Die populärsten Irrtümer

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– über die Homöopathie und die konventionelle Medizin – Teil 2

Harald Walach

Weil ich in Debatten immer wieder die gleichen falschen Aussagen höre, stelle ich sie hier einmal zusammen mit den entsprechenden Argumenten, Daten und Fakten: Irrtümer, die über die Homöopathie geäussert werden, meistens mit entsprechenden Irrtümern über die Medizin gepaart. Ich hoffe, das entspannt die Debatte, die ich als unnötig polarisiert und wenig konstruktiv wahrnehme. Es geht weiter mit

Irrtum Nr. 2 – Unwissenschaftlich

Die Homöopathie ist empirisch nicht belegt, wohingegen die konventionellen medizinischen Interventionen gut gesichert sind

Das Lieblingsargument aller Homöopathiekritiker ist das der mangelnden empirischen Belegbarkeit homöopathischer Therapie. Ich habe dazu in früheren Blogs immer mal wieder Stellung genommen, daher hier nur so viel: Man kann der Homöopathie nur dann empirische Unwirksamkeit bestätigen, wenn man gewillt ist, etwa 95% aller Befunde zu ignorieren. Das hat damals schon Hahn festgestellt, ein schwedischer Intensivmedizinforscher, der von Homöopathie keinerlei Ahnung hatte und einfach einmal neugierig die Literatur sichtete und bemerkte, dass es erstaunlich viele auch relativ robuste Befunde, gibt: Meta-Analysen, die der Homöopathie signifikante Überlegenheit über Placebo bestätigen.1 Dazu kommt eine große Zahl von Tierversuchen und Pflanzenexperimenten. Man kann all das ignorieren. Aber ist das redlich, frage ich mich?

Ich würde zwei Argumenten zustimmen: Die konventionelle Statistik geht eigentlich davon aus, dass wir keinerlei Vorwissen haben und daher die Ausgangschance auf einen signifikanten Befund 50:50 ist. Das ist aber bei der Homöopathie sicherlich nicht richtig. Denn eigentlich würden wir keinen Effekt erwarten, aufgrund theoretischer Überlegungen (umso erstaunlicher ist es, dass man trotzdem so viele positive Effekte findet, übrigens). Daher gehen Kritiker der Homöopathie davon aus, dass man diese Befunde, die es gibt, anders gewichten muss. Das Argument stimmt zwar theoretisch. Dann müsste man aber eine solche Denkhaltung auch auf alle anderen Interventionen anwenden und eine entsprechende Statistik, nämlich eine Bayes’sche Statistik, und davon sind wir weit entfernt.

Das zweite Argument geht davon aus, dass es in einem Bereich replizierbare Serien von Befunden geben muss. Diese sind in der Homöopathie in der Tat selten. Meistens gibt es viele einzelne klinische Befunde, und dort, wo Wiederholungen vorliegen, gehen Effekte oftmals zurück oder sind schwer zu replizieren. Ich persönlich finde, dies ist eine spezielle empirische Signatur. Denn wenn kein Effekt vorhanden ist, dann würde man nicht erwarten, dass –  wie das in der Regel der Fall ist –  erste Studien riesige Effekte zeigen. Dann würde man erwarten, dass sie manchmal Effekte zeigen und manchmal nicht, statistische Schwankung eben. Aber genau das ist nicht der Fall. Daher scheint mir hinter dieser Signatur ein Effekt verborgen zu sein, den wir noch nicht verstanden haben. Er ist kein klassisch-kausaler. Sonst liesse er sich leichter replizieren. Aber er ist auch nicht einfach ein statistisches Placebo-Rauschen. Sonst würden wir nämlich nicht so konsistent in Meta-Analysen Effekte finden, und in Systemen, in denen nicht mit Placebo-Effekten zu rechnen ist, wie bei gut kontrollierten Pflanzenexperimenten.2-5

Die empirische Situation dürfte ungefähr so wie in der konventionellen Medizin auch sein: das, was wir wirklich wissen, ist nur ein geringer Prozentsatz. Eine Überblicksarbeit über eine Zufallsauswahl von 1016 Reviews aus der Cochrane-Datenbank, also nach harten Kriterien erarbeiteten Zusammenfassungsarbeiten, kam zu dem Schluss, dass wir nur in 3.4% aller Fälle Klarheit über die tatsächliche Wirksamkeit haben (1.4% tatsächlich wirksam; knapp 2% tatsächlich schädlich).6 Bei 43% vermutet man Wirksamkeit, benötigt aber noch mehr Forschungm, bei 48% war es unklar. Bedenkt man, dass wir es hier mit anerkannten, in der klinischen Praxis eingesetzten und von den Kassen in der Regel bezahlten Interventionen zu tun haben, die nach dem vermeintlich rationalen Modell der modernen Medizin entwickelt und beforscht wurden, handelt es sich dabei eigentlich um ein Armutszeugnis. Auch das soll die konventionelle Medizin nicht schlecht machen sondern zeigen: So groß ist der Unterschied zwischen Homöpathie und konventioneller Medizin nicht, was Datenlage und Kenntnisstand angeht.

