Frankreich hat die Homöopathie aus der öffentlichen Erstattung genommen

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– wegen angeblicher Unwirksamkeit –

Ein paar Gedanken zum französischen Homöopathie Health Technology Assessment Bericht

Harald Walach

Im Sommer hat Frankreich bekanntlich die Homöopathie aus der öffentlichen Erstattung genommen. Grundlage dafür war ein offizielles Health-Technology-Assessment Dokument. In ihm werden Vorläufer-Entscheidungen, namentlich der Australische Bericht, genannt. Von diesem hat sich ja, das habe ich im letzten Blog dargelegt, gezeigt, dass die Behörde gegen ihre eigenen Richtlinien verstieß, einen positiven Vorgängerbericht klammheimlich in der Schublade verschwinden ließ, um dann mit dem offiziellen negativen aufzuwarten. Nun passiert in Frankreich etwas Ähnliches, nur anscheinend etwas systematischer und wissenschaftlicher und ohne, dass erst ein positiver Bericht entstehen konnte, den man dann peinlicherweise hätte verschwinden lassen müssen. Da ist die französische Bürokratie seit Napoleon um einiges effizienter. Wenn man das Dokument liest, das unter https://www.has-sante.fr/upload/docs/application/pdf/2019-06/homeopathie_pic_avis3_cteval415.pdf frei verfügbar ist [1], dann ist man erst einmal beeindruckt von der Sorgfalt der Hintergrundrecherche: 364 systematische Reviews und 517 randomisierte kontrollierte klinische Studien (RCTs) identifizierte sie. Da sag noch einer, es gäbe keine Forschung zur Homöopathie!

Doch dann passiert, zauber-zauber, Abrakadabra, das, was jeder systematische Reviewer unbedingt braucht, damit er überhaupt eine Chance hat den Überblick zu behalten: Dann werden ein paar ganz unschuldig klingende Ausschlusskriterien angelegt, die ganz vernünftig klingen und die Informationsdichte reduzieren. Da werden eben nur solche Einzelstudien eingeschlossen, die nicht schon in systematischen Reviews und Meta-Analysen verbacken sind. Und natürlich nur solche Studien, die nicht auch für Marktautorisierung verwendet worden sind. Das finde ich jetzt mal eine kluge Idee! Wenn man das auf konventionelle pharmakologische Produkte anwenden würde, dann hätte man gleich mehrere Klassen extrem teurer Medikamente vom Tisch, z.B. die meisten Krebsmedikamente, fast alle Psychotropika und vermutlich noch ein paar mehr. Warum da noch keiner drauf gekommen ist? Jedenfalls, man darf der Haute Autorité de Santé (HAS) zu dieser genialen Idee gratulieren. Außerdem sind alle Studien ausgeschlossen, die nicht auf Englisch und Französisch publiziert sind, denn andere Sprachen können sie ja bekanntlich in Frankreich nicht. Deutsch fällt dann flach. Und wenn man in die Liste der ausgeschlossenen Studien blickt, dann ist da eine ganze Reihe drunter, die deswegen nicht weiter in Betracht gezogen worden sind. Denkbar, aber eigentlich eine schlechte Idee, wenn man schon den Anspruch hat sorgfältig zu sein. Und dann, ja klar, werden alle Studien ausgeschlossen, die man nicht kriegt, weil sie vielleicht nur in einer obskuren Publikation in einem Verlag im Hindukusch verlegt sind. Kann man verstehen. Wenn man dann mal genau schaut, was das für Studien sind, die da nicht auffindbar waren (seitens der Bibliothéque National, schätze ich mal, Frankreichs Prachtstück, wo sozusagen alles, was auf der Welt an geistigem Wert publiziert wird, gebunkert wird), dann sieht man: Das waren Studien aus dem Jahr 2003 oder 2005, wichtige Studien, etwa die Sepsis-Studie von Frass, die in Homeopathy publiziert wurde [2]. Die meisten Studien, die da als nicht auffindbar markiert sind, kommen aus Homeopathy, eine der ältesten medizinischen Spezialzeitschriften, eine Zeitschrift die lange von Elsevier verlegt wurde, jetzt von Thieme, die Medline gelistet ist und mindestens einmal in jedem Land der Welt verfügbar ist. Die ist nicht auffindbar? Welche Bibliothekare waren denn da am Werk? – fragt man sich. Ja, und dann noch ein wichtiger, einsichtiger Grund: Wenn eine Intervention gar nicht Homöopathie war, sind die Studien auch ausgeschlossen. Klar, leuchtet ein. Dann sieht man ins Verzeichnis und stellt fest: Studien, die mit LM-Potenzen gemacht wurden, wurden grundsätzlich ausgeschlossen, etwa die wegweisende Studie von Heiner Frei und Kollegen, die gezeigt hat, dass man mit Homöopathie ADHS sehr gut behandeln kann [3] oder die Depressionsstudie von Adler [4], die wir vor kurzem besprochen haben. Das ist zwar ärgerlich, weil damit einige wirklich klinisch, wissenschaftlich und modell-theoretisch sehr gute Studien ausgeschieden wurden, aber in Frankreich gibt es eben keine LM-Potenzen in der öffentlichen Versorgung und von daher kann man das noch verstehen.

Auf jeden Fall, das Ergebnis der Zauberei: Aus den 881 Studien werden auf diese Weise ganze 21, die man zu Kenntnis nehmen muss; und von denen, die das öffentliche Versorgungssystem betreffen und die nicht notwendiger Weise randomisierte klinisch-experimentelle Studien waren sondern epidemiologische Beobachtungsstudien, bleiben dann noch fünf übrig. Die ganze Expertise stützt sich also auf 26 Studien. Das sind gerade einmal 3% der gesamten Datenbasis. Natürlich, man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass die Synthese der Einzelstudien ja von den systematischen Reviews gemacht worden ist. Das stimmt dann, wenn diese Reviews sauber gemacht worden sind bzw. wenn deren Ausschlusskriterien nicht auch auf wackligen Beinen standen. Da das nicht immer gegeben ist, ist aus meiner Sicht dieses Vorgehen nur begrenzt zulässig. So gilt auch hier, was ich schon bei früherer Gelegenheit immer wieder betont habe, ein Schluss, den Hahn (https://www.karger.com/Article/FullText/355916) deutlich gemacht hat [5]: Man kann nur dann zum Schluss kommen, dass Homöopathie klinisch unwirksam ist, wenn man mehr als 90% aller Daten ignoriert. Genau das ist nun mal wieder passiert. Dann stimmt natürlich die Schlussfolgerung. Dann sieht auch alles ganz wissenschaftlich aus, und dann kann man die Entscheidung natürlich auch politisch vertreten. Mein Eindruck ändert sich dadurch kaum, was die öffentliche Behandlung der Homöopathie angeht und meine Diagnose ist nach wie vor:

Die Homöopathie stellt ein theoretisches Ärgernis dar. Denn wir verstehen nicht, wie das denn überhaupt funktionieren können soll. Also, so die Konsequenz der meisten, kann es apriori gar nicht funktionieren. Dann setzen wir den Filter auf, der auch genau dieses Ergebnis erzeugt, indem wir all die Daten, die dieser Vormeinung nicht entsprechen, ignorieren. Und fertig ist die Zitierkatze, die sich in den Schwanz beißt: Kann nicht funktionieren, sagt die Vormeinung. Wird nicht funktionieren, sagt die Erwartung. Funktioniert auch nicht, sagt das HTA-Ergebnis, gestützt auf all die Daten, die diese Meinung bestätigen.

Vielleicht sollte man nochmals auf einen winzigen Sachverhalt hinweisen, den ich vor Zeiten schon mal kurz beschrieben habe (https://www.homöopathie-forschung.info/alles-zufall/): Vor vier Jahren erschien ein amerikanischer Marktforschungsbericht, der der Homöopathie ein wirtschaftliches Wachstum weltweit von 400 Millionen Marktumsatz auf 17 Milliarden prophezeite, also ein Wachstum um den Faktor 40, getrieben von der Entwicklung in Europa, vor allem in Deutschland. Ich glaube nicht, dass es irgend eine Industrie weltweit gibt, die Robotik und Biotechnologie eingeschlossen, die von derart märchenhaften Wachstumszahlen ausgehen kann, und ich weiß auch nicht, ob der Bericht recht hat und ob die Information stimmt; mir erscheint er nach wie vor sehr traumtänzerisch und den ganzen Bericht habe ich nicht lesen können, weil er 2.500 USD kostet. Aber die Faktizität ist in postfaktischen Zeiten egal. Wichtig ist, was wichtige Akteure glauben, dass faktisch stimmt. Und dass manche „stakeholder“, also Interessensgruppen, solche Informationen nicht gerne hören und dann über Verdrängungsoperationen nachdenken, das kann man leicht nachvollziehen und dazu gehört nicht einmal ein ausgesprochen verschwörungstheoretisches Naturell. Ich denke, es genügt, wenn man systemtheoretische Überlegungen heranzieht: Die Homöopathie passt nicht ins herrschende Denkmodell und auch nicht ins herrschende Versorgungssystem der vor allem apparativ und molekularbiologisch orientierten Versorgung. Da dieses Modell immer mächtiger wird, ist es kein Wunder, wenn es Unkraut auszumerzen versucht, wie das die hochtechnisierte Landwirtschaft auch macht. Irgendwann, wenn das Unkraut dann ausgemerzt ist, kommt man dann drauf, welch wichtige Rolle es in der Ökologie, der Tier- und Pflanzenwelt gespielt hat und versucht es dann mühsam wieder anzusiedeln, Klatschmohn und Kornblume am Rande der Weizenfelder, wo es schön aussieht, aber nicht stört. Hoffentlich haben wir genügend Verstand und Toleranz, um an dieser Stelle anders mit der Homöopathie umzugehen. Jedenfalls ein großes Vorbild ist der französische HTA-Bericht nicht, und Politiker sollten es sich mindestens dreimal überlegen, ob sie sich der Peinlichkeit hingeben wollen, ihn zu zitieren.

  1. Haute Autorité de Santé. (2019). Commission de la Transparence: Évaluation des médicament homéopathiques soumis à la procédure d’enregistrement prévue à l’articcle L.5121-13 du CSP. Zugriff am 18.12.19 auf https://www.has-sante.fr/upload/docs/application/pdf/2019-06/homeopathie_pic_avis3_cteval415.pdf.
  2. Frass, M., Linkesch, M., Banyai, S., Resch, G., Dielacher, C., Löbl, T., et al. (2005). Adjunctive homeopathic treatment in patients with severe sepsis: a randomized, double-blind placebo-controlled trial in an intensive care unit. Homeopathy, 94, 75-80.
  3. Frei, H., Everts, R., von Ammon, K., Kaufmann, F., Walther, D., Hsu-Schmitz, S.-F., et al. (2005). Homeopathic treatment of children with attention deficit disorder: a randomised, double-blind, placebo controlled crossover trial. European Journal of Pediatrics, 164, 758-767.
  4. Adler, U. C., Paiva, N. M. P., Cesar, A. T., Adler, M. S., Molina, A., Padula, A. E., et al. (2009). Homeopathic individualized Q-potencies versus fluoxetine for moderate to severe depression: double-blind, randomized non-inferiority trial. eCAM, doi:10.1093/ecam/nep114.
  5. Hahn, R. G. (2013). Homeopathy: Meta-Analyses of pooled clinical data. Forschende Komplementärmedizin, 20, 376-381.
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Wirklichkeit, Fakten, Realität

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Der ursprüngliche australische Homöopathiebericht des National Health and Medicine Research Council (NHMRC) und ein paar Gedanken zu Daten in Zeiten politischer Kämpfe

Harald Walach

Zu Zeiten, in denen sich selbst ansonsten kluge Leute wie der halbe Grünenvorsitzende Robert Habeck zu öffentlichen Aussagen hinreißen lassen, die Homöopathie hätte keine über den Placebo-Effekt hinausgehende Wirkung, ist es nützlich zu überlegen, woher so vielbeschäftigte Leute wie Habeck und viele andere in den Medien die Zeit nehmen, um sich so gründlich zu informieren, dass sie solche Sätze ungeschützt und offenbar ohne jede Zweifel formulieren können. Meistens stößt man dann ziemlich rasch auf den sog. „Australischen Homöopathiebericht“ oder, ausführlicher, den Bericht des Australian National Health and Medical Research Council (NHMRC). Das ist ein sog. Health Technology Report, also ein pragmatischer Bericht darüber, inwiefern eine Intervention, in dem Fall die Homöopathie, der Sache nach gut genug wirkt und politisch und ökonomisch vertretbar ist. Solche Berichte mischen in der Regel wissenschaftliche mit pragmatisch-politischen Erwägungen, weil es am Ende darum geht, eine Intervention im Rahmen eines öffentlichen Gesundheitssystems anzubieten.

Dieser NHMRC-Bericht zur Homöopathie kam zum Schluss, Homöopathie hätte keinen wesentlich über den Placebo-Effekt hinausgehende Wirkung und solle daher nicht im Rahmen des öffentlichen Gesundheitssystems Australiens angeboten werden. Dazu muss man zwei Dinge wissen:

  1. Der Bericht stützt sich nicht auf Originalliteratur, also auf die originalen klinischen Studien, die eigentlich allein eine Basis für solche Schlussfolgerungen abgeben. Er geht vielmehr nur auf die Ebene der sekundären Analysen, also systematische Reviews und Meta-Analysen, deren Prämissen und Schlussfolgerungen er übernimmt.
  2. Der offiziell publizierte Bericht ist bereits der zweite seiner Art. Der erste verschwand still und heimlich in der Schublade der Medizinbürokraten. Warum?

Hier wird es spannend. Die Tatsache, dass es einen ersten Vorgängerbericht gab, war lange ein gut gehütetes Geheimnis der australischen Behörden, bis über einige Leaks bekannt wurde, dass es einen unter Verschluss gehaltenen Vorgängerbericht gab (https://www.informationen-zur-homoeopathie.de/?p=1037). Australische und später auch englische Homöopathen und Institutionen bemühten sich zunächst auf informellem, dann auf formellen Weg den Zugang zu dem ursprünglichen Bericht zu erhalten. Als das nichts fruchtete klagte das Homeopathic Research Institute (HRI) in London zusammen mit einigen australischen Homöopathen formell auf Freigabe des Berichts im Rahmen des Freedom of Information Acts, also der öffentlichen Verfügbarkeit von behördlichen Informationen. Das war nun erfolgreich und vor einigen Wochen wurde der erste Bericht, grummelnd und mit vielen Wenns und Abers freigegeben.1 Hier kann man ihn nachlesen: https://www.hri-research.org/resources/homeopathy-the-debate/the-australian-report-on-homeopathy/.

Dort tauchen dann erstaunliche Dinge auf: Die Autoren des Berichts, eine unabhängige universitäre Arbeitsgruppe, die ansonsten meines Wissens wenig mit Homöopathie zu tun hat, kommen zu dem Schluss, dass Homöopathie bei folgenden Indikationen einen zwar nicht unbedingt starken, aber immerhin vorhandenen Beweis der Wirksamkeit über Placebo hinaus erbracht hätte:

  • Otitis media
  • Ileus
  • Fibromyalgie
  • Obere Atemwegsinfekte bei Erwachsenen
  • Nebenwirkungen von Krebsbehandlungen, und zwar Stomatitis und Dermatitis, die aufgrund von Bestrahlungen und Chemotherapie auftreten können

Das sind wohlgemerkt nur diejenigen Indikationen, für die ausreichend viele Studien für quantitative oder qualitative Zusammenfassungen nach Indikationsgebieten möglich sind und für die diese Zusammenfassungen positiv ausgefallen sind. Für viele andere Gebiete gibt es gar keine Zusammenfassungen, und für manche fielen diese auch negativ aus.

Warum dieser erste Bericht in der Schublade verschwand und umgehend ein neuer in Auftrag gegeben wurde, wird das Geheimnis der Behörde bleiben. Die offizielle Lesart ist: Der erste Bericht sei nicht ausreichend wissenschaftlich gewesen. Wer auch nur kursorisch den ersten Bericht liest, in dem dann auch die Randbemerkungen des Lektors oder der Lektorin des NHMRCs zu finden sind, der kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Da hat irgendjemandem die Schlussfolgerung nicht gefallen und darum mussten ausreichend viele Haare in der Suppe gefunden werden, um sie neu kochen zu lassen.

Es ist übrigens interessant sich die einzelnen Indikationen anzusehen: Es sind allesamt solche, für die konventionell wenig Behandlungsoptionen bestehen. Bei Otitis media, eine hauptsächlich bei Kindern vorkommende Krankheit, werden zwar gerne Antibiotika verordnet. Diese sind aber zum einen meistens nicht indiziert, weil die Erkrankung bei Kindern häufig viralen Ursprungs ist und außerdem auch nicht sonderlich effektiv in der Verhinderung von Komplikationen2,3, führen überdies zu Resistenzbildungen4 und erhöhen die Gefahr späterer chronischer entzündlicher Darmerkrankungen und Diabetes 5,6.

Bei Fibromyalgie sind allenfalls verhaltenstherapeutische Hilfen und vielleicht Achtsamkeitsinterventionen erfolgversprechend, aber keine konventionell-pharmakologischen. Für die anderen Indikationen gibt es keine guten konventionellen Optionen der Behandlung. Warum also will man partout die vorhandene Datenlage, die zeigt, dass die Homöopathie hilfreich sein kann, nicht zur Kenntnis nehmen? Könnte es sein, dass, wie schon des Öfteren beobachtet, weniger die Daten als eine politisch-weltanschauliche Voreingenommenheit den Ausschlag gibt?

Aber einmal ganz abgesehen von diesen Argumenten und Informationen: Ein tertiärer Literaturbericht, und um einen solchen handelt es sich hier, kann nur so gut sein, wie die sekundäre Literatur, die in ihn einfließt. Manche dieser sekundären Reviews sind ganz ordentlich, setzen aber manchmal Einschluss Kriterien, die die in Frage kommende Originalliteratur einengen, und verkürzen so das Bild, ganz abgesehen davon, dass einige Akteure in dem Feld gerne mal schlampig arbeiten, was man erst bei genauerem Hinsehen bemerkt7.

