die konventionelle Statistik geht eigentlich davon aus, dass wir keinerlei Vorwissen haben und daher die Ausgangschance auf einen signifikanten Befund 50:50 ist. Das ist aber bei der Homöopathie sicherlich nicht richtig. Denn eigentlich würden wir keinen Effekt erwarten, aufgrund theoretischer Überlegungen (umso erstaunlicher ist es, dass man trotzdem so viele positive Effekte findet, übrigens). Daher gehen Kritiker der Homöopathie davon aus, dass man diese Befunde, die es gibt, anders gewichten muss. Das Argument stimmt zwar theoretisch. Dann müsste man aber eine solche Denkhaltung auch auf alle anderen Interventionen anwenden und eine entsprechende Statistik, nämlich eine Bayes’sche Statistik, und davon sind wir weit entfernt.

Das zweite Argument geht davon aus, dass es in einem Bereich replizierbare Serien von Befunden geben muss. Diese sind in der Homöopathie in der Tat selten. Meistens gibt es viele einzelne klinische Befunde, und dort, wo Wiederholungen vorliegen, gehen Effekte oftmals zurück oder sind schwer zu replizieren. Ich persönlich finde, dies ist eine spezielle empirische Signatur. Denn wenn kein Effekt vorhanden ist, dann würde man nicht erwarten, dass –  wie das in der Regel der Fall ist –  erste Studien riesige Effekte zeigen. Dann würde man erwarten, dass sie manchmal Effekte zeigen und manchmal nicht, statistische Schwankung eben. Aber genau das ist nicht der Fall. Daher scheint mir hinter dieser Signatur ein Effekt verborgen zu sein, den wir noch nicht verstanden haben. Er ist kein klassisch-kausaler. Sonst liesse er sich leichter replizieren. Aber er ist auch nicht einfach ein statistisches Placebo-Rauschen. Sonst würden wir nämlich nicht so konsistent in Meta-Analysen Effekte finden, und in Systemen, in denen nicht mit Placebo-Effekten zu rechnen ist, wie bei gut kontrollierten Pflanzenexperimenten.2-5

Die empirische Situation dürfte ungefähr so wie in der konventionellen Medizin auch sein: das, was wir wirklich wissen, ist nur ein geringer Prozentsatz. Eine Überblicksarbeit über eine Zufallsauswahl von 1016 Reviews aus der Cochrane-Datenbank, also nach harten Kriterien erarbeiteten Zusammenfassungsarbeiten, kam zu dem Schluss, dass wir nur in 3.4% aller Fälle Klarheit über die tatsächliche Wirksamkeit haben (1.4% tatsächlich wirksam; knapp 2% tatsächlich schädlich).6 Bei 43% vermutet man Wirksamkeit, benötigt aber noch mehr Forschungm, bei 48% war es unklar. Bedenkt man, dass wir es hier mit anerkannten, in der klinischen Praxis eingesetzten und von den Kassen in der Regel bezahlten Interventionen zu tun haben, die nach dem vermeintlich rationalen Modell der modernen Medizin entwickelt und beforscht wurden, handelt es sich dabei eigentlich um ein Armutszeugnis. Auch das soll die konventionelle Medizin nicht schlecht machen sondern zeigen: So groß ist der Unterschied zwischen Homöpathie und konventioneller Medizin nicht, was Datenlage und Kenntnisstand angeht.

Links:

Die Europäischen Wissenschaftsakademien und die Homöopathie

Ist Homöopathie also nun ein Placebo? Pros, Cons, und einige Fälle zum Nachdenken

Plausibilitätsbias und die weit verbreitete Meinung, die Homöopathie sei „widerlegt“

Forschungsreader WissHom 2016

Faktencheck Homöopathie (Carstens Stiftung)

FAQ’s HRI (Homeopathy Research Institute)

Referenzen zu diesem Beitrag:

  1. Hahn RG. Homeopathy: Meta-Analyses of pooled clinical data. Forschende Komplementärmedizin 2013; 20: 376-81. https://www.karger.com/Article/FullText/355916
  2. Jäger T, Scherr C, Shah D, et al. Use of homeopathic preparations in experimental studies with abiotically stressed plants. Homeopathy 2011; 100: 275-87.
  3. Jäger T, Scherr C, Simon M, Heusser P, Baumgartner S. Effects of homeopathic arsenicum album, noside, and gibberellic acid preparations on the growth rate of arscenic-impaired duckwee (Lamna gibba L.). Scientific World Journal 2010; 10: 2112-29.
  4. Scherr C, Simon M, Spranger J, Baumgartner S. Effects of potentised substances on growth rate of the water plant Lemna gibba L. Complementary Therapies in Medicine 2009; 17: 63-70.
  5. Majewsky V, Arlt S, Shah D, et al. Use of homeopathic preparations in experimental studies with healthy plants. Homeopathy 2009; 98: 228-43.
  6. El Dib RP, Atallah AN, Andriolo RB. Mapping the Cochrane evidence for decision making in health care. Journal of Evaluation in Clinical Practice 2007; 13: 689-92.

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Fairplay bitte!

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Ein Plädoyer für unparteiische Berichterstattung und Forschung in der Homöopathie

Einige Gedanken zu aktuellen Berichterstattungen zur Homöopathie und warum Homöopathie in der Kinderonkologie weder gefährlich noch irreführend ist

«To be free is not merely to cast off ones chains, but to live in a way that respects and enhances the freedom of others»  Nelson Mandela

Katharina Gaertner, Universität und Inselspital Bern

Es ist schon verwunderlich, wie viel Misstrauen homöopathischen Arzneimitteln und ihren Anwendern entgegengebracht wird. Kritiker werden nicht müde sich in Wortspielereien oder wiederholten Zitaten von unwissenschaftlichen Artikeln und Falschmeldungen zu ergehen, ohne eigene Untersuchungen anzustellen oder wissenschaftliches Arbeiten zu unterstützen um offene Fragen zu beantworten. So kam es kürzlich wieder zu diversen Anschuldigungen auf universitäre Einrichtungen, welche integrative Konzepte mit unterstützenden, zusätzlich zur konventionellen Therapie eingesetzten, homöopathischen Interventionen verfolgen [1 – 3]. In der Argumentation stützen  sich die Autoren dabei erneut hauptsächlich auf eine sinnlose, indikationsübergreifende und wissenschaftlich höchst fragwürdige [4] Untersuchung des australischen Gesundheitsministeriums [5] und lassen ausser Acht, dass es unzählige gegensätzliche Untersuchungen gibt [e.g. 6, 7].

Wäre es nicht an der Zeit, dem Wunsch der Bevölkerung (auch in Deutschland) [8, 9] nachzukommen und genauer hinzusehen, anstatt sich in Allgemeinplätzen zu verlieren und ein und dasselbe, bereits widerlegte Argument [6, 7], es gäbe keine wissenschaftlichen Beweise wieder und wieder herunterzubeten und als einzigen Beleg dafür ein oder zwei „Expertenmeinungen“ zu zitieren? Wäre es nicht an der Zeit, sich auf ein Fairplay zu einigen, Transparenz für die Bevölkerung zu schaffen und die Universitäten ihre Arbeit machen zu lassen?

Beginnen wir also mit Fairplay von unserer Seite:

Ja, über alle verschiedenen medizinischen Anwendungen homöopathischer Arzneien für die unterschiedlichsten Krankheitsbilder kann keine allgemeine Aussage hinsichtlich der Wirksamkeit getroffen werden. Bei genauerem Hinsehen finden sich jedoch 53 unterschiedliche Indikationen zu denen mindestens zwei kontrollierte Studien vorliegen, welche eine spezifische Intervention mit einer oder mehreren spezifischen homöopathischen Arzneie(n) testen [10]. Zumindest diese Studien sollten für diese spezifischen Fragestellungen hinsichtlich Ihrer Güte näher untersucht werden. Betrachten wir also zum Beispiel die gerade so in Verruf geratene, zusätzlich homöopathische Behandlung in der (Kinder-)onkologie: In der laufend aktualisierten, auf den «Clinical Practice Guidelines» des Institute of Medicine basierenden, online Version für therapeutische Praxisempfehlungen «uptodate» wird hierzu eine Kohortenstudie [11] und zwei unkontrollierte Beobachtungsstudien [12, 13] bezüglich der Symptomkontrolle durch individualisierten homöopathischen Verschreibungen zitiert. Die Autoren sehen damit genügend empirische Grundlage diese Therapie in dem so schwierigen Feld austherapierter Patientinnen als additive Therapie einzusetzen [14]. Dem könnten nach ausführlicher Recherche sogar noch weitere pragmatische randomisiert-kontrollierte Studien mit gutem klinischen Erfolg hinzugefügt werden [15, 16]. Ebenfalls existieren Studien zu homöopathischen Routineverschreibungen, mit positiven Effekten bei der Nebenwirkungskontrolle von Krebspatienten [17, 18]. Nun beziehen sich diese Empfehlungen natürlich auf erwachsene Patientinnen und noch liegt keine Evidenz durch kontrollierte Studien im Bereich der pädiatrischen Krebspatientinnen vor, jedoch zeigen Fallserien und langjährige positive Erfahrung durch Betroffene und Behandelnde [19], dass es längst an der Zeit wäre eine weitere kontrollierte Studie finanziell zu unterstützen. Das wäre dann, nun ja, fairplay eben.

Die angesprochenen Universitäten tragen mit ihrem Angebot zu der Möglichkeit der weiteren Erforschung der subjektiv und objektiv erfolgsversprechenden homöopathischen Therapien bei. Sie handeln damit ganz im Sinne universitärer Grundsätze. Wir können als faire Player in einer demokratischen Gesellschaft natürlich dieser Kakophonie der Hetzer nicht die Meinungsäusserungen verbieten,  jedoch plädiere ich dafür, dass Universitätskrankenhäuser sich nicht durch das Foulplay einiger mächtiger Unwissender beirren lassen und Patienten und Ärzten weiterhin die Möglichkeit und Freiheit lassen, sich nach bestem Wissen und Gewissen, und auf Basis der vorliegenden international anerkannten Empfehlungen [11], für die im Einzelfall als beste erscheinende Therapie entscheiden zu dürfen.

Referenzen

[1] Karberg S & Woratschka R. Heftige Kritik an Berliner Uniklinik: Charité-Webseite enthielt Lob für Homöopathie gegen Krebs [Internet, 22.08.2018: https://www.tagesspiegel.de/politik/heftige-kritik-an-berliner-uniklinik-charite-webseite-enthielt-lob-fuer-homoeopathie-gegen-krebs/22941508.html, zitiert am 12. September 2018].

