Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Homöopathie – Teil 2

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Harald Walach

Wir haben im ersten Teil dieser Serie die rechtliche Situation der Zulassung und Prüfung von Homöopathika im deutschen Arzneimittelrecht untersucht und kommen nun zum zweiten Teil:

Wirksamkeit der Homöopathie

Methodische Vorüberlegungen

Der Gesetzgeber, so sahen wir, geht von der klinischen Wirksamkeit der Homöopathie aus. Deswegen müssen einzelne Phase-3-Studien zur Wirksamkeit für klassisch-homöopathische Arzneimittel, also solche, die als Einzelarzneien verordnet werden, nicht vorgelegt werden. Nur indikationsbezogene Arzneien müssen solche Belege vorlegen und tun dies auch. Wie aber steht es mit der Wirksamkeit der Homöopathie im klassischen Sinne, also der Überlegenheit von Homöopathie gegenüber Placebo oder der vergleichbaren Wirksamkeit gegenüber Standardtherapien?

Bevor wir das diskutieren nochmals eine Erinnerung:

Phase-3-Studien, die die Wirksamkeit einer Substanz gegenüber Placebo oder einer Standardanwendung testen sind immer Studien, die eine Patientengruppe mit einer definierten Diagnose einschließen und dort eine Anwendung testen. Das ist relativ einfach. Alle Patienten erhalten das gleiche Medikament oder die gleiche Anwendung, verglichen mit einem Placebo oder einer Standardbehandlung. Die Zuteilung der Patienten auf die Gruppen erfolgt zufällig und idealerweise sind die Patienten und Behandler verblindet und wissen nicht, wer was erhält.

Dieses Studienmodell wurde nun auch auf die Homöopathie angewandt. Allerdings muss man dabei folgendes bedenken: Wenn man Patienten mit einer Diagnose in eine Studie einschließt, dann wird es selten nur ein Homöopathikum geben, das für alle Patienten indiziert ist. Man hat im Prinzip drei Möglichkeiten:

  1. Man verwendet keine eigentliche, individualisierte Homöopathie, bei der ja nach der besten Passung der Symptome ein Arzneimittel aus einer Fülle von mehr als 1.500 Arzneien auszuwählen wäre. Sondern man nimmt eines der auf dem Markt befindlichen oder zuzulassenden Komplexhomöopathika, bei denen eine Mischung aus möglicherweise in Frage kommenden Arzneien zu einer Arznei mit Indikation verwendet wird. Dann wird z.B. Arnica, Rhus toxicodendron, Ruta und Bellis perennis, meistens in eher niedrigen Potenzen, zu einer Fertigarznei gemischt und bei Patienten mit Zerrungen und Prellungen verwendet. Diese Verwendung kommt der konventionellen Art der Therapie nahe und ist meist für akute Fälle gedacht. Solche Studien gibt es eine ganze Reihe, z.B. 1.
  2. Man definiert eine oder mehrere, häufig bei einer Krankheit in Frage kommender Arzneien und deren Arzneimittelbild und schließt dann nur solche Patienten ein, die dieses Arzneimittelbild haben. Das war etwa bei der Fibromyalgie-Studie von Peter Fisher der Fall2, oder bei der Kopfschmerzstudie von Brigo, die von Whitmarsh wiederholt wurde3,4. Man kommt damit einer klassisch-homöopathischen Anwendung, also einer Individualisierung, relativ nahe, schließt aber zum einen relativ viele in Frage kommende Patienten und Arzneimittel aus und wird bei der Definition der Arzneien möglicherweise Symptome übersehen oder unscharf werden.
  3. Man erlaubt die volle Individualisierung, also so, wie sie in der klassisch-homöopathischen Praxis vorgenommen wird und damit alle Arzneien bei Patienten mit einer bestimmten Diagnose. Aber der Arzt muss verblindet werden und weiß also nicht, ob der Patient nun seine Verordnung erhalten hat oder Placebo. Da solche Studien meistens bei Patienten mit chronischen oder komplexeren Störungen durchgeführt werden, ist eine einzige Verordnung selten ausreichend. Der Arzt muss also entweder seine Verordnung wiederholen, oder das Arzneimittel wechseln, wenn die erste Verordnung nicht passend war. Diese Entscheidung muss er oder sie aufgrund der Berichterstattung des Patienten nach einigen Wochen treffen. Weil er aber nicht weiß, ob der Patient sein Arzneimittel erhalten hat oder Placebo, ist diese Entscheidung alles andere als trivial und bildet auch die normale klinische Realität nicht ab, weswegen sie allen Verordnern ein hohes Maß an Kenntnis und Sicherheit abverlangt und zu eigenen Problemen führt. 5

Natürlicherweise sind Studien des Typs c), also der voll individualisierten Homöopathie selten und wenn sie vorkommen meistens eher kurz. Eine Variante ist ein Studientyp, bei dem zunächst ohne Verblindung bei Patienten die richtige Arznei gesucht wird und dann in einem verblindeten Schema weitergemacht wird.6 Die meisten vorliegenden Studien fallen in die Kategorie a) – bewährte Indikation – oder b) – Definition einiger weniger Arzneien.

Diese Situation hat folgende Konsequenzen: Die klassische, individualisierte Homöopathie, so wie sie in der klinischen Praxis verwendet wird, ist bislang eher wenig, eher schlecht und eher nur in kurzzeitigen Studien untersucht. Sie wurde in Langzeitbeobachtungen untersucht, also in offenen Dokumentations- oder Beobachtungsstudien, und zeigt dort einen klinischen Effekt bei etwa 75% der Patienten.7 Anders ausgedrückt: Wer mit einem chronischen Problem zu einem homöopathischen Arzt geht, der individualisiert behandelt, hat eine relativ hohe Chance, nämlich in 3 von 4 Fällen, eine klinisch relevante Besserung zu erleben. Die Frage ist: Ist dieser klinische Erfolg die Folge der homöopathischen Arzneien, die Folge der therapeutischen Interaktion, die Folge eines gigantischen Placebo-Effektes oder einer Mischung aus diesen. Wahrscheinlich ist es eine Interaktion all dieser Effekte. Für den Patienten (und das Gesundheitssystem) ist es allerdings eigentlich völlig unerheblich, wie der Effekt zustande kommt, solange er zuverlässig, einigermaßen kostengünstig und ohne große Nebenwirkungen und Gefahren zustande kommt.

Insofern ist die Frage, ob homöopathische Arzneien nun von Placebo verschieden sind, eigentlich eine sehr spezielle, akademische, aber natürlich höchst interessante Frage. Wenn wir nun die Studienlage betrachten, muss uns dies klar sein. Denn verblindete klinische Studien untersuchen nur diese Frage, sonst nichts. Und im Fall der Homöopathie haben sie meist eine vereinfachte Form der Homöopathie untersucht, nämlich bewährte Indikationen (a) und verkürzte Individualisierung (b).

Meta-Analysen

Klassischerweise werden Fragen nach der generellen Wirksamkeit („efficacy“) wie gesagt in einzelnen verblindeten, placebo-kontrollierten Studien untersucht oder in Studien, die gegen einen klinischen Standard vergleichen. Da einzelne Studien aber immer auch anfällig für Fehler und zufällige Schwankungen sind, führt man Meta-Analysen durch. In solchen Meta-Analysen werden die Effekte der einzelnen Studien statistisch zusammengefasst, und durch die größere Zahl der Studien und damit natürlich auch der Patienten und Behandlungstypen wird eine robustere Schätzung des Effektes und seiner statistischen Absicherung möglich.

Solche Meta-Analysen gibt es für die Homöopathie eine ganze Reihe. Ich fasse in der Tabelle die wichtigsten zusammen. Das sind solche, die entweder neue und innovative Aspekte eingebracht haben oder aber in der Literatur einflussreich waren. Daneben gibt es eine Reihe von Teil-Analysen, oder Meta-Analysen von Teilbereichen, die ich ausklammere.