Ich finde, ein nationaler HTA-Bericht, der bindende Wirkung haben soll, sollte sich zumindest die Mühe machen, die Originalliteratur zu sichten. Ginge nicht, sagten die Auftraggeber ursprünglich, weil zu viel Literatur da wäre und das zu lange dauern würde. Interessant, oder? Auf der einen Seite hört man immer, es gäbe keine Information und keine Studien zur Homöopathie, auf der anderen Seite begründet eine offizielle, staatliche Beratungsbehörde es wäre zu viel Originalliteratur, als dass man sich in sie vertiefen könne. Ein anderer HTA-Bericht zur Homöopathie, der die Originalliteratur gesichtet hat, kommt zu genau gegenteiligen Schlüssen8: Homöopathie sei effektiv und solle Teil des Gesundheitssystems sein.

Ich habe bereits in meinem letzten Blogbeitrag darauf hingewiesen: Weder beim NHMRC-Bericht noch in der momentanen Debatte geht es um Daten. Wenn es nur um Daten ginge, blieben lediglich zwei Optionen: Entweder, man verwendet die gängigen Kriterien, die für alle medizinischen Interventionen gelten. Dann müsste man die Homöopathie zähneknirschend als wirksam anerkennen. Oder man verwendet die durchaus harten und oftmals überaus scharfen Kriterien, die die Cochrane Collaboration anwendet. Dann würde man vermutlich dem zweiten NHMRC-Bericht folgen und argumentieren, es gäbe zwar Studien zur Homöopathie, aber die sind noch nicht groß genug, gut genug, repräsentativ genug. Dann müsste man aber auch vermutlich 80% dessen, was in der konventionellen Praxis geschieht aus der öffentlichen Versorgung, genauer aus der Erstattung ausschließen. Denn maximal 20% – bei wohlwollender Lesart – dessen, was derzeit in der Medizin geschieht ist wirklich so gut untersucht und zweifellos wirksam, dass man dazu keine Forschung mehr braucht9. Wollen wir das? Wäre das vernünftig?

Nein, wäre es nicht. Warum nicht? Ganz einfach. Weil wir noch viele andere Erkenntnisquellen außer randomisierten Studien haben, und weil solche Studien nur einen bestimmten Ausschnitt der Wirklichkeit in den Blick nehmen. Auch andere Daten – Kohortenstudien, Einzelfälle, Erfahrungen, nicht-randomisierte Vergleiche, historische Vergleich – spielen bei unseren Bewertungen eine wichtige, wenn auch schwer formalisierbare Rolle, wie wir des Öfteren gezeigt haben10,11. Und mit einer komplexeren, nämlich Bayes’schen Analyse könnte man das formalisieren, wie wir an einem konkreten Beispiel, der ketogenen Diät, ebenfalls belegt haben12.

Die Polemik gegen die Homöopathie ist politischer Korrektheit geschuldet. Eine Minderheit von lauten Stimmen, die Definitionshoheit für sich beanspruchen, hat die politische Parole ausgegeben: Weg mit der Homöopathie, sie passt uns nicht in den Kram. Und pflichtschuldigst stimmen alle, die dazu gehören und modern sein wollen, in diesen Hymnus ein. Sachlich, das haben wir gesehen, ist das in keiner Weise gerechtfertigt. Aber es ist politisch opportun. Woraus man lernt: Das politisch Opportune und das sachlich Richtige sind zwei sehr verschiedene Paar Stiefel, so wie Realität und Wirklichkeit.

Referenzen

  1. National Health and Medical Research Council, International Center for Allied Health Evidence. The Effectiveness of Homeopathy: An Overview Review of Secondary Evidence – An Annotated Draft Report. Canberra, AU: National Health and Medical Research Council, 2019, orif. 2012.
  2. Szőke H, Maródi M, Sallay Z, Székely B, Sterner MG, Hegyi G. Integrative versus Conventional Therapy of Chronic Otitis Media with Effusion and Adenoid Hypertrophy in Children: A Prospective Observational Study. Complementary Medicine Research 2016; 23(4): 231-9.
  3. Grelotti DJ, Kaptchuk TJ. Placebo by proxy: Clinicians‘ and family members‘ feelings  and perceptions about a treatment may influence their judgments about its effectiveness. British Medical Journal 2011; 343: d4345.
  4. Costelloe C, Metcalfe C, Lovering A, Mant D, Hay AD. Effect of antibiotic prescribing in primary care on antimicrobial resistance in individual patients: systematic review and meta-analysis. BMJ 2010; 340: c2096
  5. Livanos AE, Greiner TU, Vangay P, et al. Antibiotic-mediated gut microbiome perturbation accelerates development of type 1 diabetes in mice. Nature Microbiology 2016; 1: 16140.
  6. Hviid A, Svanström H, Frisch M. Antibiotic use and inflammatory bowel disease in childhood. Gut 2011; 60: 49-54.
  7. Vickers AJ. Reducing systematic reviews to a cut and paste. Forschende Komplementärmedizin 2010; 17: 303-5.
  8. Bornhöft G, Matthiessen PF, editors. Homeopathy in Healthcare: Effectiveness, Appropriateness, Safety, Costs. Heidelberg: Springer; 2012.
  9. El Dib RP, Atallah AN, Andriolo RB. Mapping the Cochrane evidence for decision making in health care. Journal of Evaluation in Clinical Practice 2007; 13: 689-92.
  10. Walach H, Falkenberg T, Fonnebo V, Lewith G, Jonas W. Circular instead of hierarchical – Methodological principles for the evaluation of complex interventions. BMC Medical Research Methodology 2006; 6(29).
  11. Walach H, Loef M. Using a matrix-analytical approach to synthesizing evidence solved incompatibility problem in the hierarchy of evidence. Journal of Clinical Epidemiology 2015; 68: 1251-60.
  12. Klement RJ, Bandyopadhyay PS, Champ CE, Walach H. Application of Bayesian evidence synthesis to modelling the effect of ketogenic therapy on survival of high grade glioma patients. Theoretical Biology and Medical Modelling 2018; 15(12).
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Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Homöopathie – Teil 3

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Harald Walach

Wir haben in den beiden ersten Teilen dieser Serie die rechtliche Situation der Zulassung und Prüfung von Homöopathika im deutschen Arzneimittelrecht, sowie die Frage der Wirksamkeit untersucht. Nun widmen wir uns der Frage der

Wirtschaftlichkeit der Homöopathie

Diese Frage hat zum ersten Mal ausführlicher das Schweizerische Programm zur Evaluation der Komplementärmedizin, ein staatlich initiiertes Evaluationsprogramm unter die Lupe genommen, in dessen Review Board ich damals war. 1,2 Die Schweizer haben u.a. als Resultat dieses Evaluationsprogrammes das Recht auf komplementärmedizinische Behandlung als einzige Nation der Welt, soweit ich weiß, in ihre Verfassung aufgenommen. Einer der leitenden Beamten des Bundesamtes für Gesundheit, der für dieses Programm zuständig war, hatte mir damals in einer email geschrieben: „Die Frage ob Komplementärmedizin wissenschaftlich begründet und wirtschaftlich ist, ist keine wissenschaftliche Frage, sondern eine politische.“ Das war wenigstens ehrlich und hat die Sache auf den Punkt gebracht. Trotz seinen heftigen Bemühungen die Komplementärmedizin insgesamt zu desavouieren war das Ergebnis damals weitgehend positiv und die Kosten vieler komplementärmedizinischer Behandlungen, u.a. der Homöopathie, werden seither von den Versicherungen der Schweiz übernommen. Der Health Technology Assessment Report, also die globale Einschätzung von Wirksamkeit und Brauchbarkeit für das Gesundheitssystem, fiel damals positiv aus 3.

Seither sind einige Studien zum Thema erschienen, speziell zur Wirtschaftlichkeit der Homöopathie. Diese besprechen wir nicht alle einzeln, sondern greifen ein paar interessante Daten heraus. Einen Überblick gibt eine systematische Review-Arbeit von Petter Viksveen und Kollegen aus Norwegen 4.

Überblick

Diese Autoren suchten systematisch die Literatur ab und fanden insgesamt 14 Studien, die homöopathische Interventionen auf Wirtschaftlichkeit hin untersuchten. 8 von diesen Studien fanden, dass die homöopathisch behandelten Patienten besseren Gesundheitszustand aufwiesen und dass diese Behandlungen billiger waren. Bei vier Studien zeigte sich, dass die Verbesserungen in der Homöopathiegruppe mindestens so gut wie in der konventionell behandelten Gruppe war und die Kosten vergleichbar. Und zwei Studien fanden, dass die Kosten für die homöopathische Behandlung größer waren, aber die Ergebnisse mindestens gleich gut.

Bevor wir uns zwei Studien genauer ansehen, eine davon im Review von Viksveen enthalten, die andere nicht, noch ein paar Gedanken zum Kostenbegriff in dieser Frage:

Kostentypen

Kosten entstehen ja grundsätzlich auf mindestens vierfache Art und Weise:

  1. Zum einen muss irgendwer den ärztlichen Zeitaufwand bezahlen. Der ist bei Ärzten, die in der kassenärztlichen Praxis arbeiten in Deutschland durch die Pauschale abgedeckt, und homöopathische Vertragsärzte erhalten im Rahmen entsprechender Verträge mit Krankenkassen oft noch ein Zusatzhonorar z.B. für ausführlichere Exploration oder Gespräche; dieses deckt meistens bei klassisch homöopathisch arbeitenden Ärzten den Aufwand nicht. Aus diesem Grund sind viele homöopathische Ärzte in Deutschland privat tätig. In diesem Falle bezahlen die Patienten die Ärzte selber; allenfalls Privatversicherungen oder Zusatzversicherungen übernehmen die Kosten. Diese Kosten tauchen nicht in den Evaluationen auf, auch weil die Länder ganz unterschiedliche Abrechnungsmodi haben.
  2. Dann kommen die Kosten für Arzneimittel hinzu. Diese sind relativ niedrig, da klassisch homöopathische Ärzte tendenziell mit Hochpotenzen arbeiten, die man selten einnimmt und daher auch keine hohen Kosten verursachen. Auch wenn man eher teurere Komplexhomöopathika nimmt, sind die Kosten überschaubar. In Deutschland werden sie für Kinder von der Kasse übernommen, wenn die Verordnung von einem Kassenarzt kommt. Homöopathie hat hier einen Vorteil und damit ein Einsparpotenzial gegenüber konventionellen Pharmaka, die tendenziell eher teurer sind und gerade bei chronischen Problemen tendenziell eher länger eingenommen werden.
  3. Kosten für Krankenhausaufenthalte, entweder weil eine ambulante Behandlung nicht ausreicht, oder weil dabei komplexere Probleme entdeckt werden, oder weil die Krankheit aufgrund einer schlechten ambulanten Behandlung zu einem stationären Aufenthalt führt, sind nicht immer erfasst und wären eine eigene wichtige Kategorie. Bei uns in Deutschland kommen noch Reha-Aufenthalte hinzu, die von einem anderen Kostenträger bezahlt werden und daher normalerweise in Kostenevaluationen nicht enthalten sind.
  4. Weitere und indirekte Kosten durch Krankschreibungen, Arbeitsausfall und sozioökonomische Folgekosten sind nur selten gut berechenbar und nicht immer in den ökonomischen Evaluationen enthalten.

Meines Wissens überhaupt nicht untersucht sind die potenziellen präventiven Effekte. Wie wir sehen werden, nehmen homöopathisch behandelte Patienten in der Regel weniger konventionelle Arzneimittel ein. Da diese aufgrund ihres Nebenwirkungspotenzial nicht selten zu weiteren Erkrankungen führen, die man meistens nicht mit der Einnahme von Medikamenten in Verbindung bringt, sondern als Neuerkrankungen einstuft, die wieder durch neue Interventionen behandelt werden, fällt dieser Aspekt bei der ganzen Betrachtung ganz unter den Tisch.

Versicherte einer holländischen Versicherung verursachen unter komplementärmedizinischer Behandlung 10% weniger Kosten bei vergleichbarem klinischen Ergebnis

Eine große Untersuchung von Baars und Kooreman aus Holland hatte die Möglichkeit, alle Kostendaten einer Krankenversicherung zu untersuchen. 5 Mehr als 1,5 Millionen Versicherte oder 98,8% waren bei konventionellen Ärzten und die restlichen 1,2% oder 18.862 Patienten bei komplementärmedizinisch tätigen Ärzten in Behandlung. Dies waren vor allem anthroposophische Ärzte, homöopathische und solche mit Akupunkturausbildung. Ärzte mit unklarer Zuordnung und ihre Patienten wurden in dieser Analyse nicht berücksichtigt. Die Autoren verglichen die Kosten und hatten ein hartes Kriterium zu den klinischen Ergebnissen: Mortalität. Denn man könnte ja argumentieren: Natürlich haben wir weniger Kosten, wenn die Ärzte schlecht behandeln, notwendige Maßnahmen unterlassen und damit ihre Patienten einer schlechteren Versorgung aussetzen. Das würde sich dann in unterschiedlichen Sterblichkeitsziffern zeigen. Genau das ist nicht der Fall. Die Mortalitätsraten sind bei beiden Ärztegruppen gleich. Aber die Kosten sind bei den komplementärmedizinisch tätigen Ärzten geringer, nämlich um 192 € pro Patient oder um 10%. Dies ist vor allem auf niedrigere Kosten am Ende des Lebens zurückzuführen, dort wo nämlich die meisten Kosten entstehen. Das Einsparpotenzial auf Holland hochgerechnet: 3.78 Milliarden Euro würden die Holländer sparen, wenn alle Holländer komplementärmedizinisch behandelt würden. Das bezieht sich auf 16.8 Millionen Einwohner. Fiktive Hochrechnung für Deutschland mit ca. 80 Millionen Einwohner: etwa 18 Milliarden Euro Einsparpotenzial.

Wir wissen leider nichts über den generellen Gesundheitszustand dieser Patienten, weil als einziger klinischer Parameter die Mortalität erhoben wurde. Die Studie ist deswegen interessant, weil sie einen Zeitraum von 6 Jahren überblickt und die gesamte Population einer holländischen Versicherung. Allerdings kann man aus diesen Daten die Effekte für die Homöopathie nicht herausholen, da sie mit denen der gesamten komplementärmedizinischen Gruppe zusammen verarbeitet wurde. Dieses Problem hat die französische EPI3 Kohorte gelöst 6,7.

Die EPI – 3 Kohortenstudie: Muskuloskeletale Probleme

In Frankreich gibt es traditionell viele homöopathische Ärzte, die im Rahmen der staatlichen Krankenversicherung arbeiten.

Die EPI-3-Kohortenstudie erfasst eine repräsentative Gruppe französischer Ärzte im staatlichen Versorgungssystem. Solche die rein konventionell praktizierten, solche die rein homöopathisch praktizierten und solche mit verschiedenen anderen Methoden der Komplementärmedizin oder mit einer Mischung. Insgesamt wurde eine repräsentative Stichprobe von  825 Ärzten eingeschlossen. Das ist wichtig, denn durch die repräsentative Stichprobenziehung und zufällige Patientenziehung bei den Ärzten wurde eine hohe Aussagekraft für die reale Versorgung erreicht. Für unterschiedliche Krankheitsdiagnosen wurden zufällig Ziehungstage festgelegt und an diesen Tagen befragte ein ausgebildeter Mitarbeiter in den entsprechenden Arztpraxen bis zu 15 Patienten im Wartezimmer, die in die entsprechende Diagnosekategorie fielen. Dokumentiert wurden in der EPI-3 Kohorte insgesamt 100 Diagnosen bei 8559 Patienten, zunächst in einer Basiserhebung und dann nach 3, 6 und 12 Monaten in einem Telefoninterview nochmals. Als klinisches Erfolgsmaß wurde die Kurzform eines allgemeinen Funktions- oder Lebensqualitätsfragebogen, der SF12 verwendet, und noch ein spezialisierter Funktionsfragebogen. Die Fragebögen wurden anfangs von den Patienten selbst ausgefüllt und nach einem Jahr in einem Telefoninterview erhoben. Die Ärzte dokumentierten die Diagnosen. Der Medikamentenverbrauch wurde über ein sog. unterstütztes Erinnerungsinterview erhoben, bei dem Patienten nach den Namen entsprechender Arzneimittel anhand von bekannten Beispielen gefragt werden, und der Verbrauch wird dokumentiert.

In dieser Publikation wurde die in Frankreich am häufigsten in der Allgemeinpraxis behandelte Diagnose, Muskuloskeletale Probleme, untersucht 6,7. Darunter sind alle nicht direkt auf eine akute oder andere Erkrankung zurückzuführenden Schmerzprobleme des Muskel- und Skelettsystems zu verstehen, typischerweise also etwa Rückenschmerzen, Nacken- und Schulterschmerzen, Gelenkprobleme aufgrund von rheumatischen Problemen usw.  erfasst. Akut entzündliche Probleme, solche aufgrund von Infektionen oder Krebserkrankungen waren ausgeschlossen. Dies ist also eine große, heterogene Gruppe von Krankheiten, deren gemeinsamer Nenner Schmerzen, meistens chronische, sind.

Insgesamt 371 Patienten mit solchen muskulo-skeletalen Problemen wurden homöopathisch und 272 rein konventionell behandelt; die größte Gruppe machen die Patienten mit einer gemischten Behandlungsform aus, nämlich 510.

Die Patienten der homöopathisch arbeitenden Ärzte waren in der Regel gut mit den anderen vergleichbar, waren allerdings häufiger Frauen, besser gebildet, hatten weniger Übergewicht, aber eher chronische Probleme. Was wir aus anderen Studien wissen, bestätigt sich also hier: Homöopathie wird eher von Gebildeten, mehr von Frauen und vor allem von Patienten gesucht, die schon länger an Problemen leiden und anderswo oft erfolglos behandelt wurden 8,9. Die Ausgangssituation der Patienten war in allen Gruppen etwa gleich, allerdings hatten die Homöopathie-Patienten tendenziell bessere Ausgangswerte.

