Hirntumor macht sexsüchtig, Homöopathie heilt Akne

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 – ein paar Gedanken zu klinischen Fällen

Harald Walach

In einem mittlerweile klassischen neurologischen Fallbericht findet man folgende skurrile Geschichte [1]:

Hirntumor und Sexsucht

Ein Mann mittleren Alters, gesund und unbescholten, Schullehrer entwickelt plötzlich eine unkontrollierte Sexsucht: er lädt sich heimlich Kinderpornographie und andere Pornographie auf den Computer, bestellt sich Prostituierte und macht der Stieftochter Avancen. Als die Ehefrau das merkt rollt die juristische Lawine auf ihn zu. Ein Richter verurteilt ihn zu Therapie oder Gefängnis. Aber obwohl er die Gefängnisstrafe vermeiden will, geht er sogar auf die Therapiemitarbeiterinnen los, so dass er aus der Therapie geworfen wird. Kurz bevor er ins Gefängnis geht, stellt er sich noch mit starken Kopfschmerzen und neurologischen Symptomen in der Klinik vor, wo ein Gehirntumor im orbitofrontalen Cortex diagnostiziert wird. Dieser wird operativ entfernt, worauf die Symptome verschwinden und er nach einer Weile als geheilt nach Hause entlassen wird. Als die Symptome nach einer Weile wiederkehren, wird er erneut untersucht: der Tumor ist zurückgekehrt, wird wieder entfernt und die Symptome verschwinden. Diese direkten Zusammenhänge zwischen Auftritt und Verschwinden der Symptome nach der Tumoroperation werten die Autoren als Hinweis auf Kausalität:

His symptoms resolved with the excision of a right orbitofrontal hemangiopericytoma, further establishing causality.

Dieser und andere ähnliche Fälle werden in der neueren Debatte gerne zitiert, wenn es um die Frage geht, wie frei Straftäter sind, wenn Sie ihre Taten begehen, eine Debatte, die im Übrigen ihre eigenen Absonderlichkeiten hat, wie man dem exzellenten Buch von Hasler, „Neuromythologie“, entnehmen kann, in dem ich auch diesen Fall gefunden habe [2].

Fallbeispiele und ihre Struktur

Die Struktur der Argumentation erinnert mich an homöopathische Fallberichte und Argumente:

Man hat einen empirischen Corpus von Wissen. Im Falle des neurologischen Falles sind es regelhafte Beobachtungen darüber, welche Auswirkungen Läsionen im orbitofrontalen Cortex in der Regel haben. Im Falle der Homöopathie sind es die vielen Beobachtungen aus Arzneimittelprüfungen von Substanzen und ihre Anwendung in der Praxis bei der Behandlung von Patienten. Diese sind zwar stärker phänomenologisch, also rein beobachtend, aber dennoch in etwa ähnlich korrelativ und fransig wie die Beobachtungen der Neuropsychologie.

Man hat einen konkreten Fall. Hier den Patienten mit Sexsucht, der durch Tumordiagnose und –OP geheilt wird und bei dem durch die Wiederkehr der gleichen Symptome und der gleichen Behandlung die vermutete Kausalität gestärkt wird. Bei der Homöopathie sind es ebenfalls Fälle, bei denen Symptome mit großer Zuverlässigkeit nach einer indizierten Behandlung dauerhaft verschwinden.

Homöopathischer Fallbericht: Homöopathie heilt Akne

Ein Beispiel dafür bietet eine kürzlich publizierte Fallserie aus Bukarest von zwei Fällen mit sehr starker Akne, die mit Homöopathie in hohen Potenzen behandelt worden sind [3]. Die Nachbeobachtungen dauerten 1-2 Jahre und die Patienten besserten sich drastisch; die Besserung hielt auch nach der Behandlung an und die Symptome kehrten nicht mehr zurück, wie die Bilder zeigen, die man sich ausführlicher im online Material anschauen kann [4].

Fall 1 – Bild A
Fall 1 – Bild F

 

Nun ist Akne natürlich kein Hirntumor, meistens selbstlimitierend und geht auch meistens irgendwann in der frühen Adoleszenz von selber weg, hinterlässt aber dann oft Narben. Das Interessante an diesen Fällen ist aber, dass die Akne mitten im Blühen der Pubertät verschwand und nicht mehr wiederkam. Und dies ist nur ein kleines, aktuelles Beispiel. Demnächst publizieren wir auch eine Fallserie die zeigt, wie kindliche Neutropenie, also eine schwer zu behandelnde Blutabnormalität homöopathisch geheilt wurde. Und die Literatur ist voll von ähnlichen, oft schweren Fällen.