Autoren Anzahl Studien/
ausgewertet
Ergebnis
Linde et al. 1997 8 119/89 OR = 2.45/1.78*
Kommentar:Relativ robust; Effekt für methodisch bessere Studien geringer
Cucherat et al. 2000 9 118/17 p < 0.00036
Kommentar:Sehr konservative und technisch unzulängliche Zusammenfassung der Signifikanzen
Shang et al. 2005 10 110/8 Kein Effekt
Kommentar:Wenn man nur 8 Studien berücksichtigt kein Effekt, sonst schon
Lüdtke&Rutten 2008 11 110/21 OR = 0.76*
Kommentar:Re-Analyse der Daten von Shang und Sensitivitätsanalyse. 21 Studien mit der besten Qualität ergeben einen signifikanten Effekt. Wenn man die Studien der Größe nach ordnet (wie Shang), dann findet man ab 14 eingeschlossenen Studien immer einen signifikanten Effekt
Mathie et al. 2014 12 32/22 OR = 1.53 (1.98)*
Kommentar:Nur Studien mit individualisierter Homöopathie
*= signifikantes Ergebnis

Linde et al. 1997

Die erste dieser Analysen war die von Klaus Linde und Kollegen. Sie recherchierte alle damals vorhandenen placebo-kontrollierten Studien und fand immerhin 119, eine Zahl die schon damals sowohl Befürworter als auch Kritiker überraschte. Zusammengefasst ergibt sich eine signifikante Effektstärke mit einer Odds Ratio (OR) von 2.45, die auf 1.78 schrumpft, aber immer noch signifikant ist, wenn man nur die besten Studien nimmt.

Eine Odds Ratio ist eine Effektstärke, die das Verhältnis von therapeutischen Erfolgen und Misserfolgen in der Behandlungs- und Kontrollgruppe abbildet, also dichotome Maße zusammenfasst. Je nachdem, wie das Verhältnis gebildet wird, sind Werte über 1, wie hier, oder kleiner als 1, wie bei Lüdtke, Indikatoren für Erfolg. Hier bedeutet die OR = 2.45, dass Patienten in der Homöopathiegruppe 2.45 mal so häufig Erfolg hatten, oder 1.78 mal in den Studien, die höhere methodische Qualität aufwiesen. Beide Effektstärken waren signifikant. Allerdings zeigte sich eine lineare Abnahme des Effektes, je höher die methodische Güte der Studie war.

Verschiedene Validitätstypen

Dazu muss man folgendes wissen: die methodische Güte einer Studie ist kein eindeutiges Merkmal, wie die Farbe eines Autos. Es gibt zwar Kriterien, wie Verblindung, oder Randomisierung, etc. Diese bilden aber nur die sog. interne Validität ab, also die Sicherheit, mit der man sich auf die Schlussfolgerungen einer Studie verlassen kann. Wichtig ist aber auch die externe Validität, also die Anwendbarkeit, und die Modellvalidität, also die Sorgfalt, mit der eine Studie die zu untersuchende Therapie abgebildet hat. Interne und externe Validität sind eigentlich inkompatibel 13, d.h. man kann sie praktisch nicht in ein und der selben Studie optimieren sondern braucht dafür unterschiedliche Studientypen, und Modellvalidität ist sehr schwer zu fassen. Der Befund, den Klaus Linde und Kollegen dokumentieren, dass mit steigender interner Validität die Effekte kleiner werden ist ein wohlbekannter Effekt, der praktisch überall zu beobachten ist. Immerhin hatten auch noch die besten Studien eine signifikante Effektstärke. Diesen Befund haben zwar dann in der Folge verschiedene Autoren durch Sekundärpublikationen versucht zu relativieren. Das geht immer und wurde auch hier so gemacht, indem man eben Gründe sucht, um Studien nicht einzuschließen und dann eben nur die 5 oder 3 besten Studien nimmt. Dann verschwindet die Signifikanz der Effekte, weil sich die Variabilität vergrößert und die statistische Mächtigkeit abnimmt. Aber solche Strategien halte ich nicht für wissenschaftlich lauter, weswegen ich sie auch nicht weiter bespreche.

Cucherat et al. 2000

Die Analyse von Cucherat und Kollegen entstammte einem größeren Evaluationsprojekt und der Publikation ist anzumerken – und die Autoren machen auch keinen Hehl daraus, dass man versuchte mit allen Mitteln die verblüffende Signifikanz des Gesamtergebnisses zu reduzieren. Die Zusammenfassung selber ist vom Standpunkt der Meta-Analyse schwach, weil keine Effektstärken zusammengefasst wurden sondern eine extrem konservative Methode verwendet wurde, um die zusammengefasste Signifikanz zu dokumentieren. Das entsprach eigentlich schon damals nicht dem Stand der Kunst und tut es heute noch weniger. Die Autoren reduzierten den Gesamtpool an Studien auf die 17 besten und auch die kommen noch auf ein insgesamt signifikantes Ergebnis. Das schwindet erst dann, wenn man nur die 5 oder 3 allerbesten nimmt, aber dann hat man, wie schon oben besprochen, eben das Problem, dass man hohe Variabilität mit reduzierter statistischer Mächtigkeit paart. Das ist eine schlechte und technisch auch nicht empfohlene Methode, wenn man einmal die Literatur zur Meta-Analyse zur Kenntnis nimmt 14-17.

Shang et al 2005

Am häufigsten zitiert wird die Analyse von Shang und Kollegen, die aus dem schweizerischen Programm zur Evaluation der Komplementärmedizin (PEK) hervorgegangen ist. (Aus diesem Programm ist auch ein Health Technology Assessment Report zur Homöopathie entstanden, also ein pragmatischer Überblick. Dieser ist ebenfalls positiv ausgefallen.18) Shang und Kollegen fanden etwas weniger Studien als die Meta-Analysen vor ihnen. Das ist wohl das geringere Problem. Dann ordneten sie alle Studien nach Größe, die größten zuerst. Das hat eine gewisse Berechtigung, denn große Studien sind in aller Regel robuster in der Schätzung von Effekten als kleine, einfach weil bei ihnen die Schätzfehler statistisch gesehen geringer sind. Allerdings darf man folgendes nicht übersehen: Die Größe einer Studie, das hatten wir im vorigen Teil bereits gesehen, hängt auch davon ab, ob es für eine Krankheit bereits andere Therapien gibt, ob eine Therapie ganz neu ist, wie groß die zu erwartenden Effekte sind, etc. Bei Studien, die auf Pilotstudien aufbauen, die einen relativ großen Effekt gezeigt haben, wird sowohl aus ethischen als auch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine relativ kleine Studie ausreichen, den Effekt zu zeigen. Bei Studien, die einen eher kleinen Effekt antizipieren, wird die Studie größer geplant. Daher das Vorgehen, nur die größten Studien zu berücksichtigen, nur in Grenzen sinnvoll.

Der entscheidende, und häufig kritisierte Schritt der Autoren war nun aber, lediglich acht aller Studien in die formale Analyse einzuschließen. Dieses Vorgehen wurde nirgends begründet, war nicht apriori definiert und wurde auch anschließend nie begründet. Erst auf vielfältigen Druck und Kritik hin19,20 gaben die Autoren auf ihrer Webseite bekannt, welches die 8 Studien waren, die eingeschlossen wurden. Das ist aus meiner Sicht ein inakzeptables Vorgehen, und eigentlich verstößt es gegen die Praxis guter Meta-Analysen, weswegen sich der Kenner wundern muss, warum Lancet diese Arbeit überhaupt zur Publikation angenommen hat. Wenn man nur diese 8 Studien analysiert, ergibt sich eine nicht-signifikante Effektstärke. Außerdem haben Shang und Kollegen noch eine weitere methodische Besonderheit eingebaut: sie haben zu jeder Homöopathie-Studie zufällig eine konventionelle Vergleichsstudie gesucht. Wenn man das macht, dann sieht man, dass die Effektstärken der konventionellen Studien auf einen Punkt konvergieren, der von Null verschieden ist, die Effekte der Homöopathiestudien aber gegen Null gehen und also von Placebo nicht verschieden sind.

Allerdings haben Shang und Kollegen nie den Gesamteffekt aller Studien berichtet, außer dass sie in ihrer Publikation gesagt haben, er sei signifikant.