Diese Unterschiede kontrollierten die Forscher über einen sog. „Propensity Score“. 10 Das ist eine statistische Methode, mit der in naturalistischen, nicht-randomisierten Studien die Unterschiede, die sich aufgrund der natürlichen Auswahl ergeben, statistisch kontrolliert werden können. Denn Menschen, die sich für homöopathische Therapie entscheiden sind vermutlich in vielen Eigenschaften, auch solchen, die nicht erfasst wurden, anders als solche, die sich für konventionelle Therapie entscheiden. Solche Unterschiede versucht man normalerweise durch den Kunstgriff der Zufallszuteilung zu vermeiden und meistens funktioniert das auch gut. Wenn aber Menschen nicht per Zufall aufgeteilt werden können, weil es sich eben um natürliche Merkmale handelt – Lebensstilentscheidungen etwa oder eben Arztwahl – ,dann muss man sich anders behelfen. Bei der Propensity Score Analyse wird aus den bekannten Merkmalen mit Hilfe einer statistischen Vorhersagemethode, einer sog. Regression, errechnet, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass jemand aufgrund der bekannten Merkmale in einer der beiden Gruppen ist. Damit kann man dann einen Wert bilden, mit dem man entweder die Auswertung gewichten kann oder eine Paarung von ähnlichen Patienten in den beiden Gruppen aufgrund ihrer Rangfolge vornehmen kann. Damit kann man dann statistisch weiterrechnen. Hier wurde dann ein lineares Modell angewendet, mit dem die Unterschiedlichkeit der Veränderung erfasst wurde. Statistisch ist das also eine Studie, deren Auswertung auf der Höhe der Kunst liegt.

Es zeigt sich: Insgesamt ist die Besserung in allen Gruppen ungefähr gleich. Die Besserung der Patienten, die bei Einschluss nicht an chronischen Problemen leiden ist in der Homöopathiegruppe leicht geringer. Die Besserung der chronischen Patienten eher etwas größer, aber die Unterschiede sind nicht signifikant.

Was aber sehr deutlich ist: Die Patienten der Homöopathiegruppe verbrauchen nach einem Jahr fast um die Hälfte weniger nichtsteroidale antiinflammatorische Substanzen, sog. NSAIDs. Das sind klassische Entzündungshemmer, die am häufigsten verschriebene Kategorie von Medikamenten – aber auch die Einzelkategorie von Medikamenten, auf deren Konto die häufigsten Todesfälle gehen, die durch Medikamente verursacht wurden 11-15. Die Odds Ratio für die Einsparung gegenüber konventioneller Therapie beträgt nach einem Jahr 0.56, also 44% weniger bei den chronischen Patienten und 0.58, also 42% bei denen, die anfangs mit einem akuten Problem kamen. In der gemischten Gruppe lagen die Werte dazwischen.

Die Autoren der EPI3-Studie folgern: der Behandlungserfolg ist gleich, aber der Verbrauch an NSAIDs ist bei den homöopathisch behandelten Patienten um mehr als 40% reduziert. Nachdem der Funktionsstatus der Patienten am Ende der Behandlung vergleichbar ist, und in diesen gehen auch die Beschreibung der Schmerzen ein, kann das eigentlich nur bedeuten, dass die Behandlung der homöopathischen Ärzte in etwa den gleichen Effekt hat wie die konventionelle Behandlung durch Schmerzmittel. Bei Patienten, bei denen die Homöopathie nicht gut funktioniert, ist anzunehmen, dass sie eben weiterhin zu NSAIDs greifen.

Was heißt das nun für die Wirtschaftlichkeit der Homöopathie? Offenkundig lässt sich aus dieser Studie folgern, dass bei gleichem therapeutischen Erfolg etwas mehr als 40% aller NSAIDs bei Patienten mit muskuloskeletalen Schmerzproblemen (und das sind typischerweise die Hauptkonsumenten solcher Medikamente) innerhalb eines Jahres eingespart werden können, ohne dass der klinische Erfolg darunter leidet. Diese Einsparung hat zwei Seiten: sie hilft potenzielle Nebenwirkungen und damit Folgeprobleme zu reduzieren. Und sie führt zu einer direkten Kosteneinsparung. Zwar sind NSAIDs nicht schrecklich teuer, aber bei einer großen Zahl von Patienten mit muskuloskeletalen Schmerzproblemen fiele das dann doch ins Gewicht. Wichtiger scheint mir aber zu sein, dass diese Medikamentenklasse vor allem bei hoher Dosierung und Langzeitanwendung zu den potenziell gefährlichen gehört und damit die Vermeidung von Folgeproblemen im Vordergrund steht. Rechnet man konservativ nur mit den Arzneimittelausgaben der Gesundheitsberichterstattung des Bundes von 2017, die 633 Mio. für antientzündliche Medikamente betragen (beim Gesundheitsbericht auf „Ausgaben“, dann „Arzneimittel“, dann „Arzneimittel nach ATC Gruppen“ oder nach Roter Liste auswählen und sich die entsprechende Tabelle zusammenstellen lassen), dann läge das Einsparpotenzial nur bei Arzneimitteln bei etwa 250 Millionen, die Verhinderung von Nebenwirkungen und Komplikationen und deren Kosten nicht mit eingerechnet.

Man könnte noch ein zweites Beispiel durchdeklinieren: SSRIs, selektive Serotonin-Reuptake Inhibitoren, die sehr häufig an depressive Patienten ausgegeben werden und ein hohes Nebenwirkungspotenzial haben. Eine neuere Re-Analyse einer großen, unlängst publizierten Meta-Analyse 16, stellt diesen Medikamenten ein sehr schlechtes Zeugnis für ihr Wirkungs-Nebenwirkungsprofil aus und weist besagter ursprünglicher Analyse eine Reihe handwerklicher Fehler nach 17, ganz abgesehen davon, dass die Patienten aus den Studien mit denen in der klinischen Praxis kaum vergleichbar sind 18.  Die Wirkung ist, wenn man alle Studien, auch die unpublizierten, zusammenfasst gerade einmal eine Drittel-Standardabweichung und liegt damit erheblich unter der vom englischen Regulator geforderten halben Standardabweichung. Das Nebenwirkungspotenzial ist hoch. Peter Gøtzsche meint sogar, dass sie sehr gefährlich seien, weil sie häufig zu Selbstmord und Aggression führen, die nicht den Medikamenten zugerechnet werden 19.

Zu diesem Thema gibt es zwei positive Nicht-Inferioritätsstudien klassischer Homöopathie gegen Fluoxetin, ein SSRI. Die beiden Studien, die wir noch einmal gesondert besprechen werden, zeigen: Klassische Homöopathie funktioniert bei Depression genauso gut (oder schlecht) wie SSRIs.20,21  Wenn man bedenkt, dass diese Medikamente zu den am häufigsten verwendeten gehören, erkennt man leicht das Einsparpotenzial. Lt. Gesundheitsberichterstattung des Bundes werden knapp 900 Millionen Euro pro Jahr für Antidepressiva ausgegeben (siehe Link oben; allerdings ist dies eine größere Gruppe von Arzneimitteln und SSRIs sind nur eine Teilgruppe dieser Arzneimittel). Mit einer konservativen Schätzung würde der Ersatz der SSRIs durch homöopathische Therapie zu einem Einsparpotenzial von ca. 500 Millionen Euro führen. Das sind natürlich Phantastereien, weil das gegenwärtige System niemals zu solchen Veränderungen führen wird. Aber man erkennt daran die potenziellen Einsparmöglichkeiten. Ob das der Grund für die wachsende Aggressivität der Anti-Homöopathiekampagne sein könnte?

Für deutsche Verhältnisse gibt es keine wirklich repräsentativen Daten zur Wirtschaftlichkeit der Homöopathie. Die Studie, die von der Technikerkrankenkasse in Auftrag gegeben wurde, hat aus unserer Sicht einige gravierende Mängel. Weil dies technisch komplex ist, besprechen wir sie gesondert.

Wir fassen zusammen:

Es gibt insgesamt mindestens 14 Studien, die die Wirtschaftlichkeit der Homöopathie untersuchen. Alle Studien kommt zu einem positiven Ergebnis, wiewohl sicher noch Untersuchungsbedarf herrscht. 8 von diesen Studien attestieren der Homöopathie, dass sie klinisch bessere Ergebnisse wirtschaftlich günstiger erzeugt als konventionelle Versorgung. Vier Studien zeigen, dass die Homöopathie wirtschaftlich günstiger ist bei gleichen Ergebnissen und zwei Studien bescheinigen der Homöopathie höhere Kosten bei gleichem klinischem Ergebnis.

Wir haben zwei Studien genauer untersucht. Eine große holländische Studie, die über 6 Jahre alle Versicherten einer bestimmten Versicherung analysierte, zeigt: komplementäre Therapie, darunter auch die Homöopathie, ist etwa um 10% günstiger als konventionelle Versorgung bei gleichem klinischen Ergebnis. Auf Holland hochgerechnet hieße das ein Einsparpotenzial von 3,8 Milliarden Euro. Auf Deutschland hochgerechnet hätten wir ein Einsparpotenzial von ca. 18 Milliarden Euro. Eine neuere große französische Kohortenstudie belegt: Homöopathie erzeugt das gleiche klinische Ergebnis, führt aber zu erheblichen Einsparungen von mehr als 40% bei nichtsteroidalen Entzündungshemmern oder etwa 250 Millionen. Würde man das Einsparpotenzial der Homöopathie, das sich auch bei Antidepressiva belegen lässt, tatsächlich in die Kostenrechnung mit einpreisen, ein Potenzial von mindestens 500 Millionen, dann führt eigentlich kein Weg an der Schlussfolgerung vorbei: Homöopathie ist etwa gleich gut wie konventionelle Versorgung, aber günstiger. Ganz genau wissen wir es auf deutsche Verhältnisse angewandt noch nicht. Aber vielleicht sollten all die, die das bestreiten, einmal darauf hinwirken, dass die Sache wirklich sorgfältig untersucht wird. Denn so wie die Dinge liegen, liegt die Beweislast bei denen, die das Gegenteil behaupten und die Homöopathie aus der Versorgungslandschaft gestrichen sehen wollen.

Referenzen

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  8. Güthlin C, Lange O, Walach H. Measuring the effects of acupuncture and homoeopathy in general practice: An uncontrolled prospective documentation approach. BMC Public Health 2004; 4(6).
  9. Witt CM, Lüdtke R, Baur R, Willich SN. Homeopathic medical practice: Long term results of a cohort study with 3981 patients. BMC Public Health 2005; 5: 115.
  10. Rosenbaum PR, Rubin DB. The central role of the propensity score in observational studies for causal effects. Biometrika 1983; 70: 41-55.
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  12. Gor AP, Saksena M. Adverse drug reactions of nonsteroidal anti-inflammatory drugs in orthopedic patients. Journal of Pharmacology and Pharmacotherapeutics 2011; 2: 26-9.
  13. Lanas A, Perez-Aisa MA, Feu F, et al. A nationwide study of mortality associated with hospital admission due to severe gastrointestinal events and those associated with nonsteroidal antiinflammatory drug use. American Journal of Gastroenterology 2005; 100(8): 1685-93.
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  19. Gøtzsche PC. Deadly Psychiatry and Organised Denial. Copenhagen: People’s Press; 2015.
  20. Grimaldi-Bensouda L, Abenhaim L, Massol J, et al. Homeopathic medical practice for anxiety and depression in primary care: the EPI3 cohort study. BMC Complementary and Alternative Medicine 2016; 16(1): 1-9.
  21. Adler UC, Paiva NMP, Cesar AT, et al. Homeopathic individualized Q-potencies versus fluoxetine for moderate to severe depression: double-blind, randomized non-inferiority trial. eCAM 2009; doi:10.1093/ecam/nep114.
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Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Homöopathie – Teil 2

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Harald Walach

Wir haben im ersten Teil dieser Serie die rechtliche Situation der Zulassung und Prüfung von Homöopathika im deutschen Arzneimittelrecht untersucht und kommen nun zum zweiten Teil:

Wirksamkeit der Homöopathie

Methodische Vorüberlegungen

Der Gesetzgeber, so sahen wir, geht von der klinischen Wirksamkeit der Homöopathie aus. Deswegen müssen einzelne Phase-3-Studien zur Wirksamkeit für klassisch-homöopathische Arzneimittel, also solche, die als Einzelarzneien verordnet werden, nicht vorgelegt werden. Nur indikationsbezogene Arzneien müssen solche Belege vorlegen und tun dies auch. Wie aber steht es mit der Wirksamkeit der Homöopathie im klassischen Sinne, also der Überlegenheit von Homöopathie gegenüber Placebo oder der vergleichbaren Wirksamkeit gegenüber Standardtherapien?

Bevor wir das diskutieren nochmals eine Erinnerung:

Phase-3-Studien, die die Wirksamkeit einer Substanz gegenüber Placebo oder einer Standardanwendung testen sind immer Studien, die eine Patientengruppe mit einer definierten Diagnose einschließen und dort eine Anwendung testen. Das ist relativ einfach. Alle Patienten erhalten das gleiche Medikament oder die gleiche Anwendung, verglichen mit einem Placebo oder einer Standardbehandlung. Die Zuteilung der Patienten auf die Gruppen erfolgt zufällig und idealerweise sind die Patienten und Behandler verblindet und wissen nicht, wer was erhält.

Dieses Studienmodell wurde nun auch auf die Homöopathie angewandt. Allerdings muss man dabei folgendes bedenken: Wenn man Patienten mit einer Diagnose in eine Studie einschließt, dann wird es selten nur ein Homöopathikum geben, das für alle Patienten indiziert ist. Man hat im Prinzip drei Möglichkeiten:

  1. Man verwendet keine eigentliche, individualisierte Homöopathie, bei der ja nach der besten Passung der Symptome ein Arzneimittel aus einer Fülle von mehr als 1.500 Arzneien auszuwählen wäre. Sondern man nimmt eines der auf dem Markt befindlichen oder zuzulassenden Komplexhomöopathika, bei denen eine Mischung aus möglicherweise in Frage kommenden Arzneien zu einer Arznei mit Indikation verwendet wird. Dann wird z.B. Arnica, Rhus toxicodendron, Ruta und Bellis perennis, meistens in eher niedrigen Potenzen, zu einer Fertigarznei gemischt und bei Patienten mit Zerrungen und Prellungen verwendet. Diese Verwendung kommt der konventionellen Art der Therapie nahe und ist meist für akute Fälle gedacht. Solche Studien gibt es eine ganze Reihe, z.B. 1.
  2. Man definiert eine oder mehrere, häufig bei einer Krankheit in Frage kommender Arzneien und deren Arzneimittelbild und schließt dann nur solche Patienten ein, die dieses Arzneimittelbild haben. Das war etwa bei der Fibromyalgie-Studie von Peter Fisher der Fall2, oder bei der Kopfschmerzstudie von Brigo, die von Whitmarsh wiederholt wurde3,4. Man kommt damit einer klassisch-homöopathischen Anwendung, also einer Individualisierung, relativ nahe, schließt aber zum einen relativ viele in Frage kommende Patienten und Arzneimittel aus und wird bei der Definition der Arzneien möglicherweise Symptome übersehen oder unscharf werden.
  3. Man erlaubt die volle Individualisierung, also so, wie sie in der klassisch-homöopathischen Praxis vorgenommen wird und damit alle Arzneien bei Patienten mit einer bestimmten Diagnose. Aber der Arzt muss verblindet werden und weiß also nicht, ob der Patient nun seine Verordnung erhalten hat oder Placebo. Da solche Studien meistens bei Patienten mit chronischen oder komplexeren Störungen durchgeführt werden, ist eine einzige Verordnung selten ausreichend. Der Arzt muss also entweder seine Verordnung wiederholen, oder das Arzneimittel wechseln, wenn die erste Verordnung nicht passend war. Diese Entscheidung muss er oder sie aufgrund der Berichterstattung des Patienten nach einigen Wochen treffen. Weil er aber nicht weiß, ob der Patient sein Arzneimittel erhalten hat oder Placebo, ist diese Entscheidung alles andere als trivial und bildet auch die normale klinische Realität nicht ab, weswegen sie allen Verordnern ein hohes Maß an Kenntnis und Sicherheit abverlangt und zu eigenen Problemen führt. 5

Natürlicherweise sind Studien des Typs c), also der voll individualisierten Homöopathie selten und wenn sie vorkommen meistens eher kurz. Eine Variante ist ein Studientyp, bei dem zunächst ohne Verblindung bei Patienten die richtige Arznei gesucht wird und dann in einem verblindeten Schema weitergemacht wird.6 Die meisten vorliegenden Studien fallen in die Kategorie a) – bewährte Indikation – oder b) – Definition einiger weniger Arzneien.

Diese Situation hat folgende Konsequenzen: Die klassische, individualisierte Homöopathie, so wie sie in der klinischen Praxis verwendet wird, ist bislang eher wenig, eher schlecht und eher nur in kurzzeitigen Studien untersucht. Sie wurde in Langzeitbeobachtungen untersucht, also in offenen Dokumentations- oder Beobachtungsstudien, und zeigt dort einen klinischen Effekt bei etwa 75% der Patienten.7 Anders ausgedrückt: Wer mit einem chronischen Problem zu einem homöopathischen Arzt geht, der individualisiert behandelt, hat eine relativ hohe Chance, nämlich in 3 von 4 Fällen, eine klinisch relevante Besserung zu erleben. Die Frage ist: Ist dieser klinische Erfolg die Folge der homöopathischen Arzneien, die Folge der therapeutischen Interaktion, die Folge eines gigantischen Placebo-Effektes oder einer Mischung aus diesen. Wahrscheinlich ist es eine Interaktion all dieser Effekte. Für den Patienten (und das Gesundheitssystem) ist es allerdings eigentlich völlig unerheblich, wie der Effekt zustande kommt, solange er zuverlässig, einigermaßen kostengünstig und ohne große Nebenwirkungen und Gefahren zustande kommt.

