Reihe Klassische Klinische Studien

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Es wird ja immer wieder behauptet, es gäbe keine Forschungsergebnisse zur Homöopathie. Diese Behauptung ist falsch. Das zeigen auch eine Reihe klassischer klinischer Studien. Klassisch deshalb, weil sie schon vor geraumer Zeit durchgeführt wurden und oft zitiert werden.

Homöopathie bei Heuschnupfen –

zwei randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudien

Harald Walach

Reilly, D. T., & Taylor, M. A. (1985). Potent placebo or potency? A porposed study model with initial findings using homeopathically prepared pollens in hayfever. The British Homoeopathic Journal, 74, 65-75.

Reilly, D. T., Taylor, M. A., Mc Sharry, C., & Aitchinson, T. (1986). Is homoeopathy a placebo response? Controlled trial of homoeopathic potency with pollen in hayfever as a model. Lancet, Oct. 18, 881-886.

Die Heuschnupfenperiode hat begonnen. Pollen fliegen, Nasen tropfen, Augen weinen. Dagegen gibt es wenig Hilfe. Man kann die Symptome bekämpfen und Antihistaminika nehmen. Sie reduzieren die allergische Reaktion des Körpers auf die Antigene der Pollen, ändern aber nichts an der Empfindlichkeit, und bei vielen Menschen lösen sie unangenehme Nebenwirkungen wie Müdigkeit aus. Man kann den Weg der immunologischen Desensibilisierung beschreiten. Dabei werden die entsprechenden Antigene zunächst ausfindig gemacht und dann dem Körper in einer Art umgekehrter Homöopathie von der gerade noch harmlosen über eine aufsteigende Dosisreihe präsentiert, in der Hoffnung, dass damit die Sensitivität verschwindet und der Körper sich anpasst. Das hilft auch vielen. Aber nicht allen. Wenn diese Methode nichts hilft, dann bleibt die Homöopathie.

An dieser Stelle kommen David Reillys Studien ins Spiel. Ich habe den Autor 1985 einmal auf einer Tagung in London erlebt, wie er seine Studien vorgestellt hat. Die Idee sei ihm gekommen, als er in einer Apotheke Nelson’s „Mixed Grasspollen C30“ gesehen habe, ein homöopathisches Fertigpräparat zur Behandlung allergischer Rhinitis, also Pollenallergie. Darin enthalten sind die 24 häufigsten Pollenallergene von Gräsern, potenziert zur C30, also eine „Verdünnung“ von 100-30 oder 10-60. Unter molekularen Gesichtspunkten ist das eine absurd niedrige Verdünnung, bei der statistisch kein Molekül mehr vorhanden ist, weil die Avogadrosche Zahl (ungefähr 10-23) längst unterschritten ist; die gibt an, bei welcher Verdünnung noch mit einem Molekül zu rechnen ist. Wenn eine solche Potenz eine Wirkung entfaltet, dann sicher nicht über die vorhandenen Moleküle sondern über andere Prozesse. Zumal man ja bedenken muss, dass bei dem Herstellungsprozess die Ursprungslösung noch auf Zuckerkügelchen, oder in diesem Falle auf Milchzuckertabletten aufgeträufelt wird in einem Sprühverfahren, bei dem zwar alle Tabletten oder Kügelchen erreicht werden – das wurde bereits öfter untersucht. Aber die Menge der Ausgangslösung ist extrem gering. Die Wahrscheinlichkeit, dass also irgendein Molekül der Ausgangslösung beim Patienten ankommt ist praktisch gleich Null. Daher ja der Disput. Kann nicht wirken, sagen klassische Pharmakologen, Kritiker und Wissenschaftler. Wirkt eben doch, zeigt die Praxis – und eben auch die Forschung.

David Reilly hat zwei verblindete, placebo-kontrollierte, randomisierte klimische Studien mit einem sehr ähnlichen Aufbau durchgeführt. Die erste war eine Pilotstudie und diente der Klärung der Frage, ob sich dieses Modell überhaupt lohnt. Dabei wurde eine kleine Zahl von Patienten, insgesamt 13 in der Homöopathie und 26 in der Placebo-Gruppe, behandelt. Die ungleichen Zahlen kamen daher, dass die Vorbereitung der Präparate in Paaren geschah, das erste Glas immer Placebo enthielt, ohne dass das jemand wusste (außer dem Apotheker), und das zweite Verum. Die Idee war, dass dadurch nach Möglichkeit immer zeitnahe Paare eingeschlossen werden sollten, um zeitliche und lokale Schwankungen im Pollenflug experimentell auszugleichen. Da manche Ärzte aber mehrere Patienten einschlossen (und damit immer wieder ein neues Paar anfing), ergaben sich oft ungerade Zahlen und daraus diese Imbalance.

Die Patienten durften keine Erfahrung mit Homöopathie haben, mussten eine dokumentierte 2jährige Geschichte mit Pollenallergie haben, akute Symptome, keine Infekte, und keine relevante Vormedikation mit konventioneller Therapie mit entsprechenden Karenzfristen für Medikamente. Diese Kriterien wurden in der Hauptstudie noch verschärft dahingehend, dass auch ein immunologischer IgE-Antikörpertest gegen Pollen vorliegen musste. Die eingeschlossenen Patienten waren also wirklich Pollenallergiker.

Gemessen wurde in beiden Studien über Patiententagebücher:

Zum einen wurde eine visuelle Analogskala erfasst, die die Gesamtbelastung durch die Symptome abbilden sollte. Das ist ein 10cm langer Stricht, vergleichbar einem Thermometer. Auf ihm gibt der Patient durch Ankreuzen täglich an, wie belastend die Symptome sind zwischen „überhaupt nicht“ und „extrem“. Man misst dann die Länge des Strichs und diese dient als Masszahl. Solche Skalen sind in der Forschung seit langer Zeit üblich und sehr sensibel. Außerdem wurden die 6 wichtigsten Symptome im Tagebuch erfasst (Niesen, laufende und juckende Nase, rote, tränende und schmerzende Augen), die in der Pilotstudie mit einem dreistufigen und in der Hauptstudie mit einem vierstufigen Rating einzustufen waren. Zusätzlich wurde die Menge an Ausweichmedikation erfasst. Dazu war ein Antihistaminikum für alle vorgesehen.

Die Medikamente wurden 2mal täglich über 2 Wochen eingenommen und noch 2 Wochen nachbeobachtet. In der Hauptstudie wurde zusätzlich eine einwöchige Placebo-Run-in-Phase eingeführt, um eine Baseline zu haben, also einen Ausgangswert, gegen den Veränderungen berechenbar sind.

Schon die Pilotstudie hatte deutliche Effekte gezeigt, die mit einem robusten, non-parametrischen statistischen Test signifikant waren. Die Homöopathie-Gruppe verbesserte sich um 80%, die Placebo-Gruppe um 18%. Dabei hatten die Homöopathie-Patienten tendenziell weniger Antihistaminika eingenommen als die Placebo-Patienten. Auch waren aus der Homöopathie-Gruppe weniger Patienten wegen irgendwelcher Verschlimmerungen oder Unverträglichkeiten ausgeschieden als aus der Placebogruppe. Die Pilotstudie war also vielversprechend.

In der Hauptstudie konnten nun die Ergebnisse sehr deutlich repliziert werden. Die Stichprobe war deutlich grösser: 158 Patienten, 79 in jeder Gruppe, wurden behandelt. Die Behandlung fand in zwei Zentren, in Glasgow und in London, statt. Ausserdem wurden noch die Pollenflugdichten berechnet und in die Studie einbezogen. Durch die einwöchige Run-in-Phase, in der alle Patienten Placebo einnahmen, war auch eine Ausgangslage dokumentiert. Man hätte sich hier vielleicht eine Baseline ohne irgendeine Intervention gewünscht. Gegenüber dieser Baseline, die ja eigentlich schon psychologisch gesehen einen gewissen Behandlungseffekt gezeigt haben dürfte, wurden nun die Effekte berechnet.

Das Hauptzielkriterium in der Hauptstudie war die visuelle Analogskala der Symptombelastung. In der Homöopathiegruppe hatte diese nach 4 Wochen um 17,2 mm abgenommen, in der Placebogruppe um 2,6 mm. Das ist mit d = 0.47 eine mittelgroße, aber durchaus klinisch relevante Effektgrösse. Die Studie war statistisch mit einer Mächtigkeit versehen, die einen 10%igen Unterschied sichtbar machen sollte. Der Effekt hier ist leicht kleiner gewesen, aber er war statistisch signifikant. Eine Sensitivitätsanalyse führte dann noch eine Korrektur für die Pollenzählung durch und bestätigte den Effekt (Abbildung).

Der Effekt von homöopathischem gemischten Graspollen C30 gegenüber Placebo nach 4 Wochen, adjustiert für Pollenzählung; offene Quadrate: Homöopathie-Gruppe; Striche: Placebogruppe; angegeben ist der Wert der visuellen Analogskala der Symptombelastung. Aus Reilly et al (1986) mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

Die Patienten in der Homöopathie-Gruppe nahmen signifikant weniger Antihistaminika, nämlich 11,2 im Durchschnitt gegenüber 19,7 in der Placebogruppe. Das ist mit d = 0.5 eine mittelgrosse und klinisch relevante Effektgröße. Die Verbesserung in der Homöopathie-Gruppe ist also keinesfalls auf eine vermehrte Einnahme konventioneller Medikamente zurückzuführen.

Ein Manko ist aus meiner Sicht, dass die differenzierten Tagebuchdaten der 6 Symptome lt. Angaben im Methodenteil in einer anderen Publikation erscheinen sollten. Das ist aber meines Wissens nie geschehen. Möglicherweise waren die Daten dieser Tagebücher nicht ganz so eindeutig wie die VAS? Das könnte leicht sein. Darüber weiss ich aber nichts. Es ist für die Bewertung dieser Studie allerdings nicht sehr relevant, weil die VAS-Skala als Hauptzielkriterium formuliert worden war und einen deutlichen Effekt zeigt, der durch die Abnahme des Antihistaminika-Verbrauchs in der Homöopathiegruppe gegenüber der konventionellen Gruppe auch noch gestützt wird.

Insgesamt ist dies eine Serie von zwei Studien, die einen deutlichen und replizierten Effekt von homöopathisch hochverdünnten gemischten Graspollen in der C30 zeigt. Auch eine Verbesserung der Methodik in der zweiten Studie, wie etwa die Objektivierung der Allergie durch IgE und Rast-Testung oder der Einbezug der Pollenzählung hat dem Effekt keinen Abbruch getan. Die Effektgrössen sind in der Hauptstudie kleiner als in der Pilotstudie. Aber sie sind immer noch in einem Bereich, der sie klinisch relevant macht.

David Reilly hat in einer Studie mit einem anderen Modell – nämlich potenziertem individuellem Antigen bei Asthma – diese Serie fortgesetzt und damit den Effekt in einer konzeptuellen Replikation bestätigt [1]. Eine vierte Studie, dieses Mal wieder bei Heuschnupfen, konnte dann allerdings den Effekt nur noch indirekt bestätigen. [2] Denn hier war das primäre Zielkriterium, die visuelle Analogskala, nicht mehr signifikant. Dafür aber das sekundäre, nämlich der objektive Histaminverbrauch. Diese Studie hatte auch eine Meta-Analyse des Gesamteffektes durchgeführt und alle vier Studien zusammengefasst. Diese Meta-Analyse ist signifikant und zeigt einen gemittelten Effekt von 11.1 mm Verbesserung auf der visuellen Analogskala, also in etwa den Effekt, der auch in der hier besprochenen Hauptstudie dokumentiert wurde.

Diese beiden anderen Studien besprechen wir separat, weil sich an ihnen noch ein paar andere Dinge zeigen lassen. Wir sehen: homöopathische Therapie kann durchaus Effekte haben, die signifikant von Placebo verschieden sind. Auch wiederholt. Allerdings zeigen manchmal weitere Wiederholungen Kapriolen: Die Effekte springen plötzlich hinüber ins Nebenzielkriterium. Diese Situation erlaubt es jedem, sein eigenes Weltbild zu zimmern: Die Homöopathie ist nicht replizierbar, sagen dann die Kritiker. Sie haben, wie wir gesehen haben, nur teilweise recht. Manchmal ist sie in der Tat replizierbar. Manchmal nicht. Das ist allerdings das Schicksal guter Forschung. Nur wenige Befunde, auch in der konventionellen Forschung, sind wirklich strikt replizierbar. In der Homöpathieforschung ist Replizierbarkeit noch seltener. Diese Serie von zwei Studien zeigt, dass auch in der Homöopathie replizierbare Befunde vorliegen. Und in der Praxis erlaubt es dem rational gesinnten Allergiker durchaus, Homöopathie auszuprobieren. Möglicherweise hat er oder sie ja mit einer klassisch-homöopathischen Therapie sogar noch mehr Chancen? Denn vergessen wir nicht, dass hier ja ein relativ grober homöopathischer Ansatz getestet wurde.

An diesem Beispiel zeigt sich auch eine subtile Dialektik der Homöopathieforschung: Forschungslogisch sind diese beiden Studien sehr schön, weil klar, eindeutig, aufeinander aufbauend und repliziert. Praktisch sind sie relativ wenig interessant. Denn kaum ein Homöopath wird Heuschnupfen mit gemischten Gräserpollen behandeln, zumindest nicht in Deutschland und vermutlich auch anderswo nicht. Das hier verwendete Modell der Isopathie – also „Gleiches mit Gleichem“, nicht „Ähnliches mit Ähnlichen“ behandeln – ist zwar dem der Homöopathie sehr verwandt, ist aber eben nicht Homöopathie. Es wird zwar manchmal auch von Homöopathen angewandt. Dann gibt ein Arzt z.B. potenzierte Kuhmilch, wenn klar ist, dass Milch zu den Problemen führt und andere Arzneimittel nicht gut wirken. Aber klinisch gesehen ist diese isopathische Art der Anwendung, wie sie auch den Studien von Reilly zugrundeliegt, eher eine Randerscheinung. Praktisch-klinisch hat diese Studienreihe also wenig Bedeutung. Dafür ist es aber ein schönes, sauberes Forschungsmodell das beispielhaft zeigt, dass potenzierte Substanzen in einem klinischen Modell wirken können. Das ist überhaupt ein Forschungsdilemma, das auch in der konventionellen Forschung kaum wegzubekommen ist. Man kann es selten so haben, dass die Befunde wirklich für die angewandte, niedergelassene Praxis relevant sind und dass sie gleichzeitig wissenschaftlich sauber sind. Wir haben das vor Kurzem so ausgedrückt: Interne und externe Validität sind keine kompatiblen Konzepte, die in der gleichen Studie maximiert werden können. [3] Hier ist die interne Validität hoch, aber die externe Validität, also die Übertragbarkeit auf die Praxis eher niedrig. Dennoch, oder vielleicht deswegen, zeigt sie beispielhaft: Homöopathische Prinzipien sind offenbar weniger dumm, als manche meinen, und Homöopathie kann bei Allergien durchaus eine rationale Wahl sein, vor allem dann, wenn alles andere nicht gut funktioniert. Doch dann würde ich lieber klassische Homöopathie wählen, auch wenn diese hier nicht untersucht wurde. Das Prinzip hat sich nämlich bewährt.

Referenzen

[1] Reilly, D., Taylor, M. A., Beattie, N. G. M., Campbell, J. H., & McSharry, C. (1994). Is evidcence for homoeopathy reproducible? The Lancet, 344, 1601-1606.

[2] Taylor, M. A., Reilly, D., Llewellyn-Jones, R. H., McSharry, C., & Aitchison, T. C. (2000). Randomised controlled trial of homoeopathy versus placebo in perennial allergic rhinitis with overview of four trial series. British Medical Journal, 321, 471-476.

[3] Walach, H., & Loef, M. (2015). Using a matrix-analytical approach to synthesizing evidence solved incompatibility problem in the hierarchy of evidence. Journal of Clinical Epidemiology, 68, 1251-1260.

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Aktuelle Forschungsergebnisse

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Es wird ja immer wieder behauptet, es gäbe keine Forschungsergebnisse zur Homöopathie. Diese Behauptung ist falsch. Um aktuelle Ergebnisse zu illustrieren, werden wir in dieser Reihe eine bunte Mischung aktueller Forschung präsentieren: von Grundlagenforschung über Fallserien bis hin zu neueren klinischen randomisierten Studien. Von diesen gibt es natürlicherweise weniger. Denn sie sind langwierig und teuer.

Allerdings gibt es solche Studien in der  homöopathischen Literatur durchaus. Eine andere Reihe „Klassische klinische Studien“, die teilweise auch über den „Forschungsreader“ von WissHom zugänglich sind, besprechen wir parallel in einer anderen Reihe.