Lüdtke & Rutten (2008)

Dies haben Lüdtke und Rutten in einer Re-Analyse der Shang-Daten nachgeholt. Sie haben zunächst die Analyse von Shang wiederholt und kamen zum gleichen Ergebnis. In einer sog. Sensitivitätsanalyse haben sie dann überprüft unter welchen Bedingungen der Effekt auftaucht und verschwindet. Sensitivitätsanalysen sind eigentlich Standard in der Meta-Analyse, und man muss sich wundern, warum Shang und Kollegen diese nicht selber durchgeführt und publiziert haben (und warum die Gutachter von Lancet bzw. der Herausgeber das nicht eingefordert haben). Solche Analysen zeigen nämlich, wie robust die Ergebnisse gegenüber den Vorannahmen sind. Da jede Meta-Analyse immer auch Annahmen trifft, ist es wichtig zu überprüfen, welchen Einfluss diese Annahmen auf die Robustheit des Ergebnisses haben, in diesem Fall etwa die Annahme dass es sinnvoll und richtig ist, die Daten nach Studiengröße zu ordnen und nur 8 aufzunehmen. Lüdtke und Rutten haben nun eine Analyse gerechnet, in der sie sukzessive immer mehr Studien einschlossen. Man sieht dabei: die Zahl von 8 Studien bezeichnet einen Punkt, an dem eine kumulative Meta-Analyse in den nicht-signifikanten Bereich kommt, nimmt man mehr Studien hinzu, wird die Effektgröße wieder signifikant, dann wieder nicht. Ab 14 Studien und bis zum Schluss, also zum Einschluss aller Studien, wird man immer eine signifikante Effektgröße finden, die immer um die Größe von OR = 0.76 schwankt, aber dann eben immer signifikant ist. Diese Effektgröße bedeutet, dass der Effekt unter Placebo 24% schwächer ist als unter Verum.

Es ist wichtig sich noch einmal vor Augen zu halten: Die Effektgröße schätzt den klinischen Effekt einer Intervention gegenüber Kontrolle, in dem Fall Placebo. Die Signifikanzberechnung fragt, ob dieser Effekt eine Zufallsschwankung darstellt oder nicht. Sie hängt im Wesentlichen davon ab, ob die Effektgrößen sehr stark schwanken, also davon, wie hoch die Variabilität der individuellen Effektgrößen in allen Studien ist, und davon, wie viele Studien zusammengefasst werden. Ist die Variabilität gering, dann können auch schon wenige, konvergierende Studien einen signifikanten Effekt zeigen. Umgekehrt müssen bei einer hohen Variabilität wie hier, viele Studien zusammengefasst werden, um einen signifikanten Effekt zu zeigen. Die Re-Analyse von Lüdtke und Rutten zeigt: es müssen 14 Studien sein, um einen robusten Effekt schätzen zu können, der immer signifikant ist. Das ist eigentlich bei insgesamt 110 Studien gar nicht übel und lässt im Nachhinein die Frage als berechtigt erscheinen, warum Shang und Kollegen sich auf 8 Studien kapriziert haben. Weil sie dann einen nicht-signifikanten Effekt belegen konnten? Weil die 8. Studie meine eigene war, die insgesamt die größte negative Effektstärke in der ganzen Literatur zeigt?21 Weil sie die Studiengröße von 100 als Grenzwert sahen? Warum aber dann meine Studie als 8. einschließen, die 98 Teilnehmer hatte und nicht 100? Wäre diese weggelassen worden und nur 7 Studien eingeschlossen worden, dann wäre der Effekt wieder signifikant geworden. Man sieht: die Übung von Lüdtke und Rutten war keineswegs umsonst. Denn sie zeigt, wie anfällig die Analyse von Shang und Kollegen gegenüber Entscheidungen ist. Und wenn Entscheidungen, wie hier, nicht rational begründet wurden, regt sich der Verdacht, dass Vormeinungen eine größere Rolle spielten als die leidenschaftslose Suche nach dem richtigen Vorgehen.

Außerdem zeigte die Analyse von Lüdtke und Rutten: den größten Einfluss auf die Signifikanz der Daten nimmt eine einzige negative Studie, die auch zu den größten überhaupt gehört, bei der Arnica zur Verhinderung eines Muskelkaters bei Marathonläufern verwendet wurde.22 Man kann sich zu Recht fragen, inwiefern eine solche Anwendung eine Aussagekraft für klinisch angewandte individualisierte Homöopathie hat. Schließt man diese Studie aus, dann ist der Effekt immer positiv, auch bei einem Datensatz von 7 Studien.

Mathie et al (2014)

Die Analyse von Mathie hatte explizit das Ziel, nur individualisierte, klassische oder individualisierte Homöopathie zu untersuchen. Sie fand einen signifikanten Effekt von OR = 1.53, der bei den methodisch besten Studien auf 1.98 anstieg. Ein Kranker, der in einer Homöopathiegruppe behandelt wird ist also um mehr als 50% besser dran als einer, der in einer Placebo-Gruppe behandelt wird. Nimmt man nur die besten Studien dann ist der Behandlungserfolg in der Homöopathiegruppe sogar fast doppelt so gut als in der Placebogruppe. Beide Effektschätzungen sind signifikant, also überzufällig von Null verschieden.

Robert Hahn, ein Schmerztherapeut aus Linköping in Schweden, wo damals ein heftiger Streit über anthroposophische und homöopathische Medizin  tobte, wollte sich einfach einmal informieren; er war weder Homöopath noch kannte er sich vorher in der Literatur aus. Er sichtete daher neugierig und interessiert die Literatur und stellte die Meta-Analysen, die ich oben besprochen habe, zusammen. 23 Er stellte erstaunt fest: Nur wenn man 90% bis 95% aller vorhandenen Studien ignoriert, kann man behaupten, die Homöopathie sei von Placebo nicht zu unterscheiden.

Ich persönlich stimme dem zu. Es ist eine merkwürdige Praxis, möglichst viele Studien aus der Effektberechnung auszuschließen, wie das Cucherat, Shang und andere immer wieder gemacht haben. Schließlich versucht man in jeder Meta-Analyse und in jedem systematischen Literaturüberblick alle Daten zu erfassen, sogar solche, die in obskuren Zeitschriften publiziert sind, die gar nicht publiziert sind oder die nur als Abstract oder Buchkapitel erschienen sind. Und im Normalfall ist eine Meta-Analyse umso gründlicher und zuverlässiger, je mehr Daten sie berücksichtigt. Gerade hier, bei der Homöopathie, wollen manche diese Praxis umkehren. Das Argument dafür ist: Nur die größten und zuverlässigsten Einzelschätzungen sind hilfreich. Dann kann man auch gleich wieder zu der Idee zurückkehren, mit einer einzigen, großen Studie alles entscheiden zu wollen. Weil genau das gar nicht geht, hat man ja die Idee der Meta-Analyse entwickelt. Aber genau für die Homöopathie soll das nun anders sein? Merkwürdige Logik.

(Selbst-)Kritische Gedanken

Ich persönlich meine, man kann das Motiv der kritischen Forscher und Literaturübersichten verstehen. Allerdings explizieren sie das Motiv nicht ganz genau. Hier ist eine kurze Rekonstruktion: Die gewöhnliche, sog. frequentistische Statistik, geht davon aus, dass wir nichts, aber auch gar nichts über den zu erforschenden Effekt wissen, dass also die Ausgangswahrscheinlichkeit 50:50 ist, dass wir einen Effekt finden. Das ist immer dann der Fall, wenn wir z.B. eine neue Substanz testen, von der wir nichts wissen. Allerdings haben wir dann, wenn wir z.B. erste Daten aus Tierversuchen und aus theoretischen Überlegungen haben bereits ein gewisses Vorwissen und unsere Ausgangswahrscheinlichkeit verschiebt sich. Streng genommen ist dann die klassische Statistik gar nicht mehr anwendbar und man müsste eine sog. Bayes’sche Statistik verwenden. Diese geht auf den irischen Pastor Bayes zurück, der klar erkannt hat, dass unsere Entscheidungen abhängig davon sind, welche Ausgangswahrscheinlichkeiten („prior odds“ oder „priors“) wir haben. Denn davon hängt ab, wie wir ein empirisches Ergebnis bewerten und welche Endwahrscheinlichkeit („posterior odds“ oder „posteriors“) entsteht. Das Gefüge unserer wissenschaftlichen Entscheidung enthält also nicht nur das nackte Ergebnis einer Studie, sondern das Ergebnis, bewertet auf dem Hintergrund unseres Vorwissens.