Insofern ist die Frage, ob homöopathische Arzneien nun von Placebo verschieden sind, eigentlich eine sehr spezielle, akademische, aber natürlich höchst interessante Frage. Wenn wir nun die Studienlage betrachten, muss uns dies klar sein. Denn verblindete klinische Studien untersuchen nur diese Frage, sonst nichts. Und im Fall der Homöopathie haben sie meist eine vereinfachte Form der Homöopathie untersucht, nämlich bewährte Indikationen (a) und verkürzte Individualisierung (b).

Meta-Analysen

Klassischerweise werden Fragen nach der generellen Wirksamkeit („efficacy“) wie gesagt in einzelnen verblindeten, placebo-kontrollierten Studien untersucht oder in Studien, die gegen einen klinischen Standard vergleichen. Da einzelne Studien aber immer auch anfällig für Fehler und zufällige Schwankungen sind, führt man Meta-Analysen durch. In solchen Meta-Analysen werden die Effekte der einzelnen Studien statistisch zusammengefasst, und durch die größere Zahl der Studien und damit natürlich auch der Patienten und Behandlungstypen wird eine robustere Schätzung des Effektes und seiner statistischen Absicherung möglich.

Solche Meta-Analysen gibt es für die Homöopathie eine ganze Reihe. Ich fasse in der Tabelle die wichtigsten zusammen. Das sind solche, die entweder neue und innovative Aspekte eingebracht haben oder aber in der Literatur einflussreich waren. Daneben gibt es eine Reihe von Teil-Analysen, oder Meta-Analysen von Teilbereichen, die ich ausklammere.

Autoren Anzahl Studien/
ausgewertet
Ergebnis
Linde et al. 1997 8 119/89 OR = 2.45/1.78*
Kommentar:Relativ robust; Effekt für methodisch bessere Studien geringer
Cucherat et al. 2000 9 118/17 p < 0.00036
Kommentar:Sehr konservative und technisch unzulängliche Zusammenfassung der Signifikanzen
Shang et al. 2005 10 110/8 Kein Effekt
Kommentar:Wenn man nur 8 Studien berücksichtigt kein Effekt, sonst schon
Lüdtke&Rutten 2008 11 110/21 OR = 0.76*
Kommentar:Re-Analyse der Daten von Shang und Sensitivitätsanalyse. 21 Studien mit der besten Qualität ergeben einen signifikanten Effekt. Wenn man die Studien der Größe nach ordnet (wie Shang), dann findet man ab 14 eingeschlossenen Studien immer einen signifikanten Effekt
Mathie et al. 2014 12 32/22 OR = 1.53 (1.98)*
Kommentar:Nur Studien mit individualisierter Homöopathie
*= signifikantes Ergebnis

Linde et al. 1997

Die erste dieser Analysen war die von Klaus Linde und Kollegen. Sie recherchierte alle damals vorhandenen placebo-kontrollierten Studien und fand immerhin 119, eine Zahl die schon damals sowohl Befürworter als auch Kritiker überraschte. Zusammengefasst ergibt sich eine signifikante Effektstärke mit einer Odds Ratio (OR) von 2.45, die auf 1.78 schrumpft, aber immer noch signifikant ist, wenn man nur die besten Studien nimmt.

Eine Odds Ratio ist eine Effektstärke, die das Verhältnis von therapeutischen Erfolgen und Misserfolgen in der Behandlungs- und Kontrollgruppe abbildet, also dichotome Maße zusammenfasst. Je nachdem, wie das Verhältnis gebildet wird, sind Werte über 1, wie hier, oder kleiner als 1, wie bei Lüdtke, Indikatoren für Erfolg. Hier bedeutet die OR = 2.45, dass Patienten in der Homöopathiegruppe 2.45 mal so häufig Erfolg hatten, oder 1.78 mal in den Studien, die höhere methodische Qualität aufwiesen. Beide Effektstärken waren signifikant. Allerdings zeigte sich eine lineare Abnahme des Effektes, je höher die methodische Güte der Studie war.

Verschiedene Validitätstypen

Dazu muss man folgendes wissen: die methodische Güte einer Studie ist kein eindeutiges Merkmal, wie die Farbe eines Autos. Es gibt zwar Kriterien, wie Verblindung, oder Randomisierung, etc. Diese bilden aber nur die sog. interne Validität ab, also die Sicherheit, mit der man sich auf die Schlussfolgerungen einer Studie verlassen kann. Wichtig ist aber auch die externe Validität, also die Anwendbarkeit, und die Modellvalidität, also die Sorgfalt, mit der eine Studie die zu untersuchende Therapie abgebildet hat. Interne und externe Validität sind eigentlich inkompatibel 13, d.h. man kann sie praktisch nicht in ein und der selben Studie optimieren sondern braucht dafür unterschiedliche Studientypen, und Modellvalidität ist sehr schwer zu fassen. Der Befund, den Klaus Linde und Kollegen dokumentieren, dass mit steigender interner Validität die Effekte kleiner werden ist ein wohlbekannter Effekt, der praktisch überall zu beobachten ist. Immerhin hatten auch noch die besten Studien eine signifikante Effektstärke. Diesen Befund haben zwar dann in der Folge verschiedene Autoren durch Sekundärpublikationen versucht zu relativieren. Das geht immer und wurde auch hier so gemacht, indem man eben Gründe sucht, um Studien nicht einzuschließen und dann eben nur die 5 oder 3 besten Studien nimmt. Dann verschwindet die Signifikanz der Effekte, weil sich die Variabilität vergrößert und die statistische Mächtigkeit abnimmt. Aber solche Strategien halte ich nicht für wissenschaftlich lauter, weswegen ich sie auch nicht weiter bespreche.

Cucherat et al. 2000

Die Analyse von Cucherat und Kollegen entstammte einem größeren Evaluationsprojekt und der Publikation ist anzumerken – und die Autoren machen auch keinen Hehl daraus, dass man versuchte mit allen Mitteln die verblüffende Signifikanz des Gesamtergebnisses zu reduzieren. Die Zusammenfassung selber ist vom Standpunkt der Meta-Analyse schwach, weil keine Effektstärken zusammengefasst wurden sondern eine extrem konservative Methode verwendet wurde, um die zusammengefasste Signifikanz zu dokumentieren. Das entsprach eigentlich schon damals nicht dem Stand der Kunst und tut es heute noch weniger. Die Autoren reduzierten den Gesamtpool an Studien auf die 17 besten und auch die kommen noch auf ein insgesamt signifikantes Ergebnis. Das schwindet erst dann, wenn man nur die 5 oder 3 allerbesten nimmt, aber dann hat man, wie schon oben besprochen, eben das Problem, dass man hohe Variabilität mit reduzierter statistischer Mächtigkeit paart. Das ist eine schlechte und technisch auch nicht empfohlene Methode, wenn man einmal die Literatur zur Meta-Analyse zur Kenntnis nimmt 14-17.

Shang et al 2005

Am häufigsten zitiert wird die Analyse von Shang und Kollegen, die aus dem schweizerischen Programm zur Evaluation der Komplementärmedizin (PEK) hervorgegangen ist. (Aus diesem Programm ist auch ein Health Technology Assessment Report zur Homöopathie entstanden, also ein pragmatischer Überblick. Dieser ist ebenfalls positiv ausgefallen.18) Shang und Kollegen fanden etwas weniger Studien als die Meta-Analysen vor ihnen. Das ist wohl das geringere Problem. Dann ordneten sie alle Studien nach Größe, die größten zuerst. Das hat eine gewisse Berechtigung, denn große Studien sind in aller Regel robuster in der Schätzung von Effekten als kleine, einfach weil bei ihnen die Schätzfehler statistisch gesehen geringer sind. Allerdings darf man folgendes nicht übersehen: Die Größe einer Studie, das hatten wir im vorigen Teil bereits gesehen, hängt auch davon ab, ob es für eine Krankheit bereits andere Therapien gibt, ob eine Therapie ganz neu ist, wie groß die zu erwartenden Effekte sind, etc. Bei Studien, die auf Pilotstudien aufbauen, die einen relativ großen Effekt gezeigt haben, wird sowohl aus ethischen als auch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine relativ kleine Studie ausreichen, den Effekt zu zeigen. Bei Studien, die einen eher kleinen Effekt antizipieren, wird die Studie größer geplant. Daher das Vorgehen, nur die größten Studien zu berücksichtigen, nur in Grenzen sinnvoll.

Der entscheidende, und häufig kritisierte Schritt der Autoren war nun aber, lediglich acht aller Studien in die formale Analyse einzuschließen. Dieses Vorgehen wurde nirgends begründet, war nicht apriori definiert und wurde auch anschließend nie begründet. Erst auf vielfältigen Druck und Kritik hin19,20 gaben die Autoren auf ihrer Webseite bekannt, welches die 8 Studien waren, die eingeschlossen wurden. Das ist aus meiner Sicht ein inakzeptables Vorgehen, und eigentlich verstößt es gegen die Praxis guter Meta-Analysen, weswegen sich der Kenner wundern muss, warum Lancet diese Arbeit überhaupt zur Publikation angenommen hat. Wenn man nur diese 8 Studien analysiert, ergibt sich eine nicht-signifikante Effektstärke. Außerdem haben Shang und Kollegen noch eine weitere methodische Besonderheit eingebaut: sie haben zu jeder Homöopathie-Studie zufällig eine konventionelle Vergleichsstudie gesucht. Wenn man das macht, dann sieht man, dass die Effektstärken der konventionellen Studien auf einen Punkt konvergieren, der von Null verschieden ist, die Effekte der Homöopathiestudien aber gegen Null gehen und also von Placebo nicht verschieden sind.

Allerdings haben Shang und Kollegen nie den Gesamteffekt aller Studien berichtet, außer dass sie in ihrer Publikation gesagt haben, er sei signifikant.

Lüdtke & Rutten (2008)

Dies haben Lüdtke und Rutten in einer Re-Analyse der Shang-Daten nachgeholt. Sie haben zunächst die Analyse von Shang wiederholt und kamen zum gleichen Ergebnis. In einer sog. Sensitivitätsanalyse haben sie dann überprüft unter welchen Bedingungen der Effekt auftaucht und verschwindet. Sensitivitätsanalysen sind eigentlich Standard in der Meta-Analyse, und man muss sich wundern, warum Shang und Kollegen diese nicht selber durchgeführt und publiziert haben (und warum die Gutachter von Lancet bzw. der Herausgeber das nicht eingefordert haben). Solche Analysen zeigen nämlich, wie robust die Ergebnisse gegenüber den Vorannahmen sind. Da jede Meta-Analyse immer auch Annahmen trifft, ist es wichtig zu überprüfen, welchen Einfluss diese Annahmen auf die Robustheit des Ergebnisses haben, in diesem Fall etwa die Annahme dass es sinnvoll und richtig ist, die Daten nach Studiengröße zu ordnen und nur 8 aufzunehmen. Lüdtke und Rutten haben nun eine Analyse gerechnet, in der sie sukzessive immer mehr Studien einschlossen. Man sieht dabei: die Zahl von 8 Studien bezeichnet einen Punkt, an dem eine kumulative Meta-Analyse in den nicht-signifikanten Bereich kommt, nimmt man mehr Studien hinzu, wird die Effektgröße wieder signifikant, dann wieder nicht. Ab 14 Studien und bis zum Schluss, also zum Einschluss aller Studien, wird man immer eine signifikante Effektgröße finden, die immer um die Größe von OR = 0.76 schwankt, aber dann eben immer signifikant ist. Diese Effektgröße bedeutet, dass der Effekt unter Placebo 24% schwächer ist als unter Verum.

Es ist wichtig sich noch einmal vor Augen zu halten: Die Effektgröße schätzt den klinischen Effekt einer Intervention gegenüber Kontrolle, in dem Fall Placebo. Die Signifikanzberechnung fragt, ob dieser Effekt eine Zufallsschwankung darstellt oder nicht. Sie hängt im Wesentlichen davon ab, ob die Effektgrößen sehr stark schwanken, also davon, wie hoch die Variabilität der individuellen Effektgrößen in allen Studien ist, und davon, wie viele Studien zusammengefasst werden. Ist die Variabilität gering, dann können auch schon wenige, konvergierende Studien einen signifikanten Effekt zeigen. Umgekehrt müssen bei einer hohen Variabilität wie hier, viele Studien zusammengefasst werden, um einen signifikanten Effekt zu zeigen. Die Re-Analyse von Lüdtke und Rutten zeigt: es müssen 14 Studien sein, um einen robusten Effekt schätzen zu können, der immer signifikant ist. Das ist eigentlich bei insgesamt 110 Studien gar nicht übel und lässt im Nachhinein die Frage als berechtigt erscheinen, warum Shang und Kollegen sich auf 8 Studien kapriziert haben. Weil sie dann einen nicht-signifikanten Effekt belegen konnten? Weil die 8. Studie meine eigene war, die insgesamt die größte negative Effektstärke in der ganzen Literatur zeigt?21 Weil sie die Studiengröße von 100 als Grenzwert sahen? Warum aber dann meine Studie als 8. einschließen, die 98 Teilnehmer hatte und nicht 100? Wäre diese weggelassen worden und nur 7 Studien eingeschlossen worden, dann wäre der Effekt wieder signifikant geworden. Man sieht: die Übung von Lüdtke und Rutten war keineswegs umsonst. Denn sie zeigt, wie anfällig die Analyse von Shang und Kollegen gegenüber Entscheidungen ist. Und wenn Entscheidungen, wie hier, nicht rational begründet wurden, regt sich der Verdacht, dass Vormeinungen eine größere Rolle spielten als die leidenschaftslose Suche nach dem richtigen Vorgehen.

Außerdem zeigte die Analyse von Lüdtke und Rutten: den größten Einfluss auf die Signifikanz der Daten nimmt eine einzige negative Studie, die auch zu den größten überhaupt gehört, bei der Arnica zur Verhinderung eines Muskelkaters bei Marathonläufern verwendet wurde.22 Man kann sich zu Recht fragen, inwiefern eine solche Anwendung eine Aussagekraft für klinisch angewandte individualisierte Homöopathie hat. Schließt man diese Studie aus, dann ist der Effekt immer positiv, auch bei einem Datensatz von 7 Studien.

Mathie et al (2014)

Die Analyse von Mathie hatte explizit das Ziel, nur individualisierte, klassische oder individualisierte Homöopathie zu untersuchen. Sie fand einen signifikanten Effekt von OR = 1.53, der bei den methodisch besten Studien auf 1.98 anstieg. Ein Kranker, der in einer Homöopathiegruppe behandelt wird ist also um mehr als 50% besser dran als einer, der in einer Placebo-Gruppe behandelt wird. Nimmt man nur die besten Studien dann ist der Behandlungserfolg in der Homöopathiegruppe sogar fast doppelt so gut als in der Placebogruppe. Beide Effektschätzungen sind signifikant, also überzufällig von Null verschieden.

Robert Hahn, ein Schmerztherapeut aus Linköping in Schweden, wo damals ein heftiger Streit über anthroposophische und homöopathische Medizin  tobte, wollte sich einfach einmal informieren; er war weder Homöopath noch kannte er sich vorher in der Literatur aus. Er sichtete daher neugierig und interessiert die Literatur und stellte die Meta-Analysen, die ich oben besprochen habe, zusammen. 23 Er stellte erstaunt fest: Nur wenn man 90% bis 95% aller vorhandenen Studien ignoriert, kann man behaupten, die Homöopathie sei von Placebo nicht zu unterscheiden.

Ich persönlich stimme dem zu. Es ist eine merkwürdige Praxis, möglichst viele Studien aus der Effektberechnung auszuschließen, wie das Cucherat, Shang und andere immer wieder gemacht haben. Schließlich versucht man in jeder Meta-Analyse und in jedem systematischen Literaturüberblick alle Daten zu erfassen, sogar solche, die in obskuren Zeitschriften publiziert sind, die gar nicht publiziert sind oder die nur als Abstract oder Buchkapitel erschienen sind. Und im Normalfall ist eine Meta-Analyse umso gründlicher und zuverlässiger, je mehr Daten sie berücksichtigt. Gerade hier, bei der Homöopathie, wollen manche diese Praxis umkehren. Das Argument dafür ist: Nur die größten und zuverlässigsten Einzelschätzungen sind hilfreich. Dann kann man auch gleich wieder zu der Idee zurückkehren, mit einer einzigen, großen Studie alles entscheiden zu wollen. Weil genau das gar nicht geht, hat man ja die Idee der Meta-Analyse entwickelt. Aber genau für die Homöopathie soll das nun anders sein? Merkwürdige Logik.

(Selbst-)Kritische Gedanken

Ich persönlich meine, man kann das Motiv der kritischen Forscher und Literaturübersichten verstehen. Allerdings explizieren sie das Motiv nicht ganz genau. Hier ist eine kurze Rekonstruktion: Die gewöhnliche, sog. frequentistische Statistik, geht davon aus, dass wir nichts, aber auch gar nichts über den zu erforschenden Effekt wissen, dass also die Ausgangswahrscheinlichkeit 50:50 ist, dass wir einen Effekt finden. Das ist immer dann der Fall, wenn wir z.B. eine neue Substanz testen, von der wir nichts wissen. Allerdings haben wir dann, wenn wir z.B. erste Daten aus Tierversuchen und aus theoretischen Überlegungen haben bereits ein gewisses Vorwissen und unsere Ausgangswahrscheinlichkeit verschiebt sich. Streng genommen ist dann die klassische Statistik gar nicht mehr anwendbar und man müsste eine sog. Bayes’sche Statistik verwenden. Diese geht auf den irischen Pastor Bayes zurück, der klar erkannt hat, dass unsere Entscheidungen abhängig davon sind, welche Ausgangswahrscheinlichkeiten („prior odds“ oder „priors“) wir haben. Denn davon hängt ab, wie wir ein empirisches Ergebnis bewerten und welche Endwahrscheinlichkeit („posterior odds“ oder „posteriors“) entsteht. Das Gefüge unserer wissenschaftlichen Entscheidung enthält also nicht nur das nackte Ergebnis einer Studie, sondern das Ergebnis, bewertet auf dem Hintergrund unseres Vorwissens.