[2] Feldwisch Drentrup H. Charité in der Kritik: «Homöopathie hat an Uniklinika keinen Platz» [Internet, 06.08.2018: https://medwatch.de/2018/08/06/charite-in-der-kritik-homoeopathie-hat-an-uniklinika-keinen-platz/, zitiert am 12. September 2018].

[3] Winnat C. Münchener Uniklinik wegen Homöopathie in der Kritik [Internet, 20.08.2018: https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/gesundheitswirtschaft/article/966347/muensteraner-kreis-uniklinik-wegen-homoeopathie-kritik.html, zitiert am 12. September 2018].

[4] Tournier A & Roberts R. Response by the Homeopathy Research Institute to ‘the Australian Report’ NHMRC Information Paper: ‘Evidence on the Effectiveness of Homeopathy for Treating Health Conditions’ National Health and Medical Research Council, März 2015.[Pressemitteilung]. Homeopathy Research Institute, 2016. [Internet: https://www.hri-research.org/wp-content/uploads/2016/02/HRI-Response-to-NHMRC-Information-Paper.pdf, zitiert am 15. August 2018].

[5] Council AHaMR. NHMRC Information Paper: Evidence on the effectiveness of homeopathy for treating health conditions. National Health and Medical Research Council; 2015. [Internet: www.nhmrc.gov.au/guidelines-publications/cam02, zitiert am 15. August 2018].

[6] Bornhöft G, Wolf U, von Ammon K, Righetti M, Maxion-Bergemann S, Baumgartner S, Thurneysen AE, Matthiessen PF. Effectiveness, safety and cost-effectiveness of homeopathy in general practice – summarized health technology assessment. Forsch Komplementmed. 2006;13 Suppl 2:19-29. Epub 2006 Jun 26.

[7] WissHom. Forschungsbericht Homöopathie: Der aktuelle Stand der Forschung zur Homöopathie: Versorgungsforschung, Randomisierte kontrollierte klinische Studien, Meta-Analysen und Grundlagenforschung. Hrsg.: Wissenschaftliche Gesellschaft für Homöopathie (WissHom). Köthen (Anhalt), Mai 2016. 56 Seiten.

[8] De Sombre S. Homöopathische Arzneimittel 2014. Bekanntheit, Verwendung und Image. Ergebnisse einer bevölkerungsrepräsentativen Umfrage. Allensbach: Institut für Demoskopie Allensbach; 2014 [Internet: https://www.bah- bonn.de/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=4233&token=8724d36ab6615321300b76f72312 6d5e07d6e21e, zitiert am 07.08.2015]

[9] DHU Pressemitteilung.  August 2018 [Internet: http://httpwww.dhu.n2g32.com/cnyhl59z-nnkgk907-mtyc76jn-qza, zitiert am 12.09.2018]

[10] Gaertner K, Torchetti L, Kundi M, Mittal R, Khurana A, Manchanda RK, Frass M. Literature overview of Controlled clinical studies with Homeopathic Medicines and Interventions. 72nd LMHI-Kongress, 05.-08. September, Kapstadt, Südafrika. Vortrag

[11] Guethlin C, Walach H, Naumann J, et al. Characteristics of cancer patients using homeopathy compared with those in conventional care: a cross-sectional study. Ann Oncol 2010; 21:1094.

[12] Thompson EA, Mathie RT, Baitson ES, et al. Towards standard setting for patient-reported outcomes in the NHS homeopathic hospitals. Homeopathy 2008; 97:114.

[13] Thompson EA, Reilly D. The homeopathic approach to the treatment of symptoms of oestrogen withdrawal in breast cancer patients. A prospective observational study. Homeopathy 2003; 92:131.

[14] Strada EA, Russel KP. Psychological, rehabilitative, and integrative therapies for cancer pain. Abraham J, ed. UpToDate. Savarese, DMF: UpToDate Inc. http://www.uptodate.com [Internet: https://www.uptodate.com/contents/psychological-rehabilitative-and-integrative-therapies-for-cancer-pain?topicRef=14248&source=see_link#H44713537, zitiert am 12. September 2018]

[15] Frass M, Friehs H, Thallinger C, Sohal NK, Marosi C, Muchitsch I, Gaertner K, Gleiss A, Schuster E, Oberbaum M. Influence of adjunctive classical homeopathy on global health status and subjective wellbeing in cancer patients -a pragmatic randomized controlled trial. Complement Ther Med. 2015;23(3):309-317.

[16] Thompson E, Montgomery A, Douglas D, Reilly D. A Pilot, Randomized, Double-Blinded, Placebo-Controlled Trial of Individualized Homeopathy for Symptoms of Estrogen Withdrawal in Breast-Cancer Survivors. J Altern Complement Med. 2005;11(1):13-20.

[17] Balzarini A, Felisi E, Martini A, De Conno F. Efficacy of homeopathic treatment of skin reactions during radiotherapy for breast cancer: a randomised, double-blind clinical trial. Br Homeopath J. 2000;89:8-12.

[18] Schlappack O. Homeopathic treatment of radiation-induced itching in breast cancer patients. A prospective observational study. Homeopathy 2004; 93:210.

[19] Magi T, Kuehni CE, Torchetti L, Wengenroth L, Lüer S, Frei-Erb M. Use of Complementary and Alternative Medicine in Children with Cancer: A Study at a Swiss University Hospital. PLoS One. 2015 Dec 22;10(12):e0145787. doi: 10.1371/journal.pone.0145787. eCollection 2015.

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Spieglein, Spieglein an der Wand…

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wer heilt Atemwegsinfekte im Land?

Ein Review der Cochrane Collaboration zur homöopathischen Behandlung von Atemwegsinfekten stellt fest: Keine Wirkung über Placebo hinaus. – Lesen Sie die Details

Harald Walach, Katharina Gaertner

Die Grippewelle ist gerade vorbei, da verkündet die Cochrane Collaboration: Homöopathie hilft bei Atemwegsinfekten von Kindern nicht besser als Placebo [1]. Und damit es auch keiner übersieht, legt Spieglein an der Wand nach und meint, wieder einmal sei die Unwirksamkeit der Homöopathie bewiesen. Wollen wir ein paar genauere Blicke auf die Daten und ihre Interpretation werfen und die Frage stellen: falls Homöopathie wirklich so unwirksam ist, welche anderen, wirksamen, vielleicht konventionellen Alternativen hat denn unsere Medizin so auf Lager, wenn man der Cochrane Collaboration folgt? Aber der Reihe nach:

Wirkt Homöopathie bei oberen Atemwegsinfekten von Kindern?

 

Die Autoren des Cochrane Reviews(*) sagen: Nein. Sie stützen ihre Aussage auf acht Studien, und zwar nur auf doppelblinde, placebo-kontrollierte. Das ist allgemeiner Standard bei den Cochrane Reviews, falls es solche Studien gibt, weil sie laut geltender Lehrmeinung die besten Aussagen zulassen. Dass diese Meinung nicht unbedingt überzeugend ist, habe ich mehrfach dargelegt [2,3], weil sie zu Paradoxa, u.a. dem Wirksamkeitsparadox führt [4]. Dieses ist mittlerweile auch von anderen mit Hilfe von Daten aus der Migräneforschung nachgewiesen worden [5]; aber das wollen wir jetzt nicht weiter verfolgen.

Die älteste Studie von Elli de Lange de Klerk [6] untersuchte insgesamt 175 Kinder über ein halbes Jahr, die individualisiert homöopathisch behandelt worden waren. Der Effekt ist nicht signifikant und klinisch klein (d = 0.14, also etwas mehr als eine zehntel Standardabweichung, was wirklich nicht sehr viel ist). Allerdings zeigt sich bei den homöopathisch behandelten Kindern weniger Antibiotikaverbrauch nach einem Jahr. Dieser Effekt ist mit einer Odds Ratio von 1.68 interessant (p = 0.09), weil er einen langfristigen Präventionseffekt zu spiegeln scheint. [Eine Odds Ratio ist das Verhältnis von gebesserten zu nicht gebesserten Patienten. Wenn sie gleich 1 ist, gibt es keinen Unterschied. In diesem Falle hätten homöopathisch behandelte Kinder eine 68% höhere Chance ohne Antibiotika auszukommen.]

Jennifer Jabocs [7, 8] legte zwei Studien vor, bei denen der akute Effekt bei Otitis media bzw. Atemwegsinfekten überprüft werden sollte. Die erste Studie war eine Pilotstudie mit wenigen Kindern, die den akuten Effekt über einen komplexen Symtpomenscore nach 3 Tagen überprüfte. Die homöopathisch behandelten Kinder waren tendenziell nach 3 Tagen eher geheilt; die Odds Ratio (OR) betrug 1.84, die allerdings aufgrund der kleinen Patientenzahl nicht signifikant war. Die zweite Studie untersuchte die Wirksamkeit eines homöopathischen Hustensirups, allerdings mit der etwas merkwürdigen Zielgröße von Symptomenscores nach einer Stunde. In diesem Falle war die Placebogruppe mit einer OR = 0.95 leicht besser. Eine neuere spanische Studie [9] untersuchten die Wirksamkeit einer fixen Kombination bei Otitis media gegenüber Placebo als Zusatzbehandlung. Der Effekt war mit einer OR = 1.36 nicht signifikant und klein. Kombiniert man diese Studien meta-analytisch – etwas was die Autoren nicht getan haben – dann findet man eine nichtsignifikante Effektgröße von OR = 1.26 (p = 0.16). Homöopathisch behandelte Kinder haben also eine 26% bessere Chance einen Therapieerfolg zu erleben oder am Ende bessere Symptomenscores zu haben; allerdings ist die Irrtumswahrscheinlichkeit für eine solche Aussage hoch.

Eine indische Studie fällt etwas aus dem Rahmen [10]: sie verglich homöopathische Therapie mit konventioneller bei 80 Patienten. In der Homöopathiegruppe wurden 38 von 40 geheilt, zwei konnten nicht dokumentiert werden. In der konventionellen Gruppe waren am Ende alle 40 geheilt. Allerdings hatte in der Homöopathiegruppe kein Patient Antibiotika nötig, wohingegen in der konventionellen Gruppe 39 von 40 Patienten Antibiotika erhalten hatten. Die Autoren folgern, dass homöopathische Therapie genauso gut wie konventionelle funktioniere, vor allem auch deshalb, weil der Therapieerfolg in der Homöopathiegruppe schon früher eintritt.

Eine südafrikanische Studie untersuchte an 30 Kindern mit Tonsillitis den Effekt eines homöopathischen Komplexarzneimittels und fand einen sehr großen, statistisch signifikanten Effekt (d = 1.4) [11].