Wir setzen diese Reihe fort mit einer klinischen Studie:

Klassische Homöopathie bei chronischer Schlaflosigkeit –

eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie

Harald Walach

Michael, J., Singh, S., Sadhukhan, S., Nath, A., Kundu, N., Magotra, N., et al. (2019). Efficacy of individualized homeopathic treatment of insomnia: Double-blind, randomized, placebo-controlled clinical trial. Complementary Therapies in Medicine, 43, 53-59. https://doi.org/10.1016/j.ctim.2019.01.007

Aktueller geht es kaum: gerade sind wir alle von der Zeitumstellung in unserem Schlafrhythmus gestört worden. Auch diejenigen unter uns, wie ich beispielsweise, mit einem relativ robusten Schlaf-Wachrhythmus und vergleichsweise wenig Schlafstörungen merken, wie sehr sogar ein Eingriff in den Schlafrhythmus – wie die Umstellung auf Sommerzeit – sich bemerkbar macht. Da kann man sich ein bisschen besser in diejenigen Zeitgenossen einfühlen, die dauernd mit Schlafproblemen zu kämpfen haben – weil sie schlecht einschlafen können und oft Stunden wachliegen, oder in der Nacht aufwachen und nicht mehr einschlafen können, oder zu früh aufwachen und nicht mehr zurück in den Schlaf finden. Wenn das öfter als dreimal pro Woche auftritt und länger als einen Monat andauert, geben die Schlafforscher diesem Syndrom den Namen „chronische Schlaflosigkeit“. Etwa 10-30% der Bevölkerung eines Landes leiden unter einem solchen Problem – es ist also ein klinisch wichtiges Thema. [1]

In dieser neuen Studie haben nun indische Forscher mit klassischer Homöopathie in einer drei Monate dauernden Studie bei insgesamt 60 Patienten mit chronischen Schlafstörungen gezeigt, dass individualisierte homöopathische Therapie bei chronischen Schlafstörungen einem Placebo überlegen ist. Die Studie war doppelt verblindet. Das Placebo war ununterscheidbar. Die meisten Items für sorgfältige Studiendurchführung kann man mit Ja beantworten: die Studie war verblindet; der Randomisationscode war ebenfalls verblindet; Patienten und Therapeuten/Beurteiler auch; die Auswertung erfolgte erst, nachdem die Datenbank „eingefroren“, also fertiggestellt war; die Studie hatte eine zwar etwas wacklige, aber immerhin prospektive Fallzahlplanung; sie wurde prospektiv in einem Studienregister eingetragen, damit keine Protokolländerungen nach der Auswertung möglich sind; sie wurde nach den Standardregeln berichtet und einigermaßen sauber ausgewertet.

Methodik

Die homöopathische Therapie erfolgte individualisiert: D.h. für jeden Patienten wurde individuell das passende Arzneimittel ausgewählt. Anschließend erhielten die Patienten von einem Apotheker, der der einzige war, der den Randomisationscode hatte, entweder das Arzneimittel oder das Placebo. Die Arzneien wurden in allen Fällen als sog. Q-Potenzen verabreicht, obwohl laut Protokoll auch C-Potenzen möglich gewesen wären. Das Spezielle an Q-Potenzen ist, dass sie zum einen stärker verdünnt sind (eben etwa im Verhältnis 1:50.000; daraus leitet sich das Kürzel „Q“ für „Quinquagesimillesimal“ – ein 50.Tausendstel ab) und daher auch öfter, normalerweise täglich, genommen werden können. Sie sind eine Spätentdeckung Hahnemanns und wurden dementsprechend spät, erst mit der Entdeckung der letzten Auflage des Organons 1921 bekannt und wurden zum ersten Mal von Flury 1942 hergestellt [2]. Im Wesentlichen wird dabei als Ausgangspotenz eine durch Verreibung bis zur C3 erzeugte Potenz verwendet, mit der dann in alkoholischer Lösung eine Anzahl Kügelchen imprägniert werden. Diese Kügelchen werden dann in alkoholischer Lösung aufgelöst, so dass das Mengenverhältnis in etwa 1:50.000 beträgt. Dies ergibt die Q1. Diese Lösung wird dann durch Schütteln weiter potenziert und mit ihr wiederum Kügelchen imprägniert, usw. Mit den Kügelchen wird dann eine Gebrauchslösung hergestellt, in diesem Fall aus destilliertem Wasser und 10% Alkohol (zu Konservierungszwecken) mit vier darin aufgelösten etwa mohnsamengroßen Streukügelchen – also die der ganz kleinen Sorte. Diese Lösung wird jedes Mal beim Einnehmen, in diesem Falle täglich, 10mal fest geschüttelt. Dann wird daraus etwa die Menge eines Löffels in eine Tasse Wasser gegeben, umgerührt, davon ein Mund voll eingenommen; der Rest der Tasse wird weggeleert. Das ist also wirklich die Extremform der Verdünnung und Streckung: die ursprünglich schon 1:50.000mal verdünnte und potenzierte Lösung wird auf kleine Kügelchen aufgebracht, diese nochmals verdünnt und von dieser Verdünnung wird nochmals ein kleiner Teil verdünnt. Daher werden solche Q-Potenzen auch täglich gegeben.

In dieser Studie wurden also ausschließlich solche Q-Potenzen verwendet; diese aber offenbar durchaus in einem konstitutionellen Sinn. Das sieht man an den verordneten Substanzen: vor allem Nux vomica, Natrium muriaticum, Calcium carbonicum, Thuja, Lycopopdium, Phosphor, Sulfur, Pulsatilla, Sepia; also lauter homöopathische „Polychreste“, häufig verordnete Konstitutionsarzneien.

Als Haupt-Ergebnismaß wurde ein tägliches Schlaftagebuch verwendet, das aus insgesamt 6 Items besteht und ein weit verbreiteter Standard ist (u.a. verwendet das amerikanische Militär dieses Instrument): Latenz bis zum Einschlafen, Aufwachen in der Nacht, zu frühes Erwachen, Zeit im Bett, Schlafzeit, Schlafeffizienz. Dieses Tagebuch wurde täglich geführt, kann also als prospektives Outcome-Maß gewertet werden, obwohl es natürlich naturgemäß nur nach jeder Nacht bewertet werden kann. Zusätzlich wurde ein Schlafindex geführt. Das ist ein relativ ähnliches Instrument, das aber eher globale Einschätzungen über einen längeren Zeitraum vornimmt. Beides ist in der Schlafforschung üblich. Manche Studien nehmen auch polysomnographische Maße – also objektive Maße wie EEG, Bewegungsmessung, oder andere physiologische Maße. Meistens sind solche Variablen aber an ein Labor gebunden und werden daher bei klinischen Studien, bei denen die Patienten in ihrer gewohnten Umgebung sind, in der Regel nicht eingesetzt.

Weil das Hauptmaß aus 6 Items besteht, haben die Autoren vernünftigerweise das Niveau der Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% auf 1% reduziert; das ist eine Möglichkeit der Anpassung für multiples Testen (geschickter wäre es aus meiner Sicht gewesen, entweder einen Gesamtwert zu bilden oder eine multivariate Testprozedur einzuführen). Die Autoren haben sich so vor einer Überschätzung geschützt. Von ihren 6 Items zeigen insgesamt 3 Items einen Gruppenunterschied auf, der das apriori postulierte Signifikanzniveau erreicht oder unterschreitet, nämlich die drei letzten Items „Zeit im Bett“ (unter Homöopathie etwas länger, während die Placebo-Gruppe weniger Zeit im Bett verbringt), „Schlafzeit“ (unter Homöopathie etwa eine Stunde länger, während die Placebo-Gruppe weniger Schlaf hat) und „Schlafeffizienz“(ein Anstieg um 11 Punkte, bei der Placebo-Gruppe um 4 Punkte). Bei den anderen Items gibt es ebenfalls Verbesserungen, diese heben sich aber statistisch nicht von den Veränderungen in der Placebogruppe ab. Nach den Regeln der klinischen Forschung haben die Autoren aber mit dem Erreichen der vorher geforderten Signifikanzgrenze bei 3 von 6 Items ihr Ziel mehr als erreicht; denn es hätte gereicht, wenn eines der Items die Grenze von p < 0.01 erreicht hätte. Außerdem ist auch das sekundäre Kriterium, der Schlafindex in der Verum-Gruppe mit p = 0.013 deutlich besser.

Sind die Effekte auch klinisch bedeutsam?

Das halte ich ja sowieso für die wichtigere Frage, vor allem angesichts der Tatsache, dass vor Kurzem eine große Gruppe von mehr als 800 Forschern einen in Nature publizierten Aufruf unterzeichnet hat, man solle doch endlich ein Ende machen mit der absurden Signifikanztesterei [3] (siehe hierzu auch meinen aktuellen Methodenblog https://harald-walach.de/2019/03/27/der-signifikanz-mythos-broeckelt/). Ja, die Effekte sind klinisch bedeutsam. Ich bin zwar bei meinen Berechnungen auf leicht niedrigere Effektstärken gekommen als die Autoren. Das liegt vermutlich daran, dass ich eine pi-mal-Daumen-gemittelte Standardabweichung zur Berechnung genommen habe; die Unterschiede sind aber nicht drastisch. Die Effektgrößen zwischen den Gruppen, die die Autoren berichten, liegen zwischen d = 0.6 für den Schlafindex und d = 1.1 für das Item „Schlafeffizienz“, bzw. ca. d = 0.9 und d = 1.0 für die anderen signifikanten Items (meine leicht konservativere Schätzung). Für die nicht-signifikanten Items sind die Effektstärken klein und liegen bei d = 0.2. (Was eine Effektgröße ist, habe ich in meinen Methodenblogs ausführlicher erläutert (https://harald-walach.de/methodenlehre-fuer-anfaenger/13-power-analyse-die-magie-der-statistik-oder-der-unterschied-zwischen-signifikanz-und-relevanz/). Effektgrößen sind dimensionslose Maße, die beschreiben, wie groß ein Unterschied zwischen zwei Gruppen oder ein Zusammenhang von Variablen ist. Sie sind unabhängig von der Größe der Studie; diese bestimmt einfach, ob ein gegebener Unterschied signifikant belegt werden kann bzw. wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Unterschied signifikant gefunden werden kann. Die hier dokumentierten Effektgrößen zwischen d = 0.6 und d = 1.1 kann man als große und klinisch relevante Effekte bezeichnen, zumal sie gegen aktive Kontrolle, also Placebo, gesichert worden sind. Zur Kalibrierung: NICE, der englische Regulator, fordert, dass ein neu eingeführtes Antidepressivum mindestens eine Effektgröße von d = 0.5 gegenüber Placebo aufweisen muss; tatsächlich weisen alle Antidrepressiva-Studien zusammen in einer Meta-Analyse Effektgrößen gemittelt gegen Placebo von d = 0.38 auf [4]. Wir haben es hier also mit einem klinisch bedeutsamen Effekt zu tun, der statistisch gegen das Rauschen einer Placebo-Gruppe abgesichert ist. Auch in dieser findet man positive klinische Effekte. Diese sind aber kleiner.

Dies ist also eine unzweideutig signifikante Studie die zeigt, dass verblindete individualisierte homöopathische Therapie bei Schlaflosigkeit hilfreich sein kann und besser wirkt als ein Placebo. Die Autoren weisen darauf hin, dass es bereits eine Reihe anderer positiver Studien zu diesem Thema gibt, die meisten allerdings nicht individualisiert. Eine ältere brasilianische Studie zeigte ebenfalls positive Effekte einer verblindeten individualisierten homöopathischen Therapie [5]. Ich hatte sie mir vor langer Zeit einmal durchgesehen und ebenfalls eine mittlere Effektgröße von d = 0.40 errechnet, wenn ich recht erinnere. Iris Bell hat einige Forschung zum Thema Schlaf gemacht und konnte zeigen, dass Menschen mit unterschiedlichem Persönlichkeitsprofil (ängstlich versus aggressiv) und Schlaflosigkeit, die durch Kaffeemissbrauch induziert war, mit unterschiedlichen EEG-Mustern auf die Gabe von unterschiedlichen Arzneien (Nux vom. vs. Coffea in der C30) reagieren, je nachdem welches Persönlichkeitsprofil sie hatten. In dieser Studie wurde nach einer Placebo-Run-in-Periode die beiden Homöopathika doppelt verblindet gegeben und alle Masse erfolgten in einem Schlaflabor mit Polysomnographie (also mit EEG, Bewegungsmessung, Okulogramm) [6].

In diesen Kontext reiht sich diese kleine Studie gut ein. Die Poweranalyse war etwas wacklig; aber die Autoren hatten Glück und einen deutlichen Effekt gefunden; wäre sie negativ ausgegangen, hätten sie vermutlich mit zu geringer Power argumentiert, was bei einer kleinen Studie immer möglich ist und dann eine Folgestudie nötig gemacht hätte. Die Präsentation zeigt ein paar handwerkliche Schwächen: Es ist beispielsweise ein weit verbreiteter Unsinn, das Randomisationsergebnis auf statistische Imbalancen hin zu testen; darauf verweist auch die CONSORT Gruppe [7]. Denn schließlich haben wir es bei der Randomisation mit einer theoretischen Größe zu tun, die nicht durch ein einmaliges empirisches Ereignis getestet werden kann. Ich finde auch, die Autoren hätten sich im Vorfeld überlegen können, die Schlafitems zu einem Gesamtwert zu vereinen, was ihre Statistik etwas klarer gemacht hätte, oder aber sie hätten die Daten anhand eines linearen Modells mit entsprechenden Kovarianten (Baseline-Werte, andere mögliche Prädiktoren) auswerten können, wie das mittlerweile üblich ist. Aber so robust wie die Daten sind, spielt das eine relativ geringe Rolle und ist eher kosmetische Kritik. Man hätte die Studie länger laufen lassen können als drei Monate und hätte dann vermutlich deutlichere Effekte gesehen. Allerdings ist bei verblindeter individualisierter Homöopathie eine längere Studie meistens etwas komplex und von daher kann man verstehen, dass die Autoren nach drei Monaten aufgehört haben.

Die Schlussfolgerungen bleiben: Wir haben eine Studie vor uns, die belegt, dass klassisch angewandte Homöopathie bei chronischen Schlafstörungen wirksam ist. Sie tut dies in einem Kontext einiger anderer positiver Studien.

Literatur

[1] Roth, T. (2007). Insomnia: definition, prevalence, etiology, and consequences. Journal of Clinical Sleep Medicine, 3(5 Suppl), S7-S10. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1978319/

[2] De Schepper, L. (1999). LM potencies: one of the hidden treasures of the sixth edition of the Organon. British Homeopathic Journal, 88, 128-134.

Mayr, S. (2014). Herstellung homöopathischer Arzneimittel – Von Hahnemann bis zu Schwabes Pharmakopöe. Essen: KVC Verlag.

[3] Amrhein, V., Greenland, S., & MCShane, B. (2019). Retire statistical significance. Nature, 567, 305-307. https://www.nature.com/articles/d41586-019-00857-9

[4] Turner, E. H., Matthews, A. M., Linardatos, E., Tell, R. A., & Rosenthal, R. (2008). Selective publication of antidepressant trials and its influence on apparent efficacy. New England Journal of Medicine, 358, 252-260. https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMsa065779

Kirsch, I., Deacon, B. J., Huedo-Medina, T. B., Scoboria, A., Moore, T. J., & Johnson, B. T. (2008). Initial severity and antidepressant benefits: A meta-analysis of data submitted to the food and drug administration. PLoS Medicine, 5(2), e45. https://journals.plos.org/plosmedicine/article?id=10.1371/journal.pmed.0050045

[5] Carlini, E. A., Braz, S., Troncone, L. R., Tufik, S., Romanach, A. K., Pustiglione, M., et al. (1987). Efeito hipnotico de medicacao homeopatica e do placebo. Avaliacao pela técnica de „duplo-cego“ e „cruzamento“. Revista de Associacao medica brasileira, 33, 83-88. https://europepmc.org/abstract/med/3329355

[6] Bell, I. R., Howerter, A., Jackson, N., Aickin, M., Baldwin, C. M., & Bootzin, R. R. (2011). Effects of homeopathic medicines on polysomnographic sleep of young adults with histories of coffee-related insomnia. Sleep Medicine, 12(5), 505-511. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1389945710001735?via%3Dihub

[7] Moher, D., Hopewell, S., Schulz, K. F., Montori, V. M., Gøtzsche, P. C., Devereaux, P. J., et al. (2010). CONSORT 2010 Explanation and Elaboration: updated guidelines for reporting parallel group randomised trials. BMJ, 340, c869. https://www.bmj.com/content/340/bmj.c869

Schulz, K. F., Altman, D. G., Moher, D., & CONSORT Group. (2010). CONSORT 2010 Statement: updated guidelines for reporting parallel group randomised trials. BMC Medicine, 8(1), 18. https://bmcmedicine.biomedcentral.com/articles/10.1186/1741-7015-8-18

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Aktuelle Forschungsergebnisse

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Es wird ja immer wieder behauptet, es gäbe keine Forschungsergebnisse zur Homöopathie. Diese Behauptung ist falsch. Um aktuelle Ergebnisse zu illustrieren, werden wir in dieser Reihe eine bunte Mischung aktueller Forschung präsentieren: von Grundlagenforschung über Fallserien bis hin zu neueren klinischen randomisierten Studien. Von diesen gibt es natürlicherweise weniger. Denn sie sind langwierig und teuer.

Allerdings gibt es solche Studien in der  homöopathischen Literatur durchaus. Eine andere Reihe „Klassische klinische Studien“, die teilweise auch über den „Forschungsreader“ von WissHom zugänglich sind, besprechen wir parallel in einer anderen Reihe.

Effektivität von Homöopathie zur Schmerzlinderung bei Gelenksblutung bei Hämophilie-Patienten

Harald Walach

Kundu, T., Ghosh, K., Shaikh, A., Singh, P., Shaikh, A., Shah, H., et al. (2018). Homeopathic medicine reduces pain and hemarthrosis in moderate and severe hemophilia: A multicentric study. Complementary Medicine Research, 25(5), 306-312. https://www.karger.com/Article/Abstract/486557

Es gibt manche Situationen, in denen benötigt man keine kontrollierte Studie, um einen klinischen Effekt zu dokumentieren. Das ist in der Regel dann der Fall, wenn die Effekte überdeutlich sind, oder wenn man ziemlich genau weiss, was passieren würde, wenn man nicht behandeln würde. Daher muss keiner eine randomisierte Studie zur Wirksamkeit von Fallschirmen durchführen, wie einmal ein paar Witzbolde in der Weihnachtsausgabe des British Medical Journals angemerkt haben [1]. Auch viele wichtige und lebensrettende Interventionen in der klinischen Medizin wurden nie in einer randomisierten Studie untersucht, z.B. die Wirksamkeit von Penicillin, oder die Nützlichkeit der Schienung gebrochener Knochen, oder Bypassoperationen zur Blutversorgung des Herzens bei verschlossenen Arterien, und andere Interventionen der Chirurgie. Daher ist aus meiner Sicht der allgemeine Ruf nach randomisierten, placebo-kontrollierten Studien als einzige rationale Methode der klinischen Forschung insgesamt ziemlich kurzsichtig. Ich habe dazu an verschiedenen Stellen auch noch eine Reihe Argumente geliefert, auf die ich jetzt nicht eingehe [2].