Diese Situation führt nun dazu dass Menschen, die implizit oder explizit skeptisch sind, der Homöopathie eher eine sehr niedrige Ausgangswahrscheinlichkeit – „prior odds“ – zubilligen. Wenn diese sehr niedrig ist, dann muss ein empirisches Ergebnis sehr mächtig sein, um diese zu verschieben und einen Skeptiker zu überzeugen. Genauer gesagt: das geht praktisch nicht. Denn so stark sind empirische Ergebnisse nie. Die Forschung ist fehlerbehaftet, die Studien sind nicht mächtig genug, oder man müsste extrem viele machen, was unrealistisch ist. Und vor allem: solange keine brauchbare Theorie der homöopathischen Wirkung existiert wird auch das stärkste empirische Ergebnis die theoretische Ausgangsskepsis nicht verändern können.

Wer will, kann diese Situation an einem Bayes-Rechner im Internet nachvollziehen; im Menu „interpret p-values“ wählen).

Man gibt hier bei „alpha“ den empirischen p-Wert ein, z.B. das empirische Ergebnis der Meta-Analyse von Cucherat 0.000038. Man wählt eine vernünftige statistische Mächtigkeit oder Power (siehe https://harald-walach.de/methodenlehre-fuer-anfaenger/13-power-analyse-die-magie-der-statistik-oder-der-unterschied-zwischen-signifikanz-und-relevanz/), also z.B. 90%. Dann kann man bei „prior probability“ die Ausgangswahrscheinlichkeit eingeben, z.B. 50% für jemanden, der eine ausgewogene Ausgangssituation hat, oder 0.1% für einen starken Zweifler, 0.0001% für einen extremen Skeptiker, oder 80% für einen der Homöopathie sehr Gewogenen. Dann erhält man die Endwahrscheinlichkeit (posterior odds) und sieht, wie stark die Ausgangswahrscheinlichkeit die Endwahrscheinlichkeit prägt. Für einen ausgewogenen Menschen, der keine Vormeinung hat, reicht eine starke Studie, um seine Endwahrscheinlichkeit fast in Sicherheit zu verwandeln und bei einem positiv der Homöopathie Zugeneigten sowieso. Aber bei einem Skeptiker wird eine solche Studie gar keine großartige Verschiebung der Position bewirken.

Aus diesem Grund sind diese Wahrscheinlichkeiten aus Studien eher theoretische Größen, die praktisch, je nach Ausgangssituation, ganz unterschiedlich bewertet werden. Weil die Menschen sich dieser Situation meist nicht bewusst sind, werden dann alle möglichen anderen Gründe aus dem Hut gezaubert. Ehrlicher wäre es zu sagen: „Ich glaube einfach nicht, dass Homöopathie funktionieren kann. Daher wird mich auch ein noch so starkes empirisches Ergebnis nie und nimmer überzeugen.“ Oder wie es Daniel Dennett einmal angesichts der Diskussion um die Parapsychologie, für die ähnliche Verhältnisse gelten, gesagt hat: „Wenn diese Daten stimmen würden, dann würde ich mich umbringen.“ 24, p. 269 Daher wird die Diskussion um die Wirksamkeit der Homöopathie nie und nimmer nur eine simple empirische Frage sein. Wäre sie das, wäre die Frage schon entschieden: die meisten Meta-Analysen, vor allem der komplette Datensatz der klinischen Homöopathiestudien, egal wie man sie analysiert, zeigen, dass Homöopathie von Placebo verschieden ist und also im herkömmlichen Sinne wirksam ist. Aber eben nur, wenn man mit einer offenen Sicht oder einer Ausgangswahrscheinlichkeit von 0,5 an die Daten herantritt.

Ein weiterer kritischer Gedanke:

Ein zentrales Anliegen von Forschung ist es, Fehler und Schwankungen zu korrigieren. Die Physiker zum Beispiel akzeptieren Daten normalerweise erst dann, wenn ein Effekt mit einer Wahrscheinlichkeit gesichert wurde, der 5 Standardabweichungen der Standardnormalverteilung entspricht, das berühmte „5 Sigma“. Das entspricht einer Wahrscheinlichkeit von p = 10-6, oder einer Kommazahl mit 6 Nullen hinter dem Komma. So stark sind die Effekte der homöopathischen Meta-Analysen bei weitem nicht. Allerdings gilt das für die gesamte Medizin, wie Horton, der Herausgeber von Lancet vor Kurzem einmal angemahnt hat 25. Der Unterschied ist, dass es für die Medizin insgesamt einen stillschweigenden Konsens gibt (und eine moderat robuste Datenbasis, würde ich sagen), dass die Ausrichtung, die theoretische Fundierung und daher die Bewertung der Ergebnisse solide sind. Manche bezweifeln das, vor allem angesichts der massiven Replikationskrise nicht nur in der Medizin und der Psychologie 26, sondern auch anderswo. 27,28 Aber insgesamt sind die Kritiker doch eher geneigt, den konventionellen Daten Glauben zu schenken, auch wenn sie verglichen mit denen der Homöopathie so verschieden und so besser oft nicht sind. Das hat aber wie gesagt eher theoretische und ideologische Gründe.

Allerdings muss man eines zugestehen: Es ist in der Homöopathie sehr schwierig replizierbare Befunde innerhalb eines Modells zu erzeugen, also z.B. 5 oder 10 Studien zum gleichen Krankheitsbild und mit der gleichen Methode zu machen, und dabei die ursprünglichen Effekte zu reproduzieren. Wo das versucht wurde, z.B. beim erfolgreichen Modell von Brigo mit Homöopathie bei Migräne – die wohl erfolgreichste Studie in der gesamten Homöopathie-Literatur 3 – da scheiterten die Nachfolgeversuche bzw. zeigten wesentlich schwächere Effekte 4,21,29. Man sieht das auch teilweise bei den erfolgversprechenden Versuchen von David Reilly, die wir besprochen haben (https://www.homöopathie-forschung.info/klassische-studien_heuschnupfen/). Zwar sind Einzelstudien sehr erfolgreich gewesen und die Meta-Analyse über alle Studien ist signifikant 30. Es gibt aber auch spektakulär gescheiterte Replikationen 31. Ob das anders und deutlicher ist als in der konventionellen Medizin weiß ich nicht; das mögen andere beurteilen. Auf jeden Fall zeigt diese Situation: wir haben die Homöopathie noch nicht gut genug verstanden. Ich persönlich bin der Meinung, dass sich dahinter eine völlig andere Kategorie von Effekten zeigt, die wir momentan nicht in unser wissenschaftliches Weltbild einordnen können.32-34 Daher ist auch der Kampf so heiß. Aber dies ist eine sehr spezialisierte Diskussion, die weit über die Frage der Wirksamkeit hinaus geht; daher will ich sie hier beschließen und vielleicht ein andermal wieder aufgreifen.

Fassen wir zusammen:

Die mehrfachen Meta-Analysen zur Homöopathie kommen in der Mehrzahl zu dem Schluss, dass Homöopathie von Placebo unterscheidbar ist. Man kann dieses Resultat ignorieren oder man kann es auch negieren, wenn man 90% bis 95% aller Daten ausschließt. Dann kann man auch getrost die Behauptung aufstellen, Homöopathie sei Placebo. Ob das lauter, sachgerecht und sinnvoll ist? Ich finde, das ist eine Verzerrung der Sachlage. Wenn man, wie bei Meta-Analysen üblich, alle Daten zusammenfasst, zeigt sich klar, dass Homöopathie von Placebo signifikant unterscheidbar ist. Für einen extremen Kritiker und Skeptiker, der mit einer starken negativen Vormeinung zur Plausibilität der Homöopathie die Daten beurteilt, wird die statistische Signifikanz nicht ausreichen, um seine Skepsis zu überwinden. Aber wenn man unvoreingenommen an die Daten herantritt muss man eingestehen: Homöopathie ist Placebo überlegen, jedenfalls über alle Studien hinweg. Das gilt für die individualisierte, klassische Homöopathie, aber auch für die vielen Studien, die die Homöopathie auf einfachere Weise modelliert haben. Daher ist es auch gerechtfertigt, um auf unsere Ausgangsfrage zurückzukommen, wenn der Gesetzgeber im Arzneimittelgesetz homöopathischen Einzelmitteln den je individuellen Nachweis der Wirksamkeit erlässt.

Referenzen

  1. Wiesenauer M, Gaus W. Wirksamkeitsnachweis eines Homöopathikums bei chronischer Polyarthritis. Eine randomisierte Doppelblindstudie bei niedergelassenen Ärzten. Aktuelle Rheumathologie 1991; 16: 1-9.
  2. Fisher P, Greenwood A, Huskisson EC, Turner P, Belon P. Effect of homoeopathic treatment on fibrositis (primary fibromyalgia). British Medical Journal 1989; 299: 365-6.
  3. Brigo B, Serpelloni G. Le traitement homéopathique de la migraine: une étude de 60 cas, controlée en double aveugle (remède homéopathique vs. placebo). Journal of the Liga Medicorum Homoeopatica Internationalis 1987; 1: 18-25.
  4. Whitmarsh TE, Coleston-Shields DM, Steiner TJ. Double-blind randomized placeo-controlled study of homoeopathic prophylaxis of migraine. Cephalalgia 1997; 17: 600-4.
  5. Walach H. Verblindung in klinischen Homöopathie-Studien? In: Hornung J, ed. Forschungsmethoden in der Komplementärmedizin Über die Notwendigkeit einer methodologischen Erneuerung. Stuttgart: Schattauer; 1996: 1-16.
  6. Frei H, Everts R, von Ammon K, et al. Homeopathic treatment of children with attention deficit disorder: a randomised, double-blind, placebo controlled crossover trial. European Journal of Pediatrics 2005; 164: 758-67.
  7. Witt CM, Lüdtke R, Baur R, Willich SN. Homeopathic medical practice: Long term results of a cohort study with 3981 patients. BMC Public Health 2005; 5: 115.
  8. Linde K, Clausius N, Ramirez G, et al. Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? A meta-analysis of placebo controlled trials. Lancet 1997; 350: 834-43.
  9. Cucherat M, Haugh MC, Gooch M, Boissel JP, HMRAG Group. Evidence of clinical efficacy of homeopathy. A meta-analysis of clinical trials. European Journal of Clinical Pharmacology 2000; 56: 27-33.
  10. Shang A, Huwiler-Münteler K, Nartey L, et al. Are the clinical effects of homeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy. Lancet 2005; 366: 726-32.
  11. Lüdtke R, Rutten ALB. The conclusions on the effectiveness of homeopathy highly depend on the set of analyzed trials. Journal of Clinical Epidemiology 2008; 61: 1197-204.
  12. Mathie RT, Lloyd SM, Legg LA, et al. Randomised placebo-controlled trials of individualised homoeopathic treatment: sytematic review and meta-analysis. Systematic Reviews 2014; 3(142).
  13. Walach H, Loef M. Using a matrix-analytical approach to synthesizing evidence solved incompatibility problem in the hierarchy of evidence. Journal of Clinical Epidemiology 2015; 68: 1251-60.
  14. Hunter JE, Schmidt FL. Methods for Meta-Analysis: Correcting Error and Bias in Research. Newbury Park: Sage; 1990.
  15. Hunter JE, Schmidt FL, Jackson GB. Meta-Analysis. Cumulating Research Findings Across Studies. Beverly Hills: Sage; 1982.
  16. Rosenthal R, DiMatteo MR. Meta-Analysis: Recent Developments in Quantitative Methods for Literature Reviews. Annual Review of Psychology 2001; 52(1): 59-82.
  17. Rosenthal R. Meta-Analytic Procedures for Social Research. Newbury Park: Sage; 1991.
  18. Bornhöft G, Matthiessen PF, editors. Homeopathy in Healthcare: Effectiveness, Appropriateness, Safety, Costs. Heidelberg: Springer; 2012.
  19. Walach H, Jonas W, Lewith G. Letter to the Editor: Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy. Lancet 2005; 366: 2081.
  20. Fisher P, Bell IR, Belon P, et al. Letter to the Editor: Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Lancet 2005; 366: 2082.
  21. Walach H, Gaus W, Haeusler W, et al. Classical homoeopathic treatment of chronic headaches. A double-blind, randomized, placebo-controlled study. Cephalalgia 1997; 17: 119-26.
  22. Vickers AJ, Fisher P, Smith C, Wyllie SE, Rees R. Homoeopathic Arnica 30X is ineffective for muscle soreness after long distance running: A randomized, double-blind, placebo-controlled trial. The Clinical Journal of Pain 1998; 14: 227-31.
  23. Hahn RG. Homeopathy: Meta-Analyses of pooled clinical data. Forschende Komplementärmedizin 2013; 20: 376-81.
  24. Bierman DJ. On the nature of anomalous phenomena: Another reality between the world of subjective consciousness and the objective world of physics? In: Van Loocke P, ed. The Physical Nature of Consciousness. New York: Benjamins; 2001: 269–92.
  25. Horton R. Offline: What is medicine’s 5 sigma? Lancet 2015; 385: 1380.
  26. Open Science Collaboration. Estimating the reproducibility of psychological science. Science 2015; 349(6251): aac4716.
  27. Munafò MR, Nosek BA, Bishop DVM, et al. A manifesto for reproducible science. 2017; 1: 0021.
  28. Ioannidis JPA. Why most published research findings are false. PLoS Medicine 2005; 2(8): e124.
  29. Straumsheim P, Borchgrevink C, Mowinkel P, Kierulf H, Hafslund O. Homoepathic treatment of migraine: A double blind, placebo controlled trial of 68 patients. British Homeopathic Journal 2000; 89: 4-7.
  30. Taylor MA, Reilly D, Llewellyn-Jones RH, McSharry C, Aitchison TC. Randomised controlled trial of homoeopathy versus placebo in perennial allergic rhinitis with overview of four trial series. British Medical Journal 2000; 321: 471-6.
  31. Lewith GT, Watkins AD, Hyland ME, et al. Use of ultramolecular potencies of allergen to treat asthmatic people allergic to house dust mite: double blind randomised controlled clinical trial. British Medical Journal 2002; 324: 520-3.
  32. Walach H. Magic of signs: a non-local interpretation of homeopathy. British Homeopathic Journal 2000; 89: 127-40.
  33. Walach H. Entanglement model of homeopathy as an example of generalizsed entanglement predicted by Weak Quantum Theory. Forschende Komplementärmedizin und Klassische Naturheilkunde 2003; 10: 192-200.
  34. Lucadou Wv, Römer H, Walach H. Synchronistic Phenomena as Entanglement Correlations in Generalized Quantum Theory. Journal of Consciousness Studies 2007; 14(4): 50-74.

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Aktuelle Forschungsergebnisse

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Es wird ja immer wieder behauptet, es gäbe keine Forschungsergebnisse zur Homöopathie. Diese Behauptung ist falsch. Um aktuelle Ergebnisse zu illustrieren, werden wir in dieser Reihe eine bunte Mischung aktueller Forschung präsentieren: von Grundlagenforschung über Fallserien bis hin zu neueren klinischen randomisierten Studien. Von diesen gibt es natürlicherweise weniger. Denn sie sind langwierig und teuer.

Allerdings gibt es solche Studien in der  homöopathischen Literatur durchaus. Eine andere Reihe „Klassische klinische Studien“, die teilweise auch über den „Forschungsreader“ von WissHom zugänglich sind, besprechen wir parallel in einer anderen Reihe.

Effektivität von Homöopathie zur Schmerzlinderung bei Gelenksblutung bei Hämophilie-Patienten

Harald Walach

Kundu, T., Ghosh, K., Shaikh, A., Singh, P., Shaikh, A., Shah, H., et al. (2018). Homeopathic medicine reduces pain and hemarthrosis in moderate and severe hemophilia: A multicentric study. Complementary Medicine Research, 25(5), 306-312. https://www.karger.com/Article/Abstract/486557

Es gibt manche Situationen, in denen benötigt man keine kontrollierte Studie, um einen klinischen Effekt zu dokumentieren. Das ist in der Regel dann der Fall, wenn die Effekte überdeutlich sind, oder wenn man ziemlich genau weiss, was passieren würde, wenn man nicht behandeln würde. Daher muss keiner eine randomisierte Studie zur Wirksamkeit von Fallschirmen durchführen, wie einmal ein paar Witzbolde in der Weihnachtsausgabe des British Medical Journals angemerkt haben [1]. Auch viele wichtige und lebensrettende Interventionen in der klinischen Medizin wurden nie in einer randomisierten Studie untersucht, z.B. die Wirksamkeit von Penicillin, oder die Nützlichkeit der Schienung gebrochener Knochen, oder Bypassoperationen zur Blutversorgung des Herzens bei verschlossenen Arterien, und andere Interventionen der Chirurgie. Daher ist aus meiner Sicht der allgemeine Ruf nach randomisierten, placebo-kontrollierten Studien als einzige rationale Methode der klinischen Forschung insgesamt ziemlich kurzsichtig. Ich habe dazu an verschiedenen Stellen auch noch eine Reihe Argumente geliefert, auf die ich jetzt nicht eingehe [2].