Diese Situation führt nun dazu dass Menschen, die implizit oder explizit skeptisch sind, der Homöopathie eher eine sehr niedrige Ausgangswahrscheinlichkeit – „prior odds“ – zubilligen. Wenn diese sehr niedrig ist, dann muss ein empirisches Ergebnis sehr mächtig sein, um diese zu verschieben und einen Skeptiker zu überzeugen. Genauer gesagt: das geht praktisch nicht. Denn so stark sind empirische Ergebnisse nie. Die Forschung ist fehlerbehaftet, die Studien sind nicht mächtig genug, oder man müsste extrem viele machen, was unrealistisch ist. Und vor allem: solange keine brauchbare Theorie der homöopathischen Wirkung existiert wird auch das stärkste empirische Ergebnis die theoretische Ausgangsskepsis nicht verändern können.

Wer will, kann diese Situation an einem Bayes-Rechner im Internet nachvollziehen; im Menu „interpret p-values“ wählen).

Man gibt hier bei „alpha“ den empirischen p-Wert ein, z.B. das empirische Ergebnis der Meta-Analyse von Cucherat 0.000038. Man wählt eine vernünftige statistische Mächtigkeit oder Power (siehe https://harald-walach.de/methodenlehre-fuer-anfaenger/13-power-analyse-die-magie-der-statistik-oder-der-unterschied-zwischen-signifikanz-und-relevanz/), also z.B. 90%. Dann kann man bei „prior probability“ die Ausgangswahrscheinlichkeit eingeben, z.B. 50% für jemanden, der eine ausgewogene Ausgangssituation hat, oder 0.1% für einen starken Zweifler, 0.0001% für einen extremen Skeptiker, oder 80% für einen der Homöopathie sehr Gewogenen. Dann erhält man die Endwahrscheinlichkeit (posterior odds) und sieht, wie stark die Ausgangswahrscheinlichkeit die Endwahrscheinlichkeit prägt. Für einen ausgewogenen Menschen, der keine Vormeinung hat, reicht eine starke Studie, um seine Endwahrscheinlichkeit fast in Sicherheit zu verwandeln und bei einem positiv der Homöopathie Zugeneigten sowieso. Aber bei einem Skeptiker wird eine solche Studie gar keine großartige Verschiebung der Position bewirken.

Aus diesem Grund sind diese Wahrscheinlichkeiten aus Studien eher theoretische Größen, die praktisch, je nach Ausgangssituation, ganz unterschiedlich bewertet werden. Weil die Menschen sich dieser Situation meist nicht bewusst sind, werden dann alle möglichen anderen Gründe aus dem Hut gezaubert. Ehrlicher wäre es zu sagen: „Ich glaube einfach nicht, dass Homöopathie funktionieren kann. Daher wird mich auch ein noch so starkes empirisches Ergebnis nie und nimmer überzeugen.“ Oder wie es Daniel Dennett einmal angesichts der Diskussion um die Parapsychologie, für die ähnliche Verhältnisse gelten, gesagt hat: „Wenn diese Daten stimmen würden, dann würde ich mich umbringen.“ 24, p. 269 Daher wird die Diskussion um die Wirksamkeit der Homöopathie nie und nimmer nur eine simple empirische Frage sein. Wäre sie das, wäre die Frage schon entschieden: die meisten Meta-Analysen, vor allem der komplette Datensatz der klinischen Homöopathiestudien, egal wie man sie analysiert, zeigen, dass Homöopathie von Placebo verschieden ist und also im herkömmlichen Sinne wirksam ist. Aber eben nur, wenn man mit einer offenen Sicht oder einer Ausgangswahrscheinlichkeit von 0,5 an die Daten herantritt.

Ein weiterer kritischer Gedanke:

Ein zentrales Anliegen von Forschung ist es, Fehler und Schwankungen zu korrigieren. Die Physiker zum Beispiel akzeptieren Daten normalerweise erst dann, wenn ein Effekt mit einer Wahrscheinlichkeit gesichert wurde, der 5 Standardabweichungen der Standardnormalverteilung entspricht, das berühmte „5 Sigma“. Das entspricht einer Wahrscheinlichkeit von p = 10-6, oder einer Kommazahl mit 6 Nullen hinter dem Komma. So stark sind die Effekte der homöopathischen Meta-Analysen bei weitem nicht. Allerdings gilt das für die gesamte Medizin, wie Horton, der Herausgeber von Lancet vor Kurzem einmal angemahnt hat 25. Der Unterschied ist, dass es für die Medizin insgesamt einen stillschweigenden Konsens gibt (und eine moderat robuste Datenbasis, würde ich sagen), dass die Ausrichtung, die theoretische Fundierung und daher die Bewertung der Ergebnisse solide sind. Manche bezweifeln das, vor allem angesichts der massiven Replikationskrise nicht nur in der Medizin und der Psychologie 26, sondern auch anderswo. 27,28 Aber insgesamt sind die Kritiker doch eher geneigt, den konventionellen Daten Glauben zu schenken, auch wenn sie verglichen mit denen der Homöopathie so verschieden und so besser oft nicht sind. Das hat aber wie gesagt eher theoretische und ideologische Gründe.

Allerdings muss man eines zugestehen: Es ist in der Homöopathie sehr schwierig replizierbare Befunde innerhalb eines Modells zu erzeugen, also z.B. 5 oder 10 Studien zum gleichen Krankheitsbild und mit der gleichen Methode zu machen, und dabei die ursprünglichen Effekte zu reproduzieren. Wo das versucht wurde, z.B. beim erfolgreichen Modell von Brigo mit Homöopathie bei Migräne – die wohl erfolgreichste Studie in der gesamten Homöopathie-Literatur 3 – da scheiterten die Nachfolgeversuche bzw. zeigten wesentlich schwächere Effekte 4,21,29. Man sieht das auch teilweise bei den erfolgversprechenden Versuchen von David Reilly, die wir besprochen haben (https://www.homöopathie-forschung.info/klassische-studien_heuschnupfen/). Zwar sind Einzelstudien sehr erfolgreich gewesen und die Meta-Analyse über alle Studien ist signifikant 30. Es gibt aber auch spektakulär gescheiterte Replikationen 31. Ob das anders und deutlicher ist als in der konventionellen Medizin weiß ich nicht; das mögen andere beurteilen. Auf jeden Fall zeigt diese Situation: wir haben die Homöopathie noch nicht gut genug verstanden. Ich persönlich bin der Meinung, dass sich dahinter eine völlig andere Kategorie von Effekten zeigt, die wir momentan nicht in unser wissenschaftliches Weltbild einordnen können.32-34 Daher ist auch der Kampf so heiß. Aber dies ist eine sehr spezialisierte Diskussion, die weit über die Frage der Wirksamkeit hinaus geht; daher will ich sie hier beschließen und vielleicht ein andermal wieder aufgreifen.

Fassen wir zusammen:

Die mehrfachen Meta-Analysen zur Homöopathie kommen in der Mehrzahl zu dem Schluss, dass Homöopathie von Placebo unterscheidbar ist. Man kann dieses Resultat ignorieren oder man kann es auch negieren, wenn man 90% bis 95% aller Daten ausschließt. Dann kann man auch getrost die Behauptung aufstellen, Homöopathie sei Placebo. Ob das lauter, sachgerecht und sinnvoll ist? Ich finde, das ist eine Verzerrung der Sachlage. Wenn man, wie bei Meta-Analysen üblich, alle Daten zusammenfasst, zeigt sich klar, dass Homöopathie von Placebo signifikant unterscheidbar ist. Für einen extremen Kritiker und Skeptiker, der mit einer starken negativen Vormeinung zur Plausibilität der Homöopathie die Daten beurteilt, wird die statistische Signifikanz nicht ausreichen, um seine Skepsis zu überwinden. Aber wenn man unvoreingenommen an die Daten herantritt muss man eingestehen: Homöopathie ist Placebo überlegen, jedenfalls über alle Studien hinweg. Das gilt für die individualisierte, klassische Homöopathie, aber auch für die vielen Studien, die die Homöopathie auf einfachere Weise modelliert haben. Daher ist es auch gerechtfertigt, um auf unsere Ausgangsfrage zurückzukommen, wenn der Gesetzgeber im Arzneimittelgesetz homöopathischen Einzelmitteln den je individuellen Nachweis der Wirksamkeit erlässt.