Die hier besprochene Studie ist eine solche klinische Situation, in der keine randomisierte Studie nötig ist, wenngleich eine ranomisierte Studie vielleicht eine noch klarere Schlußfolgerung zugelassen hätte. In dieser Studie indischer Forscher aus Mumbai, Nashik im Bundesstaat Maharashtra und Surat in Gujarat wurden alle Patienten, die an erblich bedingter Hämophilie – also der Bluterkrankung – litten in die Studie eingeschlossen, die in ihren Krankenhäusern in homöopathischer Betreuung waren. Dazu muss man wissen: Die Erkrankung ist erblich und kann nicht geheilt werden. Es können allenfalls Symptome gelindert werden und durch Plasmagaben von Gerinnungsfaktoren akute Probleme so behandelt werden, dass die Patienten nicht sterben bzw. dass innere Blutungen gestoppt werden. Probleme treten auf, wenn etwa Blutungen in die Gelenke auftreten und keine sofortige Plasmagabe zur Verfügung steht. Wenn ein Mensch mit normalen Gerinnungsfaktoren eine dumme Bewegung macht oder sich stößt, hat er vielleicht eine Mikroverletzung in einem Gelenk oder Band mit einer kleinen Blutung, die aber sofort zum Stillstand kommt. Wenn das bei einem Bluter passiert, dann fliesst sehr lange Blut und löst natürlich Entzündungen und Schmerzen aus. Klassische Entzündungshemmer sind dort oft nicht sinnvoll, weil sie das Problem schlimmer machen. Opiate sind auch nur bedingt nützlich, weil man nicht dauernd zu Opiaten greifen will. In Indien kommt erschwerend hinzu, dass nicht immer Plasmakonzentrate zur Akutbehandlung genau dann vorhanden sind, wenn sie gebraucht werden. Daher wird in Indien durchaus auch in solchen relativ schweren Erkrankungsfällen Homöopathie verwendet.

Da in Indien Homöopathie durch das Gesundheitsministerium gestützt und verbreitet wird – unter dem ministeriumseigenen Department AYUSH (das ist eine Abkürzung für Ayurveda, Yoga, Unani, Siddhi, Homeopathy, also die fünf in Indien anerkannten traditionellen Heilweisen) – gibt es dort auch staatliche Krankenhäuser und Ambulanzen, die sie anwenden. Meistens, das muss man auch sagen, ist es in Indien eine Medizin der armen Leute, weil Homöopathie eben billig ist.

In der hier vorliegenden Studie wurden nun retrospektiv alle in einem Krankenhaus in Behandlung befindlichen Hämophilie-Kranke eingeschlossen, deren Episode von Einblutung in ein Gelenk nicht durch konventionelle Mittel behandelt werden konnten, entweder weil es keine Plasmaprodukte gab oder weil die Patienten aus anderen Gründen keine konventionelle Behandlung hatten. Alle Patienten waren genetisch getestete Hämophilie-Patienten, also echte Bluter-Kranke.

Insgesamt 343 Patienten von ursprünglich 430 durchgesehenen gingen in die Analyse ein. 23 Patienten hatten vorher anderswo Plasmafaktoren erhalten; bei weiteren 38 Fällen waren die Daten unvollständig und bei 26 Patienten hatte keinerlei Gelenksblutung vorgelegen. 287 von den eingeschlossenen Patienten hatten eine schwere und 56 eine mässig schwere Hämophilie. Insgesamt 1.679 Blutungsepisoden waren die Datenbasis. Die Patienten hatten im Durschnitt 6.9 Gelenksblutungen pro Monat und wurden homöopathisch behandelt. Schwellungen und Untersuchungen von Schmerzen wurden von unabhängigen allopathischen Ärzten dokumentiert.

Die homöopathische Behandlung erfolgte dreistufig: alle Patienten bekamen Hamamelis in der Urtinktur zur äusserlichen Anwendung, um die Blutung zu stillen. Ausserdem bekamen alle eine homöopathische Akutverordnung und danach eine homöopathische Konstitutionsverordnung. Die Idee bei der Akutverordnung ist natürlich, dass das akute Geschehen kontrolliert werden soll, und zwar möglichst rasch. Und die Konstitutionsverordnung soll nach Möglichkeit die Gefahr weiterer Blutungen reduzieren oder die Konstitution so gut als möglich stärken. Die homöopathischen Arzneimittel die dort verwendet wurden sind sehr vielfältig. Bryonia, das Arzneimittel mit der Modalität „Schmerz, verschlimmert durch kleinste Bewegung“ und Rhus toxicodendron, das Arzneimittel das bei Bänderzerrungen sehr hilfreich sein kann, weil es starke Schmerzen in Gelenken hat die langsam duch Bewegung gebessert werden, waren dabei die häufigsten akuten Verordnungen und ansonsten die typischen homöopathischen Konstitutionsmittel. Neben Lachesis waren das Calcium carbonicum, Sulphur, Arsenicum album, Lycopodium, Calc. fluoratum, Nux vomica und Ruta, um nur die häufigeren zu nennen. Alle wurden in C200 oder C1.000 (oft auch als „M“ abgekürzt) gegeben.

Nach einem halben Jahr waren die Gelenksblutungen mit 2.9 pro Monat verlgichen mit den 6.9 zu Beginn deutlich weniger. Die Effekte waren in der Regel schon nach 6 Stunden sichtbar und nach 48 Stunden deutlich. Die Schwellungen hatten nach 24 Stunden um 1,1 (beim Knöchel) bis 3,1 cm abgenommen. Die Schmerzen nahmen ab von durchschnittlich 6,1 (Knie) bis 8,4 (Schulter) auf einer numerischen Ratingskala zu Beginn der Behandlung (die von 0 bis 10 reicht) auf 1,5 (Knie) und 1,7 (Schulter); bei den anderen Gelenken waren die Schmerzen noch besser. Insgesamt 3,9% bis 6,8% der Patienten waren als Therapieversager kategorisiert, also als solche, die nach 48 Stunden weniger als 50% Verbesserung erlebt hatten.

Es wäre nun natürlich schön, wenn man eine Kontrollgruppe hätte, bei der mit Gerinnungsfaktor behandelt worden wäre oder alle Patienten nach Einsatz des Gerinnungsfaktors entweder mit Homöopathie oder anders weiterbehandelt worden wären. Dann hätten wir einen wirklich klaren Vergleichsstandard. Aber auch so zeigt uns die Studie: homöopathische Behandlung kann offenbar einen positiven Einfluß auf innere Blutung und die damit verbundenen Entzündungs- und Schmerzprozesse nehmen und offenbar auch langfristig die Tendenzen beeinflussen. Das soll nun natürlich kein Aufruf sein, Plasmabehandlungen einzustellen. Wir erinnern uns: in Entwicklungsländern ist Plasmabehandlung nicht überall und immer möglich. Hier stellt Homöopathie eine günstige und klinisch effektive Ergänzung bereit, wenn und solange keine Plasmabehandlung möglich ist oder nicht verwendet werden kann. Die große Zahl der Patienten, die Konsistenz der Ergebnisse und der relativ deutliche klinische Effekt scheinen mir durchaus interessant zu sein, vor allem weil bei dieser Erkrankung Alternativerklärungen – Placebo-Effekte, natürliche Verbesserungen, Spontanverläufe – eher unwahrscheinlich sind als Erklärungsmodelle.

Referenzen

[1] Smith, G. C. S., & Pell, J. P. (2003). Parachute use to prevent death and major trauma related to gravitational challenge: systematic review of randomised controlled trials. British Medical Journal, 327, 1459-1561. https://www.bmj.com/content/327/7429/1459

[2] Walach, H., Falkenberg, T., Fonnebo, V., Lewith, G., & Jonas, W. (2006). Circular instead of hierarchical – Methodological principles for the evaluation of complex interventions. BMC Medical Research Methodology, 6(29). https://bmcmedresmethodol.biomedcentral.com/articles/10.1186/1471-2288-6-29

Walach, H., & Loef, M. (2015). Using a matrix-analytical approach to synthesizing evidence solved incompatibility problem in the hierarchy of evidence. Journal of Clinical Epidemiology, 68, 1251-1260. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0895435615003212

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H. Walach

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Spieglein, Spieglein in dem Sand…

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Homöopathie und grössere Kosten? Schlechte Daten falsch interpretiert.

Ein paar Anmerkungen zum Artikel „Die Macht der Heiler“, Spiegel Nr. 34 2018

Harald Walach

Regelmässig im Sommerloch geht das Homöopathie-Bashing los, weil man ja sonst nichts Besseres zu berichten hat. So verkündet Frau Hackenbroich wieder einmal im Spiegel: Homöopathie sei die „absurdeste aller Heilmethoden“ und alles sei „ein großer Bluff“. Ich habe Frau Hackenbroich einmal auf dem Podium einer Fachkonferenz der Journalisten in Bremen erlebt. Dort sagte sie: „Die Homöopathie gehört in die Medizingeschichte und meine Aufgabe ist es, sie dorthin zu befördern.“ Das finde ich bedenklich, wenn Journalisten sich zu Vollstreckern der Geschichte machen (wollen), aber das nur am Rande.

 

SPIEGEL 34/2018

Als eine der Argumente zitiert sie dann eine Studie aus dem Online Fachjournal PLoS One (steht für „Public Library of Science“; und ist ein allgemeines Journal mit normalerweise robustem Peer-Review) [1]. Die Studie wurde von Kollegen der Charité durchgeführt anhand eines großen Datensatzes der Technikerkrankenkasse. Dort wurden die Kosten von Menschen mit und ohne integrierter Versorgung „Homöopathie“ verglichen. Es wurde ein sehr aufwändiges Vergleichsverfahren gewählt, bei dem aufgrund von verschiedenen bekannten Variablen eine Person der Vergleichsgruppe – hier: normale Versicherte – mit einer Person der Testgruppe – hier: Versicherte mit Einschreibung in den Homöopathie-Vertrag – verglichen wurde, so dass beide möglichst ähnlich sind. Das Verfahren – technisch: propensity score matching – ist höchst aufwändig und ergibt sehr gute Ergebnisse. Die Voraussetzung: man weiss, was man mit was vergleicht und man hat die wirklich entscheidenden Variablen gefunden, auf Grund derer man den Vergleich anstellt.

Aber schon dem kursorischen Leser fällt beim Lesen dieser Studie auf: Hier wurden nicht Menschen, die Homöopathie wirklich benützt haben mit solchen verglichen, die Homöopathie nicht verwendet haben. Sondern hier wurden diejenigen Menschen verglichen, die ein Zusatzangebot gebuchte hatten, egal ob sie Homöopathie benützt haben oder nicht. Wörtlich heisst es: „For this analysis patients belonged to the homeopathy group if they subscribed to the integrated care contract in 2011 and if they were continuously insured through the TK for the observational period (12 months before and 18 months after subscription to the integrated care contract), regardless of whether they used homeopathy during the study period.“ (S. 2 der Publikation, 2. Satz in “Methods”)

Also, nochmals zum Mitschreiben, liebe Frau Hackenbroich, auf Deutsch: In dieser Analyse gehörten Patienten zur “Homöopathie-Gruppe”, wenn sie im Jahre 2011 einen integrierten Versorgungsvertrag über die zusätzliche Behandlung mt Homöopathie abgeschlossen hatten, völlig unabhängig davon, ob jemand wirklich Homöopathie in Anspruch genommen hat. Und dennoch wird hinfort davon geredet, dass die Benützung von Homöopathie, der Konsum von Homöopathie etc. mehr Kosten verursacht. Solide?

Ich finde es nicht sonderlich erstaunlich, dass Leute, die Homöopathie zusätzlich zur konventionellen Versorung in Anspruch nehmen, mehr Kosten verursachen. Nur: das Extra-Angebot der integrierten Versorgung an Patienten, die einfach mal kurz ausprobieren wollen, wie das mit der Homöopathie ist, aber nebenher noch allerhand andere Dinge machen bildet nicht die reale Situation ab. Die ist vielfach untersucht und sieht eher so aus, dass Menschen dann, wenn ihnen die gewöhnliche Versorung durch ihren Haus- oder Spezialarzt nicht mehr weiterhilft oder zu viele Nebenwirkungen produziertzum homöopathischen Arzt begeben oder manchmal zum Heilpraktiker, und dort nach Linderung Ausschau halten. Es wäre also für eine wirklich gute Untersuchung zwingend nötig, dass man konkret untersucht, wieviele Patienten die Behandlung nun auch wirklich richtig in Anspruch genommen haben, wie lange und ob und wie sich ihr Gesundheitszustand verändert hat. Das ist, soweit aus den bisher publizierten Daten ersichtlich, nicht erfolgt. Aber aus der Folgestudie wissen wir: Nur etwa ein Drittel der Patienten ist dabeigeblieben [2]. Die Studie dürfte also eher die höheren Kosten abbilden, die durch „doctor hopping“ entstehen, und das wundert eigentlich keinen. Sie aber als Beleg für gesteigerte Kosten durch Homöopathie zu verwenden, erscheint mir fragwürdig.

Auf jeden Fall dient diese Studie weder dazu, irgendwas über die Kosten der Homöopathie zu sagen, noch als Argument dafür, wie schlimm die Homöopathie denn nun ist. Sie dient eigentlich zu gar nichts ausser dazu, zu sagen, Menschen, die Zusatzangebote in Anspruch nehmen, erzeugen mehr Kosten. Vielleicht sind sie ängstlicher und gehen häufiger zum Arzt? Vielleicht haben sie mehr chronische Krankheiten oder haben mehr Probleme? Vielleicht nehmen sie mehr verschiedenen Behandlungen in Anspruch?

Da wäre es schon zielführender, die Studie von Baars und Kollegen zu zitieren, die ich auf meiner Homepage vor einer Weile besprochen hatte [2] (https://harald-walach.de/2014/10/14/versicherungen-herhoeren-komplementaermedizin-ist-billiger/). Diese hatte nämlich eine Kohorte über 6 Jahre verfolgt, die wirklich komplementärmedizinisch – homöopathisch und anthroposophisch-medizinisch – versorgt worden ist. Die Versorgung war nicht nur billiger, der Gesundheitszustand war besser. Die Autoren extrapolierten eine Kostenersparnis von 3.2 Milliarden Euro für Holland, wenn sich alle Menschen so behandeln liessen.

Liebes Spieglein: das war in den Sand gesetzt.


Hier noch Beiträge, die diesen Text von anderen Seiten beleuchten

Ein Leserbrief, der im SPIEGEL nicht abgedruckt wurde

Ein Beitrag im Tagesspiegel: Für eine Medizin auf Beweis- und Erfahrungsbasis

Fairplay bitte!

Spieglein, Spieglein an der Wand…

Die Europäischen Wissenschaftsakademien und die Homöopathie


Literatur

[1] Ostermann, J. K., Reinhold, T., & Witt, C. M. (2015). Can additional homeopathic treatment save costs? A retrospective cost-analysis based on 44.500 insured persons. PLoS One, 10(7), e0134657. https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0134657

[2] Ostermann, J. K., Witt, C. M., & Reinhold, T. (2017). A retrospective cost-analysis of additional homeopathic treatment in Germany: Long-term economic outcomes. PLOS ONE, 12(9), e0182897. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0182897

[3] Baars, E. W., & Kooreman, P. (2014). A 6-year comparative economic evaluation of healthcare costs and mortality rates of Dutch patients from conventional and CAM GPs. BMJ Open, 4, e005332. https://bmjopen.bmj.com/content/4/8/e005332

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Fairplay bitte!

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Ein Plädoyer für unparteiische Berichterstattung und Forschung in der Homöopathie

Einige Gedanken zu aktuellen Berichterstattungen zur Homöopathie und warum Homöopathie in der Kinderonkologie weder gefährlich noch irreführend ist

«To be free is not merely to cast off ones chains, but to live in a way that respects and enhances the freedom of others»  Nelson Mandela

Katharina Gaertner, Universität und Inselspital Bern

Es ist schon verwunderlich, wie viel Misstrauen homöopathischen Arzneimitteln und ihren Anwendern entgegengebracht wird. Kritiker werden nicht müde sich in Wortspielereien oder wiederholten Zitaten von unwissenschaftlichen Artikeln und Falschmeldungen zu ergehen, ohne eigene Untersuchungen anzustellen oder wissenschaftliches Arbeiten zu unterstützen um offene Fragen zu beantworten. So kam es kürzlich wieder zu diversen Anschuldigungen auf universitäre Einrichtungen, welche integrative Konzepte mit unterstützenden, zusätzlich zur konventionellen Therapie eingesetzten, homöopathischen Interventionen verfolgen [1 – 3]. In der Argumentation stützen  sich die Autoren dabei erneut hauptsächlich auf eine sinnlose, indikationsübergreifende und wissenschaftlich höchst fragwürdige [4] Untersuchung des australischen Gesundheitsministeriums [5] und lassen ausser Acht, dass es unzählige gegensätzliche Untersuchungen gibt [e.g. 6, 7].

Wäre es nicht an der Zeit, dem Wunsch der Bevölkerung (auch in Deutschland) [8, 9] nachzukommen und genauer hinzusehen, anstatt sich in Allgemeinplätzen zu verlieren und ein und dasselbe, bereits widerlegte Argument [6, 7], es gäbe keine wissenschaftlichen Beweise wieder und wieder herunterzubeten und als einzigen Beleg dafür ein oder zwei „Expertenmeinungen“ zu zitieren? Wäre es nicht an der Zeit, sich auf ein Fairplay zu einigen, Transparenz für die Bevölkerung zu schaffen und die Universitäten ihre Arbeit machen zu lassen?