Die hier besprochene Studie ist eine solche klinische Situation, in der keine randomisierte Studie nötig ist, wenngleich eine ranomisierte Studie vielleicht eine noch klarere Schlußfolgerung zugelassen hätte. In dieser Studie indischer Forscher aus Mumbai, Nashik im Bundesstaat Maharashtra und Surat in Gujarat wurden alle Patienten, die an erblich bedingter Hämophilie – also der Bluterkrankung – litten in die Studie eingeschlossen, die in ihren Krankenhäusern in homöopathischer Betreuung waren. Dazu muss man wissen: Die Erkrankung ist erblich und kann nicht geheilt werden. Es können allenfalls Symptome gelindert werden und durch Plasmagaben von Gerinnungsfaktoren akute Probleme so behandelt werden, dass die Patienten nicht sterben bzw. dass innere Blutungen gestoppt werden. Probleme treten auf, wenn etwa Blutungen in die Gelenke auftreten und keine sofortige Plasmagabe zur Verfügung steht. Wenn ein Mensch mit normalen Gerinnungsfaktoren eine dumme Bewegung macht oder sich stößt, hat er vielleicht eine Mikroverletzung in einem Gelenk oder Band mit einer kleinen Blutung, die aber sofort zum Stillstand kommt. Wenn das bei einem Bluter passiert, dann fliesst sehr lange Blut und löst natürlich Entzündungen und Schmerzen aus. Klassische Entzündungshemmer sind dort oft nicht sinnvoll, weil sie das Problem schlimmer machen. Opiate sind auch nur bedingt nützlich, weil man nicht dauernd zu Opiaten greifen will. In Indien kommt erschwerend hinzu, dass nicht immer Plasmakonzentrate zur Akutbehandlung genau dann vorhanden sind, wenn sie gebraucht werden. Daher wird in Indien durchaus auch in solchen relativ schweren Erkrankungsfällen Homöopathie verwendet.

Da in Indien Homöopathie durch das Gesundheitsministerium gestützt und verbreitet wird – unter dem ministeriumseigenen Department AYUSH (das ist eine Abkürzung für Ayurveda, Yoga, Unani, Siddhi, Homeopathy, also die fünf in Indien anerkannten traditionellen Heilweisen) – gibt es dort auch staatliche Krankenhäuser und Ambulanzen, die sie anwenden. Meistens, das muss man auch sagen, ist es in Indien eine Medizin der armen Leute, weil Homöopathie eben billig ist.

In der hier vorliegenden Studie wurden nun retrospektiv alle in einem Krankenhaus in Behandlung befindlichen Hämophilie-Kranke eingeschlossen, deren Episode von Einblutung in ein Gelenk nicht durch konventionelle Mittel behandelt werden konnten, entweder weil es keine Plasmaprodukte gab oder weil die Patienten aus anderen Gründen keine konventionelle Behandlung hatten. Alle Patienten waren genetisch getestete Hämophilie-Patienten, also echte Bluter-Kranke.

Insgesamt 343 Patienten von ursprünglich 430 durchgesehenen gingen in die Analyse ein. 23 Patienten hatten vorher anderswo Plasmafaktoren erhalten; bei weiteren 38 Fällen waren die Daten unvollständig und bei 26 Patienten hatte keinerlei Gelenksblutung vorgelegen. 287 von den eingeschlossenen Patienten hatten eine schwere und 56 eine mässig schwere Hämophilie. Insgesamt 1.679 Blutungsepisoden waren die Datenbasis. Die Patienten hatten im Durschnitt 6.9 Gelenksblutungen pro Monat und wurden homöopathisch behandelt. Schwellungen und Untersuchungen von Schmerzen wurden von unabhängigen allopathischen Ärzten dokumentiert.

Die homöopathische Behandlung erfolgte dreistufig: alle Patienten bekamen Hamamelis in der Urtinktur zur äusserlichen Anwendung, um die Blutung zu stillen. Ausserdem bekamen alle eine homöopathische Akutverordnung und danach eine homöopathische Konstitutionsverordnung. Die Idee bei der Akutverordnung ist natürlich, dass das akute Geschehen kontrolliert werden soll, und zwar möglichst rasch. Und die Konstitutionsverordnung soll nach Möglichkeit die Gefahr weiterer Blutungen reduzieren oder die Konstitution so gut als möglich stärken. Die homöopathischen Arzneimittel die dort verwendet wurden sind sehr vielfältig. Bryonia, das Arzneimittel mit der Modalität „Schmerz, verschlimmert durch kleinste Bewegung“ und Rhus toxicodendron, das Arzneimittel das bei Bänderzerrungen sehr hilfreich sein kann, weil es starke Schmerzen in Gelenken hat die langsam duch Bewegung gebessert werden, waren dabei die häufigsten akuten Verordnungen und ansonsten die typischen homöopathischen Konstitutionsmittel. Neben Lachesis waren das Calcium carbonicum, Sulphur, Arsenicum album, Lycopodium, Calc. fluoratum, Nux vomica und Ruta, um nur die häufigeren zu nennen. Alle wurden in C200 oder C1.000 (oft auch als „M“ abgekürzt) gegeben.

Nach einem halben Jahr waren die Gelenksblutungen mit 2.9 pro Monat verlgichen mit den 6.9 zu Beginn deutlich weniger. Die Effekte waren in der Regel schon nach 6 Stunden sichtbar und nach 48 Stunden deutlich. Die Schwellungen hatten nach 24 Stunden um 1,1 (beim Knöchel) bis 3,1 cm abgenommen. Die Schmerzen nahmen ab von durchschnittlich 6,1 (Knie) bis 8,4 (Schulter) auf einer numerischen Ratingskala zu Beginn der Behandlung (die von 0 bis 10 reicht) auf 1,5 (Knie) und 1,7 (Schulter); bei den anderen Gelenken waren die Schmerzen noch besser. Insgesamt 3,9% bis 6,8% der Patienten waren als Therapieversager kategorisiert, also als solche, die nach 48 Stunden weniger als 50% Verbesserung erlebt hatten.

Es wäre nun natürlich schön, wenn man eine Kontrollgruppe hätte, bei der mit Gerinnungsfaktor behandelt worden wäre oder alle Patienten nach Einsatz des Gerinnungsfaktors entweder mit Homöopathie oder anders weiterbehandelt worden wären. Dann hätten wir einen wirklich klaren Vergleichsstandard. Aber auch so zeigt uns die Studie: homöopathische Behandlung kann offenbar einen positiven Einfluß auf innere Blutung und die damit verbundenen Entzündungs- und Schmerzprozesse nehmen und offenbar auch langfristig die Tendenzen beeinflussen. Das soll nun natürlich kein Aufruf sein, Plasmabehandlungen einzustellen. Wir erinnern uns: in Entwicklungsländern ist Plasmabehandlung nicht überall und immer möglich. Hier stellt Homöopathie eine günstige und klinisch effektive Ergänzung bereit, wenn und solange keine Plasmabehandlung möglich ist oder nicht verwendet werden kann. Die große Zahl der Patienten, die Konsistenz der Ergebnisse und der relativ deutliche klinische Effekt scheinen mir durchaus interessant zu sein, vor allem weil bei dieser Erkrankung Alternativerklärungen – Placebo-Effekte, natürliche Verbesserungen, Spontanverläufe – eher unwahrscheinlich sind als Erklärungsmodelle.

Referenzen

[1] Smith, G. C. S., & Pell, J. P. (2003). Parachute use to prevent death and major trauma related to gravitational challenge: systematic review of randomised controlled trials. British Medical Journal, 327, 1459-1561. https://www.bmj.com/content/327/7429/1459

[2] Walach, H., Falkenberg, T., Fonnebo, V., Lewith, G., & Jonas, W. (2006). Circular instead of hierarchical – Methodological principles for the evaluation of complex interventions. BMC Medical Research Methodology, 6(29). https://bmcmedresmethodol.biomedcentral.com/articles/10.1186/1471-2288-6-29

Walach, H., & Loef, M. (2015). Using a matrix-analytical approach to synthesizing evidence solved incompatibility problem in the hierarchy of evidence. Journal of Clinical Epidemiology, 68, 1251-1260. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0895435615003212

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H. Walach

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Aktuelle Forschungsergebnisse

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Es wird ja immer wieder behauptet, es gäbe keine Forschungsergebnisse zur Homöopathie. Diese Behauptung ist falsch. Um aktuelle Ergebnisse zu illustrieren, werden wir in dieser Reihe eine bunte Mischung aktueller Forschung präsentieren: von Grundlagenforschung über Fallserien bis hin zu neueren klinischen randomisierten Studien. Von diesen gibt es natürlicherweise weniger. Denn sie sind langwierig und teuer.

Allerdings gibt es solche Studien in der homöopathischen Literatur durchaus. Eine andere Reihe „Klassische klinische Studien“, die teilweise auch über den „Forschungsreader“ von WissHom zugänglich sind, besprechen wir demnächst in einer anderen Reihe.

Wir beginnen mit einer Grundlagenstudie und einer klinischen Studie.

Grundlagenforschung: Anti-Enzündlicher Efekt durch Arsenicum Album C200 –

und Silicea (Glaspartikel) spielen dabei keine Rolle

Harald Walach

Dalboni, L. C., Coelho, C. d. P., Palombo Pedro, R. R., Correia, M. S., de Santana, F. R., Cardoso, T. N., et al. (2019). Biological actions, electrical conductance and silicon-containing microparticles of arsenicum album prepared in plastic and glass vials. Homeopathy, 108(1), 12-23. https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0038-1670675

Die Zeitschrift “Homeopathy” gibt es seit mehr als 100 Jahren. Sie gehört damit zu einer der ältesten Forschungzeitschriften in der Medizinlandschaft. Früher hiess sie „British Homoeopathic Journal“. Sie ist peer-reviewed und wird derzeit von Robert Mathie herausgegeben, nachdem der frühere Editor, Peter Fisher, im Sommer tragisch verunglückt ist (https://www.karger.com/Article/FullText/494076). Sie publiziert vor allem Forschungsartikel. Ich weise hier auf einen aktuellen hin, der aus zwei Gründen interessant ist: Zum einen hat die braslianische Arbeitsgruppe um Leoni Bonamin aus Sao Paolo einen klaren Immuneffekt von höchstverdünntem Arsenicum album C200 belegt. Zum anderen hat sie dabei nebenbei auch die sog. „Silica-Hypothese“ der homöopathischen Arzneimittelwirkung unwahrscheinlich gemacht.

Das Grundlagenforschungsmodell arbeitet mit einem bekannten immunologischen Assay: Makrophagen, also die Fresszellen und die erste Linie der immunologischen Abwehr, wurden mit Hefezellen gefüttert. Makrophagen sind diejenigen Zellen, die bei jeder immunologischen Bedrohung die erste Linie der Abwehr darstellen. Sie identifizieren den Eindringling, verleiben ihn sich durch Phagozytose ein, zerlegen ihn und präsentieren dann die entsprechenden Merkmale auf ihrer Oberfläche, so dass andere Elemente des Immunsystems wissen, was sie attackieren müssen. Damit diese anderen Immunzellen verständigt werden, schütten die Makrophagen eine Reihe von Botenstoffen aus, wenn sie aktiviert sind – sogenannten Interleukine (Il), von denen es eine ganze Reihe gibt. Aktivierte Makrophagen schütten vor allem pro-entzündliche Interleukine aus, davon sind die wichtigsten Interleukin 1 (Il 1) und 6.

In dem hier untersuchten Modell erhielten Makrophagen also Hefezellen zum Fressen. Dieses Assay ist beliebt, weil man sowohl die aufgefressenen Hefezellen zählen kann, die Ausbreitung, als auch die Interleukine messen kann. Man kann den Status der Makrophagen untersuchen und sehen, wie stark sie aktiviert sind. Das alles geht unter dem Mikroskop, mit Hilfe automatisierter Zählvorrichtungen, oder mit standardisierten immunologischen Assays.

Den Makrophagen wurde nun zusätzlich zu ihrer Nahrung, homöopathisches Arsenicum album gegeben (Arsenoxid, das typische Gift, das zum Beispiel von Flaubert in Madame Bovary so meisterhaft in seiner klinischen Wirkung beschrieben worden ist). Das Arsenicum album wurde nach allen Regeln der Kunst erst bis zur CH3, also je eine Stunde in einem Mörser mit Milchzucker, verrieben und ab da in flüssiger Lösung verschüttelt, wie es das Arzneibuch vorschreibt. Das bedeutet: Mehrglasmethode, für jede Potenz ein neues Gefäß. Die Verschüttelungen fanden nun in PET-Flaschen und in gewöhnlichen Glasflaschen statt. Denn vor allem wollten die Forscher die sog. Silicea-Hypothese testen. Das ist eine Hypothese, die meine Kollegen John Ives und David Anick vor Jahren in die Welt gesetzt haben [1]. Sie besagt, dass die Homöopathie-Wirkung zum einen vor allem eine unspezifische Stimulierung des Immunsystems durch niedrige Dosen von Glas (Silicea, Kieselsäure) darstellt, das bei der Potenzierung aus den Potenziergläsern herausgelöst wird. Und zum anderen, dass diese Mikropartikel von Silicea womöglich auch noch zu Trägern von Information werden könnten, indem sie durch irgendeine Konfiguration die ursprünglich gelöste Substanz binden und in dieser Konfiguration die Information durch den Potenzierungsprozess bringen.

Um diese Silicea-Hypothese zu testen, wurde nun von einem Teil der Hochpotenz Ars. alb. C200 durch Mikrozentrifugierung auch noch das Glas wegzentifugiert. Es wurden also insgesamt, neben Kontrolle, Ars. alb. C6 in PET, C6 in Glas, C200 in Pet, C200 in Glas und C200 in Glas und zentrifugiert getestet. Dass die Beseitigung der Silicea Partikel funktioniert hatte, wurde elektronenmikroskopisch nachgewiesen.

Es zeigt sich, dass die Hochpotenz C200 eine klare immunsuppressive Wirkung auf die Makrophagen hat: Die Ausscheidung des (pro-entzündlichen) IL6 wird sehr deutlich und signifikant reduziert gegenüber den Kontrollen, und zwar völlig unabhängig davon, in welchem Gefäss sie zubereitet wurden; kleine Unterschiede zwischen den unterschiedlich zubereiteten Ars. alb.-Potenzen gibt es, aber sie sind nicht drastisch. Das spezielle sind die sehr hohen Effektstärken in dem Assay. Wäre Silicea für diesen Effekt verantworlich gewesen, so hätte man diesen Effekt nicht in den PET-potenzierten und nicht in den zentrifugierten Potenzen sehen dürfen. Das spricht also eher gegen einen unspezifischen Effekt von homöopathischer Potenz aufgrund von Silicea. Ausserdem unterdrückt Ars. alb. C200 im Glas auch die Ausbreitung der Makrophagen gegenüber Kontrollen und gegenüber Ars. C200, das in Plastikgefäßen potenziert wurde.

Ars. C6 in PET potenziert scheint eher einen immunstimulierenden Effekt zu zeigen: veschiedene Cytokine, nämlich IL1, Il 6, vascular endothelial growth factor und monocyte chemoattractant protein 1 nehmen deutlich zu gegenüber Kontrollen und Ars C6 im Glas. Auch der Phagozytose-Index und die Ausscheidung von Stickoxid – ein Radikal-Molekül das die Phagozyten sozusagen als Nah-Waffe ausscheiden – nehmen zu. Das führen die Autoren auf mögliche aus dem Plastik gelöste organische Stoffe zurück.

Die Autoren schlußfolgern, dass die Befunde dafür sprechen, dass zum einen Ars. alb. C200 eine spezifische anti-inflammatorische Wirkung aufweist, die nicht von Glaspartikeln herrührt und dass die in Plastik potenzierten Arsen-Potenzen, vermutlich durch organische Moleküle aus dem PET, eher immunstimulierend wirken.

Kritisch ließe sich anmerken, dass 11 Cytokine und Chemokine getestet wurden, von denen bei insgesamt 4 ein signifikanter Effekt gefunden wurde. Allerdings ist der starke Effekt von Il6 immer noch so stark, dass eine konservative Anpassung der Testung für eine multiple Prozedur noch immer eine Signifikanz übrig lassen würde. Auch scheint mir die Überzeugungskraft eher im konsistenten Bild und in der Effektstärke als in einzelnen Signifikanzen zu liegen. Außerdem dürften die Proben nicht verblindet gewesen sein, jedenfalls liest man darüber nichts im Aufsatz. Das ist allerdings bei Grundlagenforschern leider überall unüblich, auch in der konventionellen Physik, Chemie und Biochemie, wie Rupert Sheldrake vor vielen Jahren durch eine Befragung dokumentiert hat [2]. Ich will nicht wissen, wieviel an konventioneller Forschung im Prinzip auf den Erwartungseffekten von Experimentalleitern beruht, aber das wäre ein weites und weiteres Feld.

Mit gleichem Maß gemessen muss man also festhalten: hier hat eine Arbeitsgruppe an einem einfachen, eigentlich leicht replizierbaren Modell, gezeigt, dass Arsenicum album in einer C200 einen klaren immunsyuppressiven, entzündngshemmenden Effekt aufweist. Dieser ist nicht abhängig von Glaspartikeln. Damit scheidet wohl auch die Silicea-Hypothese als elegante, unspezifische Erklärungshypothese zur Erklärung homöopathischer Effekte aus.

Referenzen

[1] Anick, D. J., & Ives, J. A. (2007). The silica hypothesis for homeopathy: physical chemistry. Homeopathy, 96, 189-195.

[2] Sheldrake, R. (1998). Could experimenter effects occur in the physical and biological sciences? Skeptical Inquirer, 22(May/June), 57-58.

Sheldrake, R. (1998). Experimenter effects in scientific research: How widely are they neglected? Journal of Scientific Exploration, 12, 73-78.