Links:

Die Europäischen Wissenschaftsakademien und die Homöopathie

Ist Homöopathie also nun ein Placebo? Pros, Cons, und einige Fälle zum Nachdenken

Plausibilitätsbias und die weit verbreitete Meinung, die Homöopathie sei „widerlegt“

Forschungsreader WissHom 2016

Faktencheck Homöopathie (Carstens Stiftung)

FAQ’s HRI (Homeopathy Research Institute)

Referenzen zu diesem Beitrag:

  1. Hahn RG. Homeopathy: Meta-Analyses of pooled clinical data. Forschende Komplementärmedizin 2013; 20: 376-81. https://www.karger.com/Article/FullText/355916
  2. Jäger T, Scherr C, Shah D, et al. Use of homeopathic preparations in experimental studies with abiotically stressed plants. Homeopathy 2011; 100: 275-87.
  3. Jäger T, Scherr C, Simon M, Heusser P, Baumgartner S. Effects of homeopathic arsenicum album, noside, and gibberellic acid preparations on the growth rate of arscenic-impaired duckwee (Lamna gibba L.). Scientific World Journal 2010; 10: 2112-29.
  4. Scherr C, Simon M, Spranger J, Baumgartner S. Effects of potentised substances on growth rate of the water plant Lemna gibba L. Complementary Therapies in Medicine 2009; 17: 63-70.
  5. Majewsky V, Arlt S, Shah D, et al. Use of homeopathic preparations in experimental studies with healthy plants. Homeopathy 2009; 98: 228-43.
  6. El Dib RP, Atallah AN, Andriolo RB. Mapping the Cochrane evidence for decision making in health care. Journal of Evaluation in Clinical Practice 2007; 13: 689-92.
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Die populärsten Irrtümer

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– über die Homöopathie und die konventionelle Medizin – Teil 1

Harald Walach

Weil ich in Debatten immer wieder die gleichen falschen Aussagen höre, stelle ich sie hier einmal zusammen mit den entsprechenden Argumenten, Daten und Fakten: Irrtümer, die über die Homöopathie geäussert werden, meistens mit entsprechenden Irrtümern über die Medizin gepaart. Ich hoffe, das entspannt die Debatte, die ich als unnötig polarisiert und wenig konstruktiv wahrnehme. Es geht los mit

Irrtum Nr. 1 – Therapieprinzip unbewiesen

Die therapeutischen Prinzipien der Homöopathie, das Ähnlichkeitsprinzip, das Prinzip der Potenzierung und das Individualisierungprinzip sind wissenschaftlich nicht bewiesen. Die therapeutischen Prinzipien der konventionellen Medizin hingegen sind rational ableitbar und belegt.

Abbildung 1: Telephos; Relief aus einem Haus in Herculaneum (Foto privat)

Die Homöopathie fußt im Wesentlichen auf drei therapeutischen Prinzipien, dem Ähnlichkeitsprinzip, dem Potenzierungsprinzip und dem Prinzip der Individualisierung. Das erste, das Ähnlichkeitsprinzip, ist dabei das zentrale, die andern beiden haben Hilfs- und Brückenfunktion. Das Ähnlichkeitsprinzip wurde von Hahnemann, dem Begründer der Homöopathie so formuliert: similia similibus curentur – Ähnliches soll man mit Ähnlichem heilen (das „curentur“ ist grammatikalisch ein Konjunktiv und drückt damit die Aufforderung, die Injunktion aus). Fälschlicherweise meinen viele Kritiker, Hahnemann habe dieses Prinzip erfunden und aus seinem Chinarindenversuch abgeleitet. Bei diesem hatte er ein damals populäres Arzneimittel zur Fieberbekämpfung, Chinarinde, im Selbstversuch in massiver Dosis eingenommen und fieberähnliche Symptome bemerkt (wohlgemerkt: Es handelte sich um Symptome wie Schüttelfrost, nicht um veränderte Körpertemperatur).1 China wird in Form des Alkaloids Chinin heute noch verwendet in der Malaria-Behandlung (insbesondere bei ansonsten resistenten Erregern) und ist als Chinin auch traditioneller Bestandteil von Getränken wie Schweppes, die genau auf diese Erkenntnis zurückzuführen sind, dass China bei Fiebern wie Malaria nützlich sein könnte. Allerdings hat Hahnemann das Prinzip weder erfunden, noch aus diesem Versuch abgeleitet, noch hat dieser Versuch irgendeine andere als eine historisch-heuristische Funktion. Das Ähnlichkeitsprinzip gibt es schon bei Hippokrates. Es dürfte wesentlich älter sein. Denn schon der Telephos-Mythos, der noch vor-homerisch ist, bildet es ab (Abb. 1).2