Beginnen wir also mit Fairplay von unserer Seite:

Ja, über alle verschiedenen medizinischen Anwendungen homöopathischer Arzneien für die unterschiedlichsten Krankheitsbilder kann keine allgemeine Aussage hinsichtlich der Wirksamkeit getroffen werden. Bei genauerem Hinsehen finden sich jedoch 53 unterschiedliche Indikationen zu denen mindestens zwei kontrollierte Studien vorliegen, welche eine spezifische Intervention mit einer oder mehreren spezifischen homöopathischen Arzneie(n) testen [10]. Zumindest diese Studien sollten für diese spezifischen Fragestellungen hinsichtlich Ihrer Güte näher untersucht werden. Betrachten wir also zum Beispiel die gerade so in Verruf geratene, zusätzlich homöopathische Behandlung in der (Kinder-)onkologie: In der laufend aktualisierten, auf den «Clinical Practice Guidelines» des Institute of Medicine basierenden, online Version für therapeutische Praxisempfehlungen «uptodate» wird hierzu eine Kohortenstudie [11] und zwei unkontrollierte Beobachtungsstudien [12, 13] bezüglich der Symptomkontrolle durch individualisierten homöopathischen Verschreibungen zitiert. Die Autoren sehen damit genügend empirische Grundlage diese Therapie in dem so schwierigen Feld austherapierter Patientinnen als additive Therapie einzusetzen [14]. Dem könnten nach ausführlicher Recherche sogar noch weitere pragmatische randomisiert-kontrollierte Studien mit gutem klinischen Erfolg hinzugefügt werden [15, 16]. Ebenfalls existieren Studien zu homöopathischen Routineverschreibungen, mit positiven Effekten bei der Nebenwirkungskontrolle von Krebspatienten [17, 18]. Nun beziehen sich diese Empfehlungen natürlich auf erwachsene Patientinnen und noch liegt keine Evidenz durch kontrollierte Studien im Bereich der pädiatrischen Krebspatientinnen vor, jedoch zeigen Fallserien und langjährige positive Erfahrung durch Betroffene und Behandelnde [19], dass es längst an der Zeit wäre eine weitere kontrollierte Studie finanziell zu unterstützen. Das wäre dann, nun ja, fairplay eben.

Die angesprochenen Universitäten tragen mit ihrem Angebot zu der Möglichkeit der weiteren Erforschung der subjektiv und objektiv erfolgsversprechenden homöopathischen Therapien bei. Sie handeln damit ganz im Sinne universitärer Grundsätze. Wir können als faire Player in einer demokratischen Gesellschaft natürlich dieser Kakophonie der Hetzer nicht die Meinungsäusserungen verbieten,  jedoch plädiere ich dafür, dass Universitätskrankenhäuser sich nicht durch das Foulplay einiger mächtiger Unwissender beirren lassen und Patienten und Ärzten weiterhin die Möglichkeit und Freiheit lassen, sich nach bestem Wissen und Gewissen, und auf Basis der vorliegenden international anerkannten Empfehlungen [11], für die im Einzelfall als beste erscheinende Therapie entscheiden zu dürfen.

Referenzen

[1] Karberg S & Woratschka R. Heftige Kritik an Berliner Uniklinik: Charité-Webseite enthielt Lob für Homöopathie gegen Krebs [Internet, 22.08.2018: https://www.tagesspiegel.de/politik/heftige-kritik-an-berliner-uniklinik-charite-webseite-enthielt-lob-fuer-homoeopathie-gegen-krebs/22941508.html, zitiert am 12. September 2018].

[2] Feldwisch Drentrup H. Charité in der Kritik: «Homöopathie hat an Uniklinika keinen Platz» [Internet, 06.08.2018: https://medwatch.de/2018/08/06/charite-in-der-kritik-homoeopathie-hat-an-uniklinika-keinen-platz/, zitiert am 12. September 2018].

[3] Winnat C. Münchener Uniklinik wegen Homöopathie in der Kritik [Internet, 20.08.2018: https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/gesundheitswirtschaft/article/966347/muensteraner-kreis-uniklinik-wegen-homoeopathie-kritik.html, zitiert am 12. September 2018].

[4] Tournier A & Roberts R. Response by the Homeopathy Research Institute to ‘the Australian Report’ NHMRC Information Paper: ‘Evidence on the Effectiveness of Homeopathy for Treating Health Conditions’ National Health and Medical Research Council, März 2015.[Pressemitteilung]. Homeopathy Research Institute, 2016. [Internet: https://www.hri-research.org/wp-content/uploads/2016/02/HRI-Response-to-NHMRC-Information-Paper.pdf, zitiert am 15. August 2018].

[5] Council AHaMR. NHMRC Information Paper: Evidence on the effectiveness of homeopathy for treating health conditions. National Health and Medical Research Council; 2015. [Internet: www.nhmrc.gov.au/guidelines-publications/cam02, zitiert am 15. August 2018].

[6] Bornhöft G, Wolf U, von Ammon K, Righetti M, Maxion-Bergemann S, Baumgartner S, Thurneysen AE, Matthiessen PF. Effectiveness, safety and cost-effectiveness of homeopathy in general practice – summarized health technology assessment. Forsch Komplementmed. 2006;13 Suppl 2:19-29. Epub 2006 Jun 26.

[7] WissHom. Forschungsbericht Homöopathie: Der aktuelle Stand der Forschung zur Homöopathie: Versorgungsforschung, Randomisierte kontrollierte klinische Studien, Meta-Analysen und Grundlagenforschung. Hrsg.: Wissenschaftliche Gesellschaft für Homöopathie (WissHom). Köthen (Anhalt), Mai 2016. 56 Seiten.

[8] De Sombre S. Homöopathische Arzneimittel 2014. Bekanntheit, Verwendung und Image. Ergebnisse einer bevölkerungsrepräsentativen Umfrage. Allensbach: Institut für Demoskopie Allensbach; 2014 [Internet: https://www.bah- bonn.de/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=4233&token=8724d36ab6615321300b76f72312 6d5e07d6e21e, zitiert am 07.08.2015]

[9] DHU Pressemitteilung.  August 2018 [Internet: http://httpwww.dhu.n2g32.com/cnyhl59z-nnkgk907-mtyc76jn-qza, zitiert am 12.09.2018]

[10] Gaertner K, Torchetti L, Kundi M, Mittal R, Khurana A, Manchanda RK, Frass M. Literature overview of Controlled clinical studies with Homeopathic Medicines and Interventions. 72nd LMHI-Kongress, 05.-08. September, Kapstadt, Südafrika. Vortrag

[11] Guethlin C, Walach H, Naumann J, et al. Characteristics of cancer patients using homeopathy compared with those in conventional care: a cross-sectional study. Ann Oncol 2010; 21:1094.

[12] Thompson EA, Mathie RT, Baitson ES, et al. Towards standard setting for patient-reported outcomes in the NHS homeopathic hospitals. Homeopathy 2008; 97:114.

[13] Thompson EA, Reilly D. The homeopathic approach to the treatment of symptoms of oestrogen withdrawal in breast cancer patients. A prospective observational study. Homeopathy 2003; 92:131.

[14] Strada EA, Russel KP. Psychological, rehabilitative, and integrative therapies for cancer pain. Abraham J, ed. UpToDate. Savarese, DMF: UpToDate Inc. http://www.uptodate.com [Internet: https://www.uptodate.com/contents/psychological-rehabilitative-and-integrative-therapies-for-cancer-pain?topicRef=14248&source=see_link#H44713537, zitiert am 12. September 2018]

[15] Frass M, Friehs H, Thallinger C, Sohal NK, Marosi C, Muchitsch I, Gaertner K, Gleiss A, Schuster E, Oberbaum M. Influence of adjunctive classical homeopathy on global health status and subjective wellbeing in cancer patients -a pragmatic randomized controlled trial. Complement Ther Med. 2015;23(3):309-317.

[16] Thompson E, Montgomery A, Douglas D, Reilly D. A Pilot, Randomized, Double-Blinded, Placebo-Controlled Trial of Individualized Homeopathy for Symptoms of Estrogen Withdrawal in Breast-Cancer Survivors. J Altern Complement Med. 2005;11(1):13-20.

[17] Balzarini A, Felisi E, Martini A, De Conno F. Efficacy of homeopathic treatment of skin reactions during radiotherapy for breast cancer: a randomised, double-blind clinical trial. Br Homeopath J. 2000;89:8-12.

[18] Schlappack O. Homeopathic treatment of radiation-induced itching in breast cancer patients. A prospective observational study. Homeopathy 2004; 93:210.

[19] Magi T, Kuehni CE, Torchetti L, Wengenroth L, Lüer S, Frei-Erb M. Use of Complementary and Alternative Medicine in Children with Cancer: A Study at a Swiss University Hospital. PLoS One. 2015 Dec 22;10(12):e0145787. doi: 10.1371/journal.pone.0145787. eCollection 2015.

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Depression als Nebenwirkung

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bei bis zu 60% der Konsumenten von Arzneimitteln

– und die Homöopathie

Harald Walach

Eine neue, große Kohortenstudie an mehr als 25.000 Patienten zeigt [1]: Medikamente, die Depression oder Suizidalität als mögliche Nebenwirkung verursachen können, werden von 37% der amerikanischen Bevölkerung eingenommen, und der Konsum stieg seit der ersten Befragung 2005 kontinuierlich an. Knapp 10% nehmen 3 oder mehr solche Medikamente ein. Der Konsum von Medikamenten mit Suizidalität als Nebenwirkung stieg von 17% auf 23% an.

Diese Daten stammen aus der großen US-amerikanischen Ernährungsstudie NHANES, die in Zweijahres-Abständen seit 2005 in einer ausgeklügelten repräsentativen Stichprobenauswahl von etwa 38.000 Personen und mit Interviews die amerikanischen Haushalte befragt. In diese Auswertung gingen die Daten von den Personen ein, bei denen alle hier interessierenden Informationen vorlagen. Das war die Erfassung der Depression, die mit einem kleinen Fragenbogen (Patient Health Questionnaire 9) dokumentiert wurde. Sehr solide sind die Arzneimittel mit Nebenwirkungspotenzial erfasst, nämlich mit einem Computer vor Ort, der über eine Datenbank die von den Befragten vorgezeigten Arzneien anhand ihres Namens auf das Nebenwirkungspotenzial anhand der bekannten Profile analysiert. Dabei wurden nur solche Arzneimittel berücksichtigt, bei denen diese Nebenwirkungsprofile bekannterweise Depression oder Selbstmordgefährdung oder –gedanken enthalten.

Die wichtigsten Arzneien in diesen Gruppen sind die Beta-Blocker Metoprolol und Atenolol, die bei Bluthochdruck und zur Migräneprophylaxe verschrieben werden, der Protonenpumpeninhibitor Omeprazol, der gerne bei saurem Aufstoßen und Magengeschwüren verwendet wird, Hydrocodon, das bei uns als Hustenmittel und als Schmerzmittel verwendet wird und Gabapentin, das als Antikrampfmittel, als Mittel gegen neuropathische Schmerzen und zur Sedierung eingesetzt wird. Als Mittel gegen neuropathische Schmerzen bescheinigt ihm die Cochrane-Collaboration Wirkung auf neuropathische Schmerzen bei einigen Menschen. Außerdem gehören Schmerzmittel (deren Konsum aber nicht gestiegen ist) zu dieser Gruppe, und Kontrazeptiva, die sog. „Antibabypillen“. Für Protonenpumpeninhibitoren ist schon länger ein 2,3-faches Risiko für Depression als Nebenwirkung bekannt und bei Kontrazeptiva ein 1,7-faches  Risiko. Antidepressiva selber und andere Psychotropika wurden übrigens auch berücksichtigt, denn sie gehören ebenfalls zu den Arzneien mit Risiko für Suizidalität; ihr Konsum ist um beinahe 4% gestiegen, ebenso wie Anxiolytika, also Medikamente zur Angstlösung mit einem Anstieg des Konsums um 2,4%. Wer es genau wissen will, ob seine Depression von der Medikation kommen könnte, die er oder sie einnimmt, schaut sich am besten selber die Tabelle 2 in dieser Publikation an, die frei verfügbar ist. Dort sind die wichtigsten Generika, also die Namen der chemischen Substanzen aufgelistet. Gibt man diese in deutsche Internetsuchmaschinen ein, erhält man meistens Links zu den wichtigsten in Deutschland zugelassenen Handelsnamen der Präparate. Die Häufigkeit von Depression liegt im niedrigsten Fall bei 16% für Finasterid, das Männer gerne zur Behandlung des Haarausfalls nehmen oder zur Behandlung der gutartigen Prostatahyperplasie, das aber auch zu Erektionsproblemen führt. Die höchste Zahl fanden die Forscher für Gabapentin mit mehr als 60% Nebenwirkungspotenzial für Depression. Gabapentin wird zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen, als Antikrampfmittel und zur Behandlung von Epilepsie verwendet und leicht veränderte Substanzen werden zur Angstlösung eingesetzt. Sensitivitätsanalysen, bei denen Depressionspatienten mit Antidepressiva oder Bluthochdruckpatienten aus der Analyse genommen wurden, veränderten die Ergebnisse der Analyse nicht wesentlich, so dass sie wohl robust sind.

Klarerweise kann man aus einer solchen Querschnittstudie keine eigentliche Kausalität ableiten. Dazu hätten die Autoren die Daten von vor 2 Jahren mit der Depression heute vergleichen müssen oder noch besser, über längere Zeit den Konsum und dann das Auftreten der Depression dokumentieren. Aber die große Zahl der Patienten und die Robustheit der Analysen zeigen, dass das Potenzial für solche Nebenwirkungen groß ist.

Was ich an all dem bemerkenswert finde ist zum einen die große und steigende Zahl von Menschen, mehr als ein Drittel der Bevölkerung in den USA, die mit drei oder mehr Medikamenten behandelt werden, die ein solches synergistisches Nebenwirkungspotenzial haben. Denn wenn solche Menschen dann an Depression leiden, ist die Chance groß, dass sie von einem Spezialisten oder Psychiater ein weiteres Medikament zur Behandlung ihrer Depression verschrieben bekommen, das dann das Risiko für Suizidalität wiederum erhöht. Auf diese Dynamik hat Peter Gøtzsche hingewiesen, dessen Buch ich vor Kurzem besprochen habe [2].   Dabei wäre in diesem Falle vermutlich die beste Intervention: Medikamente absetzen oder wechseln und schauen, was passiert.

Depression und Homöopathische Behandlung

Liebe Kollegen von der Homöopathiekritik: Verstehen Sie jetzt vielleicht etwas besser, warum eine „unwirksame“ Methode wie die Homöopathie in vielen Fällen unter Umständen therapeutischer sein kann als alles, was unsere „wirksame“ Medizin zu bieten hat? Darauf habe ich vor einer Weile schon mal hingewiesen in einem Buch, das demnächst wieder erscheinen wird [3].  Denn sie behandelt „mit praktisch nichts“, ausser mit wohlwollender Intention und möglicherweise mit einer spezifischen Arznei die allenfalls zusätzlich noch die eigenen Selbstheilungskräfte anregt. Und damit kann man wenigstens nichts kaputtmachen, und wenn sie in der Hand eines guten Behandlers liegt, der genug von Diagnostik versteht, wird auch keine wesentliche Maßnahme versäumt. Daher dient der fanatische Kampf gegen die Homöopathie niemandem, ausser der Industrie.

Depression und Psychotherapie

Diejenigen, die an Depression leiden, sollten also in meinen Augen zunächst mal Ihren Arzneischrank und ihre regelmässige Medikation überprüfen. Wenn dann nichts darunter ist, was die Depression durch Nebenwirkungen erklärt, wäre als allererste Wahl der Behandlung Psychotherapie ins Auge zu fassen. Die funktioniert in aller Regel gut [4] und ist auf jeden Fall nachhaltiger wirksam, als pharmakologische Therapie mit Antidepressiva [5].

Homöopathie und Fluoxetin im Vergleich

Wer das aus irgendeinem Grund nicht tun will kann immerhin auch Homöopathie ins Auge fassen. Eine Vergleichsstudie mit dem Antidepressivum Fluoxetin gibt es dazu [6]. 91 Depressionspatienten erhielten dabei entweder homöopathisch individualisierte Therapie mit den homöopathischen Q-Potenzen, oder sie erhielten Fluoxetin, ein klassisches Antidepressivum aus der Kategorie der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Q-Potenzen sind 50.000er Verdünnungsreihen, wie sie Hahnemann am Ende seines Lebens verwendet hat. Diese kann man eine Weile lang täglich einnehmen und ihre Wirkung besser steuern. Die Studie war verblindet, also erhielten alle Patienten auch die jeweils andere Substanz als Placebo, eine sog. double-dummy Methode. Wer Homöopathie erhielt, wusste es also nicht und erhielt ein Fluoxetinplacebo verpackt. Wer Fluoxetin erhielt, wusste es auch nicht und bekam ein Homöopathieplacebo. Nach 4 Wochen konnte die Versorgung noch einmal angepasst werden und nach 4 und 8 Wochen wurde der Erfolg mit der Montgomery-Asperger Skala gemessen. Die Patienten hatten alle eine mittelschwere bis schwere Depression, und Patienten mussten mindestens einen Monat vorher frei von Medikation gewesen sein. Die Studie war als Nicht-Unterlegenheitsstudie angelegt, d.h. getestet wurde, ob die homöopathische Therapie der Fluoxetinbehandlung ebenbürtig war. Das war sie; sie war sogar leicht besser, aber um einen Vorteil gegenüber Fluoxetin nachweisen zu können hätte sie wesentlich grösser sein müssen. Die Patienten im Fluoxtin-Arm schieden tendenziell häufiger wegen Nebenwirkungen aus (alles andere würden einen auch skeptisch machen), und Patienten in der Homöopathiegruppe schieden tendenziell öfter aus wegen einer Verschlimmerung; ob aufgrund der Unwirksamkeit der Homöopathie, oder weil sie auf Antidepressivum-Entzug waren, oder weil sie eine Erstverschlimmerung erlebten ist nicht klar. Insgesamt hat die Studie, wie fast alle Depressionsstudien, viele Patienten im Laufe der Studie verloren, weil sie nicht wiederkamen oder abbrachen, so dass nur insgesamt 55 Patienten die Studie beendet haben. Daher sind die Ergebnisse aus meiner Sicht allenfalls vorläufige Hinweise. Aber sie zeigen: auch mit Homöopathie kann man Depression behandeln.