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H. Walach

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Die populärsten Irrtümer

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– über die Homöopathie und die konventionelle Medizin – Teil 2

Harald Walach

Weil ich in Debatten immer wieder die gleichen falschen Aussagen höre, stelle ich sie hier einmal zusammen mit den entsprechenden Argumenten, Daten und Fakten: Irrtümer, die über die Homöopathie geäussert werden, meistens mit entsprechenden Irrtümern über die Medizin gepaart. Ich hoffe, das entspannt die Debatte, die ich als unnötig polarisiert und wenig konstruktiv wahrnehme. Es geht weiter mit

Irrtum Nr. 2 – Unwissenschaftlich

Die Homöopathie ist empirisch nicht belegt, wohingegen die konventionellen medizinischen Interventionen gut gesichert sind

Das Lieblingsargument aller Homöopathiekritiker ist das der mangelnden empirischen Belegbarkeit homöopathischer Therapie. Ich habe dazu in früheren Blogs immer mal wieder Stellung genommen, daher hier nur so viel: Man kann der Homöopathie nur dann empirische Unwirksamkeit bestätigen, wenn man gewillt ist, etwa 95% aller Befunde zu ignorieren. Das hat damals schon Hahn festgestellt, ein schwedischer Intensivmedizinforscher, der von Homöopathie keinerlei Ahnung hatte und einfach einmal neugierig die Literatur sichtete und bemerkte, dass es erstaunlich viele auch relativ robuste Befunde, gibt: Meta-Analysen, die der Homöopathie signifikante Überlegenheit über Placebo bestätigen.1 Dazu kommt eine große Zahl von Tierversuchen und Pflanzenexperimenten. Man kann all das ignorieren. Aber ist das redlich, frage ich mich?

Ich würde zwei Argumenten zustimmen: Die konventionelle Statistik geht eigentlich davon aus, dass wir keinerlei Vorwissen haben und daher die Ausgangschance auf einen signifikanten Befund 50:50 ist. Das ist aber bei der Homöopathie sicherlich nicht richtig. Denn eigentlich würden wir keinen Effekt erwarten, aufgrund theoretischer Überlegungen (umso erstaunlicher ist es, dass man trotzdem so viele positive Effekte findet, übrigens). Daher gehen Kritiker der Homöopathie davon aus, dass man diese Befunde, die es gibt, anders gewichten muss. Das Argument stimmt zwar theoretisch. Dann müsste man aber eine solche Denkhaltung auch auf alle anderen Interventionen anwenden und eine entsprechende Statistik, nämlich eine Bayes’sche Statistik, und davon sind wir weit entfernt.

Das zweite Argument geht davon aus, dass es in einem Bereich replizierbare Serien von Befunden geben muss. Diese sind in der Homöopathie in der Tat selten. Meistens gibt es viele einzelne klinische Befunde, und dort, wo Wiederholungen vorliegen, gehen Effekte oftmals zurück oder sind schwer zu replizieren. Ich persönlich finde, dies ist eine spezielle empirische Signatur. Denn wenn kein Effekt vorhanden ist, dann würde man nicht erwarten, dass –  wie das in der Regel der Fall ist –  erste Studien riesige Effekte zeigen. Dann würde man erwarten, dass sie manchmal Effekte zeigen und manchmal nicht, statistische Schwankung eben. Aber genau das ist nicht der Fall. Daher scheint mir hinter dieser Signatur ein Effekt verborgen zu sein, den wir noch nicht verstanden haben. Er ist kein klassisch-kausaler. Sonst liesse er sich leichter replizieren. Aber er ist auch nicht einfach ein statistisches Placebo-Rauschen. Sonst würden wir nämlich nicht so konsistent in Meta-Analysen Effekte finden, und in Systemen, in denen nicht mit Placebo-Effekten zu rechnen ist, wie bei gut kontrollierten Pflanzenexperimenten.2-5

Die empirische Situation dürfte ungefähr so wie in der konventionellen Medizin auch sein: das, was wir wirklich wissen, ist nur ein geringer Prozentsatz. Eine Überblicksarbeit über eine Zufallsauswahl von 1016 Reviews aus der Cochrane-Datenbank, also nach harten Kriterien erarbeiteten Zusammenfassungsarbeiten, kam zu dem Schluss, dass wir nur in 3.4% aller Fälle Klarheit über die tatsächliche Wirksamkeit haben (1.4% tatsächlich wirksam; knapp 2% tatsächlich schädlich).6 Bei 43% vermutet man Wirksamkeit, benötigt aber noch mehr Forschungm, bei 48% war es unklar. Bedenkt man, dass wir es hier mit anerkannten, in der klinischen Praxis eingesetzten und von den Kassen in der Regel bezahlten Interventionen zu tun haben, die nach dem vermeintlich rationalen Modell der modernen Medizin entwickelt und beforscht wurden, handelt es sich dabei eigentlich um ein Armutszeugnis. Auch das soll die konventionelle Medizin nicht schlecht machen sondern zeigen: So groß ist der Unterschied zwischen Homöpathie und konventioneller Medizin nicht, was Datenlage und Kenntnisstand angeht.

Links:

Die Europäischen Wissenschaftsakademien und die Homöopathie

Ist Homöopathie also nun ein Placebo? Pros, Cons, und einige Fälle zum Nachdenken

Plausibilitätsbias und die weit verbreitete Meinung, die Homöopathie sei „widerlegt“

Forschungsreader WissHom 2016

Faktencheck Homöopathie (Carstens Stiftung)

FAQ’s HRI (Homeopathy Research Institute)

Referenzen zu diesem Beitrag:

  1. Hahn RG. Homeopathy: Meta-Analyses of pooled clinical data. Forschende Komplementärmedizin 2013; 20: 376-81. https://www.karger.com/Article/FullText/355916
  2. Jäger T, Scherr C, Shah D, et al. Use of homeopathic preparations in experimental studies with abiotically stressed plants. Homeopathy 2011; 100: 275-87.
  3. Jäger T, Scherr C, Simon M, Heusser P, Baumgartner S. Effects of homeopathic arsenicum album, noside, and gibberellic acid preparations on the growth rate of arscenic-impaired duckwee (Lamna gibba L.). Scientific World Journal 2010; 10: 2112-29.
  4. Scherr C, Simon M, Spranger J, Baumgartner S. Effects of potentised substances on growth rate of the water plant Lemna gibba L. Complementary Therapies in Medicine 2009; 17: 63-70.
  5. Majewsky V, Arlt S, Shah D, et al. Use of homeopathic preparations in experimental studies with healthy plants. Homeopathy 2009; 98: 228-43.
  6. El Dib RP, Atallah AN, Andriolo RB. Mapping the Cochrane evidence for decision making in health care. Journal of Evaluation in Clinical Practice 2007; 13: 689-92.

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Spieglein, Spieglein in dem Sand…

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Homöopathie und grössere Kosten? Schlechte Daten falsch interpretiert.

Ein paar Anmerkungen zum Artikel „Die Macht der Heiler“, Spiegel Nr. 34 2018

Harald Walach

Regelmässig im Sommerloch geht das Homöopathie-Bashing los, weil man ja sonst nichts Besseres zu berichten hat. So verkündet Frau Hackenbroich wieder einmal im Spiegel: Homöopathie sei die „absurdeste aller Heilmethoden“ und alles sei „ein großer Bluff“. Ich habe Frau Hackenbroich einmal auf dem Podium einer Fachkonferenz der Journalisten in Bremen erlebt. Dort sagte sie: „Die Homöopathie gehört in die Medizingeschichte und meine Aufgabe ist es, sie dorthin zu befördern.“ Das finde ich bedenklich, wenn Journalisten sich zu Vollstreckern der Geschichte machen (wollen), aber das nur am Rande.

 

SPIEGEL 34/2018

Als eine der Argumente zitiert sie dann eine Studie aus dem Online Fachjournal PLoS One (steht für „Public Library of Science“; und ist ein allgemeines Journal mit normalerweise robustem Peer-Review) [1]. Die Studie wurde von Kollegen der Charité durchgeführt anhand eines großen Datensatzes der Technikerkrankenkasse. Dort wurden die Kosten von Menschen mit und ohne integrierter Versorgung „Homöopathie“ verglichen. Es wurde ein sehr aufwändiges Vergleichsverfahren gewählt, bei dem aufgrund von verschiedenen bekannten Variablen eine Person der Vergleichsgruppe – hier: normale Versicherte – mit einer Person der Testgruppe – hier: Versicherte mit Einschreibung in den Homöopathie-Vertrag – verglichen wurde, so dass beide möglichst ähnlich sind. Das Verfahren – technisch: propensity score matching – ist höchst aufwändig und ergibt sehr gute Ergebnisse. Die Voraussetzung: man weiss, was man mit was vergleicht und man hat die wirklich entscheidenden Variablen gefunden, auf Grund derer man den Vergleich anstellt.

Aber schon dem kursorischen Leser fällt beim Lesen dieser Studie auf: Hier wurden nicht Menschen, die Homöopathie wirklich benützt haben mit solchen verglichen, die Homöopathie nicht verwendet haben. Sondern hier wurden diejenigen Menschen verglichen, die ein Zusatzangebot gebuchte hatten, egal ob sie Homöopathie benützt haben oder nicht. Wörtlich heisst es: „For this analysis patients belonged to the homeopathy group if they subscribed to the integrated care contract in 2011 and if they were continuously insured through the TK for the observational period (12 months before and 18 months after subscription to the integrated care contract), regardless of whether they used homeopathy during the study period.“ (S. 2 der Publikation, 2. Satz in “Methods”)

Also, nochmals zum Mitschreiben, liebe Frau Hackenbroich, auf Deutsch: In dieser Analyse gehörten Patienten zur “Homöopathie-Gruppe”, wenn sie im Jahre 2011 einen integrierten Versorgungsvertrag über die zusätzliche Behandlung mt Homöopathie abgeschlossen hatten, völlig unabhängig davon, ob jemand wirklich Homöopathie in Anspruch genommen hat. Und dennoch wird hinfort davon geredet, dass die Benützung von Homöopathie, der Konsum von Homöopathie etc. mehr Kosten verursacht. Solide?

Ich finde es nicht sonderlich erstaunlich, dass Leute, die Homöopathie zusätzlich zur konventionellen Versorung in Anspruch nehmen, mehr Kosten verursachen. Nur: das Extra-Angebot der integrierten Versorgung an Patienten, die einfach mal kurz ausprobieren wollen, wie das mit der Homöopathie ist, aber nebenher noch allerhand andere Dinge machen bildet nicht die reale Situation ab. Die ist vielfach untersucht und sieht eher so aus, dass Menschen dann, wenn ihnen die gewöhnliche Versorung durch ihren Haus- oder Spezialarzt nicht mehr weiterhilft oder zu viele Nebenwirkungen produziertzum homöopathischen Arzt begeben oder manchmal zum Heilpraktiker, und dort nach Linderung Ausschau halten. Es wäre also für eine wirklich gute Untersuchung zwingend nötig, dass man konkret untersucht, wieviele Patienten die Behandlung nun auch wirklich richtig in Anspruch genommen haben, wie lange und ob und wie sich ihr Gesundheitszustand verändert hat. Das ist, soweit aus den bisher publizierten Daten ersichtlich, nicht erfolgt. Aber aus der Folgestudie wissen wir: Nur etwa ein Drittel der Patienten ist dabeigeblieben [2]. Die Studie dürfte also eher die höheren Kosten abbilden, die durch „doctor hopping“ entstehen, und das wundert eigentlich keinen. Sie aber als Beleg für gesteigerte Kosten durch Homöopathie zu verwenden, erscheint mir fragwürdig.

Auf jeden Fall dient diese Studie weder dazu, irgendwas über die Kosten der Homöopathie zu sagen, noch als Argument dafür, wie schlimm die Homöopathie denn nun ist. Sie dient eigentlich zu gar nichts ausser dazu, zu sagen, Menschen, die Zusatzangebote in Anspruch nehmen, erzeugen mehr Kosten. Vielleicht sind sie ängstlicher und gehen häufiger zum Arzt? Vielleicht haben sie mehr chronische Krankheiten oder haben mehr Probleme? Vielleicht nehmen sie mehr verschiedenen Behandlungen in Anspruch?

Da wäre es schon zielführender, die Studie von Baars und Kollegen zu zitieren, die ich auf meiner Homepage vor einer Weile besprochen hatte [2] (https://harald-walach.de/2014/10/14/versicherungen-herhoeren-komplementaermedizin-ist-billiger/). Diese hatte nämlich eine Kohorte über 6 Jahre verfolgt, die wirklich komplementärmedizinisch – homöopathisch und anthroposophisch-medizinisch – versorgt worden ist. Die Versorgung war nicht nur billiger, der Gesundheitszustand war besser. Die Autoren extrapolierten eine Kostenersparnis von 3.2 Milliarden Euro für Holland, wenn sich alle Menschen so behandeln liessen.

Liebes Spieglein: das war in den Sand gesetzt.


Hier noch Beiträge, die diesen Text von anderen Seiten beleuchten

Ein Leserbrief, der im SPIEGEL nicht abgedruckt wurde

Ein Beitrag im Tagesspiegel: Für eine Medizin auf Beweis- und Erfahrungsbasis

Fairplay bitte!

Spieglein, Spieglein an der Wand…

Die Europäischen Wissenschaftsakademien und die Homöopathie


Literatur

[1] Ostermann, J. K., Reinhold, T., & Witt, C. M. (2015). Can additional homeopathic treatment save costs? A retrospective cost-analysis based on 44.500 insured persons. PLoS One, 10(7), e0134657. https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0134657

[2] Ostermann, J. K., Witt, C. M., & Reinhold, T. (2017). A retrospective cost-analysis of additional homeopathic treatment in Germany: Long-term economic outcomes. PLOS ONE, 12(9), e0182897. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0182897

[3] Baars, E. W., & Kooreman, P. (2014). A 6-year comparative economic evaluation of healthcare costs and mortality rates of Dutch patients from conventional and CAM GPs. BMJ Open, 4, e005332. https://bmjopen.bmj.com/content/4/8/e005332

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Fairplay bitte!

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Ein Plädoyer für unparteiische Berichterstattung und Forschung in der Homöopathie

Einige Gedanken zu aktuellen Berichterstattungen zur Homöopathie und warum Homöopathie in der Kinderonkologie weder gefährlich noch irreführend ist

«To be free is not merely to cast off ones chains, but to live in a way that respects and enhances the freedom of others»  Nelson Mandela

Katharina Gaertner, Universität und Inselspital Bern

Es ist schon verwunderlich, wie viel Misstrauen homöopathischen Arzneimitteln und ihren Anwendern entgegengebracht wird. Kritiker werden nicht müde sich in Wortspielereien oder wiederholten Zitaten von unwissenschaftlichen Artikeln und Falschmeldungen zu ergehen, ohne eigene Untersuchungen anzustellen oder wissenschaftliches Arbeiten zu unterstützen um offene Fragen zu beantworten. So kam es kürzlich wieder zu diversen Anschuldigungen auf universitäre Einrichtungen, welche integrative Konzepte mit unterstützenden, zusätzlich zur konventionellen Therapie eingesetzten, homöopathischen Interventionen verfolgen [1 – 3]. In der Argumentation stützen  sich die Autoren dabei erneut hauptsächlich auf eine sinnlose, indikationsübergreifende und wissenschaftlich höchst fragwürdige [4] Untersuchung des australischen Gesundheitsministeriums [5] und lassen ausser Acht, dass es unzählige gegensätzliche Untersuchungen gibt [e.g. 6, 7].

Wäre es nicht an der Zeit, dem Wunsch der Bevölkerung (auch in Deutschland) [8, 9] nachzukommen und genauer hinzusehen, anstatt sich in Allgemeinplätzen zu verlieren und ein und dasselbe, bereits widerlegte Argument [6, 7], es gäbe keine wissenschaftlichen Beweise wieder und wieder herunterzubeten und als einzigen Beleg dafür ein oder zwei „Expertenmeinungen“ zu zitieren? Wäre es nicht an der Zeit, sich auf ein Fairplay zu einigen, Transparenz für die Bevölkerung zu schaffen und die Universitäten ihre Arbeit machen zu lassen?

Beginnen wir also mit Fairplay von unserer Seite:

Ja, über alle verschiedenen medizinischen Anwendungen homöopathischer Arzneien für die unterschiedlichsten Krankheitsbilder kann keine allgemeine Aussage hinsichtlich der Wirksamkeit getroffen werden. Bei genauerem Hinsehen finden sich jedoch 53 unterschiedliche Indikationen zu denen mindestens zwei kontrollierte Studien vorliegen, welche eine spezifische Intervention mit einer oder mehreren spezifischen homöopathischen Arzneie(n) testen [10]. Zumindest diese Studien sollten für diese spezifischen Fragestellungen hinsichtlich Ihrer Güte näher untersucht werden. Betrachten wir also zum Beispiel die gerade so in Verruf geratene, zusätzlich homöopathische Behandlung in der (Kinder-)onkologie: In der laufend aktualisierten, auf den «Clinical Practice Guidelines» des Institute of Medicine basierenden, online Version für therapeutische Praxisempfehlungen «uptodate» wird hierzu eine Kohortenstudie [11] und zwei unkontrollierte Beobachtungsstudien [12, 13] bezüglich der Symptomkontrolle durch individualisierten homöopathischen Verschreibungen zitiert. Die Autoren sehen damit genügend empirische Grundlage diese Therapie in dem so schwierigen Feld austherapierter Patientinnen als additive Therapie einzusetzen [14]. Dem könnten nach ausführlicher Recherche sogar noch weitere pragmatische randomisiert-kontrollierte Studien mit gutem klinischen Erfolg hinzugefügt werden [15, 16]. Ebenfalls existieren Studien zu homöopathischen Routineverschreibungen, mit positiven Effekten bei der Nebenwirkungskontrolle von Krebspatienten [17, 18]. Nun beziehen sich diese Empfehlungen natürlich auf erwachsene Patientinnen und noch liegt keine Evidenz durch kontrollierte Studien im Bereich der pädiatrischen Krebspatientinnen vor, jedoch zeigen Fallserien und langjährige positive Erfahrung durch Betroffene und Behandelnde [19], dass es längst an der Zeit wäre eine weitere kontrollierte Studie finanziell zu unterstützen. Das wäre dann, nun ja, fairplay eben.