Aslak Steinsbekk  und Kollegen untersuchten einen präventiven Ansatz: Eltern von Kindern mit wiederkehrenden Infekten konnten entsprechend der Konstitution ihrer Kinder eine von drei homöopathischen Arzneien auswählen, die dann 3 Monate lang gegeben wurden, verglichen mit Placebo. Der Symptomenscore war am Ende der Untersuchungszeit in beiden Gruppen gebessert, in der Placebogruppe sogar leicht besser.

Schließlich wird noch eine präventive Studie aus Brasilien angeführt [13]: Insgesamt 600 Kinder erhielten präventiv entweder einen homöopathisch zubereiteten „Impfstoff“ aus lebendigen Grippeviren in der Potenz D30, oder eine homöopathische Arznei aus abgetöteten bakteriellen Erregern (eine sog. Nosode), ebenfalls in der D30, oder Placebo. 12 Monate später wurde über das öffentliche Gesundheitssystem die Anzahl der Grippefälle und akuter respiratorischer Infekte dokumentiert. Von den 75% der Kinder, die die Studie über durchgehalten haben zeigten diejenigen, die die homöopathischen Nosoden erhalten hatten, signifikant weniger Grippe- und akute Atemwegsinfekte ein Jahr später.

Lassen wir einmal die Frage außer Acht, wie gut die Studien waren – sie waren in den meisten Fällen einigermaßen in Ordnung, sieht man von der indischen und brasilianischen ab – und fragen uns: Wie gut war die Methode der Homöopathie in diesen Studien umgesetzt worden, so sehen wir: Nur de Lange de Klerk und Sinha haben Homöopathie in ihrer Bandbreite untersucht. Alle anderen Studien haben eine Kurzform oder eine Spielart der Homöopathie untersucht. Der Bericht von Sinha lässt einige wichtige Details vermissen und dokumentiert die annähernde Gleichwertigkeit konventioneller und homöopathischer Therapie. De Lange de Klerk zeigt eine marginale Überlegenheit der Homöopathie. Die andern Studien eignen sich nicht wirklich dazu, eine Aussage zu treffen. Die brasilianische Präventionsstudie ist interessant, hat aber eine zu große Anzahl von fehlenden Daten. Die südafrikanische Tonsillitis-Studie zeigt einen großen Effekt, welcher jedoch nur auf einer sehr kleinen Studienpopulation beruht. Die spanische Studie und die zweite Studie von Jennifer Jacobs untersuchten eine Fixarznei-Kombination, was eigentlich dem Individualisierungsprinzip widerspricht. Die Indikationen der norwegischen und der ersten Jacobs-Studie sind ebenfalls eher sehr grobschlächtig.

Wir halten fest:

  1. Homöopathie im eigentlichen Sinne ist schlecht untersucht und sollte von der Einnahme von potenzierten Arzneimitteln unterschieden werden.
  2. Die hier aufgenommen Studien lassen keinen allgemeinen Schluss zu.
  3. Fasst man die Daten, die einigermaßen gut verglichen werden können statistisch zusammen, sieht man nicht-signifikante Effekte zugunsten von Homöopathie und potenzierten Arzneimitteln.

Damit ist die Aussage: „Der Cochrane Review zeigt, dass Homöopathie nicht wirkt“ sachlich falsch und methodisch-inhaltlich aufgrund der Daten gar nicht zu treffen. Mal abgesehen von der Tatsache, dass das Vorliegen mangelnder Wirksamkeitsdaten kein Beweis für die mangelnde Wirksamkeit wäre. „Wir wissen nicht, ob x wirkt“ heisst nicht „Wir wissen, dass x nicht wirkt“. Falsche Logik, liebes Spieglein.

Gibt es andere Hinweise auf die Wirksamkeit der Homöopathie?

Cochrane Reviews nehmen i.d.R. nur randomisierte, oft placebo-kontrollierte Studien in ihre Reviews auf. Dahinter steckt die Logik: nur diese Studien sind so verzerrungsfrei wie möglich. Dies ist auch nicht falsch, aber nicht die ganze Wahrheit. Denn andere Studie geben uns oft andere wichtige Informationen (zum Beispiel, welche Interventionen bei welchen Kollektiven (Patienten) positive oder negative Effekte zeigen und damit sinnvoll oder nicht sind). Randomisierte Studien haben ihre eigenen Probleme: Sie erfassen immer nur ein sehr begrenztes Kollektiv in einem experimentellen Setting. Das führt dazu, dass viele Praktiker beklagen die Ergebnisse nicht in den Alltag integrieren zu können (Freeman AC, Sweeney K. Why general practitioners do not implement evidence: Qualitative study. BMJ 2001;323:1100– 1102; Green ML, Ruff TR. Why do residents fail to answer their clinical questions? A qualitative study of barriers to practic- ing evidence-based medicine. Acad Med 2005;80:176–182). In Anbetracht der Tatsache, dass es für viele medizinische Interventionen gar keine Evidenz durch kontrollierte Studien, geschweige denn randomisierten gibt (so wie dies Untersuchungen des British Medical Council für 3000 beispielhafte medizinische Interventionen belegen), fragt sich daher ob sich der erheblich höhere finanzielle Aufwand der randomisierten Studien für die klinische Praxis letztendlich wirklich lohnt. Diese Frage wird allerdings leider weder von Betroffenen noch von den Medien diskutiert. Abgesehen davon kann man auch inhaltlich argumentieren, dass eine lebensweltliche Untersuchung, also ohne irgendeine experimentelle Intervention näher an der Wirklichkeit ist. Daher wären naturalistische Kohortenstudien an sich mindestens ebenso gut geeignet, die Effekte der Homöopathie zu untersuchen. Und eigentlich hätten die Cochrane-Review Autoren auch an den Stellen, wo sie selber fanden, dass zu wenig Daten vorliegen oder die vorliegenden Daten nicht ausreichend stabil sind, auf solche Kohortenstudien zurückgreifen müssen, wenn sie ihrem eigenen Handbuch gefolgt wären. Haben sie aber nicht. Daher werden wir das bei Gelegenheit nachholen und die insgesamt 25 Kohortenstudien, die es auch noch gibt, in einem matrix-analytischen Verfahren mit den Daten der vorliegenden randomisierten Studien verknüpfen, wie wir es vorgeschlagen [3] und anhand eines anderen Modells gerade eben vorgeführt haben [14].

Einen kleinen Hinweis mag uns die zweite Studie von Aslak Steinsbekk geben, die nicht in den Review aufgenommen wurde [15]: Dort wurden 82 Kinder mit oberen Atemwegsinfekten von Homöopathen klassisch und individualisiert behandelt. Die Kontrollgruppe, 87 Kinder, mussten erst 3 Monate auf eine Behandlung warten, erhielten danach aber eine. Das ist insofern eine realistischere Situation, weil damit alle Patienten die Behandlung bekommen, deretwegen sie an der Studie teilnehmen. Die Behandler sind nicht verblindet und können frei aus ihrem Arzneischatz wählen. Damit ist die Studie pragmatisch, weil sie nicht die Frage stellt, ob Homöopathie besser ist als Placebo, sondern ob Homöopathie den normalen Krankheitsverlauf verändert. Das ist exakt die Frage, die auch einen kranken Menschen interessiert. Homöopathie verändert den Krankheitsverlauf: der Symptomenscore ist mit 24 signifikant tiefer als bei der Kontrolle mit 44. Die Patienten sind ohne Homöopathie im Median 13 Tage krank, mit Homöopathie 8 Tage, ein deutlicher und statistisch signifikanter Unterschied.

Wir hatten noch nicht die Zeit, uns alle 25 Kohorten- oder pragmatischen Studien anzusehen. Aber an dem kleinen Beispiel sehen wir: Das letzte Wort dürfte noch nicht gesprochen sein

Welche anderen Optionen bietet uns die moderne Medizin?

Nun könnte ja der postmoderne Fan der pharmakologischen Wunderwaffen auf die Idee kommen, die moderne Medizin hat doch sicher noch ein paar wirksame Pfeile im Köcher, ohne dass man die armen Kinder und die noch ärmeren Eltern an die Medizin der finsteren Zeiten, die magische Homöopathie verweisen muss, nicht wahr? Daher haben wir uns mal die Cochrane Library durchgesehen. Wenn man diese Datenbank mit dem einfachen Suchbegriff „Upper Respiratory Tract Infection in Children“ durchsucht, erhält man 15 Treffer, unseren Review von Hawke [1] mit eingeschlossen. Zwei von diesen Treffern sind allerdings nur Studien an Erwachsenen und fallen weg.

Die anderen Studien sind in der Tabelle zusammengefasst:

Autoren Ergebnis Kommentar
Gegenstand
Anzahl Studien
Hawke 2017 kleine, nicht signifikante Effekte Siehe Text
Homöopathie bei URTI
8 Studien, 1562 Kinder
Chalumeau 2013 Fieber: Risk Difference = 5% (ns) (3 Kinder vs. 0) nach einer Woche; Husten: Risk Difference = 10% (sign) Dyspnoea: RD = 3% (ns), alles nach einer Woche kleiner und lt. Autoren unbedeutender Effekt
Acetylcystein bei URTI bei Kindern
6 Studien;  n =  497
Su 2016 insufficient evidence
Astragalus (TCM Arznei) zur Prävention häufiger URTI Infekte bei Kindern
120 Publikationen, keine Studien einschliessbar
Galvao 2016 Amoxicillin zur Verhinderung von Otitis: RR = 0.7, nicht sign. Ampicillin RR 0 1.05, nicht sign kein Effekt; nicht empfohlen; Nebenwirkungen nicht untersuchbar
Antibiotika zur Prävention eitriger Komplikationen bei Kindern mit häufigen URTIs
4 Studien; n = 1314 Kinder
O’Sullivan 2016 Information reduziert die Verschreibung von Antibiotika (RR = 0.47) und die Verwendung (RR = 0.53) durch Eltern allerdings erhöht Rückmeldung wiederum die Verschreibung
Written information to reduce antibiotic use
2 Studien, n = 827
King 2015 d = 0.31 in einer Studie mit Kindern; kleiner Effekt auf einer 4 Punkte Skala
Salzlösungsspülung zur Behandlung von URTIs
5 Studien, 544 Kinder, 205 Erwachsene
Fortanier 2014 Relative Risikoreduktion von 5% (high risk) und 7% (insgesamt); anderes Vakzin 33% kleine Effekte; keine Kontrollen gegen nicht behandelte Kinder; keine Sicherheitsdaten
Pneumokokken Vakzin zur Verhinderung von Otitis Media
9 Studien, 48.426 Kinder
Sjoukes 2016 Unterschied zwischen Placebo und Paracetamol (10% Kinder mit Schmerzen vs. 25% Kinder nach 48 Stunden; RR = 0.38) und Ibuprofen (7% Kinder mit Schmerzen vs. 25% Kinder nach 48 hM, RR = 0.25); low quality evidence; kein Unterschied zwischen den Substanzen; keine guten Daten zu Sicherheit Despite explicit guideline recommendations on its use, current evidence on the effectiveness of paracetamol or NSAIDs, alone or combined, in relieving pain in children with AOM is limited. Low quality evidence indicates that both paracetamol and ibuprofen as monotherapies are more effective than placebo in relieving short-term ear pain in children with AOM.
Paracetamol bei Ohrschmerzen
3 Studien, 327 Kinder
Moraa 2013 Kurzfristiger Effekt in einer Studie; evtl. ist der Effekt gleich wie der von Sauerstoff; insgesamt nicht klar grössere Studien nötig
Helium-Oxygen Inhalation bei Krupp
3 Studien, 91 Kinder
Kenealy 2013 kein Effekt: RR = 0.95, aber mehr Nebenwirkungen RR = 1.8, vor allem bei Erwachsenen RR = 2.61 für Nebenwirkungen; bei Schnupfen war der Effekt etwas besser (RR = 0.73), aber nicht signifkant, die Nebenwirkungen schon sollte man definitiv nicht anwenden
Antibiotika bei Erkältung und eitrigem Schnupfen
11 Studien, 1047 Patienten
Smith 2014 Bei Kindern waren Antitussiva, Antihistaminika und Bronchodilatoren nicht effektiver als Placebo; eine Studie zeigte einen Effekt von Mukolytika; eine Studie zeigte Überlegenheit zweier Expektorantien über Placebo; eine Studie zeigte Überlegenheit von Honig gegenüber Kontrolle There is no good evidence for or against the effectiveness of OTC medicines in acute cough. This should be taken into account when considering prescribing antihistamines and centrally active antitussive agents in children; drugs that are known to have the potential to cause serious harm.
OTC Medikation für Husten (Standardexpektorationen, Codein, etc.)
29 Studien, 4835 Patienten
Hayward 2015 zwei Studien zeigten keinen Effekt, eine Studie war schlecht gemacht und zeigte einen Effekt Current evidence does not support the use of intranasal corticosteroids for symptomatic relief from the common cold.
Corticosteroids for the common cold
3 Studien, 353 Patienten
Hayward 2012 nach 24 Stunden RR = 3.2, nach 48 h RR = 1.7, hochsignifikant keine Unterschiede in Relapse oder Nebenwirkungen, aber schlechte Dokumentation von Nebenwirkungen
Corticosteroids for sore throat
8 Studien, 743 Teilnehmer
van Aardweg 2010 in einer Studie keine Effekte, ansonsten keine interpretierbaren Ergebnisse die homöopathische Studie fehlt
Adenoidektomie bei wiederkehrenden Erkältungssymptomen
2 Studien
De Sutter 2015 kurzfristiger Effekt: OR = 0.74 (45% vs 38% unter Placebo hatten eine Besserung am 1. Tag); kein Effekt danach; kleiner Effekt auf Symptome wie Schnupfen (d = 0.23) und Niesen (d = 0.35); Nebenwirkungen: Müdigkeit; bei Kindern kein klarer Effekt There is no evidence of effectiveness of antihistamines in children.
Antihistaminika für Erkältung
18 Studien, 4243 Patienten

Eine TCM Intervention (Su 2016) lässt sich nicht interpretieren, weil keine entsprechend einschließbaren Studien vorliegen. Die berühmteste Intervention von allen, Antibiotika-Therapie, wird aufgrund der vorliegenden Datenlage definitiv nicht empfohlen. Sie wirkt nicht und sie führt zu Resistenzen und Nebenwirkungen. Antihistaminika haben einen kleinen Effekt, aber auch deutliche Nebenwirkungen (Müdigkeit); bei Kindern sind die Effekte unklar, weswegen sie nicht empfohlen werden. Ibuprofen und Paracetamol, also Entzündungshemmer, wirken bei Ohrenschmerzen besser als Placebo, allerdings fehlen Daten zur Sicherheit (und angesichts der Tatsache, dass diese Entzündungshemmer in England zu den Einzelsubstanzen mit den meisten Todesfällen gehören [16], fragt man sich, ob eine Empfehlung bei Kindern wirklich verantwortbar ist). Corticosteroide wirken bei Halsweh, nicht aber bei Schnupfen. Man könnte noch eine Salzlösungsspülung ins Auge fassen. Die funktioniert nämlich sogar. Besser sind allerdings Probiotika. Die wirken tatsächlich; eine andere komplementärmedizinische Intervention übrigens, die vor gar nicht allzu langer Zeit noch verteufelt wurde. Die übrigen Sachen, die der Doktor so gerne verschreibt: Schleimlöser und andere Dinge, die man so gegen Husten in der Apotheke bekommt: mindestens bei Kindern wirken sie nicht. Dann schon lieber Honig. Der wirkt. Pneumokokkenimpfung könnte man noch präventiv gegen Otitis media überlegen. Allerdings ist die relative Risikoreduktion gering und die Studien geben wenig Information zur Sicherheit. Die beliebte Mandeloperation hat langsam ausgedient: sie zeigt keine Wirkung.

So, damit wären wir am Ende der Leiter, mindestens was die von der Cochrane Collaboration erfassten Interventionen angeht, die allerdings in der Regel die wichtigeren und umstritteneren zuerst unter die Lupe nimmt.

Fassen wir zusammen:

Groß sind die Behandlungsoptionen für Kinder mit oberen Atemwegsinfekten nicht, wenn man wirksame und sichere Behandlungen sucht. Auch für diese Indikation gibt es keine guten Belege für die meisten Standardinterventionen. Hustenlöser, Schleimlöser, Antibiotika, Antihistaminika und Co, sind nicht wirksam. Manche sind wirksam, aber nicht unbedenklich. Am ehesten noch Probiotika, Kochsalzlösung zum Nasenspülen. Corticosteroide funktionieren definitiv, wenigstens bei Halsschmerzen (puh, wenigstens irgendwas, könnte man denken). Aber wollen wir damit wirklich schon bei kleinen Kindern anfangen? Also wollen wir vielleicht doch lieber mal unser Glück bei so einem wachsweichen, unklaren, schlecht verstandenen, die postmoderne Rationalität ärgernden Verfahren wie die Homöopathie versuchen? Die Daten sind mindestens so vielversprechend oder nichtssagend wie bei irgendeiner anderen Intervention, die der Hausarzt so im Köcher hat. Aber es gibt möglicherweise noch ein paar Daten, die bislang nicht berücksichtigt worden sind.

Spieglein, Spieglein an der Wand…. wer heilt jetzt Atemwegsinfekte im Land?

(*) Cochrane Reviews werden von einem Netzwerk von freiwilligen Forschern nach einheitlichen Qualitätskriterien erstellt. Meistens suchen sich Autoren, die sich für ein Krankheitsbild interessieren, Interventionen, die in der Regel bei diesem Krankheitsbild angewandt werden. Die Autoren sind gehalten möglichst umfassende Suchstrategien anzuwenden und die Studien nach einem Schema danach zu bewerten, wie hoch die Gefahr ist, dass die Daten aufgrund methodischer Schwächen verzerrt sind. Normalerweise werden nur randomisierte Studien verwendet. Wo diese nicht vorliegen, oder zu unklaren Ergebnissen führen, sollten an sich auch andere Daten – Kohortenstudien oder pragmatische Vergleichsstudien – herangezogen werden. Das unterlassen aber viele Autoren, weil damit deutlich mehr Aufwand einher geht. Wenn möglich, werden die Daten quantitativ mit einer Meta-Analyse zusammengefasst. Da sich die Arbeitsgruppen dazu verpflichten, ihre Reviews auf dem Laufenden zu halten, werden sie i.d.R. immer dann auf den neuesten Stand gebracht, wenn wieder neue Informationen vorliegen. Cochrane Reviews stehen daher im Ruf besonders zuverlässig, aber auch besonders streng zu sein.

Literatur

[1] Hawke, K., van Driel, M. L., Buffington, B. J., McGuire, T. M., & King, D. (2017). Homeopathic medicinal products for preventing and treating acute respiratory tract infections in children (review). Cochrane Database of Systematic Reviews(4), Art. CD005974.

[2] Walach, H., Falkenberg, T., Fonnebo, V., Lewith, G., & Jonas, W. (2006). Circular instead of hierarchical – Methodological principles for the evaluation of complex interventions. BMC Medical Research Methodology, 6(29).

[3] Walach, H., & Loef, M. (2015). Using a matrix-analytical approach to synthesizing evidence solved incompatibility problem in the hierarchy of evidence. Journal of Clinical Epidemiology, 68, 1251-1260.

[4] Walach, H. (2001). Das Wirksamkeitsparadox in der Komplementärmedizin. Forschende Komplementärmedizin und Klassische Naturheilkunde, 8, 193-195.

[5] Meissner, K., Fässler, M., Kleijnen, J., Hróbjartsson, A., Schneider, A., Antes, G., et al. (2013). Differential effectiveness of placebo treatments: A systematic review of migraine prophylaxis. JAMA Internal Medicine, 173, 1941-1951.

[6] De Lange De Klerk, E. S., Blommers, J., Kuik, D. J., Bezemer, P. D., & Feenstra, L. (1994). Effect of homoeopathic medicines on daily burden of symptoms in children with recurrent upper respiratory tract infections. British Medical Journal, 309, 1329-1332.

[7] Jacobs, J., Springer, D. A., & Crothers, D. (2001). Homeopathic treatment of acute otitis media in children: a preliminary randomized placebo-controlled trial. Pediatric Infectious Disease Journal, 20, 177-183.

[8] Jacobs, J., & Taylor, J. A. (2016). A randomized controlled trial of a homeopathic syrup in the treatment of cold symptoms in young children. Complementary Therapeis in Medicine, 29, 229-234.

[9] Pedrero-Escalas, M. F., Jimenz-Antolin, J., Lassaletta, L., Diaz-Saez, G., & Gavilán, J. (2016). Hospital clinical trial: Homeopathy (Agraphis nutans 5CH, Thuja occidentalis 5 CH, Kalium muriaticum 9 CH and Arsenicum iodatum 9 CH as adjuvant, in children with otitis media. International Journal of Pediatric Otorhinolaryngology, 88, 217-223.