Vermutlich ist die Nichtbehandlung, wie ich vorher sagte, und zwar mit Wohlwollen und Feinfühligkeit, in vielen Fällen die beste Behandlungsoption. Und wenn noch Homöopathie hinzukommt, dann ist es auf jeden Fall kein Schaden. Wer weiss, vielleicht ist das sogar eines der Geheimnisse der Homöopathie: Nicht zu behandeln und das gekonnt.

Literatur

[1] Qato, D. M., Ozenberger, K., & Olfson, M. (2018). Prevalence of prescription medications with depression as a potential adverse effect among adults in the United States. JAMA, 319(22), 2289-2298.

[2] Gøtzsche, P. C. (2015). Deadly Psychiatry and Organised Denial. Copenhagen: People’s Press.

[3] Walach, H. (2011). Weg mit den Pillen! Selbstheilung oder warum wir für unsere Gesundheit Verantwortung übernehmen müssen – Eine Streitschrift. München: Irisiana.

Walach, H. (2016). Selbstheilung – die Medizin denkt um. Momentum – Gesund leben bei Krebs(1), 1-13.

Walach, H. (2018, im Druck). Heilung kommt von innen: Verantwortung und Selbstheilung – ein neues Denkmodell für die Medizin. München: Droemer Knaur.

[4] Barth, J., Munder, T., Gerger, H., Nüesch, E., Trelle, S., Znoj, H. J., et al. (2013). Comparative efficacy of seven psychotherapeutic interventions for patients with depression: A network meta-analysis. PLoS Medicine, 10(5), e1001454. http://journals.plos.org/plosmedicine/article?id=10.1371/journal.pmed.1001454

Zimmermann, J., Löffler-Stastka, H., Huber, D., Klug, G., Alhabbo, S., Bock, A., et al. (2015). Is it all about the higher dose? Why psychoanalytic therapy is an effective treatment for major depressoin. Clinical Psychology and Psychotherapy, 22, 469-487. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/cpp.1917

[5] Vorderholzer, U., & Barton, B. (2016). Langfristige Wirkung von Psychotherapie bei nichtchronischen Depressionen: Ein systematisches Review von Studien im Vergleich mit Pharmakotherapie. Verhaltenstherapie, 26, 108-115. https://www.karger.com/Article/FullText/446674

[6] Adler, U. C., Paiva, N. M. P., Cesar, A. T., Adler, M. S., Molina, A., Padula, A. E., et al. (2009). Homeopathic individualized Q-potencies versus fluoxetine for moderate to severe depression: double-blind, randomized non-inferiority trial. eCAM, doi:10.1093/ecam/nep114. https://www.hindawi.com/journals/ecam/2011/520182/

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Spieglein, Spieglein an der Wand…

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wer heilt Atemwegsinfekte im Land?

Ein Review der Cochrane Collaboration zur homöopathischen Behandlung von Atemwegsinfekten stellt fest: Keine Wirkung über Placebo hinaus. – Lesen Sie die Details

Harald Walach, Katharina Gaertner

Die Grippewelle ist gerade vorbei, da verkündet die Cochrane Collaboration: Homöopathie hilft bei Atemwegsinfekten von Kindern nicht besser als Placebo [1]. Und damit es auch keiner übersieht, legt Spieglein an der Wand nach und meint, wieder einmal sei die Unwirksamkeit der Homöopathie bewiesen. Wollen wir ein paar genauere Blicke auf die Daten und ihre Interpretation werfen und die Frage stellen: falls Homöopathie wirklich so unwirksam ist, welche anderen, wirksamen, vielleicht konventionellen Alternativen hat denn unsere Medizin so auf Lager, wenn man der Cochrane Collaboration folgt? Aber der Reihe nach:

Wirkt Homöopathie bei oberen Atemwegsinfekten von Kindern?

 

Die Autoren des Cochrane Reviews(*) sagen: Nein. Sie stützen ihre Aussage auf acht Studien, und zwar nur auf doppelblinde, placebo-kontrollierte. Das ist allgemeiner Standard bei den Cochrane Reviews, falls es solche Studien gibt, weil sie laut geltender Lehrmeinung die besten Aussagen zulassen. Dass diese Meinung nicht unbedingt überzeugend ist, habe ich mehrfach dargelegt [2,3], weil sie zu Paradoxa, u.a. dem Wirksamkeitsparadox führt [4]. Dieses ist mittlerweile auch von anderen mit Hilfe von Daten aus der Migräneforschung nachgewiesen worden [5]; aber das wollen wir jetzt nicht weiter verfolgen.

Die älteste Studie von Elli de Lange de Klerk [6] untersuchte insgesamt 175 Kinder über ein halbes Jahr, die individualisiert homöopathisch behandelt worden waren. Der Effekt ist nicht signifikant und klinisch klein (d = 0.14, also etwas mehr als eine zehntel Standardabweichung, was wirklich nicht sehr viel ist). Allerdings zeigt sich bei den homöopathisch behandelten Kindern weniger Antibiotikaverbrauch nach einem Jahr. Dieser Effekt ist mit einer Odds Ratio von 1.68 interessant (p = 0.09), weil er einen langfristigen Präventionseffekt zu spiegeln scheint. [Eine Odds Ratio ist das Verhältnis von gebesserten zu nicht gebesserten Patienten. Wenn sie gleich 1 ist, gibt es keinen Unterschied. In diesem Falle hätten homöopathisch behandelte Kinder eine 68% höhere Chance ohne Antibiotika auszukommen.]

Jennifer Jabocs [7, 8] legte zwei Studien vor, bei denen der akute Effekt bei Otitis media bzw. Atemwegsinfekten überprüft werden sollte. Die erste Studie war eine Pilotstudie mit wenigen Kindern, die den akuten Effekt über einen komplexen Symtpomenscore nach 3 Tagen überprüfte. Die homöopathisch behandelten Kinder waren tendenziell nach 3 Tagen eher geheilt; die Odds Ratio (OR) betrug 1.84, die allerdings aufgrund der kleinen Patientenzahl nicht signifikant war. Die zweite Studie untersuchte die Wirksamkeit eines homöopathischen Hustensirups, allerdings mit der etwas merkwürdigen Zielgröße von Symptomenscores nach einer Stunde. In diesem Falle war die Placebogruppe mit einer OR = 0.95 leicht besser. Eine neuere spanische Studie [9] untersuchten die Wirksamkeit einer fixen Kombination bei Otitis media gegenüber Placebo als Zusatzbehandlung. Der Effekt war mit einer OR = 1.36 nicht signifikant und klein. Kombiniert man diese Studien meta-analytisch – etwas was die Autoren nicht getan haben – dann findet man eine nichtsignifikante Effektgröße von OR = 1.26 (p = 0.16). Homöopathisch behandelte Kinder haben also eine 26% bessere Chance einen Therapieerfolg zu erleben oder am Ende bessere Symptomenscores zu haben; allerdings ist die Irrtumswahrscheinlichkeit für eine solche Aussage hoch.

Eine indische Studie fällt etwas aus dem Rahmen [10]: sie verglich homöopathische Therapie mit konventioneller bei 80 Patienten. In der Homöopathiegruppe wurden 38 von 40 geheilt, zwei konnten nicht dokumentiert werden. In der konventionellen Gruppe waren am Ende alle 40 geheilt. Allerdings hatte in der Homöopathiegruppe kein Patient Antibiotika nötig, wohingegen in der konventionellen Gruppe 39 von 40 Patienten Antibiotika erhalten hatten. Die Autoren folgern, dass homöopathische Therapie genauso gut wie konventionelle funktioniere, vor allem auch deshalb, weil der Therapieerfolg in der Homöopathiegruppe schon früher eintritt.

Eine südafrikanische Studie untersuchte an 30 Kindern mit Tonsillitis den Effekt eines homöopathischen Komplexarzneimittels und fand einen sehr großen, statistisch signifikanten Effekt (d = 1.4) [11].

Aslak Steinsbekk  und Kollegen untersuchten einen präventiven Ansatz: Eltern von Kindern mit wiederkehrenden Infekten konnten entsprechend der Konstitution ihrer Kinder eine von drei homöopathischen Arzneien auswählen, die dann 3 Monate lang gegeben wurden, verglichen mit Placebo. Der Symptomenscore war am Ende der Untersuchungszeit in beiden Gruppen gebessert, in der Placebogruppe sogar leicht besser.

Schließlich wird noch eine präventive Studie aus Brasilien angeführt [13]: Insgesamt 600 Kinder erhielten präventiv entweder einen homöopathisch zubereiteten „Impfstoff“ aus lebendigen Grippeviren in der Potenz D30, oder eine homöopathische Arznei aus abgetöteten bakteriellen Erregern (eine sog. Nosode), ebenfalls in der D30, oder Placebo. 12 Monate später wurde über das öffentliche Gesundheitssystem die Anzahl der Grippefälle und akuter respiratorischer Infekte dokumentiert. Von den 75% der Kinder, die die Studie über durchgehalten haben zeigten diejenigen, die die homöopathischen Nosoden erhalten hatten, signifikant weniger Grippe- und akute Atemwegsinfekte ein Jahr später.

Lassen wir einmal die Frage außer Acht, wie gut die Studien waren – sie waren in den meisten Fällen einigermaßen in Ordnung, sieht man von der indischen und brasilianischen ab – und fragen uns: Wie gut war die Methode der Homöopathie in diesen Studien umgesetzt worden, so sehen wir: Nur de Lange de Klerk und Sinha haben Homöopathie in ihrer Bandbreite untersucht. Alle anderen Studien haben eine Kurzform oder eine Spielart der Homöopathie untersucht. Der Bericht von Sinha lässt einige wichtige Details vermissen und dokumentiert die annähernde Gleichwertigkeit konventioneller und homöopathischer Therapie. De Lange de Klerk zeigt eine marginale Überlegenheit der Homöopathie. Die andern Studien eignen sich nicht wirklich dazu, eine Aussage zu treffen. Die brasilianische Präventionsstudie ist interessant, hat aber eine zu große Anzahl von fehlenden Daten. Die südafrikanische Tonsillitis-Studie zeigt einen großen Effekt, welcher jedoch nur auf einer sehr kleinen Studienpopulation beruht. Die spanische Studie und die zweite Studie von Jennifer Jacobs untersuchten eine Fixarznei-Kombination, was eigentlich dem Individualisierungsprinzip widerspricht. Die Indikationen der norwegischen und der ersten Jacobs-Studie sind ebenfalls eher sehr grobschlächtig.

Wir halten fest:

  1. Homöopathie im eigentlichen Sinne ist schlecht untersucht und sollte von der Einnahme von potenzierten Arzneimitteln unterschieden werden.
  2. Die hier aufgenommen Studien lassen keinen allgemeinen Schluss zu.
  3. Fasst man die Daten, die einigermaßen gut verglichen werden können statistisch zusammen, sieht man nicht-signifikante Effekte zugunsten von Homöopathie und potenzierten Arzneimitteln.

Damit ist die Aussage: „Der Cochrane Review zeigt, dass Homöopathie nicht wirkt“ sachlich falsch und methodisch-inhaltlich aufgrund der Daten gar nicht zu treffen. Mal abgesehen von der Tatsache, dass das Vorliegen mangelnder Wirksamkeitsdaten kein Beweis für die mangelnde Wirksamkeit wäre. „Wir wissen nicht, ob x wirkt“ heisst nicht „Wir wissen, dass x nicht wirkt“. Falsche Logik, liebes Spieglein.

Gibt es andere Hinweise auf die Wirksamkeit der Homöopathie?

Cochrane Reviews nehmen i.d.R. nur randomisierte, oft placebo-kontrollierte Studien in ihre Reviews auf. Dahinter steckt die Logik: nur diese Studien sind so verzerrungsfrei wie möglich. Dies ist auch nicht falsch, aber nicht die ganze Wahrheit. Denn andere Studie geben uns oft andere wichtige Informationen (zum Beispiel, welche Interventionen bei welchen Kollektiven (Patienten) positive oder negative Effekte zeigen und damit sinnvoll oder nicht sind). Randomisierte Studien haben ihre eigenen Probleme: Sie erfassen immer nur ein sehr begrenztes Kollektiv in einem experimentellen Setting. Das führt dazu, dass viele Praktiker beklagen die Ergebnisse nicht in den Alltag integrieren zu können (Freeman AC, Sweeney K. Why general practitioners do not implement evidence: Qualitative study. BMJ 2001;323:1100– 1102; Green ML, Ruff TR. Why do residents fail to answer their clinical questions? A qualitative study of barriers to practic- ing evidence-based medicine. Acad Med 2005;80:176–182). In Anbetracht der Tatsache, dass es für viele medizinische Interventionen gar keine Evidenz durch kontrollierte Studien, geschweige denn randomisierten gibt (so wie dies Untersuchungen des British Medical Council für 3000 beispielhafte medizinische Interventionen belegen), fragt sich daher ob sich der erheblich höhere finanzielle Aufwand der randomisierten Studien für die klinische Praxis letztendlich wirklich lohnt. Diese Frage wird allerdings leider weder von Betroffenen noch von den Medien diskutiert. Abgesehen davon kann man auch inhaltlich argumentieren, dass eine lebensweltliche Untersuchung, also ohne irgendeine experimentelle Intervention näher an der Wirklichkeit ist. Daher wären naturalistische Kohortenstudien an sich mindestens ebenso gut geeignet, die Effekte der Homöopathie zu untersuchen. Und eigentlich hätten die Cochrane-Review Autoren auch an den Stellen, wo sie selber fanden, dass zu wenig Daten vorliegen oder die vorliegenden Daten nicht ausreichend stabil sind, auf solche Kohortenstudien zurückgreifen müssen, wenn sie ihrem eigenen Handbuch gefolgt wären. Haben sie aber nicht. Daher werden wir das bei Gelegenheit nachholen und die insgesamt 25 Kohortenstudien, die es auch noch gibt, in einem matrix-analytischen Verfahren mit den Daten der vorliegenden randomisierten Studien verknüpfen, wie wir es vorgeschlagen [3] und anhand eines anderen Modells gerade eben vorgeführt haben [14].

Einen kleinen Hinweis mag uns die zweite Studie von Aslak Steinsbekk geben, die nicht in den Review aufgenommen wurde [15]: Dort wurden 82 Kinder mit oberen Atemwegsinfekten von Homöopathen klassisch und individualisiert behandelt. Die Kontrollgruppe, 87 Kinder, mussten erst 3 Monate auf eine Behandlung warten, erhielten danach aber eine. Das ist insofern eine realistischere Situation, weil damit alle Patienten die Behandlung bekommen, deretwegen sie an der Studie teilnehmen. Die Behandler sind nicht verblindet und können frei aus ihrem Arzneischatz wählen. Damit ist die Studie pragmatisch, weil sie nicht die Frage stellt, ob Homöopathie besser ist als Placebo, sondern ob Homöopathie den normalen Krankheitsverlauf verändert. Das ist exakt die Frage, die auch einen kranken Menschen interessiert. Homöopathie verändert den Krankheitsverlauf: der Symptomenscore ist mit 24 signifikant tiefer als bei der Kontrolle mit 44. Die Patienten sind ohne Homöopathie im Median 13 Tage krank, mit Homöopathie 8 Tage, ein deutlicher und statistisch signifikanter Unterschied.

Wir hatten noch nicht die Zeit, uns alle 25 Kohorten- oder pragmatischen Studien anzusehen. Aber an dem kleinen Beispiel sehen wir: Das letzte Wort dürfte noch nicht gesprochen sein

Welche anderen Optionen bietet uns die moderne Medizin?

Nun könnte ja der postmoderne Fan der pharmakologischen Wunderwaffen auf die Idee kommen, die moderne Medizin hat doch sicher noch ein paar wirksame Pfeile im Köcher, ohne dass man die armen Kinder und die noch ärmeren Eltern an die Medizin der finsteren Zeiten, die magische Homöopathie verweisen muss, nicht wahr? Daher haben wir uns mal die Cochrane Library durchgesehen. Wenn man diese Datenbank mit dem einfachen Suchbegriff „Upper Respiratory Tract Infection in Children“ durchsucht, erhält man 15 Treffer, unseren Review von Hawke [1] mit eingeschlossen. Zwei von diesen Treffern sind allerdings nur Studien an Erwachsenen und fallen weg.