Die angesprochenen Universitäten tragen mit ihrem Angebot zu der Möglichkeit der weiteren Erforschung der subjektiv und objektiv erfolgsversprechenden homöopathischen Therapien bei. Sie handeln damit ganz im Sinne universitärer Grundsätze. Wir können als faire Player in einer demokratischen Gesellschaft natürlich dieser Kakophonie der Hetzer nicht die Meinungsäusserungen verbieten,  jedoch plädiere ich dafür, dass Universitätskrankenhäuser sich nicht durch das Foulplay einiger mächtiger Unwissender beirren lassen und Patienten und Ärzten weiterhin die Möglichkeit und Freiheit lassen, sich nach bestem Wissen und Gewissen, und auf Basis der vorliegenden international anerkannten Empfehlungen [11], für die im Einzelfall als beste erscheinende Therapie entscheiden zu dürfen.

Referenzen

[1] Karberg S & Woratschka R. Heftige Kritik an Berliner Uniklinik: Charité-Webseite enthielt Lob für Homöopathie gegen Krebs [Internet, 22.08.2018: https://www.tagesspiegel.de/politik/heftige-kritik-an-berliner-uniklinik-charite-webseite-enthielt-lob-fuer-homoeopathie-gegen-krebs/22941508.html, zitiert am 12. September 2018].

[2] Feldwisch Drentrup H. Charité in der Kritik: «Homöopathie hat an Uniklinika keinen Platz» [Internet, 06.08.2018: https://medwatch.de/2018/08/06/charite-in-der-kritik-homoeopathie-hat-an-uniklinika-keinen-platz/, zitiert am 12. September 2018].

[3] Winnat C. Münchener Uniklinik wegen Homöopathie in der Kritik [Internet, 20.08.2018: https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/gesundheitswirtschaft/article/966347/muensteraner-kreis-uniklinik-wegen-homoeopathie-kritik.html, zitiert am 12. September 2018].

[4] Tournier A & Roberts R. Response by the Homeopathy Research Institute to ‘the Australian Report’ NHMRC Information Paper: ‘Evidence on the Effectiveness of Homeopathy for Treating Health Conditions’ National Health and Medical Research Council, März 2015.[Pressemitteilung]. Homeopathy Research Institute, 2016. [Internet: https://www.hri-research.org/wp-content/uploads/2016/02/HRI-Response-to-NHMRC-Information-Paper.pdf, zitiert am 15. August 2018].

[5] Council AHaMR. NHMRC Information Paper: Evidence on the effectiveness of homeopathy for treating health conditions. National Health and Medical Research Council; 2015. [Internet: www.nhmrc.gov.au/guidelines-publications/cam02, zitiert am 15. August 2018].

[6] Bornhöft G, Wolf U, von Ammon K, Righetti M, Maxion-Bergemann S, Baumgartner S, Thurneysen AE, Matthiessen PF. Effectiveness, safety and cost-effectiveness of homeopathy in general practice – summarized health technology assessment. Forsch Komplementmed. 2006;13 Suppl 2:19-29. Epub 2006 Jun 26.

[7] WissHom. Forschungsbericht Homöopathie: Der aktuelle Stand der Forschung zur Homöopathie: Versorgungsforschung, Randomisierte kontrollierte klinische Studien, Meta-Analysen und Grundlagenforschung. Hrsg.: Wissenschaftliche Gesellschaft für Homöopathie (WissHom). Köthen (Anhalt), Mai 2016. 56 Seiten.

[8] De Sombre S. Homöopathische Arzneimittel 2014. Bekanntheit, Verwendung und Image. Ergebnisse einer bevölkerungsrepräsentativen Umfrage. Allensbach: Institut für Demoskopie Allensbach; 2014 [Internet: https://www.bah- bonn.de/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=4233&token=8724d36ab6615321300b76f72312 6d5e07d6e21e, zitiert am 07.08.2015]

[9] DHU Pressemitteilung.  August 2018 [Internet: http://httpwww.dhu.n2g32.com/cnyhl59z-nnkgk907-mtyc76jn-qza, zitiert am 12.09.2018]

[10] Gaertner K, Torchetti L, Kundi M, Mittal R, Khurana A, Manchanda RK, Frass M. Literature overview of Controlled clinical studies with Homeopathic Medicines and Interventions. 72nd LMHI-Kongress, 05.-08. September, Kapstadt, Südafrika. Vortrag

[11] Guethlin C, Walach H, Naumann J, et al. Characteristics of cancer patients using homeopathy compared with those in conventional care: a cross-sectional study. Ann Oncol 2010; 21:1094.

[12] Thompson EA, Mathie RT, Baitson ES, et al. Towards standard setting for patient-reported outcomes in the NHS homeopathic hospitals. Homeopathy 2008; 97:114.

[13] Thompson EA, Reilly D. The homeopathic approach to the treatment of symptoms of oestrogen withdrawal in breast cancer patients. A prospective observational study. Homeopathy 2003; 92:131.

[14] Strada EA, Russel KP. Psychological, rehabilitative, and integrative therapies for cancer pain. Abraham J, ed. UpToDate. Savarese, DMF: UpToDate Inc. http://www.uptodate.com [Internet: https://www.uptodate.com/contents/psychological-rehabilitative-and-integrative-therapies-for-cancer-pain?topicRef=14248&source=see_link#H44713537, zitiert am 12. September 2018]

[15] Frass M, Friehs H, Thallinger C, Sohal NK, Marosi C, Muchitsch I, Gaertner K, Gleiss A, Schuster E, Oberbaum M. Influence of adjunctive classical homeopathy on global health status and subjective wellbeing in cancer patients -a pragmatic randomized controlled trial. Complement Ther Med. 2015;23(3):309-317.

[16] Thompson E, Montgomery A, Douglas D, Reilly D. A Pilot, Randomized, Double-Blinded, Placebo-Controlled Trial of Individualized Homeopathy for Symptoms of Estrogen Withdrawal in Breast-Cancer Survivors. J Altern Complement Med. 2005;11(1):13-20.

[17] Balzarini A, Felisi E, Martini A, De Conno F. Efficacy of homeopathic treatment of skin reactions during radiotherapy for breast cancer: a randomised, double-blind clinical trial. Br Homeopath J. 2000;89:8-12.

[18] Schlappack O. Homeopathic treatment of radiation-induced itching in breast cancer patients. A prospective observational study. Homeopathy 2004; 93:210.

[19] Magi T, Kuehni CE, Torchetti L, Wengenroth L, Lüer S, Frei-Erb M. Use of Complementary and Alternative Medicine in Children with Cancer: A Study at a Swiss University Hospital. PLoS One. 2015 Dec 22;10(12):e0145787. doi: 10.1371/journal.pone.0145787. eCollection 2015.

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Depression als Nebenwirkung

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bei bis zu 60% der Konsumenten von Arzneimitteln

– und die Homöopathie

Harald Walach

Eine neue, große Kohortenstudie an mehr als 25.000 Patienten zeigt [1]: Medikamente, die Depression oder Suizidalität als mögliche Nebenwirkung verursachen können, werden von 37% der amerikanischen Bevölkerung eingenommen, und der Konsum stieg seit der ersten Befragung 2005 kontinuierlich an. Knapp 10% nehmen 3 oder mehr solche Medikamente ein. Der Konsum von Medikamenten mit Suizidalität als Nebenwirkung stieg von 17% auf 23% an.

Diese Daten stammen aus der großen US-amerikanischen Ernährungsstudie NHANES, die in Zweijahres-Abständen seit 2005 in einer ausgeklügelten repräsentativen Stichprobenauswahl von etwa 38.000 Personen und mit Interviews die amerikanischen Haushalte befragt. In diese Auswertung gingen die Daten von den Personen ein, bei denen alle hier interessierenden Informationen vorlagen. Das war die Erfassung der Depression, die mit einem kleinen Fragenbogen (Patient Health Questionnaire 9) dokumentiert wurde. Sehr solide sind die Arzneimittel mit Nebenwirkungspotenzial erfasst, nämlich mit einem Computer vor Ort, der über eine Datenbank die von den Befragten vorgezeigten Arzneien anhand ihres Namens auf das Nebenwirkungspotenzial anhand der bekannten Profile analysiert. Dabei wurden nur solche Arzneimittel berücksichtigt, bei denen diese Nebenwirkungsprofile bekannterweise Depression oder Selbstmordgefährdung oder –gedanken enthalten.

Die wichtigsten Arzneien in diesen Gruppen sind die Beta-Blocker Metoprolol und Atenolol, die bei Bluthochdruck und zur Migräneprophylaxe verschrieben werden, der Protonenpumpeninhibitor Omeprazol, der gerne bei saurem Aufstoßen und Magengeschwüren verwendet wird, Hydrocodon, das bei uns als Hustenmittel und als Schmerzmittel verwendet wird und Gabapentin, das als Antikrampfmittel, als Mittel gegen neuropathische Schmerzen und zur Sedierung eingesetzt wird. Als Mittel gegen neuropathische Schmerzen bescheinigt ihm die Cochrane-Collaboration Wirkung auf neuropathische Schmerzen bei einigen Menschen. Außerdem gehören Schmerzmittel (deren Konsum aber nicht gestiegen ist) zu dieser Gruppe, und Kontrazeptiva, die sog. „Antibabypillen“. Für Protonenpumpeninhibitoren ist schon länger ein 2,3-faches Risiko für Depression als Nebenwirkung bekannt und bei Kontrazeptiva ein 1,7-faches  Risiko. Antidepressiva selber und andere Psychotropika wurden übrigens auch berücksichtigt, denn sie gehören ebenfalls zu den Arzneien mit Risiko für Suizidalität; ihr Konsum ist um beinahe 4% gestiegen, ebenso wie Anxiolytika, also Medikamente zur Angstlösung mit einem Anstieg des Konsums um 2,4%. Wer es genau wissen will, ob seine Depression von der Medikation kommen könnte, die er oder sie einnimmt, schaut sich am besten selber die Tabelle 2 in dieser Publikation an, die frei verfügbar ist. Dort sind die wichtigsten Generika, also die Namen der chemischen Substanzen aufgelistet. Gibt man diese in deutsche Internetsuchmaschinen ein, erhält man meistens Links zu den wichtigsten in Deutschland zugelassenen Handelsnamen der Präparate. Die Häufigkeit von Depression liegt im niedrigsten Fall bei 16% für Finasterid, das Männer gerne zur Behandlung des Haarausfalls nehmen oder zur Behandlung der gutartigen Prostatahyperplasie, das aber auch zu Erektionsproblemen führt. Die höchste Zahl fanden die Forscher für Gabapentin mit mehr als 60% Nebenwirkungspotenzial für Depression. Gabapentin wird zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen, als Antikrampfmittel und zur Behandlung von Epilepsie verwendet und leicht veränderte Substanzen werden zur Angstlösung eingesetzt. Sensitivitätsanalysen, bei denen Depressionspatienten mit Antidepressiva oder Bluthochdruckpatienten aus der Analyse genommen wurden, veränderten die Ergebnisse der Analyse nicht wesentlich, so dass sie wohl robust sind.

Klarerweise kann man aus einer solchen Querschnittstudie keine eigentliche Kausalität ableiten. Dazu hätten die Autoren die Daten von vor 2 Jahren mit der Depression heute vergleichen müssen oder noch besser, über längere Zeit den Konsum und dann das Auftreten der Depression dokumentieren. Aber die große Zahl der Patienten und die Robustheit der Analysen zeigen, dass das Potenzial für solche Nebenwirkungen groß ist.

Was ich an all dem bemerkenswert finde ist zum einen die große und steigende Zahl von Menschen, mehr als ein Drittel der Bevölkerung in den USA, die mit drei oder mehr Medikamenten behandelt werden, die ein solches synergistisches Nebenwirkungspotenzial haben. Denn wenn solche Menschen dann an Depression leiden, ist die Chance groß, dass sie von einem Spezialisten oder Psychiater ein weiteres Medikament zur Behandlung ihrer Depression verschrieben bekommen, das dann das Risiko für Suizidalität wiederum erhöht. Auf diese Dynamik hat Peter Gøtzsche hingewiesen, dessen Buch ich vor Kurzem besprochen habe [2].   Dabei wäre in diesem Falle vermutlich die beste Intervention: Medikamente absetzen oder wechseln und schauen, was passiert.

Depression und Homöopathische Behandlung

Liebe Kollegen von der Homöopathiekritik: Verstehen Sie jetzt vielleicht etwas besser, warum eine „unwirksame“ Methode wie die Homöopathie in vielen Fällen unter Umständen therapeutischer sein kann als alles, was unsere „wirksame“ Medizin zu bieten hat? Darauf habe ich vor einer Weile schon mal hingewiesen in einem Buch, das demnächst wieder erscheinen wird [3].  Denn sie behandelt „mit praktisch nichts“, ausser mit wohlwollender Intention und möglicherweise mit einer spezifischen Arznei die allenfalls zusätzlich noch die eigenen Selbstheilungskräfte anregt. Und damit kann man wenigstens nichts kaputtmachen, und wenn sie in der Hand eines guten Behandlers liegt, der genug von Diagnostik versteht, wird auch keine wesentliche Maßnahme versäumt. Daher dient der fanatische Kampf gegen die Homöopathie niemandem, ausser der Industrie.

Depression und Psychotherapie

Diejenigen, die an Depression leiden, sollten also in meinen Augen zunächst mal Ihren Arzneischrank und ihre regelmässige Medikation überprüfen. Wenn dann nichts darunter ist, was die Depression durch Nebenwirkungen erklärt, wäre als allererste Wahl der Behandlung Psychotherapie ins Auge zu fassen. Die funktioniert in aller Regel gut [4] und ist auf jeden Fall nachhaltiger wirksam, als pharmakologische Therapie mit Antidepressiva [5].

Homöopathie und Fluoxetin im Vergleich

Wer das aus irgendeinem Grund nicht tun will kann immerhin auch Homöopathie ins Auge fassen. Eine Vergleichsstudie mit dem Antidepressivum Fluoxetin gibt es dazu [6]. 91 Depressionspatienten erhielten dabei entweder homöopathisch individualisierte Therapie mit den homöopathischen Q-Potenzen, oder sie erhielten Fluoxetin, ein klassisches Antidepressivum aus der Kategorie der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Q-Potenzen sind 50.000er Verdünnungsreihen, wie sie Hahnemann am Ende seines Lebens verwendet hat. Diese kann man eine Weile lang täglich einnehmen und ihre Wirkung besser steuern. Die Studie war verblindet, also erhielten alle Patienten auch die jeweils andere Substanz als Placebo, eine sog. double-dummy Methode. Wer Homöopathie erhielt, wusste es also nicht und erhielt ein Fluoxetinplacebo verpackt. Wer Fluoxetin erhielt, wusste es auch nicht und bekam ein Homöopathieplacebo. Nach 4 Wochen konnte die Versorgung noch einmal angepasst werden und nach 4 und 8 Wochen wurde der Erfolg mit der Montgomery-Asperger Skala gemessen. Die Patienten hatten alle eine mittelschwere bis schwere Depression, und Patienten mussten mindestens einen Monat vorher frei von Medikation gewesen sein. Die Studie war als Nicht-Unterlegenheitsstudie angelegt, d.h. getestet wurde, ob die homöopathische Therapie der Fluoxetinbehandlung ebenbürtig war. Das war sie; sie war sogar leicht besser, aber um einen Vorteil gegenüber Fluoxetin nachweisen zu können hätte sie wesentlich grösser sein müssen. Die Patienten im Fluoxtin-Arm schieden tendenziell häufiger wegen Nebenwirkungen aus (alles andere würden einen auch skeptisch machen), und Patienten in der Homöopathiegruppe schieden tendenziell öfter aus wegen einer Verschlimmerung; ob aufgrund der Unwirksamkeit der Homöopathie, oder weil sie auf Antidepressivum-Entzug waren, oder weil sie eine Erstverschlimmerung erlebten ist nicht klar. Insgesamt hat die Studie, wie fast alle Depressionsstudien, viele Patienten im Laufe der Studie verloren, weil sie nicht wiederkamen oder abbrachen, so dass nur insgesamt 55 Patienten die Studie beendet haben. Daher sind die Ergebnisse aus meiner Sicht allenfalls vorläufige Hinweise. Aber sie zeigen: auch mit Homöopathie kann man Depression behandeln.

Vermutlich ist die Nichtbehandlung, wie ich vorher sagte, und zwar mit Wohlwollen und Feinfühligkeit, in vielen Fällen die beste Behandlungsoption. Und wenn noch Homöopathie hinzukommt, dann ist es auf jeden Fall kein Schaden. Wer weiss, vielleicht ist das sogar eines der Geheimnisse der Homöopathie: Nicht zu behandeln und das gekonnt.

Literatur

[1] Qato, D. M., Ozenberger, K., & Olfson, M. (2018). Prevalence of prescription medications with depression as a potential adverse effect among adults in the United States. JAMA, 319(22), 2289-2298.

[2] Gøtzsche, P. C. (2015). Deadly Psychiatry and Organised Denial. Copenhagen: People’s Press.

[3] Walach, H. (2011). Weg mit den Pillen! Selbstheilung oder warum wir für unsere Gesundheit Verantwortung übernehmen müssen – Eine Streitschrift. München: Irisiana.

Walach, H. (2016). Selbstheilung – die Medizin denkt um. Momentum – Gesund leben bei Krebs(1), 1-13.

Walach, H. (2018, im Druck). Heilung kommt von innen: Verantwortung und Selbstheilung – ein neues Denkmodell für die Medizin. München: Droemer Knaur.

[4] Barth, J., Munder, T., Gerger, H., Nüesch, E., Trelle, S., Znoj, H. J., et al. (2013). Comparative efficacy of seven psychotherapeutic interventions for patients with depression: A network meta-analysis. PLoS Medicine, 10(5), e1001454. http://journals.plos.org/plosmedicine/article?id=10.1371/journal.pmed.1001454

Zimmermann, J., Löffler-Stastka, H., Huber, D., Klug, G., Alhabbo, S., Bock, A., et al. (2015). Is it all about the higher dose? Why psychoanalytic therapy is an effective treatment for major depressoin. Clinical Psychology and Psychotherapy, 22, 469-487. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/cpp.1917

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