Referenzen

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  29. Straumsheim P, Borchgrevink C, Mowinkel P, Kierulf H, Hafslund O. Homoepathic treatment of migraine: A double blind, placebo controlled trial of 68 patients. British Homeopathic Journal 2000; 89: 4-7.
  30. Taylor MA, Reilly D, Llewellyn-Jones RH, McSharry C, Aitchison TC. Randomised controlled trial of homoeopathy versus placebo in perennial allergic rhinitis with overview of four trial series. British Medical Journal 2000; 321: 471-6.
  31. Lewith GT, Watkins AD, Hyland ME, et al. Use of ultramolecular potencies of allergen to treat asthmatic people allergic to house dust mite: double blind randomised controlled clinical trial. British Medical Journal 2002; 324: 520-3.
  32. Walach H. Magic of signs: a non-local interpretation of homeopathy. British Homeopathic Journal 2000; 89: 127-40.
  33. Walach H. Entanglement model of homeopathy as an example of generalizsed entanglement predicted by Weak Quantum Theory. Forschende Komplementärmedizin und Klassische Naturheilkunde 2003; 10: 192-200.
  34. Lucadou Wv, Römer H, Walach H. Synchronistic Phenomena as Entanglement Correlations in Generalized Quantum Theory. Journal of Consciousness Studies 2007; 14(4): 50-74.

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Die Europäischen Wissenschaftsakademien und die Homöopathie

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Harald Walach

Das EASAC (European Academies Science Advisory Council) ist so etwas wie das Gralshütergremium der europäischen Wissenschaft und berät die EU Kommission und indirekt natürlich auch die Mitgliedsstaaten über den Stand der Wissenschaft in verschiedenen Bereichen und gibt Empfehlungen aus. Die haben keine rechtliche, aber sehr wohl eine moralische Verbindlichkeit. Denn immerhin macht sich der versammelte europäisch-wissenschaftliche Sachverstand, so hat es den Anschein, daran eine Sache klarzustellen. In diesem Falle die Homöopathie. Das Verdikt dieses wissenschaftlichen Rates der europäischen Akademien, formuliert von einer Arbeitsgruppe von europäischen Medizinern, ist einigermaßen vernichtend. In der Essenz sagt das EASAC Memorandum „Homeopathic products and practices: assessing the evidence and ensuring consistency in regulating medical claims in the EU” (http://www.easac.eu/home/press-releases/detail-view/article/homeopathy.html), in klarem Deutsch:

Homöopathie ist Quatsch. Denn wir verstehen nicht, wie sie funktioniert und was bisher drüber gesagt worden ist, ist unplausibel. Außerdem ist Homöopathie empirisch gesehen maximal Placebo und das sollte nicht von öffentlichen Kassen finanziert werden. Damit ist sie aber auch Irreführung der Patienten, die immer noch glauben, sie würden eine wirksame Arznei erstehen und könnte außerdem durchaus gefährlich sein, denn sie könnte ja verhindern, dass wirklich effektive medizinische Maßnahmen unterbleiben oder zu spät angewandt werden. Insgesamt sollten nationale Zulassungsverfahren daher einen Standard anwenden und nur solche Produkte zulassen, die wirklich die Probe aufs Exempel bestanden haben und damit dem Maßstab der Wissenschaft, im Moment der randomisierten klinischen Studie (idealerweise placebo-kontrolliert) entsprochen haben.

Das klingt, wenn nicht unbedingt sympathisch, doch wenigsten rational und vernünftig – auf den ersten Blick. Daher lohnt es sich, ein bisschen hinter die Argumente zu schauen und diese genauer zu analysieren. Stimmen sie? Wie werden sie begründet? Was gibt es dazu zu sagen?

Gefährliches Placebo

Fangen wir mit dem wichtigsten Argument an: Homöopathie ist unwirksam und empirisch gesehen maximal ein Placebo und als solches gefährlich, weil es wirksame Maßnahmen verhindern könnte.

Die Creme de la Creme der europäischen Wissenschaft gibt sich aus meiner Sicht eine ziemliche Blöße, indem sie nicht, wie das wissenschaftlich üblich ist, auf Primärdaten Bezug nimmt, um diese Aussage zu treffen, sondern sich auf „excellent science-based assessments performed by other authoritative and impartial bodies“ (S.3) verlässt. Was genau heißt hier „excellent“? Oder „science-based“? Fragt sich der naive Beobachter. Dass diese Institutionen autoritativ sind – die Schwedische oder Ungarische Akademie der Wissenschaften, die englische Royal Society, das Australische National Health and Medical Council – steht außer Frage. Aber sind sie auch „impartial – unparteiisch“? Da hätte ich, mit Verlaub, meine Zweifel. Denn dass die Homöopathie ein Stein des wissenschaftlichen Anstoßes ist, ist seit Hahnemanns Zeiten keine Neuigkeit. Und dass Institutionen, die den wissenschaftlichen Mainstream verkörpern, keine Freude mit ihr haben und sie lieber von der Bildfläche verschwunden sähen, um ihr Weltbild rein und ihren Geist fein zu erhalten ist auch verständlich. Dass es mit der Unparteilichkeit nicht so weit her ist, sieht man an folgender Vignette und einigen Fakten:

Der australische Bericht – NHMRC

Der australische Homöopathiebericht wurde zweimal verfasst. Die erste Version, die offenbar zu ganz positiven Ergebnissen gekommen ist, scheint in der Schublade verschwunden zu sein. Momentan läuft ein Gerichtsverfahren in Australien, das vom Homeopathic Research Institute (HRI) in London angestrengt wurde und das die Herausgabe dieser ersten Version zum Gegenstand hat. Auf der letzte HRI Konferenz in Malta hat Rachel Roberts dieses Problem minutiös analysiert (man kann ihre Präsentation hier ansehen: http://www.hrimalta2017.org/presentations/). Was hier also als „science-based, authoritative“ angeführt wird ist vermutlich verzerrt und im schlimmsten Falle sogar betrügerisch. Überhaupt pflegen diese Akademieberichte, soweit ich weiß, ebenfalls nicht auf Primärdaten zurückzugreifen, genausowenig wie der australische Bericht, sondern sich auf publizierte Analysen, meistens Sekundäranalysen, zu stützen und haben damit nicht mehr und nicht weniger Aussagekraft als diese.

Metaanalyse Shang et al.

Die am meisten zitierte, weil im Ergebnis negative Analyse, war die von Shang und Kollegen [1], die auch vom EASAC als Beleg für die Unwirksamkeit der Homöopathie angeführt wird. Dabei werden geflissentlich folgende Fakten übersehen, auf die schon vielfach hingewiesen wurde:

  1. Das Ergebnis dieser Analyse ist nur dann negativ, wenn man, wie die Autoren, nur die größten 8 Studien von 21 methodisch besten Studien einschließt. Für diese Entscheidung gab und gibt es kein gutes Argument. Die Entscheidung wurde nie begründet, auch nicht nachträglich. Eine Sensitivitätsanalyse, die die Auswirkungen dieser Entscheidung untersucht, unterblieb. Das widerspricht – eigentlich – jeder guten Praxis von Meta-Analysen und verletzt – eigentlich – auch die Publikationsstandards von Lancet, dem Journal, das die Arbeit publiziert hat. Eigentlich. Denn in dem Fall der Homöopathie kann man ja beide Augen zumachen. Man weiß eh, dass dabei nichts herauskommen kann, oder? Die Sensitivitätsanalyse wurde von anderen nachgeliefert [2]. Schließt man alle 110 Studien ein, ergibt sich ein klarer signifikanter Effekt. Schließt man sukzessive immer mehr Studien aus, bleibt der Effekt sehr lange stabil signifikant. Nimmt man etwa 14 Studien aus dem Ensemble der qualitätvollen 21, dann ist der Effekt immer noch signifikant. Der negative Effekt ist hauptsächlich auf eine große Studie zurückzuführen, bei der Arnica präventiv gegen Muskelkater bei Marathonläufern getestet wurde. Man kann sich sehr fragen, ob und inwiefern eine solche Studie wirklich etwas über ärztliche homöopathische Praxis aussagt. Ist eine solche Publikation ein wissenschaftlich belastbarer Befund, aufgrund dessen so weitreichende Aussagen getroffen werden sollen?
  2. Die Studie wurde ausführlich kritisiert [3, 4]. Es ist gute wissenschaftliche Praxis bei der Bewertung einer Arbeit auch auf deren Kritikpunkte einzugehen bzw. diese bei weiteren Bewertungen zu berücksichtigen. Das unterblieb damals wie heute. Das wiederum ist schlechte wissenschaftliche Praxis.