Die anderen Studien sind in der Tabelle zusammengefasst:

Autoren Ergebnis Kommentar
Gegenstand
Anzahl Studien
Hawke 2017 kleine, nicht signifikante Effekte Siehe Text
Homöopathie bei URTI
8 Studien, 1562 Kinder
Chalumeau 2013 Fieber: Risk Difference = 5% (ns) (3 Kinder vs. 0) nach einer Woche; Husten: Risk Difference = 10% (sign) Dyspnoea: RD = 3% (ns), alles nach einer Woche kleiner und lt. Autoren unbedeutender Effekt
Acetylcystein bei URTI bei Kindern
6 Studien;  n =  497
Su 2016 insufficient evidence
Astragalus (TCM Arznei) zur Prävention häufiger URTI Infekte bei Kindern
120 Publikationen, keine Studien einschliessbar
Galvao 2016 Amoxicillin zur Verhinderung von Otitis: RR = 0.7, nicht sign. Ampicillin RR 0 1.05, nicht sign kein Effekt; nicht empfohlen; Nebenwirkungen nicht untersuchbar
Antibiotika zur Prävention eitriger Komplikationen bei Kindern mit häufigen URTIs
4 Studien; n = 1314 Kinder
O’Sullivan 2016 Information reduziert die Verschreibung von Antibiotika (RR = 0.47) und die Verwendung (RR = 0.53) durch Eltern allerdings erhöht Rückmeldung wiederum die Verschreibung
Written information to reduce antibiotic use
2 Studien, n = 827
King 2015 d = 0.31 in einer Studie mit Kindern; kleiner Effekt auf einer 4 Punkte Skala
Salzlösungsspülung zur Behandlung von URTIs
5 Studien, 544 Kinder, 205 Erwachsene
Fortanier 2014 Relative Risikoreduktion von 5% (high risk) und 7% (insgesamt); anderes Vakzin 33% kleine Effekte; keine Kontrollen gegen nicht behandelte Kinder; keine Sicherheitsdaten
Pneumokokken Vakzin zur Verhinderung von Otitis Media
9 Studien, 48.426 Kinder
Sjoukes 2016 Unterschied zwischen Placebo und Paracetamol (10% Kinder mit Schmerzen vs. 25% Kinder nach 48 Stunden; RR = 0.38) und Ibuprofen (7% Kinder mit Schmerzen vs. 25% Kinder nach 48 hM, RR = 0.25); low quality evidence; kein Unterschied zwischen den Substanzen; keine guten Daten zu Sicherheit Despite explicit guideline recommendations on its use, current evidence on the effectiveness of paracetamol or NSAIDs, alone or combined, in relieving pain in children with AOM is limited. Low quality evidence indicates that both paracetamol and ibuprofen as monotherapies are more effective than placebo in relieving short-term ear pain in children with AOM.
Paracetamol bei Ohrschmerzen
3 Studien, 327 Kinder
Moraa 2013 Kurzfristiger Effekt in einer Studie; evtl. ist der Effekt gleich wie der von Sauerstoff; insgesamt nicht klar grössere Studien nötig
Helium-Oxygen Inhalation bei Krupp
3 Studien, 91 Kinder
Kenealy 2013 kein Effekt: RR = 0.95, aber mehr Nebenwirkungen RR = 1.8, vor allem bei Erwachsenen RR = 2.61 für Nebenwirkungen; bei Schnupfen war der Effekt etwas besser (RR = 0.73), aber nicht signifkant, die Nebenwirkungen schon sollte man definitiv nicht anwenden
Antibiotika bei Erkältung und eitrigem Schnupfen
11 Studien, 1047 Patienten
Smith 2014 Bei Kindern waren Antitussiva, Antihistaminika und Bronchodilatoren nicht effektiver als Placebo; eine Studie zeigte einen Effekt von Mukolytika; eine Studie zeigte Überlegenheit zweier Expektorantien über Placebo; eine Studie zeigte Überlegenheit von Honig gegenüber Kontrolle There is no good evidence for or against the effectiveness of OTC medicines in acute cough. This should be taken into account when considering prescribing antihistamines and centrally active antitussive agents in children; drugs that are known to have the potential to cause serious harm.
OTC Medikation für Husten (Standardexpektorationen, Codein, etc.)
29 Studien, 4835 Patienten
Hayward 2015 zwei Studien zeigten keinen Effekt, eine Studie war schlecht gemacht und zeigte einen Effekt Current evidence does not support the use of intranasal corticosteroids for symptomatic relief from the common cold.
Corticosteroids for the common cold
3 Studien, 353 Patienten
Hayward 2012 nach 24 Stunden RR = 3.2, nach 48 h RR = 1.7, hochsignifikant keine Unterschiede in Relapse oder Nebenwirkungen, aber schlechte Dokumentation von Nebenwirkungen
Corticosteroids for sore throat
8 Studien, 743 Teilnehmer
van Aardweg 2010 in einer Studie keine Effekte, ansonsten keine interpretierbaren Ergebnisse die homöopathische Studie fehlt
Adenoidektomie bei wiederkehrenden Erkältungssymptomen
2 Studien
De Sutter 2015 kurzfristiger Effekt: OR = 0.74 (45% vs 38% unter Placebo hatten eine Besserung am 1. Tag); kein Effekt danach; kleiner Effekt auf Symptome wie Schnupfen (d = 0.23) und Niesen (d = 0.35); Nebenwirkungen: Müdigkeit; bei Kindern kein klarer Effekt There is no evidence of effectiveness of antihistamines in children.
Antihistaminika für Erkältung
18 Studien, 4243 Patienten

Eine TCM Intervention (Su 2016) lässt sich nicht interpretieren, weil keine entsprechend einschließbaren Studien vorliegen. Die berühmteste Intervention von allen, Antibiotika-Therapie, wird aufgrund der vorliegenden Datenlage definitiv nicht empfohlen. Sie wirkt nicht und sie führt zu Resistenzen und Nebenwirkungen. Antihistaminika haben einen kleinen Effekt, aber auch deutliche Nebenwirkungen (Müdigkeit); bei Kindern sind die Effekte unklar, weswegen sie nicht empfohlen werden. Ibuprofen und Paracetamol, also Entzündungshemmer, wirken bei Ohrenschmerzen besser als Placebo, allerdings fehlen Daten zur Sicherheit (und angesichts der Tatsache, dass diese Entzündungshemmer in England zu den Einzelsubstanzen mit den meisten Todesfällen gehören [16], fragt man sich, ob eine Empfehlung bei Kindern wirklich verantwortbar ist). Corticosteroide wirken bei Halsweh, nicht aber bei Schnupfen. Man könnte noch eine Salzlösungsspülung ins Auge fassen. Die funktioniert nämlich sogar. Besser sind allerdings Probiotika. Die wirken tatsächlich; eine andere komplementärmedizinische Intervention übrigens, die vor gar nicht allzu langer Zeit noch verteufelt wurde. Die übrigen Sachen, die der Doktor so gerne verschreibt: Schleimlöser und andere Dinge, die man so gegen Husten in der Apotheke bekommt: mindestens bei Kindern wirken sie nicht. Dann schon lieber Honig. Der wirkt. Pneumokokkenimpfung könnte man noch präventiv gegen Otitis media überlegen. Allerdings ist die relative Risikoreduktion gering und die Studien geben wenig Information zur Sicherheit. Die beliebte Mandeloperation hat langsam ausgedient: sie zeigt keine Wirkung.

So, damit wären wir am Ende der Leiter, mindestens was die von der Cochrane Collaboration erfassten Interventionen angeht, die allerdings in der Regel die wichtigeren und umstritteneren zuerst unter die Lupe nimmt.

Fassen wir zusammen:

Groß sind die Behandlungsoptionen für Kinder mit oberen Atemwegsinfekten nicht, wenn man wirksame und sichere Behandlungen sucht. Auch für diese Indikation gibt es keine guten Belege für die meisten Standardinterventionen. Hustenlöser, Schleimlöser, Antibiotika, Antihistaminika und Co, sind nicht wirksam. Manche sind wirksam, aber nicht unbedenklich. Am ehesten noch Probiotika, Kochsalzlösung zum Nasenspülen. Corticosteroide funktionieren definitiv, wenigstens bei Halsschmerzen (puh, wenigstens irgendwas, könnte man denken). Aber wollen wir damit wirklich schon bei kleinen Kindern anfangen? Also wollen wir vielleicht doch lieber mal unser Glück bei so einem wachsweichen, unklaren, schlecht verstandenen, die postmoderne Rationalität ärgernden Verfahren wie die Homöopathie versuchen? Die Daten sind mindestens so vielversprechend oder nichtssagend wie bei irgendeiner anderen Intervention, die der Hausarzt so im Köcher hat. Aber es gibt möglicherweise noch ein paar Daten, die bislang nicht berücksichtigt worden sind.

Spieglein, Spieglein an der Wand…. wer heilt jetzt Atemwegsinfekte im Land?

(*) Cochrane Reviews werden von einem Netzwerk von freiwilligen Forschern nach einheitlichen Qualitätskriterien erstellt. Meistens suchen sich Autoren, die sich für ein Krankheitsbild interessieren, Interventionen, die in der Regel bei diesem Krankheitsbild angewandt werden. Die Autoren sind gehalten möglichst umfassende Suchstrategien anzuwenden und die Studien nach einem Schema danach zu bewerten, wie hoch die Gefahr ist, dass die Daten aufgrund methodischer Schwächen verzerrt sind. Normalerweise werden nur randomisierte Studien verwendet. Wo diese nicht vorliegen, oder zu unklaren Ergebnissen führen, sollten an sich auch andere Daten – Kohortenstudien oder pragmatische Vergleichsstudien – herangezogen werden. Das unterlassen aber viele Autoren, weil damit deutlich mehr Aufwand einher geht. Wenn möglich, werden die Daten quantitativ mit einer Meta-Analyse zusammengefasst. Da sich die Arbeitsgruppen dazu verpflichten, ihre Reviews auf dem Laufenden zu halten, werden sie i.d.R. immer dann auf den neuesten Stand gebracht, wenn wieder neue Informationen vorliegen. Cochrane Reviews stehen daher im Ruf besonders zuverlässig, aber auch besonders streng zu sein.

Literatur

[1] Hawke, K., van Driel, M. L., Buffington, B. J., McGuire, T. M., & King, D. (2017). Homeopathic medicinal products for preventing and treating acute respiratory tract infections in children (review). Cochrane Database of Systematic Reviews(4), Art. CD005974.

[2] Walach, H., Falkenberg, T., Fonnebo, V., Lewith, G., & Jonas, W. (2006). Circular instead of hierarchical – Methodological principles for the evaluation of complex interventions. BMC Medical Research Methodology, 6(29).

[3] Walach, H., & Loef, M. (2015). Using a matrix-analytical approach to synthesizing evidence solved incompatibility problem in the hierarchy of evidence. Journal of Clinical Epidemiology, 68, 1251-1260.

[4] Walach, H. (2001). Das Wirksamkeitsparadox in der Komplementärmedizin. Forschende Komplementärmedizin und Klassische Naturheilkunde, 8, 193-195.

[5] Meissner, K., Fässler, M., Kleijnen, J., Hróbjartsson, A., Schneider, A., Antes, G., et al. (2013). Differential effectiveness of placebo treatments: A systematic review of migraine prophylaxis. JAMA Internal Medicine, 173, 1941-1951.

[6] De Lange De Klerk, E. S., Blommers, J., Kuik, D. J., Bezemer, P. D., & Feenstra, L. (1994). Effect of homoeopathic medicines on daily burden of symptoms in children with recurrent upper respiratory tract infections. British Medical Journal, 309, 1329-1332.

[7] Jacobs, J., Springer, D. A., & Crothers, D. (2001). Homeopathic treatment of acute otitis media in children: a preliminary randomized placebo-controlled trial. Pediatric Infectious Disease Journal, 20, 177-183.

[8] Jacobs, J., & Taylor, J. A. (2016). A randomized controlled trial of a homeopathic syrup in the treatment of cold symptoms in young children. Complementary Therapeis in Medicine, 29, 229-234.

[9] Pedrero-Escalas, M. F., Jimenz-Antolin, J., Lassaletta, L., Diaz-Saez, G., & Gavilán, J. (2016). Hospital clinical trial: Homeopathy (Agraphis nutans 5CH, Thuja occidentalis 5 CH, Kalium muriaticum 9 CH and Arsenicum iodatum 9 CH as adjuvant, in children with otitis media. International Journal of Pediatric Otorhinolaryngology, 88, 217-223.

[10] Sinha, M. N., Siddiqui, V. A., Nayak, C., Singh, V., Dixit, R., Dewan, D., et al. (2012). Randomized controlled pilot study to compare homeopathy and conventional therapy in acute otitis media. Homeopathy, 101, 5-12.

[11] Malapane, E., Solomon, E. M., & Pellow, J. (2014). Efficacy of a homeopathic complex on acute viral tonsillitis. Journal of Alternative & Complementary Medicine, 20, 868-873.

[12] Steinsbekk, A., Bentzen, N., Fonnebo, V., & Lewith, G. (2005). Self treatment with one of three self selected, ultrmolecular homeopathic medicines for prevention of upper respiratory tract infections in children. A double-blind randomized placebo controlled trial. British Journal of Clinical Pharmacology, 59, 447-455.

[13] Siqueira, C. M., Homsani, F., da Veiga, V. F., Lyrio, C., Mattos, H., Passos, S. R. L., et al. (2016). Homeopathic medicines for prevention of influenza and acute respiratory tract infections in children: cling, randomized, placebo-controlled clinical trial. Homeopathy, 105, 71-77.

[14] Klement, R., Bandyopadhyay, P. S., Champ, C. E., & Walach, H. (2018). Modeling the effects of ketogenic therapy on survival in patients with high grade glioma using Bayesian evidence synthesis. (Abstract) Poster to be presented at „Ernährung“, Berlin, 2018.

[15] Steinsbekk, A., Fonnebo, V., Lewith, G., & Bentzen, N. (2005). Homeopathic care for the prevention of upper respiratory tract infections in children: A pragmatic, randomised controlled trial comparing individualised homeopathic care and waiting-list controls. Complementary Therapies in Medicine, 13, 231-238.

[16] Tramèr, M. R., Moore, A. R., Reynolds, J. M. D., & McQuay, H. J. (2000). Quantitative estimation of rare adverse events which follow a biological progression: a new model applied to chronic NSAID use. PAIN, 85(1), 169-182.

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Hirntumor macht sexsüchtig, Homöopathie heilt Akne

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 – ein paar Gedanken zu klinischen Fällen

Harald Walach

In einem mittlerweile klassischen neurologischen Fallbericht findet man folgende skurrile Geschichte [1]:

Hirntumor und Sexsucht

Ein Mann mittleren Alters, gesund und unbescholten, Schullehrer entwickelt plötzlich eine unkontrollierte Sexsucht: er lädt sich heimlich Kinderpornographie und andere Pornographie auf den Computer, bestellt sich Prostituierte und macht der Stieftochter Avancen. Als die Ehefrau das merkt rollt die juristische Lawine auf ihn zu. Ein Richter verurteilt ihn zu Therapie oder Gefängnis. Aber obwohl er die Gefängnisstrafe vermeiden will, geht er sogar auf die Therapiemitarbeiterinnen los, so dass er aus der Therapie geworfen wird. Kurz bevor er ins Gefängnis geht, stellt er sich noch mit starken Kopfschmerzen und neurologischen Symptomen in der Klinik vor, wo ein Gehirntumor im orbitofrontalen Cortex diagnostiziert wird. Dieser wird operativ entfernt, worauf die Symptome verschwinden und er nach einer Weile als geheilt nach Hause entlassen wird. Als die Symptome nach einer Weile wiederkehren, wird er erneut untersucht: der Tumor ist zurückgekehrt, wird wieder entfernt und die Symptome verschwinden. Diese direkten Zusammenhänge zwischen Auftritt und Verschwinden der Symptome nach der Tumoroperation werten die Autoren als Hinweis auf Kausalität:

His symptoms resolved with the excision of a right orbitofrontal hemangiopericytoma, further establishing causality.

Dieser und andere ähnliche Fälle werden in der neueren Debatte gerne zitiert, wenn es um die Frage geht, wie frei Straftäter sind, wenn Sie ihre Taten begehen, eine Debatte, die im Übrigen ihre eigenen Absonderlichkeiten hat, wie man dem exzellenten Buch von Hasler, „Neuromythologie“, entnehmen kann, in dem ich auch diesen Fall gefunden habe [2].

Fallbeispiele und ihre Struktur

Die Struktur der Argumentation erinnert mich an homöopathische Fallberichte und Argumente:

Man hat einen empirischen Corpus von Wissen. Im Falle des neurologischen Falles sind es regelhafte Beobachtungen darüber, welche Auswirkungen Läsionen im orbitofrontalen Cortex in der Regel haben. Im Falle der Homöopathie sind es die vielen Beobachtungen aus Arzneimittelprüfungen von Substanzen und ihre Anwendung in der Praxis bei der Behandlung von Patienten. Diese sind zwar stärker phänomenologisch, also rein beobachtend, aber dennoch in etwa ähnlich korrelativ und fransig wie die Beobachtungen der Neuropsychologie.

Man hat einen konkreten Fall. Hier den Patienten mit Sexsucht, der durch Tumordiagnose und –OP geheilt wird und bei dem durch die Wiederkehr der gleichen Symptome und der gleichen Behandlung die vermutete Kausalität gestärkt wird. Bei der Homöopathie sind es ebenfalls Fälle, bei denen Symptome mit großer Zuverlässigkeit nach einer indizierten Behandlung dauerhaft verschwinden.

Homöopathischer Fallbericht: Homöopathie heilt Akne

Ein Beispiel dafür bietet eine kürzlich publizierte Fallserie aus Bukarest von zwei Fällen mit sehr starker Akne, die mit Homöopathie in hohen Potenzen behandelt worden sind [3]. Die Nachbeobachtungen dauerten 1-2 Jahre und die Patienten besserten sich drastisch; die Besserung hielt auch nach der Behandlung an und die Symptome kehrten nicht mehr zurück, wie die Bilder zeigen, die man sich ausführlicher im online Material anschauen kann [4].

Fall 1 – Bild A
Fall 1 – Bild F

 

Nun ist Akne natürlich kein Hirntumor, meistens selbstlimitierend und geht auch meistens irgendwann in der frühen Adoleszenz von selber weg, hinterlässt aber dann oft Narben. Das Interessante an diesen Fällen ist aber, dass die Akne mitten im Blühen der Pubertät verschwand und nicht mehr wiederkam. Und dies ist nur ein kleines, aktuelles Beispiel. Demnächst publizieren wir auch eine Fallserie die zeigt, wie kindliche Neutropenie, also eine schwer zu behandelnde Blutabnormalität homöopathisch geheilt wurde. Und die Literatur ist voll von ähnlichen, oft schweren Fällen.

Einzelfälle und Kausalität?