[10] Sinha, M. N., Siddiqui, V. A., Nayak, C., Singh, V., Dixit, R., Dewan, D., et al. (2012). Randomized controlled pilot study to compare homeopathy and conventional therapy in acute otitis media. Homeopathy, 101, 5-12.

[11] Malapane, E., Solomon, E. M., & Pellow, J. (2014). Efficacy of a homeopathic complex on acute viral tonsillitis. Journal of Alternative & Complementary Medicine, 20, 868-873.

[12] Steinsbekk, A., Bentzen, N., Fonnebo, V., & Lewith, G. (2005). Self treatment with one of three self selected, ultrmolecular homeopathic medicines for prevention of upper respiratory tract infections in children. A double-blind randomized placebo controlled trial. British Journal of Clinical Pharmacology, 59, 447-455.

[13] Siqueira, C. M., Homsani, F., da Veiga, V. F., Lyrio, C., Mattos, H., Passos, S. R. L., et al. (2016). Homeopathic medicines for prevention of influenza and acute respiratory tract infections in children: cling, randomized, placebo-controlled clinical trial. Homeopathy, 105, 71-77.

[14] Klement, R., Bandyopadhyay, P. S., Champ, C. E., & Walach, H. (2018). Modeling the effects of ketogenic therapy on survival in patients with high grade glioma using Bayesian evidence synthesis. (Abstract) Poster to be presented at „Ernährung“, Berlin, 2018.

[15] Steinsbekk, A., Fonnebo, V., Lewith, G., & Bentzen, N. (2005). Homeopathic care for the prevention of upper respiratory tract infections in children: A pragmatic, randomised controlled trial comparing individualised homeopathic care and waiting-list controls. Complementary Therapies in Medicine, 13, 231-238.

[16] Tramèr, M. R., Moore, A. R., Reynolds, J. M. D., & McQuay, H. J. (2000). Quantitative estimation of rare adverse events which follow a biological progression: a new model applied to chronic NSAID use. PAIN, 85(1), 169-182.

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Warum die Homöopathie kein empirisches Problem ist

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Harald Walach

Die Debatte um die Homöopathie wird ja immer um die Frage geführt: Zeigen wissenschaftliche Studien, dass die Homöopathie Placebo ist oder nicht? Dann kommen die einen und sagen: es gibt genug Studien, auch gute, die zeigen, dass Homöopathie von Placebo zu unterscheiden ist; u.a. auch ich in meinem letzten Blog-Blogbeitrag (www.homöopathie-forschung.info/EASAC). Und die Gegenseite sagt: es gibt keine Studien, die das beweisen (fast alle Kritiker und der wissenschaftliche Mainstream). Ich habe vor Zeiten schon (http://harald-walach.de/methodenlehre-fuer-anfaenger/vom-verhaeltnis-zwischen-empirie-und-theorie-1/) darauf hingewiesen, dass empirische Daten nie naiv interpretiert werden, sondern immer auf dem Hintergrund der vorhandenen Welterfahrung, eigener und bekannter Daten und Theorien, kurzum auf dem Hintergrund von Ausgangswahrscheinlichkeiten, mit denen man bestimmte Dinge erwartet oder nicht erwartet. Die Ausgangswahrscheinlichkeit, zum Beispiel, dass ein rosarotes Einhorn vor meiner Tür steht, wenn ich den Postboten erwarte, ist praktisch gleich Null. Deswegen werde ich auch nicht glauben, dass ein rosarotes Einhorn dort steht, wenn es läutet, ich in der Gegensprechanlage nach dem Begehr frage und zur Antwort bekommen „Guten Morgen, hier ist heute zur Abwechslung das rosarote Einhorn“. Eher denke ich, der Postbote hat sich im Kalender vertan und kommt mit Faschingsverkleidung, oder irgend so was.

Die Bedeutung der Ausgangswahrscheinlichkeiten und Pfarrer Bayes

So ähnlich ist es mit der Homöopathie auch. Je nachdem, welche Hintergrundtheorie der Welt wir haben, bewerten wir Informationen über die Homöopathie unterschiedlich. Wenn wir ein festgezimmertes Gebäude über die Welt haben, in dem nur materielle Wirkungen vorkommen und nur Moleküle etwas im Körper bewegen können, und auch geistige Wirkungen, z.B. unseres Willens, nur über materielle Prozesse, etwa Neuronenentladungen, verstehbar sind, dann wird uns die Homöopathie so unmöglich vorkommen, dass wir ein empirisches Ergebnis mit äußerster Sicherheit und großer statistischer Signifikanz oder Unwahrscheinlichkeit, und davon gleich mehrere brauchen, bevor wir bereit sind an unserem Glauben zu rütteln. Umgekehrt wird einem Arzt, der schon viele Heilungen gesehen hat oder einer Mutter, die Wirkungen an ihren Kindern kennt ein bisschen Empirie reichen, um zu der Ansicht zu gelangen, Homöopathie sei wissenschaftlich bewiesen.

Der irische Pfarrer Thomas Bayes (1702-1761) https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Bayes hat diesen Sachverhalt seinerzeit formalisiert. Etwas eingedeutscht lautet seine Einsicht: Wir beurteilen empirische Ergebnisse immer auf dem Hintergrund dessen was wir erwarten, den sogenannten Bayesschen „prior probabilities“, was man mit Ausgangswahrscheinlichkeit wiedergeben kann. Je nachdem, wie hoch diese sind, genügen wenige empirische Ergebnisse, um diese in virtuelle Sicherheit zu überführen oder benötigen wir sehr viele, um sie überhaupt zu verändern. Genau diese Situation liegt bei der Homöopathie vor. Man kann sich das Ganze mit einem sog. Bayes-Rechner verdeutlichen, der die Bayesschen Argumente statistisch formalisiert berechnet (z.B. Graphpad: https://www.graphpad.com/quickcalcs/interpretPValue1/; man muss die Option „interpret p-value“ verwenden).

Eine Bayes-Simulation unterschiedlicher Ausgangswahrscheinlichkeiten zur Möglichkeit homöopathischer Wirkung

Ich habe in der nachstehenden Tabelle unterschiedliche Ausgangswahrscheinlichkeiten simuliert. Den Skeptiker (Ausgangswahrscheinlichkeit 0.001%), den Neutralen (Ausgangswahrscheinlichkeit 50%; so wie eigentlich Wissenschaft operieren sollte), den Gläubigen (Ausgangswahrscheinlichkeit 95%) und verschiedene Ergebnisse. Die statistische Mächtigkeit (Power) habe ich hoch gesetzt (also 95% oder alpha = beta; Fehler erster Art = Fehler zweiter Art; eine durchaus übliche Konvention in klinischen Studien; wer mehr wissen will, muss in meinem Methodenblog nachlesen oder auf Wikipedia).

 

Tabelle: Ergebnis einer Bayes-Simulation: Welchen Einfluss hat das Ergebnis einer einzigen hochsignifikanten klinischen Studie (p = 0.001) auf die Veränderung der Ausgangswahrscheinlichkeit eines Skeptikers (prior = 0.001% Chance, dass Homöopathie wirken kann), eines Neutralen (prior = 50% Chance) und eines Gläubigen (95% Chance)

Ausgangswahrscheinlichkeit,
dass Homöopathie wirken
kann (prior probability)
Empirisches Ergebnis einer
Studie: Signifikanzniveau
Posteriore Wahrscheinlichkeit,
dass Homöopathie wirkt
Skeptiker 0.001 % 0.001 0.0094
Neutraler 50 % 0.001 0.9989
Gläubiger 95 % 0.001 0.9999

 

Wir sehen: das Ergebnis ein und desselben klinischen Experimentes hat sehr unterschiedliche Auswirkungen. Beim Skeptiker verändert sich dessen skeptische Haltung nur mild auf 0.0094 oder  9.4 Promille, dass Homöopathie wirklich funktionieren kann. Beim Neutralen verändert eine sehr gute Studie mit sehr gutem Resultat die anfangs neutrale Haltung (50:50) in ziemliche Sicherheit (0.9989) und beim Gläubigen sowieso. Umgekehrt könnte man nun fragen: Wie viele Studien braucht es denn um Skeptiker zu überzeugen? Wenn man die oben angegebenen Parameter verwendet, dann müssten eigentlich bei einem rationalen Skeptiker, der dem Theorem von Pastor Bayes folgt, vier Studien dieser Art genügen, um die Skepsis in Sicherheit zu überführen. Da aber vermutlich meine oben angenommene Zahl (0.001% Ausgangswahrscheinlichkeit) viel zu hoch ist, und nicht alle Studien so starke Ergebnisse aufweisen, dürften es mit Sicherheit mehr Studien sein, die nötig sind.

Empirie alleine reicht nicht

Da wir Menschen aber nur begrenzt rational denken und handeln, dürfte die Frage, ob Empirie ausreichend ist, eher akademischer Natur sein. Denn wir Menschen sind nicht nur sehr stark auf unsere Vormeinungen angewiesen und lassen sie ungern ziehen und uns von der Empirie bekehren. Wir sind auch sehr eng emotional mit unseren Theorien von der Art, wie die Welt funktioniert verbunden. Daher ist die Frage, ob Homöopathie als wissenschaftlich gelten kann bzw. ab wann sie wissenschaftlich akzeptiert ist, keine empirische, oder nur teilweise eine empirische Frage. Denn die nötigen vier bis sechs klinischen Studien, um den oben simulierten Skeptiker zu bekehren, gibt es im Ensemble der etwa 120 klinischen Studien auf jeden Fall, wie der vorherige Blog-Beitrag gezeigt hat (www.homöopathie-forschung.info/EASAC). Wenn man allerdings verlangt, was Skeptiker in der Regel tun, dass sie alle in ein und derselben Diagnosekategorie vorliegen müssen, und das möglicherweise in jeder, die von der Homöopathie so behandelt wird, dann wird es in der Tat dünn. Nur, auch das habe ich letztes Mal gezeigt, ist diese Frage keine Frage, die der Homöopathie angemessen ist.