Metaanalysen: Der aktuelle Stand

Es ist außerdem gute Praxis, den aktuellen Stand der Wissenschaft in einem solchen schwerwiegenden Fall zu berücksichtigen. Und das bedeutet: neuere Publikationen zur Kenntnis zu nehmen. Die gibt es durchaus. Hahn, ein schwedischer Anästhesiologe, der sich unvoreingenommen die Literatur ansah – er war und ist kein Homöopath, sondern einfach nur neugierig –, war ganz erstaunt, wie viel positive Befunde es zur Homöopathie gibt und meinte, man müsse über 90% aller Befunde ausblenden, wenn man das Ergebnis von Shang oder anderer homöopathiekritischer Berichte aufrecht erhalten wolle [5]. In der Tat. Dies ist, was geschieht. Man blendet unter einem Vorwand Befunde aus und hat wieder eine saubere intellektuelle Welt. Kann man machen, muss man nicht. Mathie hat in der Zwischenzeit eine neue Meta-Analyse vorgelegt und unter sehr strikten Auswahlkriterien nur klassisch homöopathische Therapie, in placebokontrollierten, randomisierten Studien untersucht, in seiner Arbeit berücksichtigt. Das Ergebnis ist signifikant und kommt zu dem Schluss, dass Homöopathie sich von Placebo unterscheiden lässt [6].

Nun meine Kollegen vom Scientific Advisory Council der Europäischen Akademien, wollen wir doch einmal folgendes festhalten: Die Aussage, Homöopathie ist Placebo, lässt sich nur unter folgenden Bedingungen aufrechterhalten.

  1. Man ignoriert Befunde.
  2. Man stützt sich auf primäre Publikationen dort, wo sie einem in den Kram passen und ignoriert sie dort, wo sie die eigene Weltsicht trüben.
  3. Man biegt Kriterien, die allgemein gelten, mal kurzfristig um. Denn allgemein gilt das Kriterium, dass Meta-Analysen jeweils auf den neuesten Stand gebracht werden (also Mathie vor Shang) und dass Meta-Analysen den höchsten Evidenzgrad darstellen (also Meta-Analysen vor selektierten Einzelbefunden).

Evidenz zu einzelnen Diagnosen

Man kann sich natürlich, wie diese Kommission, auf den Standpunkt stellen, es gäbe keine konsistenten Befunde für Diagnosen. Diese Aussage stimmt teilweise. Es gibt allerdings einige Diagnosen und Befundcluster, für die sie nicht stimmt, aber das ist jetzt eher nebensächlich. Wichtiger scheint mir folgendes zu sein: Die Gruppierung von Interventionen für Diagnosen ist dem Verständnis dessen, wie die Homöopathie sich selbst sieht, nicht angemessen. Die Frage ist auch gar nicht: Ist Homöopathie Placebo für, sagen wir, Asthma bei Kindern? Sondern die Frage ist: Ist Homöopathie generell ein Placebo. Denn das ist ja die Behauptung. Die Meta-Analysen – nicht nur die von Mathie, sondern auch andere, sogar die von Shang – zeigen, dass sie das nicht ist. Daher ist das Ausweichen auf einzelne Diagnosen eher ein Wechsel der Bühne um die Peinlichkeit zu vertuschen: Homöopathie ist doch – klinisch-empirisch – von Placebo zu unterscheiden, jedenfalls im Durchschnitt, und wir verstehen überhaupt nicht, warum.

Evidenz für homöopathische Arzneimittel

Wenden wir uns dem nächsten Argument zu: Man solle auch im Fall der Homöopathie die strikten (Evidenz-)Kriterien anwenden, die konventionelle Behandlungen erfüllen müssen.

Das klingt wiederum auf den ersten Blick vernünftig, ja sogar zwingend. Denn immerhin müssen ja alle neuen konventionellen Substanzen eine Zulassungsprozedur durchlaufen, bei der sie in der Regel zwei klinische Studien vorweisen müssen. Diese können entweder placebo-kontrolliert sein oder Vergleiche mit Standard. Sind diese positiv, werden sie zugelassen. Man vergisst bei dieser Argumentation: Sie setzt zwingend die Logik voraus, dass eine Substanz für eine bestimmte Krankheit entwickelt und für diese verwendet wird. Genau das ist bei der Homöopathie ja nicht der Fall. Vielmehr können homöopathische Arzneien in der Theorie für alle möglichen Krankheiten verwendet werden, solange das Symptombild mit dem Arzneimittelbild übereinstimmt. Eine Arznei, die bei Kopfschmerz helfen kann, kann auch bei Husten erfolgreich sein oder bei Dysmenorrhoe – wenn die Symptome stimmen. Und eine Arznei, die einen Patienten von Kopfschmerzen geheilt hat, kann bei einem anderen Kopfschmerzpatienten versagen. Daher ist die normale Zulassungslogik für die Homöopathie nicht zielführend. Deswegen gibt es auch das Argument des „traditional use“, der Registrierung über die Erfahrungstradition. Diese Zulassungspraxis gibt es im Übrigen auch für viele ältere konventionelle Präparate, die einfach über die Tradition ihre Zulassung beibehalten haben. Sollen die nun auch alle über die Klinge springen?

Die Cochrane-Kriterien

Die Autoren führen auch an, dass man am besten die strikten Kriterien der Cochrane-Collaboration erfüllen solle. Das ist ein Netzwerk von Wissenschaftlern, die systematische Meta-Analysen und Übersichtsarbeiten durchführen und dabei sehr strikten Protokollen folgen. Daher sind ihre Schlussfolgerungen in der Regel enttäuschend und konservativ. El Dib und Kollegen haben bereits 2007 die Probe aufs Exempel gemacht [7]: Sie zogen 1016 zufällig ausgewählte Cochrane-Reviews aus der riesigen Cochrane Library und untersuchten, wie häufig sie zu klaren positiven oder negativen Schlüssen kommen. Die meisten davon übrigens konventionelle Interventionen. Das Resultat habe ich in der Abbildung 1 zusammengestellt:

Abbildung 1 – prozentualer Anteil von 1016 zufällig ausgewählter Cochrane-Reviews die klare Wirksamkeit belegen, klar schädlich sind, vermutlich schädlich, möglicherweise wirksam und unklar. Nach El Dib et al. [7]

Cochrane-Reviews nach El Dib et al.

Bei je 2% der Reviews zeigt sich, dass die untersuchte Intervention klar wirksam oder klar schädlich ist. Bei weiteren 5% zeigt sich, dass sie vermutlich schädlich ist, wir es aber noch nicht genau wissen. Bei 43% zeigt sich, dass sie möglicherweise wirksam ist und bei der Mehrzahl, nämlich 48% ist die Sache unklar.

Jetzt nochmals zum Mitschreiben: bei gerade mal 4% haben wir eine sog. wissenschaftliche Evidenz. Immerhin deutet eine große Zahl von Studien, nämlich bei 43% der Interventionen, auf eine mögliche Wirksamkeit hin. Aber wissenschaftliche Evidenz sieht anders aus. Und bei fast der Hälfte haben wir keine Ahnung, ob die Intervention etwas taugt oder nicht. Kann man daraus folgern, dass das, was normalerweise in Krankenhäusern und Arztpraxen passiert, „evidenzbasiert“ ist, wie man das neudeutsch gerne nennt? Ich glaube nicht.