Mir geht es hier um die Struktur: Offenkundig haben wir kein Problem, im Falle einer neurologischen Erkrankung eine Kausalität zu akzeptieren, wenn die Beseitigung eines Tumors zur Beseitigung von skurrilen Symptomen führt; ähnlich argumentieren auch Kiene und Kollegen [5]. Das lässt sich sogar in den renommierten Archives of Neurology publizieren (vielleicht auch, natürlich, weil sich Sex besser verkauft als Globuli). Rein epistemologisch ist die Struktur bei vielen homöopathischen Fallgeschichten ähnlich: Man hat eine Reihe Symptome. Man sucht das passende Arzneimittel. Die Symptome verschwinden. Bei Wiederkehr der Symptome sind die Effekte dann ebenfalls reproduzierbar. Der Homöopath folgert daraus: die Arzneimittel haben (kausal) gewirkt. Klar, man sieht nicht, was weggeschnitten ist, und auch nicht, was vorher da war. Da ist so ein knackiger Tumor handfester. Aber mal abgesehen davon, dass wir es mit einer manifesten, materiell sichtbaren Ursache zu tun haben, wenn man einen Tumor herausschneidet, was man sieht ist der Sache nach das Selbe: eine starke Korrelation von Behandlung und Effekt. Dazu hat man noch, im Fall der Neurologie, ein einigermaßen fransiges Wissen über die Rolle, die bestimmte Hirnpartien spielen, und über die Symptomatologie der Arzneien im Fall der Homöopathie.

Empirisch und von der Struktur her sind die Argumentationen ansonsten gleich. Mit dem einen subtilen Unterschied: bei der Homöopathie haben wir nicht die geringste Ahnung, wie die ursächlichen Zusammenhänge laufen; beim Gehirn bilden wir uns ein, zumindest teilweise zu wissen, wie sie funktionieren. Wir ignorieren einfach all die Unklarheiten. Wer das nicht glaubt, dem empfehle ich die Lektüre von Haslers Buch, immerhin einem aktiven Neurowissenschaftler mit einer soliden Publikationsliste. Der wirkliche Unterschied: bei der Neurowissenschaft gibt es einen breiten Konsens, auch wenn wir im Detail immer noch sehr im Dunklen tappen. Bei der Homöopathie tappen wir noch mehr im Dunkeln, was Ursachen und Theorien angeht, obwohl die empirische Datenlage recht ähnlich der ist, mit der in der konventionellen Medizin Schlußfolgerungen gezogen werden. Ich habe das schon des öfteren gesagt: die Homöopathie ist kein empirisches, sondern ein konzeptuelles Problem. Denn sonst würden wir die Aussage problemlos akzeptieren: ja klar, Homöopathie heilt Akne (oder Leukopenie, oder Neurodermitis….), genauso wie ein Hirntumor eben Sexsucht macht und seine Beseitigung diese heilt.

Literatur

[1] Burns, J. M., & Swerdlow, R. H. (2003). Right orbitofrontal tumor with pedophilia symptom and constructional apraxia sign. Archives of Neurology, 60(3), 437-440.

https://jamanetwork.com/journals/jamaneurology/fullarticle/783830#nob20054f1

[2] Hasler, F. (2015). Neuromythologie: eine Streitschrift gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung (5., unveränd. Aufl ed.). Bielefeld: transcript. https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-1580-7/neuromythologie/

[3] Nwabudike, L. C. (2018). Case reports of acne and homeopathy. Complementary Medicine Research, 25, 52-55.

https://www.karger.com/Article/Abstract/486309

[4] https://figshare.com/articles/Supplementary_Material_for_Case_Reports_of_Acne_and_Homeopathy/5938249

[5] Kiene, H., Hamre, H. J., & Kienle, G. S. (2013). In support of clinical case reports: A system of causality assessment. Global Advances in Health and Medicine, 2, 28-39.

s. auch www.ifaemm.de/Abstract/PDFs/CBM_Buch.pdf

 

 

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Additive Homöopathie und Krebs

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Michael Frass

Einfluss der additiven klassischen Homöopathie auf den globalen Gesundheitszustand und das subjektive Wohlbefinden bei Krebspatienten – Eine pragmatische randomisierte kontrollierte Studie.

KrebspatientInnen leiden oft unter Nebenwirkungen der Chemo- und Strahlentherapie. Zudem ist die Lebensqualität in vielen Fällen stark beeinträchtigt. In einer Studie wurde nunmehr der Einfluss der Homöopathie zusätzlich zur konventionellen Chemo- und Strahlentherapie auf den globalen Gesundheitsstatus und das subjektive Wohlbefinden (Lebensqualität) untersucht (1).

410 PatientInnen erhielten in dieser pragmatischen randomisierten kontrollierten Studie zusätzlich zur Standard – Krebstherapie entweder eine oder keine zusätzliche homöopathische Therapie. Die Studie wurde an der Medizinischen Universität Wien, Klinik für Innere Medizin I, Abteilung für Onkologie, durchgeführt.

Bei jeder Visite wurden zwei Fragebögen von den PatientInnen ausgefüllt. Die Verbesserung des globalen Gesundheitsstatus zwischen erster und dritter Visite war in der Homöopathiegruppe signifikant stärker (p = 0,005) als in der Kontrollgruppe. Ein signifikante Verbesserung konnte auch beim subjektiven Wohlbefinden zugunsten der Homöopathiegruppe gefunden werden (p < 0,001).

Zusammenfassend lassen die Daten vermuten, dass eine zusätzliche homöopathische Behandlung zu einer Verbesserung des globalen Gesundheitsstatus und des subjektiven Wohlbefindens führen kann.

Re-Analyse der Überlebensdaten von Patienten mit fortgeschrittenen Krebsstadien unter Verwendung zusätzlicher Homöopathie.

In dieser Studie präsentieren wir eine Re-Analyse von Daten homöopathischer Patienten im Vergleich zu Kontrollpatienten aus derselben Ambulanz für „Homöopathie bei malignen Erkrankungen“ der Medizinischen Universität Wien (2). In dieser Analyse haben wir berücksichtigt, dass Patienten zu verschiedenen Zeitpunkten nach Diagnosestellung zur homöopathischen Behandlung gekommen sind. Für Patienten, die an fortgeschrittenen Stadien von Krebs leiden und die ersten 6 oder 12 Monate nach der Diagnose überleben, zeigen die Ergebnisse, dass die zusätzliche Verwendung der Homöopathie einen statistisch signifikanten (p <0,001) Vorteil gegenüber Kontrollpatienten hinsichtlich der Überlebenszeit ergibt. Zusammenfassend, unter Berücksichtigung aller Einschränkungen, deuten die Ergebnisse dieser retrospektive Studie darauf hin, dass Patienten mit fortgeschrittenen Stadien von Krebs (Lungenkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs, Hirntumor, metastasierter Nierenkrebs, metastasiertes Sarkom, Gallengangskrebs) von einer zusätzlichen homöopathischen Behandlung bis zu einer Überlebenszeit von bis zu 12 Monaten nach der Diagnose im Hinblick auf ihre Lebenserwartung profitieren könnten.

Literatur:

  1. Frass M, Friehs H, Thallinger C, Sohal NK, Marosi C, Muchitsch I, Gaertner K, Gleiss A, Schuster E, Oberbaum M. Influence of adjunctive classical homeopathy on global health status and subjective wellbeing in cancer patients – A pragmatic randomized controlled trial. Complement Ther Med 2015; 23:309-17. doi: 10.1016/j.ctim.2015.03.004. Epub 2015 Mar 23.
  2. Gleiss A, Frass M, Gaertner K. Re-analysis of survival data of cancer patients utilizing additive homeopathy. Complement Ther Med 2016 Aug;27:65-7. doi: 10.1016/j.ctim.2016.06.001. Epub 2016 Jun 7.
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Ist Homöopathie also nun ein Placebo? Pros, Cons, und einige Fälle zum Nachdenken

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Harald Walach

„Der Placebo-Effekt“, so habe ich im letzten Blog gezeigt, sollte eigentlich umbenannt werden in „Selbstheilungs-Effekt“ (www.homöopathie-forschung.info/placebo/). Ist also Homöopathie doch Placebo, also eine Arznei, die nur so tut als wäre sie eine, aber in Wirklichkeit nur psychologische Prozesse im Patienten auslöst, die dann zu einer Regulation und damit zur Selbstheilung führen? Ich hatte ja gesagt: die klügste und spezifischste Therapie wäre eine solche, die es verstünde solche Prozesse anzuregen und systematisch zu nützen. Ist also nun Homöopathie eine Placebotherapie in diesem Sinne, dass sie solche Selbstheilprozesse ausschließlich über psychologische Prozesse anregt und damit zu Linderung oder Heilung von Krankheit beiträgt?

Nehmen wir einen Teil der Antwort vorweg: Selbst wenn dem so wäre, dann wäre Homöopathie eine raffinierte Therapie die etwas kann, was andere Therapien kaum in dieser Systematik und allenfalls mit mehr Aufwand können. Sie löst nämlich  solche Selbstheileffekte, folgt man den Daten von unkontrollierten, systematischen Beobachtungsstudien, bei etwa 70% der Patienten aus, so dass Diagnosen und Symptome bei etwa einem Viertel der Patienten, die fast ausschließlich an chronischen Problemen litten und vorbehandelt waren, nach einem Jahr verschwunden waren  [1, 2].

Homöopathie ist Placebotherapie: Argumente dafür

Folgende Argumente sprechen dafür, dass Homöopathie eine Therapie ist, die über psychologische Prozesse Selbstheileffekte auslöst:

1) Es ist sehr schwer in klinischen Studien die Überlegenheit homöopathischer Therapie über Placebo eindeutig zu belegen

Auch wenn ich in meinem Kommentar zum EASAC-Dokument (www.homöopathie-forschung.info/easac/) geschrieben habe, dass sowohl die alten, als auch die neuen meta-analytischen Befunde zeigen, dass zumindest über alle Studien hinweg Homöopathie von Placebo  unterscheidbar ist, so ist daraus noch keine wissenschaftliche Tatsache konstruierbar. Denn eine wissenschaftliche Tatsache entsteht erst dann, wenn ein empirischer Befund so hart ist, dass selbst Skeptiker nicht daran vorbeikommen, ihn anzuerkennen und wenn der wissenschaftliche Diskursprozess diese Befunde allgemein akzeptiert hat. Dazu würde auch eine akzeptable Theorie gehören, die nicht in Sicht ist. Hinzu kommt, da muss man den skeptischen Argumenten recht geben, dass es sehr schwierig ist, im klinischen wie im experimentellen Feld replizierbare Befunde zu erzeugen. Anders gesagt: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Eine einzige klinische Studie, die positiv ist, heißt noch nicht, dass der Befund wissenschaftlich erhärtet ist. Es könnte sich um eine Zufallsschwankung handeln; Leute könnten sich getäuscht haben; es könnten unerkannte systematische Fehler passiert sein. Deshalb will man ja Replikationen, idealerweise durchgeführt von unabhängigen Forschungsgruppen [3]. Und die sind in der klinischen und experimentellen Forschung nicht so häufig. Deshalb gibt es zwar eine Überlegenheit über Placebo über alle Studien hinweg [4], aber nicht, wenn man nach replizierten klinischen oder experimentellen Paradigmen sucht. Es gibt zwar, so scheint es, in der experimentellen Grundlagenforschung einige replizierbare und replizierte Paradigmen, aber auch diese sind nicht ganz so einfach zu beurteilen.

Jedenfalls würde ich aus meiner eigenen Forschungserfahrung heraus tatsächlich bestätigen: die Inkonsistenz der Befunde in der Homöopathieforschung ist hoch, und dies spricht nicht dafür, dass wir es mit einem systematischen, klassischen pharmakologischen Effekt zu tun haben. Sonst wäre es uns wohl gelungen die in der unkontrollierten Praxis dokumentierten großen Effekte bei Kopfschmerzen etwa, in einer Serie von kontrollierten Studien einzufangen. Genau das ist bei den vorliegenden Studien zu Kopfschmerzen nicht gelungen. Und nur bei wenigen klinischen Syndromen sieht die Lage anders aus. Wenn man also das Kriterium einer, besser mehrerer, replizierter Serien von Studien in einem Forschungsmodell anlegt, dann ist zumindest in der klinischen Forschung der Unterschied von Placebo kaum zu sichern.

2) Die sog. „spezifischen“ Arzneimittelprüfungssymptome tauchen in homöopathischen pathogenetischen Studien oder Arzneimittelprüfungen nicht nur unter homöopathischen Arzneien, sondern auch unter Placebo auf

Einer der Pfeiler der Homöopathie ist ja die Prüfung von homöopathischen Arzneien am Gesunden. Das bedeutet: freiwillige Gesunde nehmen homöopathische Arzneien, meistens in potenzierter Form, zu sich und notieren die Symptome, die sie beobachten. Diese werden dann, zusammen mit Symptomen aus Vergiftungsberichten bei toxischen Substanzen oder Symptomen, die man bei Kranken beobachtet hat, die mit dem Arzneimittel geheilt wurden, zu den anzeigenden Symptomen der Arzneimittellehre. Das heißt, wenn ein Kranker dieses Symptom, meistens zusammen mit anderen, aufweist, dann verwendet man diese Arznei zur Behandlung. So ist die Arzneimittellehre entstanden, die mehr als 2000 Arzneien kennt, von denen wohl etwa 250 zu den häufiger verwendeten Arzneien gehören, deren Symptomatik ein guter homöopathischer Arzt mindestens im Überblick kennen sollte. Die Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die Symptomensammlungen in den Arzneimittellehren stimmen und wirklich spezifisch sind. Es haben sich schon viele homöopathische Ärzte oder solche, die zu homöopathischen Ärzten wurden oder sich wieder von ihr abwandten, darüber beklagt, wie wenig klar eigentlich ist, ob diese Symptome wirklich stimmen.

Viele der originalen Arzneimittelbilder stammen etwa von Hahnemann selbst. Der hat immer wieder die gleichen Leute als Prüfer verwendet. Auch wenn er ein guter Beobachter war, tauchen bei den gleichen Prüfern auch unter verschiedenen Arzneien immer wieder ähnliche Symptome auf. Ist vielleicht ein Teil der in der Arzneimittellehre enthaltenen Symptome einfach der individuellen Symptomatik einzelner Prüfer geschuldet? Andere Prüfungen sind mit kaum mehr nachvollziehbarer Methodik gemacht. Die meisten, auch neueren Prüfungen, würden modernen methodischen Ansprüchen nicht standhalten [5]. Und bei neueren Prüfungen, die mit sorgfältiger Verblindung und Randomisierung arbeiten, tauchen die vermeintlich spezifischen Arzneimittelsymptome auch in Placebogruppen auf. Ich weiß von Prüfungen, wo neue Arzneimittel geprüft wurden und wunderbare Symptome erzeugt haben; fast alle in der Placebogruppe. Und manche publizierte Prüfungen zeigen dieses Dilemma sehr offenkundig [6, 7]. Ich selber habe auch solche paradoxen Effekte in meinen eigenen Prüfungen gesehen. Und erst wenn man ein paar methodische Tricks anwendet gelingt es mit einiger Sicherheit die Trennung von homöopathischen Prüfsymptomen und Placebosymptomen zu zeigen; aber auch dieser Befund ist im Moment noch nicht repliziert. [8-11]

Jeder der homöopathische Arzneimittelprüfungen gemacht hat weiß: auch in streng verblindeten Placebogruppen tauchen die spezifichen Arzneimittelsymptome auf; manchmal kriegt sie der Hund oder die Ehefrau oder der Freund derjenigen Person, die eigentlich das Arzneimittel prüfen soll. Das spricht nicht unbedingt dafür, dass wir es hier mit einem systematischen, klassischen pharmakologischen Effekt zu tun haben.

3) Durch die ausführliche Anamnese werden vor allem psychotherapeutische Effekte ausgelöst, die einen Placeboeffekt plausibel machen

Homöopathische Therapie macht es nötig, dass Ärzte, vor allem in chronischen Fällen, eine ausführliche Anamnese erheben, die alle Bereiche des Lebens umfasst, von den akuten Symptomen bis zu anderen Krankheiten, deren Geschichte, der Frage nach Beziehung und Sexualität bis hin zu Vorlieben für Nahrungsmittel und Freizeit, etc. Daher sind homöopathische Erstgespräche ausführlich, in den dokumentierten Studien bei der Hälfte aller Patienten bis zu 2 Stunden, oder auch länger [1]. Qualitative Befragung von Patienten hat außerdem gezeigt: es ist genau diese ausführliche Beschäftigung mit ihrer Symptomatik, die die Homöopathie für Patienten so attraktiv macht [12]. Während die durchschnittliche Konsultationsdauer in der Allgemeinarztpraxis für komplexere Fälle etwa 5 Minuten 40 Sekunden beträgt, bei Männern kürzer bei Frauen etwas länger [13], wenden Homöopathen selbst bei Nachkonsultationen mindestens 15 Minuten auf. Das macht plausibel: Was hier eigentlich passiert, ist ja eine verkappte Psychotherapie. Patienten fühlen sich verstanden, gesehen, gehört, ernstgenommen und das erleichtert, schafft Vertrauen, Hoffnung und Entspannung; all die Effekte, von denen wir gesagt haben, sie sind dazu angetan einen Selbstheileffekt auszulösen.

Das stimmt sicherlich. Die Frage wäre: Sind diese Effekte ausreichend? Warum kommen dann normale und in ihrer Kunst geschulte Psychotherapeuten mit einem ausführlichen Erstgespräch und einigen kürzeren Folgegesprächen ohne weitere Interventionen nicht zu dem gleichen Ergebnis? Man würde Psychotherapeuten nämlich ziemlich Unrecht tun, würde man davon ausgehen, sie täten nichts als einfach explorieren, zuhören und verstehen.

Eine spannende Frage wäre: Was wäre, wenn „normale“ Ärzte sich der homöopathischen Anamnesetechnik bedienten, ausführliche Gespräche führten und anschließend „nichts“ tun bzw. Placebokügelchen verteilen? Hätten sie die gleichen Effekte? Wir wissen es nicht, weil es eine solche Studie nicht gibt. Ansatzweise wurde das in einer allerdings zu kleinen Studie untersucht und da zeigte sich, dass der Gesprächseffekt sehr groß war und der Beitrag der Substanz nicht erkennbar [14]. Allerdings ist das kein wirklich belastbarer Befund, weil die Studie ihre eigenen Rekrutierungsziele verfehlte und zu wenig statistische Mächtigkeit hatte.