Aus dem Grund wird die Frage, ob Homöopathie wissenschaftlich akzeptiert wird bzw. akzeptabel ist, nur zum kleineren Teil von empirischen Argumenten geklärt werden können. Vielmehr werden wir eine Debatte darüber benötigen, ob, und gegebenenfalls welche, theoretische Modelle vorhanden sind, die die Homöopathie verstehbar machen. Denn das verändert die Ausgangswahrscheinlichkeiten unter denen die je gleichen empirischen Ergebnisse ganz anders bewertet werden. In einem der folgenden Blogs werden wir diesen Fragen nachgehen. Aber vielleicht wäre es ja schon eine Lösung Zweifel über die Theoriemöglichkeit für eine rationale Theorie der Homöopathie zu suspendieren und also dem Modell eines unvoreingenommenen Betrachters zu folgen. Dann würde der Wissensbestand allemal ausreichen, um die Wirksamkeit der Homöopathie als Beleg zu verwenden. Nur muss einem klar sein: das ist noch kein wissenschaftliches Faktum. Denn ein wissenschaftliches Faktum entsteht erst, wenn die Gemeinschaft der Wissenschaftler in einem öffentlichen Diskurs eine Situation als belegt akzeptiert hat. Und dazu gehört der momentane empirische Stand des Wissens zusammen mit einer denkbaren, akzeptablen und vermittelbaren Theorie und ein Konsens darüber. Und daher sind wir noch weit davon entfernt Homöopathie als wissenschaftlich belegt bezeichnen zu können. Genauer gesagt, das momentane Faktum ist eher: Homöopathie ist nicht belegt. Nicht, weil der Datenbestand so wäre, sondern weil die Diskurssituation so ist. Eine wissenschaftliche Tatsache ist die Übereinkunft, mit dem Denken aufzuhören. So ähnlich hat es Ludwik Fleck einmal ausgedrückt [1].

 

[1] Fleck, L. (1980). Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv. Mit einer Einleitung herausg. v. L. Schäfer und T. Schnelle. Frankfurt: Suhrkamp. (Original erschienen 1935).

 

 

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Die Europäischen Wissenschaftsakademien und die Homöopathie

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Harald Walach

Das EASAC (European Academies Science Advisory Council) ist so etwas wie das Gralshütergremium der europäischen Wissenschaft und berät die EU Kommission und indirekt natürlich auch die Mitgliedsstaaten über den Stand der Wissenschaft in verschiedenen Bereichen und gibt Empfehlungen aus. Die haben keine rechtliche, aber sehr wohl eine moralische Verbindlichkeit. Denn immerhin macht sich der versammelte europäisch-wissenschaftliche Sachverstand, so hat es den Anschein, daran eine Sache klarzustellen. In diesem Falle die Homöopathie. Das Verdikt dieses wissenschaftlichen Rates der europäischen Akademien, formuliert von einer Arbeitsgruppe von europäischen Medizinern, ist einigermaßen vernichtend. In der Essenz sagt das EASAC Memorandum „Homeopathic products and practices: assessing the evidence and ensuring consistency in regulating medical claims in the EU” (http://www.easac.eu/home/press-releases/detail-view/article/homeopathy.html), in klarem Deutsch:

Homöopathie ist Quatsch. Denn wir verstehen nicht, wie sie funktioniert und was bisher drüber gesagt worden ist, ist unplausibel. Außerdem ist Homöopathie empirisch gesehen maximal Placebo und das sollte nicht von öffentlichen Kassen finanziert werden. Damit ist sie aber auch Irreführung der Patienten, die immer noch glauben, sie würden eine wirksame Arznei erstehen und könnte außerdem durchaus gefährlich sein, denn sie könnte ja verhindern, dass wirklich effektive medizinische Maßnahmen unterbleiben oder zu spät angewandt werden. Insgesamt sollten nationale Zulassungsverfahren daher einen Standard anwenden und nur solche Produkte zulassen, die wirklich die Probe aufs Exempel bestanden haben und damit dem Maßstab der Wissenschaft, im Moment der randomisierten klinischen Studie (idealerweise placebo-kontrolliert) entsprochen haben.

Das klingt, wenn nicht unbedingt sympathisch, doch wenigsten rational und vernünftig – auf den ersten Blick. Daher lohnt es sich, ein bisschen hinter die Argumente zu schauen und diese genauer zu analysieren. Stimmen sie? Wie werden sie begründet? Was gibt es dazu zu sagen?

Gefährliches Placebo

Fangen wir mit dem wichtigsten Argument an: Homöopathie ist unwirksam und empirisch gesehen maximal ein Placebo und als solches gefährlich, weil es wirksame Maßnahmen verhindern könnte.

Die Creme de la Creme der europäischen Wissenschaft gibt sich aus meiner Sicht eine ziemliche Blöße, indem sie nicht, wie das wissenschaftlich üblich ist, auf Primärdaten Bezug nimmt, um diese Aussage zu treffen, sondern sich auf „excellent science-based assessments performed by other authoritative and impartial bodies“ (S.3) verlässt. Was genau heißt hier „excellent“? Oder „science-based“? Fragt sich der naive Beobachter. Dass diese Institutionen autoritativ sind – die Schwedische oder Ungarische Akademie der Wissenschaften, die englische Royal Society, das Australische National Health and Medical Council – steht außer Frage. Aber sind sie auch „impartial – unparteiisch“? Da hätte ich, mit Verlaub, meine Zweifel. Denn dass die Homöopathie ein Stein des wissenschaftlichen Anstoßes ist, ist seit Hahnemanns Zeiten keine Neuigkeit. Und dass Institutionen, die den wissenschaftlichen Mainstream verkörpern, keine Freude mit ihr haben und sie lieber von der Bildfläche verschwunden sähen, um ihr Weltbild rein und ihren Geist fein zu erhalten ist auch verständlich. Dass es mit der Unparteilichkeit nicht so weit her ist, sieht man an folgender Vignette und einigen Fakten:

Der australische Bericht – NHMRC

Der australische Homöopathiebericht wurde zweimal verfasst. Die erste Version, die offenbar zu ganz positiven Ergebnissen gekommen ist, scheint in der Schublade verschwunden zu sein. Momentan läuft ein Gerichtsverfahren in Australien, das vom Homeopathic Research Institute (HRI) in London angestrengt wurde und das die Herausgabe dieser ersten Version zum Gegenstand hat. Auf der letzte HRI Konferenz in Malta hat Rachel Roberts dieses Problem minutiös analysiert (man kann ihre Präsentation hier ansehen: http://www.hrimalta2017.org/presentations/). Was hier also als „science-based, authoritative“ angeführt wird ist vermutlich verzerrt und im schlimmsten Falle sogar betrügerisch. Überhaupt pflegen diese Akademieberichte, soweit ich weiß, ebenfalls nicht auf Primärdaten zurückzugreifen, genausowenig wie der australische Bericht, sondern sich auf publizierte Analysen, meistens Sekundäranalysen, zu stützen und haben damit nicht mehr und nicht weniger Aussagekraft als diese.

Metaanalyse Shang et al.

Die am meisten zitierte, weil im Ergebnis negative Analyse, war die von Shang und Kollegen [1], die auch vom EASAC als Beleg für die Unwirksamkeit der Homöopathie angeführt wird. Dabei werden geflissentlich folgende Fakten übersehen, auf die schon vielfach hingewiesen wurde:

  1. Das Ergebnis dieser Analyse ist nur dann negativ, wenn man, wie die Autoren, nur die größten 8 Studien von 21 methodisch besten Studien einschließt. Für diese Entscheidung gab und gibt es kein gutes Argument. Die Entscheidung wurde nie begründet, auch nicht nachträglich. Eine Sensitivitätsanalyse, die die Auswirkungen dieser Entscheidung untersucht, unterblieb. Das widerspricht – eigentlich – jeder guten Praxis von Meta-Analysen und verletzt – eigentlich – auch die Publikationsstandards von Lancet, dem Journal, das die Arbeit publiziert hat. Eigentlich. Denn in dem Fall der Homöopathie kann man ja beide Augen zumachen. Man weiß eh, dass dabei nichts herauskommen kann, oder? Die Sensitivitätsanalyse wurde von anderen nachgeliefert [2]. Schließt man alle 110 Studien ein, ergibt sich ein klarer signifikanter Effekt. Schließt man sukzessive immer mehr Studien aus, bleibt der Effekt sehr lange stabil signifikant. Nimmt man etwa 14 Studien aus dem Ensemble der qualitätvollen 21, dann ist der Effekt immer noch signifikant. Der negative Effekt ist hauptsächlich auf eine große Studie zurückzuführen, bei der Arnica präventiv gegen Muskelkater bei Marathonläufern getestet wurde. Man kann sich sehr fragen, ob und inwiefern eine solche Studie wirklich etwas über ärztliche homöopathische Praxis aussagt. Ist eine solche Publikation ein wissenschaftlich belastbarer Befund, aufgrund dessen so weitreichende Aussagen getroffen werden sollen?
  2. Die Studie wurde ausführlich kritisiert [3, 4]. Es ist gute wissenschaftliche Praxis bei der Bewertung einer Arbeit auch auf deren Kritikpunkte einzugehen bzw. diese bei weiteren Bewertungen zu berücksichtigen. Das unterblieb damals wie heute. Das wiederum ist schlechte wissenschaftliche Praxis.

Metaanalysen: Der aktuelle Stand

Es ist außerdem gute Praxis, den aktuellen Stand der Wissenschaft in einem solchen schwerwiegenden Fall zu berücksichtigen. Und das bedeutet: neuere Publikationen zur Kenntnis zu nehmen. Die gibt es durchaus. Hahn, ein schwedischer Anästhesiologe, der sich unvoreingenommen die Literatur ansah – er war und ist kein Homöopath, sondern einfach nur neugierig –, war ganz erstaunt, wie viel positive Befunde es zur Homöopathie gibt und meinte, man müsse über 90% aller Befunde ausblenden, wenn man das Ergebnis von Shang oder anderer homöopathiekritischer Berichte aufrecht erhalten wolle [5]. In der Tat. Dies ist, was geschieht. Man blendet unter einem Vorwand Befunde aus und hat wieder eine saubere intellektuelle Welt. Kann man machen, muss man nicht. Mathie hat in der Zwischenzeit eine neue Meta-Analyse vorgelegt und unter sehr strikten Auswahlkriterien nur klassisch homöopathische Therapie, in placebokontrollierten, randomisierten Studien untersucht, in seiner Arbeit berücksichtigt. Das Ergebnis ist signifikant und kommt zu dem Schluss, dass Homöopathie sich von Placebo unterscheiden lässt [6].

Nun meine Kollegen vom Scientific Advisory Council der Europäischen Akademien, wollen wir doch einmal folgendes festhalten: Die Aussage, Homöopathie ist Placebo, lässt sich nur unter folgenden Bedingungen aufrechterhalten.

  1. Man ignoriert Befunde.
  2. Man stützt sich auf primäre Publikationen dort, wo sie einem in den Kram passen und ignoriert sie dort, wo sie die eigene Weltsicht trüben.
  3. Man biegt Kriterien, die allgemein gelten, mal kurzfristig um. Denn allgemein gilt das Kriterium, dass Meta-Analysen jeweils auf den neuesten Stand gebracht werden (also Mathie vor Shang) und dass Meta-Analysen den höchsten Evidenzgrad darstellen (also Meta-Analysen vor selektierten Einzelbefunden).