Meine Herausforderung an die Kollegen vom EASAC wäre: Wenn Sie mit der gleichen Striktheit, Vollmundigkeit und Sicherheit bereit sind, 96% aller konventionellen medizinischen Interventionen aus der Versorgung nehmen, so lange, bis Klarheit herrscht, mit der Sie die Praxis der Homöopathie kontrolliert und reguliert sehen wollen, wenn Sie bereit sind jene 2% Interventionen, von denen wir wissen, dass sie eher schaden als nutzen sofort abzuschaffen und jene 5% zu suspendieren, von denen wir annehmen können, dass sie schädlich sind, zum Beispiel so manche Screenings, und dies von den Krankenhäusern und nationalen Regulatoren fordern, dann könnte man sicher auch über die Homöopathie reden, so wie Sie es tun. Das ist natürlich rhetorisch. Denn keiner würde auf die Idee kommen, aufgrund dieser Daten 98% der Medizin auszusperren und vom Markt zu nehmen. Denn: Wir haben ja schließlich auch noch unsere klinische Erfahrung, oder? Genau. Genau wie die Homöopathie, die zuallererst einmal erfahrungsbasiert ist und sich erst langsam wissenschaftlich selbst durchdringt.

Ich finde: Wenn man sehr genau hinsieht, ist vieles an der anscheinend so evidenzbasierten Medizin weniger gut evidenzbasiert, als man meint. Gøtzsche ist etwa der Meinung, man könnte die ganze biologische Psychiatrie in die Tonne treten, weil sie keine gute Datenbasis hat [8], eine Stimme aus der Cochrane Collaboration übrigens, eine wichtige zumal. Vor nicht allzulanger Zeit zeigten Autoren aus der Kardiologie [9]  und Onkologie [10], dass nur 11% (Kardiologie) bzw. 6% (Onkologie) von therapeutischen nationalen Leitlinien-Empfehlungen in den USA sich auf Daten der Evidenzklasse A (also Meta-Analysen oder mehrere gute randomisierte Studien) stützen können. Da steht doch die Homöopathie so schlecht nicht da im Vergleich, auch wenn sie in keiner nationalen Leitlinie vorkommt, oder?

Nebenwirkungen

Nehmen wir ein weiteres Argument: Homöopathie ist schädlich. Entweder werden Leute von wichtigen Behandlungen abgehalten oder sie schadet gleich direkt, weil ja häufig doch mehr Moleküle drin sind, als man denkt und weil Leute die Sachen dann länger nehmen als sie sollten, im Glauben, sie seien harmlos.

Die erste Aussage ist schlicht eine ungedeckte Behauptung. Es gibt keinerlei wissenschaftliche Belege dafür. Im Gegenteil, alle Daten, die wir kennen zeigen: Homöopathie wird in der Regel komplementär, also in Ergänzung zu, konventionell-medizinischen Behandlungen verwendet, oder im Rahmen von Selbstbehandlungen bei trivialen Erkrankungen wie Erkältung [11]. Oder sie kommt dann in Frage, wenn alle anderen konventionellen Angebote versagt haben oder mit zu vielen Nebenwirkungen behaftet waren. Der Krebspatient, der sich weigert, sich konventionell behandeln oder untersuchen zu lassen und gleich zum Homöopathen geht ist eine Rarität [12,13]. Ich will gar nicht abstreiten, dass es Homöopathen gibt, die sich und ihre Methode überschätzen. Aber gibt es solche Menschen nicht auch anderswo? Interessant ist: Wenn so was bei Homöopathen entdeckt wird, kommt der moralische Zeigefinger. Passiert es anderswo oder im eigenen Stall, naja dann halt. Dumm gelaufen.

Beim zweiten Teil des Argumentes wird gerne auf einen akuten Fall abgehoben. Einige Kinder in den USA hatten epileptische Anfälle. Gleichzeitig hatten sie von ihren Eltern homöopathische Zahnungskügelchen bekommen. Man vermutete, dass das homöopathische Belladonna in den Zahnungskügelchen schuld war, bzw. gab ihm gleich mal die Schuld, ohne dass das in irgend einer Form bewiesen oder auch nur plausibel wäre und forderte Regulierung, eine historische Vorlage für den EASAC-Vorstoß [14]. Was sicher denkbar ist, ist die Tatsache, dass der amerikanische Hersteller gepatzt hat und mehr Belladonna in den Kügelchen war als nominal angegeben (D3). Was auch denkbar ist, dass in seltenen Einzelfällen Kinder überreagieren, vor allem wenn jemand eine homöopathische Substanz zu lange nimmt. Das dürften aber sehr seltene Fälle sein, die im übrigen rein theoretisch eben dafür sprechen, dass homöopathische Arzneien kein Placebo sind. Aus genau dem Grund hat das deutsche BfArm auch eine Richtlinie erlassen, in der bei der Selbstmedikation auf die Zeit- und Dosisbegrenzung der Einnahme hingewiesen wird.

Insgesamt ist die Homöopathie unter Garantie sicherer als jede konventionelle Arzneitherapie. Die einzige Überblicksarbeit, die bedeutsame Nebenwirkungen gefunden haben will [15] ist, wie wir gezeigt haben [16], so voll von Fehlern, dass sie keine zuverlässige Literaturquelle darstellt.

Plausibilität

Bleibt die Implausibilität der Homöopathie. Da würde ich den EASAC Autoren zustimmen. Die fairste Aussage ist aus meiner Sicht: Homöopathie hat klinische Wirkung, die sich manchmal in klinischen Studien, und über alle Studien hinweg, von Placebo unterscheiden lässt. Es gibt sogar einige Hinweise aus der Grundlagenforschung, dass sich homöopathische Substanzen von Placebo unterscheiden lassen, die die EASAC-Autoren geflissentlich übergehen. Aber wir haben keinen blassen Schimmer warum und wie sie wirkt. Alle theoretischen Möglichkeiten die bislang angeführt wurden – und das EASAC-Papier ist an diesem Punkt relativ dünn, denn es gibt eine ganze Reihe von anderen Modellen als die dort diskutierten – sind hoch spekulativ und keinesfalls bewiesen. Aber nur weil ein Phänomen noch unverstanden ist und wir es nicht in unser Weltbild einbauen können es zu bannen und als prinzipiell undenkbar zu brandmarken? Das ist, finde ich, keine gute Idee. Dann hätte man viele Substanzen nicht verwenden dürfen, denn ihre Wirkungsweise wurde erst viel später klar, von Aspirin angefangen. Im Gegenteil: Wissenschaftshistorisch war die wissenschaftliche Beschäftigung mit Anomalien – und eine solche stellt die Homöopathie dar – immer der Anfang einer neuen Erkenntnis und der Garant für Fortschritt. Die Implausibilität der Homöopathie als Argument für die Beendigung der Auseinandersetzung mit ihr zu verwenden ist zutiefst unhistorisch und in der Sache unwissenschaftlich.

Und noch am Rande eine kleine, pikante aktuelle Vignette: Eine ganz neue Befragung der Universität Tübingen, Abt. Allgemeinmedizin, an 138 Ärzten in Weiterbildung ergibt: 46% der Befragten wendet komplementäre Verfahren bereits in der Praxis an, weil sie finden, das würde den Patienten nützen. Die Homöopathie gehört mit 16% der Nennungen dabei zu den häufigeren Verfahren. Aber das Interessanteste: 56% der Befragten wenden komplementäre Verfahren bei sich selber an, und das am meisten verwendete Verfahren bei der Selbstanwendung von Ärzten ist dabei, Sie ahnen es, die Homöopathie, die von 21% angewandt wird. [17] Was hat nun das wohl zu bedeuten? Ärzte, die von den besten europäischen Ausbildungsinstitutionen ausgebildet werden, wenden das angeblich schlechteste und unwissenschaftlichste Verfahren, die Homöopathie, mehrheitlich bei sich selber an? Warum wohl? Weil sie zu dumm sind, wirksam von unwirksam zu unterscheiden? Weil sie den Segnungen der konventionellen Pharmakologie zu wenig trauen? Weil sie sich vielleicht lieber mit einem nebenwirkungsarmen Placebo als mit einer wirksamen, aber nebenwirkungsbehafteten antiinflammatorischen Substanz behandeln?