Einzelfälle und Kausalität?

Mir geht es hier um die Struktur: Offenkundig haben wir kein Problem, im Falle einer neurologischen Erkrankung eine Kausalität zu akzeptieren, wenn die Beseitigung eines Tumors zur Beseitigung von skurrilen Symptomen führt; ähnlich argumentieren auch Kiene und Kollegen [5]. Das lässt sich sogar in den renommierten Archives of Neurology publizieren (vielleicht auch, natürlich, weil sich Sex besser verkauft als Globuli). Rein epistemologisch ist die Struktur bei vielen homöopathischen Fallgeschichten ähnlich: Man hat eine Reihe Symptome. Man sucht das passende Arzneimittel. Die Symptome verschwinden. Bei Wiederkehr der Symptome sind die Effekte dann ebenfalls reproduzierbar. Der Homöopath folgert daraus: die Arzneimittel haben (kausal) gewirkt. Klar, man sieht nicht, was weggeschnitten ist, und auch nicht, was vorher da war. Da ist so ein knackiger Tumor handfester. Aber mal abgesehen davon, dass wir es mit einer manifesten, materiell sichtbaren Ursache zu tun haben, wenn man einen Tumor herausschneidet, was man sieht ist der Sache nach das Selbe: eine starke Korrelation von Behandlung und Effekt. Dazu hat man noch, im Fall der Neurologie, ein einigermaßen fransiges Wissen über die Rolle, die bestimmte Hirnpartien spielen, und über die Symptomatologie der Arzneien im Fall der Homöopathie.

Empirisch und von der Struktur her sind die Argumentationen ansonsten gleich. Mit dem einen subtilen Unterschied: bei der Homöopathie haben wir nicht die geringste Ahnung, wie die ursächlichen Zusammenhänge laufen; beim Gehirn bilden wir uns ein, zumindest teilweise zu wissen, wie sie funktionieren. Wir ignorieren einfach all die Unklarheiten. Wer das nicht glaubt, dem empfehle ich die Lektüre von Haslers Buch, immerhin einem aktiven Neurowissenschaftler mit einer soliden Publikationsliste. Der wirkliche Unterschied: bei der Neurowissenschaft gibt es einen breiten Konsens, auch wenn wir im Detail immer noch sehr im Dunklen tappen. Bei der Homöopathie tappen wir noch mehr im Dunkeln, was Ursachen und Theorien angeht, obwohl die empirische Datenlage recht ähnlich der ist, mit der in der konventionellen Medizin Schlußfolgerungen gezogen werden. Ich habe das schon des öfteren gesagt: die Homöopathie ist kein empirisches, sondern ein konzeptuelles Problem. Denn sonst würden wir die Aussage problemlos akzeptieren: ja klar, Homöopathie heilt Akne (oder Leukopenie, oder Neurodermitis….), genauso wie ein Hirntumor eben Sexsucht macht und seine Beseitigung diese heilt.

Literatur

[1] Burns, J. M., & Swerdlow, R. H. (2003). Right orbitofrontal tumor with pedophilia symptom and constructional apraxia sign. Archives of Neurology, 60(3), 437-440.

https://jamanetwork.com/journals/jamaneurology/fullarticle/783830#nob20054f1

[2] Hasler, F. (2015). Neuromythologie: eine Streitschrift gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung (5., unveränd. Aufl ed.). Bielefeld: transcript. https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-1580-7/neuromythologie/

[3] Nwabudike, L. C. (2018). Case reports of acne and homeopathy. Complementary Medicine Research, 25, 52-55.

https://www.karger.com/Article/Abstract/486309

[4] https://figshare.com/articles/Supplementary_Material_for_Case_Reports_of_Acne_and_Homeopathy/5938249

[5] Kiene, H., Hamre, H. J., & Kienle, G. S. (2013). In support of clinical case reports: A system of causality assessment. Global Advances in Health and Medicine, 2, 28-39.

s. auch www.ifaemm.de/Abstract/PDFs/CBM_Buch.pdf

 

 

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