Evidenz zu einzelnen Diagnosen

Man kann sich natürlich, wie diese Kommission, auf den Standpunkt stellen, es gäbe keine konsistenten Befunde für Diagnosen. Diese Aussage stimmt teilweise. Es gibt allerdings einige Diagnosen und Befundcluster, für die sie nicht stimmt, aber das ist jetzt eher nebensächlich. Wichtiger scheint mir folgendes zu sein: Die Gruppierung von Interventionen für Diagnosen ist dem Verständnis dessen, wie die Homöopathie sich selbst sieht, nicht angemessen. Die Frage ist auch gar nicht: Ist Homöopathie Placebo für, sagen wir, Asthma bei Kindern? Sondern die Frage ist: Ist Homöopathie generell ein Placebo. Denn das ist ja die Behauptung. Die Meta-Analysen – nicht nur die von Mathie, sondern auch andere, sogar die von Shang – zeigen, dass sie das nicht ist. Daher ist das Ausweichen auf einzelne Diagnosen eher ein Wechsel der Bühne um die Peinlichkeit zu vertuschen: Homöopathie ist doch – klinisch-empirisch – von Placebo zu unterscheiden, jedenfalls im Durchschnitt, und wir verstehen überhaupt nicht, warum.

Evidenz für homöopathische Arzneimittel

Wenden wir uns dem nächsten Argument zu: Man solle auch im Fall der Homöopathie die strikten (Evidenz-)Kriterien anwenden, die konventionelle Behandlungen erfüllen müssen.

Das klingt wiederum auf den ersten Blick vernünftig, ja sogar zwingend. Denn immerhin müssen ja alle neuen konventionellen Substanzen eine Zulassungsprozedur durchlaufen, bei der sie in der Regel zwei klinische Studien vorweisen müssen. Diese können entweder placebo-kontrolliert sein oder Vergleiche mit Standard. Sind diese positiv, werden sie zugelassen. Man vergisst bei dieser Argumentation: Sie setzt zwingend die Logik voraus, dass eine Substanz für eine bestimmte Krankheit entwickelt und für diese verwendet wird. Genau das ist bei der Homöopathie ja nicht der Fall. Vielmehr können homöopathische Arzneien in der Theorie für alle möglichen Krankheiten verwendet werden, solange das Symptombild mit dem Arzneimittelbild übereinstimmt. Eine Arznei, die bei Kopfschmerz helfen kann, kann auch bei Husten erfolgreich sein oder bei Dysmenorrhoe – wenn die Symptome stimmen. Und eine Arznei, die einen Patienten von Kopfschmerzen geheilt hat, kann bei einem anderen Kopfschmerzpatienten versagen. Daher ist die normale Zulassungslogik für die Homöopathie nicht zielführend. Deswegen gibt es auch das Argument des „traditional use“, der Registrierung über die Erfahrungstradition. Diese Zulassungspraxis gibt es im Übrigen auch für viele ältere konventionelle Präparate, die einfach über die Tradition ihre Zulassung beibehalten haben. Sollen die nun auch alle über die Klinge springen?

Die Cochrane-Kriterien

Die Autoren führen auch an, dass man am besten die strikten Kriterien der Cochrane-Collaboration erfüllen solle. Das ist ein Netzwerk von Wissenschaftlern, die systematische Meta-Analysen und Übersichtsarbeiten durchführen und dabei sehr strikten Protokollen folgen. Daher sind ihre Schlussfolgerungen in der Regel enttäuschend und konservativ. El Dib und Kollegen haben bereits 2007 die Probe aufs Exempel gemacht [7]: Sie zogen 1016 zufällig ausgewählte Cochrane-Reviews aus der riesigen Cochrane Library und untersuchten, wie häufig sie zu klaren positiven oder negativen Schlüssen kommen. Die meisten davon übrigens konventionelle Interventionen. Das Resultat habe ich in der Abbildung 1 zusammengestellt:

Abbildung 1 – prozentualer Anteil von 1016 zufällig ausgewählter Cochrane-Reviews die klare Wirksamkeit belegen, klar schädlich sind, vermutlich schädlich, möglicherweise wirksam und unklar. Nach El Dib et al. [7]

Cochrane-Reviews nach El Dib et al.

Bei je 2% der Reviews zeigt sich, dass die untersuchte Intervention klar wirksam oder klar schädlich ist. Bei weiteren 5% zeigt sich, dass sie vermutlich schädlich ist, wir es aber noch nicht genau wissen. Bei 43% zeigt sich, dass sie möglicherweise wirksam ist und bei der Mehrzahl, nämlich 48% ist die Sache unklar.

Jetzt nochmals zum Mitschreiben: bei gerade mal 4% haben wir eine sog. wissenschaftliche Evidenz. Immerhin deutet eine große Zahl von Studien, nämlich bei 43% der Interventionen, auf eine mögliche Wirksamkeit hin. Aber wissenschaftliche Evidenz sieht anders aus. Und bei fast der Hälfte haben wir keine Ahnung, ob die Intervention etwas taugt oder nicht. Kann man daraus folgern, dass das, was normalerweise in Krankenhäusern und Arztpraxen passiert, „evidenzbasiert“ ist, wie man das neudeutsch gerne nennt? Ich glaube nicht.

Meine Herausforderung an die Kollegen vom EASAC wäre: Wenn Sie mit der gleichen Striktheit, Vollmundigkeit und Sicherheit bereit sind, 96% aller konventionellen medizinischen Interventionen aus der Versorgung nehmen, so lange, bis Klarheit herrscht, mit der Sie die Praxis der Homöopathie kontrolliert und reguliert sehen wollen, wenn Sie bereit sind jene 2% Interventionen, von denen wir wissen, dass sie eher schaden als nutzen sofort abzuschaffen und jene 5% zu suspendieren, von denen wir annehmen können, dass sie schädlich sind, zum Beispiel so manche Screenings, und dies von den Krankenhäusern und nationalen Regulatoren fordern, dann könnte man sicher auch über die Homöopathie reden, so wie Sie es tun. Das ist natürlich rhetorisch. Denn keiner würde auf die Idee kommen, aufgrund dieser Daten 98% der Medizin auszusperren und vom Markt zu nehmen. Denn: Wir haben ja schließlich auch noch unsere klinische Erfahrung, oder? Genau. Genau wie die Homöopathie, die zuallererst einmal erfahrungsbasiert ist und sich erst langsam wissenschaftlich selbst durchdringt.

Ich finde: Wenn man sehr genau hinsieht, ist vieles an der anscheinend so evidenzbasierten Medizin weniger gut evidenzbasiert, als man meint. Gøtzsche ist etwa der Meinung, man könnte die ganze biologische Psychiatrie in die Tonne treten, weil sie keine gute Datenbasis hat [8], eine Stimme aus der Cochrane Collaboration übrigens, eine wichtige zumal. Vor nicht allzulanger Zeit zeigten Autoren aus der Kardiologie [9]  und Onkologie [10], dass nur 11% (Kardiologie) bzw. 6% (Onkologie) von therapeutischen nationalen Leitlinien-Empfehlungen in den USA sich auf Daten der Evidenzklasse A (also Meta-Analysen oder mehrere gute randomisierte Studien) stützen können. Da steht doch die Homöopathie so schlecht nicht da im Vergleich, auch wenn sie in keiner nationalen Leitlinie vorkommt, oder?

Nebenwirkungen

Nehmen wir ein weiteres Argument: Homöopathie ist schädlich. Entweder werden Leute von wichtigen Behandlungen abgehalten oder sie schadet gleich direkt, weil ja häufig doch mehr Moleküle drin sind, als man denkt und weil Leute die Sachen dann länger nehmen als sie sollten, im Glauben, sie seien harmlos.

Die erste Aussage ist schlicht eine ungedeckte Behauptung. Es gibt keinerlei wissenschaftliche Belege dafür. Im Gegenteil, alle Daten, die wir kennen zeigen: Homöopathie wird in der Regel komplementär, also in Ergänzung zu, konventionell-medizinischen Behandlungen verwendet, oder im Rahmen von Selbstbehandlungen bei trivialen Erkrankungen wie Erkältung [11]. Oder sie kommt dann in Frage, wenn alle anderen konventionellen Angebote versagt haben oder mit zu vielen Nebenwirkungen behaftet waren. Der Krebspatient, der sich weigert, sich konventionell behandeln oder untersuchen zu lassen und gleich zum Homöopathen geht ist eine Rarität [12,13]. Ich will gar nicht abstreiten, dass es Homöopathen gibt, die sich und ihre Methode überschätzen. Aber gibt es solche Menschen nicht auch anderswo? Interessant ist: Wenn so was bei Homöopathen entdeckt wird, kommt der moralische Zeigefinger. Passiert es anderswo oder im eigenen Stall, naja dann halt. Dumm gelaufen.

Beim zweiten Teil des Argumentes wird gerne auf einen akuten Fall abgehoben. Einige Kinder in den USA hatten epileptische Anfälle. Gleichzeitig hatten sie von ihren Eltern homöopathische Zahnungskügelchen bekommen. Man vermutete, dass das homöopathische Belladonna in den Zahnungskügelchen schuld war, bzw. gab ihm gleich mal die Schuld, ohne dass das in irgend einer Form bewiesen oder auch nur plausibel wäre und forderte Regulierung, eine historische Vorlage für den EASAC-Vorstoß [14]. Was sicher denkbar ist, ist die Tatsache, dass der amerikanische Hersteller gepatzt hat und mehr Belladonna in den Kügelchen war als nominal angegeben (D3). Was auch denkbar ist, dass in seltenen Einzelfällen Kinder überreagieren, vor allem wenn jemand eine homöopathische Substanz zu lange nimmt. Das dürften aber sehr seltene Fälle sein, die im übrigen rein theoretisch eben dafür sprechen, dass homöopathische Arzneien kein Placebo sind. Aus genau dem Grund hat das deutsche BfArm auch eine Richtlinie erlassen, in der bei der Selbstmedikation auf die Zeit- und Dosisbegrenzung der Einnahme hingewiesen wird.

Insgesamt ist die Homöopathie unter Garantie sicherer als jede konventionelle Arzneitherapie. Die einzige Überblicksarbeit, die bedeutsame Nebenwirkungen gefunden haben will [15] ist, wie wir gezeigt haben [16], so voll von Fehlern, dass sie keine zuverlässige Literaturquelle darstellt.