Was wir wirklich brauchen

ist eine solide, öffentlich geförderte Auseinandersetzung mit diesem Phänomen. Die Autoren der EASAC zitieren den CAMbrella-Abschlußbericht, eines der wenigen EU-geförderten Projekte zur Komplementärmedizin [18]. Allerdings nicht vollständig, sondern nur die Passagen, die ihnen in die Argumentationsschiene passen. Die CAMbrella-Mitglieder haben nämlich in der Tat argumentiert, dass für die Komplementärmedizin keine eigenen Spielregeln gelten sollen, sondern die allgemeinen. Dass dies aber nur möglich sei, wenn es auch entsprechende Forschung und deren Förderung gäbe. Daher brauchen wir nicht weniger, sondern mehr Forschung in diesem Bereich. Auf dem gesamten Gebiet der Komplementärmedizin, aber auch auf dem Gebiet der Homöopathie. Daher hatten wir bei einer Nachpräsentation im Europaparlament gefordert, die EU sollte wenigsten eine dediziertes Forschungsprogramm, aber eigentlich besser, wie die USA, Australien und Norwegen, ein Forschungsinstitut einrichten [19]. Das wäre die Konsequenz aus der empirischen Situation und aus der Tatsache, dass Patienten und Ärzte immer noch Homöopathie verwenden, obwohl Experten wie die der EASAC es ihnen versuchen auszureden. Der Punkt ist: Die Leute sind nicht dumm, ungebildet und leichtgläubig. Sondern sie machen ihre Erfahrungen. Sie machen sie meistens zuerst in der Medizin, wie wir sie haben. Z.B. mit ihren Kindern. Und wenn diese dann nach dem x.ten Kurs Antibiotika für ihre Ohrenschmerzen immer wieder neu Ohrenschmerzen bekommen, suchen sie sich andere Möglichkeiten. Die Freundin rät: geh mal zum Homöopathen, und wenn alles gut läuft, bricht eine gute homöopathische Behandlung den Zirkel und läutet eine dauerhafte Veränderung, vielleicht Genesung ein, warum auch immer, wie auch eine Studie zeigt [20]. Vielleicht wäre es an der Zeit, sich solche Themen einmal genauer anzusehen, z.B. in randomisierten Systemvergleichen. Diese aber sind nicht mal eben aus der Portokasse zu bezahlen. Dafür braucht man Forschungsprofis, Geld und willige Klinikchefs. Aber nur solche Studien helfen uns wirklich dabei, die relevanten Fragen zu klären. Und diese relevanten Fragen sind noch nicht einmal gestellt, geschweige denn beantwortet.

Was in diesem EASAC-Papier geschieht ist, juristisch gesprochen, eine Vorverurteilung unter Ignorierung bekannter Daten und unter Unkenntnis relevanter Daten, aus dem ästhetisch-theoretischen Grund, dass einem das vermeintliche Theoriemodell nicht behagt, weil es nicht in die momentane Weltsicht passt. Stimmt. Tut es nicht. Aber das ist kein wissenschaftliches, sondern ein ideologisches Argument.

Lesen Sie hier auch das WissHom-Statement zu EASAC …

[1] Shang, A., Huwiler-Münteler, K., Nartey, L., Jüni, P., Dörig, S., Sterne, J. A. C., et al. (2005). Are the clinical effects of homeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy. Lancet, 366, 726-732.

[2] Lüdtke, R., & Rutten, A. L. B. (2008). The conclusions on the effectiveness of homeopathy highly depend on the set of analyzed trials. Journal of Clinical Epidemiology, 61, 1197-1204.

[3] Fisher, P., Bell, I. R., Belon, P., Bolognani, F., Brands, M., Connolly, T., et al. (2005). Letter to the Editor: Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Lancet, 366, 2082.

[4] Walach, H., Jonas, W., & Lewith, G. (2005). Letter to the Editor: Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy. Lancet, 366, 2081.

[5] Hahn, R. G. (2013). Homeopathy: Meta-Analyses of pooled clinical data. Forschende Komplementärmedizin, 20, 376-381. https://www.karger.com/article/fulltext/355916

[6] Mathie, R. T., Lloyd, S. M., Legg, L. A., Clausen, J., Moss, S., Davidson, J. R., et al. (2014). Randomised placebo-controlled trials of individualised homoeopathic treatment: sytematic review and meta-analysis. Systematic Reviews, 3(142). https://systematicreviewsjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/2046-4053-3-142

[7] El Dib, R. P., Atallah, A. N., & Andriolo, R. B. (2007). Mapping the Cochrane evidence for decision making in health care. Journal of Evaluation in Clinical Practice, 13, 689-692. http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1365-2753.2007.00886.x/abstract

[8] Gøtzsche, P. C. (2015). Deadly Psychiatry and Organised Denial. Copenhagen: People’s Press.

[9] Tricocci, P., Allen, J. M., Kramer, J. M., Califf, R. M., & Smith Jr, S. C. (2009). Scientific evidence underlying the ACC/AHA clinical practice guidelines. Journal of the American Medical Association, 301, 831-841.

[10] Poonacha, T. K., & Go, R. S. (2010). Level of scientific evidence underlying recommendations arising from the National Comprehensive Cancer Network clinical practice guidelines. Journal of Clinical Oncology, 29, 186-191.

[11] Eardley, S., Bishop, F. L., Prescott, P., Cardini, F., Brinkhaus, B., Santos-Rey, K., et al. (2012). A systematic literature review of Complementary and Alternative Medicine prevalence in EU. Forschende Komplementärmedizin, 19(suppl 2), 18-28.

[12] Güthlin, C., Walach, H., Naumann, J., Bartsch, H.-H., & Rostock, M. (2010). Characteristics of cancer patients using homeopathy compared with those in conventional care: a cross-sectional study. Annals of Oncology 21, 1094-1099.

[13] Rostock, M., Naumann, J., Güthlin, C., Günther, L., Bartsch, H. H., & Walach, H. (2011). Classical homeopathy in the treatment of cancer patients – a prospective observational study of two independent cohorts. BMC Cancer, 11(19).

[14] Podolsky, S. H., & A.S., K. (2016). Regulating homeopathic products – A century of dilute interest. New England Journal of Medicine, 374, 201-203.

[15] Posadzki, P., Alotaibi, A., & Ernst, E. (2012). Adverse effets of homeopathy: a systematic review of published case reports and case series. The International Journal of Clinical Practice, 66, 1178-1188.

[16] Walach, H., Lewith, G., & Jonas, W. (2013). Can you kill your enemy by giving homeopathy? Lack of rigour and lack of logic in the systematic review by Ernst and colleagues on adverse effects of homeopathy. International Journal of Clinical Practice, 67, 385-386.

[17] Valentini, J., Flum, E., Schwill, S., Krug, K., Szencsenyi, J., & Joos, S. (2018, in print). Komplementäre und Integrative Medizin in der Facharztweiterbildung Allgemeinmedizin – Ergebnisse einer Bedarfserhebung bei Ärzten in Weiterbildung. Complementary Medicine Research, 25 (DOI:10.1159/000485319).

[18] Weidenhammer, W., & Walach, H. (Eds.). (2012). Complementary Medicine in Europe – CAMbrella. Freiburg: Karger. Forschende Komplementärmedizin, Sonderheft.

[19] Walach, H., & Pietikäinen, S. (2014). A Roadmap for CAM Research towards the Horizon of 2020. Forschende Komplementärmedizin / Research in Complementary Medicine, 21(2), 80-81.

[20] Friese, K.-H., Kruse, S., Lüdtke, R., & Moeller, H. (1997). The homoeopathic treatment of otitis media in children: comparisons with conventional therapy. International Journal of Clinical Pharmacology and Therapeutics, 35, 296-301.

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