4) Die homöopathischen Substanzen enthalten keinerlei Wirkstoffe, können also pharmakologisch nur Placebos sein

Das ist das Standardargument der Homöopathiekritik seit Hahnemanns Zeiten. Es ist zweifellos richtig, dass man vor allem in den höheren Potenzen keine Moleküle der Ausgangsstoffe mehr findet oder allenfalls in so niedriger Konzentration, dass die Verunreinigungen im Alkohol, im Glas, im Wasser, viel mehr ins Gewicht fallen und eigentlich alle homöopathischen Hochpotenzen chemisch ziemlich ähnlich sind und wie ein Gemisch aus Silicea, Bor, Strontium und noch ein paar anderen Elementen, die vor allem aus dem Glas kommen, angesehen werden müssen [15].

Die Frage ist allerdings: Ist die implizite Voraussetzung richtig, dass nur molekular-substanzielle Effekte physiologisch relevant sein können, wenn sie in wägbarem Sinne nachweisbar sind? Also bis zu einer Verdünnungsgrenze, mit der der Organismus auch operiert und die liegt derzeit bei etwa 10-9, also einer homöopathischen Potenz von D9 oder C5? Ich glaube nicht, dass es dafür irgendein plausibles Argument gibt außer, dass dies die Standard-Voraussetzung der Pharmakologie ist. Was aber, wenn diese in manchen Fällen nicht stimmt? Was, wenn es auch andere physiologische Effekte geben könnte? Elektromagnetische zum Beispiel, die wir mittlerweile kennen? Oder magnetische? Oder Kopplungseffekte an schwache, aber spezifische Felder? Oder noch andere Effekte, von denen wir noch gar keine Ahnung haben? Das führt uns zu Gegenargumenten.

Homöopathie ist keine Placebotherapie: Argumente dagegen

1) Es gibt keine einzige medizinische Therapieform des 18. Jahrhunderts, die trotz der Weiterentwicklung der Medizin und trotz kontinuierlicher Anfeindungen und Forschungsrückschläge immer wieder Renaissancen und Popularitätsschübe im gleichen Masse erlebt hat, wie die Homöopathie

Die Homöopathie ist ein Kind des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Damals gab es eine Fülle von Therapievorschlägen, die wesentlich populärer waren, als die Homöopathie, zum Beispiel der Brownianismus, der bei der geistigen Elite damals sehr beliebt war, weil logisch und einleuchtend [16]. Der Brownianismus ist sang- und klanglos untergegangen, obwohl er viele Unterstützer im kulturellen und medizinischen Mainstream hatte. Nicht aber die Homöopathie. Warum? Man könnte argumentieren, dass andere Naturheilverfahren, die damals aufkamen – die Wasserkuren von Prießnitz oder die Naturheilkunde von Kneipp und anderen – immer noch populär sind, was aber wenig über deren spezifische Effekte aussagt. Das mag sein. Mein Argument hier ist: wenn nichts, aber wirklich auch gar nichts, hinter der Homöopathie stecken würde, wäre dann nicht davon auszugehen, dass sie durch eine Art praktische Empirie aus dem Feld verschwunden wäre? Und zeigt nicht die schiere Tatsache, dass es die Homöopathie immer noch gibt, sehr zum Leidwesen vieler Intellektueller, die seit Hahnemanns Zeiten nicht müde werden sie zu bekämpfen, dass irgendetwas an ihr interessant sein muss? Die Homöopathie hat in ihrer Geschichte viele Rückschläge hinnehmen müssen. In den USA ist sie in Folge des Flexner-Reports und der Umstrukturierung der medizinischen Ausbildung, als Folge des Bannes der American Medical Association zu Beginn des 20. Jahrhunderts fast völlig von der Bildfläche verschwunden und erlebte dann wieder eine Renaissance. Warum? In Deutschland hat die braune Aneignung der Homöopathie und Naturheilkunde nicht unbedingt dazu beigetragen, sie den demokratischen Folgeinstitutionen und der Nachkriegsgeneration zu empfehlen, und der von den Nazis angestrengte Beweis der Homöopathie wurde aus verschiedenen Gründen nie erbracht [17]. Trotzdem ist die Homöopathie wieder neu populär geworden. Warum? Man kann sicher nicht allen Homöopathiefreunden vorwerfen, sie seien verkappte Nazis, wie das manche tun.

Wir haben heute in Deutschland vermutlich eines der besten medizinischen Versorgungssysteme der Welt. Daran kann es kaum einen Zweifel geben. Das scheint mir vor allem auf die Versorgung von Notfällen und akuten Erkrankungen zuzutreffen. Bei der Versorgung chronischer und funktioneller Beschwerden scheint das System weniger effizient zu sein. Denn sonst würden Menschen ja kaum nach anderen Optionen suchen. Alle Daten die wir kennen sprechen dafür, dass die typischen Homöopathiepatienten solche sind, die vorher alle möglichen konventionellen Optionen ausprobiert haben und entweder wegen deren Wirkungslosigkeit oder wegen unerwünschter Nebenwirkungen zum Homöopathen kommen. Woran liegt das? Offenbar müssen diese Patienten dort eine Form der Hilfe erfahren, die sie anderswo im System nicht erhalten haben. Ist das nur der Gesprächskompetenz der Homöopathen geschuldet? Ich weiß aus den Daten unserer eigenen Studie, dass Patienten oftmals durchaus unzufrieden sind mit der Tatsache, dass sie so viele intime Daten preisgeben müssen, um eine homöopathische Behandlung zu erhalten. Und wenn ich an das denke, was ich so von und über homöopathische Gespräche weiß, dann scheint mir eine Wirkung die nur auf dem Gespräch basiert, eher unwahrscheinlich. Dazu sind, mit Verlaub, die meisten Homöopathen zu schlechte Psychotherapeuten. Das allein scheint also keine ausreichende Erklärung dafür zu sein, dass es die Homöopathie noch immer, und mit gleichbleibender Popularität, gibt.

2) Die Popularität der Homöopathie scheint mit der Tatsache zusammenzuhängen, dass es immer wieder gut dokumentierte, manchmal spektakuläre, manchmal erstaunliche klinische Erfolge gibt, die nicht leicht erklärbar sind.

Eine offenkundige Ursache für den historischen Erfolg der Homöopathie sind ihre klinischen Erfolge. Das begann damit, dass homöopathische Behandlungen in den großen Cholera- und anderen Epidemien des 19. Jahrhunderts klinisch erfolgreicher waren als konventionelle, wodurch die Homöopathie ihren Siegeszug in Europa angetreten hat [18]. Das heißt nicht unbedingt, dass der Erfolg durch die homöopathischen Arzneien verursacht worden wäre. Die Tatsache, dass homöopathische Ärzte ihren Cholerapatienten Wasser gaben, was die konventionellen Ärzte nicht taten, und für eine freundliche Atmosphäre sorgten war möglicherweise ausreichend; denn neuere Versuche, diese Cholerabehandlung zu replizieren sind fehlgeschlagen [19].

Aber wenn man sich die homöopathischen Arzneimittellehren und die Literatur durchsieht, stößt man immer wieder auf erstaunliche Fallberichte. Nicht wenige von ihnen fügen die Bemerkung bei, dass der Behandler selbst nicht geglaubt habe, dass ein Erfolg denkbar wäre. Ich denke da etwa an den Fallbericht, den Charette in seiner Arzneimittellehre bei Arsenicum album anführt [20]. Ich kürze ab: Charette berichtet über einen Fall, den er 1927 behandelt hatte. Ein Mädchen hatte ihn zu ihrer sterbenskranken Mutter gerufen, die mit Typhus diagnostiziert worden war und aus dem Krankenhaus zum Sterben entlassen worden war. Er fand sie in einem Zustand vor, in dem er den Tod sehr nahe wähnte und gab ihr aufgrund der Symptomatik und auch, um ihr das Sterben zu erleichtern Arsenicum album C12 mit der Anweisung, das einige Tage weiterzunehmen. Als niemand den Totenschein abholt, sieht er erstaunt nach und findet die Patientin gebessert, die er dann noch eine Weile weiterbehandelt und nach 2 Wochen ohne Fieber und mit besserer Gesundheit wieder antrifft. Es folgen ein paar Komplikationen, die er mit anderen Arzneimitteln auffängt und nach 2 Monaten ist die Frau, der man den Tod prophezeit hatte, gesund.

Das ist einer von vielen Fällen aus der Literatur. Man kann nun natürlich anführen, dass Fälle nichts beweisen. Das stimmt. Aber sie können widerlegen und sie können gute Anhaltspunkte geben. Man kann mit Fällen etwa widerlegen, dass homöopathische Effekte nur bei trivialen Erkrankungen auftreten. Tun sie nicht, wie wir eben gesehen haben. Man kann mit sehr gut dokumentierten Fällen mindestens eine starke Korrelation von homöopathischer Arzneiwirkung und Symptomatik belegen. Das tut etwa folgender moderne Fall, der frei verfügbar ist [21]: Krebserkrankungen der Fortpflanzungsorgane sind bei Kindern sehr aggressiv. Dieser Fall handelt von einer solchen Behandlung bei einem indischen Mädchen. Die Eltern wollten keine konventionelle Nachsorge, nachdem der Primärtumor operiert worden war, sondern entschieden sich für eine homöopathische Behandlung. Eigentlich wäre aufgrund der Tumormarker eine Chemotherapie angezeigt gewesen, weil das Rückfallrisiko sehr groß war. In diesem Falle fand die Nachbehandlung mit einer mittelhohen Potenz von Tuberkulinum statt, die langsam in ihrer Höhe gesteigert wurde. Das Interessante an dem Fall aber ist nicht die Tatsache, dass das Kind nach einiger Zeit völlig beschwerde- und rückfallfrei mit einer Nachbeobachtung von 6 Jahren war, sondern dass innerhalb der Behandlung eine Heilungskrise auftrat, wie sie häufig zu beobachten ist. Starke Hautsymptome traten auf, die eine andere Arzneiwahl nötig machten. Eine Weiterbehandlung mit homöopathischem Pulsatilla in hoher Potenz führte zu einer graduellen Abheilung dieser Beschwerden und am Ende zu einer Stabilisierung. Interessant an diesem und ähnlichen Fällen ist: die therapeutische Tradition kennt solche Krisen, dass etwa Symptome von innen nach außen, also von einer Manifestation innerer Organe auf die Haut wandern und dass eine Folgebehandlung im homöopathischen Sinne dann das Terrain bereinigen kann. Eine solche Sequenz über Placebo-Effekte plausibel zu machen scheint mir zwar nicht unmöglich, aber sehr unwahrscheinlich zu sein.

3) Wenn Homöopathie nur als pharmakologisches Placebo wirken würde, dann würde man eine andere Datenlage erwarten

Die Aussage „Homöopathie ist nichts als ein Placebo“ ist, wissenschaftslogisch gesprochen, eine Allaussage. Und wissenschaftslogisch genügen einzelne Beispiele, die dieser Aussage widersprechen, um sie in ihrer Allgemeinheit als ungültig zu erweisen. Ich meine, dass die Fülle von Gegenbeispielen, die in Form von Fallgeschichten und Anekdoten vorliegt mindestens ein Gegenbeispiel birgt, die die Aussage unplausibel erscheinen lässt, dass Homöopathie immer und überall als Placebo anzusehen ist. Oben habe ich zwei Beispiele erwähnt, und man könnte vermutlich ein Leben damit zubringen, alle Fälle zu sichten und in diesem Sinne zu diskutieren.

Auch die Tatsache, dass mindestens manchmal in klinischen und experimentellen Studien so große Schwankungen auftreten, dass die Effekte sehr stark und statistisch sehr auffällig sind, ist nicht mit der Placebohypothese kompatibel. Natürlich sind auch Schwankungen denkbar, die extrem stark sind. Aber diese kommen selten vor und sollten dann durch Schwankungen balanciert werden, die in die andere Richtung mindestens ebenso stark sind, also Placebo gegenüber Homöopathie stark bevorzugen. Davon ist in der Literatur wenig zu sehen. Man müsste dann schon die etwas unplausible Hypothese bemühen, dass alle negativen Studien unpubliziert bleiben. Das ist unwahrscheinlich. Denn es gibt ja negative Studien, aber eben über alle Studien hinweg gesehen nicht ausreichend viele. Noch stärker wird das vielleicht sichtbar, wenn wir uns demnächst der Grundlagenforschung zuwenden.

4) Effekte tauchen häufig erst nach einer dritten oder vierten Verschreibung auf, wenn zusätzliche Informationen vorliegen und oft, wenn die Hoffnung bereits verpufft ist

Ein weiteres Phänomen, das schwer mit der Placebo-These erklärbar ist, ist folgendes: Erste Verschreibungen, manchmal auch zweite, sind nicht selten völlig wirkungslos bzw. sie lösen einen leicht als Placebo-Effekt erkennbaren kurzen Besserungsschub aus, der schnell verschwindet. Eigentlich müsste man ja folgendes erwarten: Wenn ein solcher Selbstheileffekt aufgrund des Gesprächs zustande kommt, dann sollte er in den meisten Fällen sofort nach der ersten Verschreibung sichtbar werden. Denn dann ist die Erwartung auf beiden Seiten hoch. Wenn die erste und auch die zweite Verschreibung aber wirkungslos  geblieben sind, warum sollte dann eine dritte Verschreibung, die vielleicht auf eine zusätzliche Information hin erfolgt, die durch eine nebenbei gemachte Äußerung bekannt wird, einen Effekt auslösen, den die ersten beiden nicht ausgelöst haben, wenn der generische Prozess der Kommunikation immer der selbe ist? Diese strikte Abhängigkeit der Verbesserungen von den richtigen Schlüsselsymptomen, die oft zu einer etwas ungewöhnlichen Arzneimittelwahl führen und dann relativ rasch und auch nach wenigen Worten geschehen können, sind mit einer reinen Placebo-These nicht gut vereinbar. Ein Kollege erzählte mir einmal folgende Geschichte: Eine Patientin bekam im Rahmen einer Homöopathie-Studie einen heftigen Hautausschlag, der es nötig machte, sie aus der Studie zu nehmen. Der verzweifelte Mann hatte sie im Auto gebracht. Der Kollege schrieb ihm ein Cortisonrezept und meinte noch, er könne ja bei der Gelegenheit vorher nochmals in der Apotheke Urtica urens C30, eine homöopathische Zubereitung der Brennessel, holen und ihr geben, bevor er das Cortison anwenden würde. Das tat er, gab der Frau im Auto noch die homöopathische Arznei. Bei der nächsten Ampel beobachtete, wie sie eingeschlafen war und als er nach Hause kam war der Ausschlag praktisch weg und das Cortison unnötig geworden. Möglicherweise war das Wissen um das Vorhandensein des Cortisons genug, um einen solchen Effekt auszulösen? Warum funktioniert das dann bei Millionen von anderen Menschen nicht, die das Cortison tatsächlich nehmen müssen, damit der Hautausschlag verschwindet? Homöopathisch ist der Fall klar: der Ausschlag hat dem Symptomenbild des Brennesselausschlages entsprochen und also hat die Arznei sehr rasch und präzis funktioniert.

Fassen wir zusammen:

Mir scheint die Datenlage mit zwei Hypothesen nicht kompatibel zu sein: Sie stützt nicht die Aussage, dass Homöopathie immer als Placebo anzusehen ist. Sie stützt aber auch nicht die Aussage, dass Homöopathie ein klassisch-pharmakologisches Signal ist, wie das die meisten Befürworter der Homöopathie meinen und was die Kritiker der Homöopathie voraussetzen, wenn sie die Homöopathie kritisieren.

Homöopathie scheint, zumindest manchmal und mit einer gewissen Systematik, Effekte auszulösen, die man von einer völlig unspezifischen Intervention nicht erwarten würde. Wie sie das tut ist völlig unklar. Vielleicht verbirgt sich dahinter ein kluger Trick, um Selbstheilreaktionen im Organismus auszulösen. Falls dem so wäre, dann wäre es von größter Bedeutung herauszufinden, wie sie das tut. Denn warum sehen wir solche Effekte dann nicht in anderen Therapien? Oder: wie könnten wir andere Therapien so gestalten, dass sie ebenfalls solche Selbstheileffekte auslösen? Das ist eigentlich die Gretchenfrage, die sich aus der Homöopathie ergibt. In der Zwischenzeit scheint die Homöopathie ein probates Mittel zu sein, solche Selbstheileffekte auszulösen.

Literatur

[1] Witt, C. M., Lüdtke, R., Baur, R., & Willich, S. N. (2005). Homeopathic medical practice: Long term results of a cohort study with 3981 patients. BMC Public Health, 5, 115. https://bmcpublichealth.biomedcentral.com/articles/10.1186/1471-2458-5-115

[2] Witt, C. M., Lüdtke, R., & Willich, S. N. (2009). Homeopathic treatment of chronic headache (ICD-9: 784.0) – a prospective observational study with 2 year follow-up. Forschende Komplementärmedizin, 16, 227-235. https://www.karger.com/Article/Abstract/226770

[3] Schmidt, S. (2016). Shall We Really Do It Again?  The Powerful Concept of Replication Is Neglected in the Social Sciences. In A. E. Kazdin (Ed.), Methodological Issues and Strategies in Clinical Research (pp. 581–596). Washington, DC: American Psychological Association.

[4] Mathie, R. T., Lloyd, S. M., Legg, L. A., Clausen, J., Moss, S., Davidson, J. R., et al. (2014). Randomised placebo-controlled trials of individualised homoeopathic treatment: sytematic review and meta-analysis. Systematic Reviews, 3(142). https://systematicreviewsjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/2046-4053-3-142

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