Plausibilität

Bleibt die Implausibilität der Homöopathie. Da würde ich den EASAC Autoren zustimmen. Die fairste Aussage ist aus meiner Sicht: Homöopathie hat klinische Wirkung, die sich manchmal in klinischen Studien, und über alle Studien hinweg, von Placebo unterscheiden lässt. Es gibt sogar einige Hinweise aus der Grundlagenforschung, dass sich homöopathische Substanzen von Placebo unterscheiden lassen, die die EASAC-Autoren geflissentlich übergehen. Aber wir haben keinen blassen Schimmer warum und wie sie wirkt. Alle theoretischen Möglichkeiten die bislang angeführt wurden – und das EASAC-Papier ist an diesem Punkt relativ dünn, denn es gibt eine ganze Reihe von anderen Modellen als die dort diskutierten – sind hoch spekulativ und keinesfalls bewiesen. Aber nur weil ein Phänomen noch unverstanden ist und wir es nicht in unser Weltbild einbauen können es zu bannen und als prinzipiell undenkbar zu brandmarken? Das ist, finde ich, keine gute Idee. Dann hätte man viele Substanzen nicht verwenden dürfen, denn ihre Wirkungsweise wurde erst viel später klar, von Aspirin angefangen. Im Gegenteil: Wissenschaftshistorisch war die wissenschaftliche Beschäftigung mit Anomalien – und eine solche stellt die Homöopathie dar – immer der Anfang einer neuen Erkenntnis und der Garant für Fortschritt. Die Implausibilität der Homöopathie als Argument für die Beendigung der Auseinandersetzung mit ihr zu verwenden ist zutiefst unhistorisch und in der Sache unwissenschaftlich.

Und noch am Rande eine kleine, pikante aktuelle Vignette: Eine ganz neue Befragung der Universität Tübingen, Abt. Allgemeinmedizin, an 138 Ärzten in Weiterbildung ergibt: 46% der Befragten wendet komplementäre Verfahren bereits in der Praxis an, weil sie finden, das würde den Patienten nützen. Die Homöopathie gehört mit 16% der Nennungen dabei zu den häufigeren Verfahren. Aber das Interessanteste: 56% der Befragten wenden komplementäre Verfahren bei sich selber an, und das am meisten verwendete Verfahren bei der Selbstanwendung von Ärzten ist dabei, Sie ahnen es, die Homöopathie, die von 21% angewandt wird. [17] Was hat nun das wohl zu bedeuten? Ärzte, die von den besten europäischen Ausbildungsinstitutionen ausgebildet werden, wenden das angeblich schlechteste und unwissenschaftlichste Verfahren, die Homöopathie, mehrheitlich bei sich selber an? Warum wohl? Weil sie zu dumm sind, wirksam von unwirksam zu unterscheiden? Weil sie den Segnungen der konventionellen Pharmakologie zu wenig trauen? Weil sie sich vielleicht lieber mit einem nebenwirkungsarmen Placebo als mit einer wirksamen, aber nebenwirkungsbehafteten antiinflammatorischen Substanz behandeln?

Was wir wirklich brauchen

ist eine solide, öffentlich geförderte Auseinandersetzung mit diesem Phänomen. Die Autoren der EASAC zitieren den CAMbrella-Abschlußbericht, eines der wenigen EU-geförderten Projekte zur Komplementärmedizin [18]. Allerdings nicht vollständig, sondern nur die Passagen, die ihnen in die Argumentationsschiene passen. Die CAMbrella-Mitglieder haben nämlich in der Tat argumentiert, dass für die Komplementärmedizin keine eigenen Spielregeln gelten sollen, sondern die allgemeinen. Dass dies aber nur möglich sei, wenn es auch entsprechende Forschung und deren Förderung gäbe. Daher brauchen wir nicht weniger, sondern mehr Forschung in diesem Bereich. Auf dem gesamten Gebiet der Komplementärmedizin, aber auch auf dem Gebiet der Homöopathie. Daher hatten wir bei einer Nachpräsentation im Europaparlament gefordert, die EU sollte wenigsten eine dediziertes Forschungsprogramm, aber eigentlich besser, wie die USA, Australien und Norwegen, ein Forschungsinstitut einrichten [19]. Das wäre die Konsequenz aus der empirischen Situation und aus der Tatsache, dass Patienten und Ärzte immer noch Homöopathie verwenden, obwohl Experten wie die der EASAC es ihnen versuchen auszureden. Der Punkt ist: Die Leute sind nicht dumm, ungebildet und leichtgläubig. Sondern sie machen ihre Erfahrungen. Sie machen sie meistens zuerst in der Medizin, wie wir sie haben. Z.B. mit ihren Kindern. Und wenn diese dann nach dem x.ten Kurs Antibiotika für ihre Ohrenschmerzen immer wieder neu Ohrenschmerzen bekommen, suchen sie sich andere Möglichkeiten. Die Freundin rät: geh mal zum Homöopathen, und wenn alles gut läuft, bricht eine gute homöopathische Behandlung den Zirkel und läutet eine dauerhafte Veränderung, vielleicht Genesung ein, warum auch immer, wie auch eine Studie zeigt [20]. Vielleicht wäre es an der Zeit, sich solche Themen einmal genauer anzusehen, z.B. in randomisierten Systemvergleichen. Diese aber sind nicht mal eben aus der Portokasse zu bezahlen. Dafür braucht man Forschungsprofis, Geld und willige Klinikchefs. Aber nur solche Studien helfen uns wirklich dabei, die relevanten Fragen zu klären. Und diese relevanten Fragen sind noch nicht einmal gestellt, geschweige denn beantwortet.

Was in diesem EASAC-Papier geschieht ist, juristisch gesprochen, eine Vorverurteilung unter Ignorierung bekannter Daten und unter Unkenntnis relevanter Daten, aus dem ästhetisch-theoretischen Grund, dass einem das vermeintliche Theoriemodell nicht behagt, weil es nicht in die momentane Weltsicht passt. Stimmt. Tut es nicht. Aber das ist kein wissenschaftliches, sondern ein ideologisches Argument.

Lesen Sie hier auch das WissHom-Statement zu EASAC …

[1] Shang, A., Huwiler-Münteler, K., Nartey, L., Jüni, P., Dörig, S., Sterne, J. A. C., et al. (2005). Are the clinical effects of homeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy. Lancet, 366, 726-732.

[2] Lüdtke, R., & Rutten, A. L. B. (2008). The conclusions on the effectiveness of homeopathy highly depend on the set of analyzed trials. Journal of Clinical Epidemiology, 61, 1197-1204.

[3] Fisher, P., Bell, I. R., Belon, P., Bolognani, F., Brands, M., Connolly, T., et al. (2005). Letter to the Editor: Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Lancet, 366, 2082.

[4] Walach, H., Jonas, W., & Lewith, G. (2005). Letter to the Editor: Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy. Lancet, 366, 2081.

[5] Hahn, R. G. (2013). Homeopathy: Meta-Analyses of pooled clinical data. Forschende Komplementärmedizin, 20, 376-381. https://www.karger.com/article/fulltext/355916

[6] Mathie, R. T., Lloyd, S. M., Legg, L. A., Clausen, J., Moss, S., Davidson, J. R., et al. (2014). Randomised placebo-controlled trials of individualised homoeopathic treatment: sytematic review and meta-analysis. Systematic Reviews, 3(142). https://systematicreviewsjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/2046-4053-3-142

[7] El Dib, R. P., Atallah, A. N., & Andriolo, R. B. (2007). Mapping the Cochrane evidence for decision making in health care. Journal of Evaluation in Clinical Practice, 13, 689-692. http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1365-2753.2007.00886.x/abstract

[8] Gøtzsche, P. C. (2015). Deadly Psychiatry and Organised Denial. Copenhagen: People’s Press.

[9] Tricocci, P., Allen, J. M., Kramer, J. M., Califf, R. M., & Smith Jr, S. C. (2009). Scientific evidence underlying the ACC/AHA clinical practice guidelines. Journal of the American Medical Association, 301, 831-841.

[10] Poonacha, T. K., & Go, R. S. (2010). Level of scientific evidence underlying recommendations arising from the National Comprehensive Cancer Network clinical practice guidelines. Journal of Clinical Oncology, 29, 186-191.

[11] Eardley, S., Bishop, F. L., Prescott, P., Cardini, F., Brinkhaus, B., Santos-Rey, K., et al. (2012). A systematic literature review of Complementary and Alternative Medicine prevalence in EU. Forschende Komplementärmedizin, 19(suppl 2), 18-28.

[12] Güthlin, C., Walach, H., Naumann, J., Bartsch, H.-H., & Rostock, M. (2010). Characteristics of cancer patients using homeopathy compared with those in conventional care: a cross-sectional study. Annals of Oncology 21, 1094-1099.

[13] Rostock, M., Naumann, J., Güthlin, C., Günther, L., Bartsch, H. H., & Walach, H. (2011). Classical homeopathy in the treatment of cancer patients – a prospective observational study of two independent cohorts. BMC Cancer, 11(19).

[14] Podolsky, S. H., & A.S., K. (2016). Regulating homeopathic products – A century of dilute interest. New England Journal of Medicine, 374, 201-203.

[15] Posadzki, P., Alotaibi, A., & Ernst, E. (2012). Adverse effets of homeopathy: a systematic review of published case reports and case series. The International Journal of Clinical Practice, 66, 1178-1188.

[16] Walach, H., Lewith, G., & Jonas, W. (2013). Can you kill your enemy by giving homeopathy? Lack of rigour and lack of logic in the systematic review by Ernst and colleagues on adverse effects of homeopathy. International Journal of Clinical Practice, 67, 385-386.

[17] Valentini, J., Flum, E., Schwill, S., Krug, K., Szencsenyi, J., & Joos, S. (2018, in print). Komplementäre und Integrative Medizin in der Facharztweiterbildung Allgemeinmedizin – Ergebnisse einer Bedarfserhebung bei Ärzten in Weiterbildung. Complementary Medicine Research, 25 (DOI:10.1159/000485319).

[18] Weidenhammer, W., & Walach, H. (Eds.). (2012). Complementary Medicine in Europe – CAMbrella. Freiburg: Karger. Forschende Komplementärmedizin, Sonderheft.

[19] Walach, H., & Pietikäinen, S. (2014). A Roadmap for CAM Research towards the Horizon of 2020. Forschende Komplementärmedizin / Research in Complementary Medicine, 21(2), 80-81.

[20] Friese, K.-H., Kruse, S., Lüdtke, R., & Moeller, H. (1997). The homoeopathic treatment of otitis media in children: comparisons with conventional therapy. International Journal of Clinical Pharmacology and Therapeutics, 35, 296-301.

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