In dieser Geschichte wird Telephos, der König der Mysier, von den Griechen, die auf dem Weg nach Troja sind, genauer vom Speer des Achill, verwundet. Als die Griechen abgezogen sind und die Wunde nicht heilen will, schickt Telephos nach Delphi um zu fragen, was er machen solle und erhält die kryptische Antwort: „Ho trosas kai iasetai – der, der die Wunde schlug, wird sie auch wieder heilen“. Das ist der erste kulturell nachweisebare Klang des Ähnlichkeitsprizips, wohl etwa um 1000 v. Chr. in unserer Kultur zu verorten. In der Geschichte reist Telephos dann ins Heerlager der Griechen und wird dort durch den Rost von Achilles‘ Speer – die Handlung in der Abbildung – behandelt und geheilt.

Die Ähnlichkeitsregel ist also uralter Bestand abendländischer Medizin. Hippokrates und die großen römischen Ärzte nach ihm kannten sie. Bei Paracelsus spielt sie eine wichtige Rolle, und Hahnemann kannte sie natürlich, weil zu seiner Zeit eine Paracelsus-Rennaissance im Gange war.3-5 Das Verdienst Hahnemanns war die Operationalisierung dieser Regel, durch die Arzneimittelprüfung am Gesunden. Aber auch das ist nicht Hahnemanns Erfindung. Andere große Ärzte seiner Zeit, Albrecht von Haller etwa, hatten sie schon – wenn nicht selber betrieben –  dann doch gefordert.6 Hahnemann setzte diese Forderung nach einer empirischen Fundierung der Medizin um und kam so auf die Idee, dass die Ähnlichkeit, von der die Regel sprach zwischen den Symptomen der Kranken und den Symptomen besteht, die eine Substanz beim Gesunden erzeugen kann: Die Tollkirschenvergiftung führt zu geweiteten Pupillen, hochrotem Kopf, rasendem Puls und verrückten Ideen, großer Hitze und noch einigen anderen Symptomen. Kranke, die durch Belladonna, die Tollkirsche, geheilt werden, haben ähnliche Symptome. Deshalb ist diese Arznei sehr nützlich bei bestimmten Typen von Fiebern mit diesen Symptomen. Davon kann sich jeder überzeugen, der Kinder hat, die diese Art von Fieber häufig bekommen. Wenn die Symptome stimmen, geht das Fieber i.d.R. innerhalb weniger Stunden zurück und das Kind ist wieder putzmunter.

Hahnemann entwickelte das Potenzierungsprinzip erst später, indem er seine Arzneien aufbereitete und sie dabei verdünnte. Das war ein zunächst rein empirisch und intuitiv naheliegender Vorgang. Denn manche Stoffe, wie etwa Belladonna, oder Aconit, der Eisenhut, sind sehr giftig und konnten daher nur verdünnt gegeben werden. Es war daher naheliegend, damals apothkerübliche Methoden einer stufenweisen Verdünnung zu verwenden. Bevor man die heutigen Möglichkeiten der Analytik hatte, war man gut beraten stufenweise zu verdünnen. Manche Stoffe waren fest und konnten nur duch feine Verreibung löslich gemacht werden. Bei dieser Gelegenheit entdeckte Hahnemann die kolloidale Löslichkeit: Feste Stoffe gehen nach Zerkleinerung und einer Verdünnung von etwa 100-3 (eine homöopathische Potenz von C 3) in einen löslichen Zustand über. Erst später experimentierte Hahnemann dann mit höher verünnten und verriebenen/verschüttelten Stoffen. Dabei wurden die Stoffe meistens mit einer Alkohol-Wasserlösung verdünnt, im Verhältnis 1:100 und dann geschüttelt. Davon wieder der hunderste Teil, usw. Diese Potenzierungsreihe nennt man Centesimal-Reihe (von lateinisch „centum – hundert“). Die Ordnungszahl gibt die Anzahl der Verdünnungs- und Verschüttelungsschritte an, also die Potenzierung. Eine C30-Potenz wäre dann also 30mal im Verhältnis 1:00 verdünnt und verschüttelt worden.

Was Hahnemann noch nicht wusste, aber ahnte: Ab einer Verdünnung von 10-23, D23 oder C12, ist die statistische Wahrscheinlichkeit, dass sich noch Moleküle der Ausgangssubstanz in der Arznei befinden, sehr gering. Ausserdem lösen sich durch die Potenzierung eine Reihe von Stoffen – Silikate, Bor, etc. – aus der Glaswand, so dass, molekular gesehen, homöopathische Potenzen eigentlich immer Stoffgemische sind, bei denen die Ausgangssubstanz nur eine sehr geringe Rolle spielt. Es gibt zwar Untersuchungen die zeigen, dass je nach Herstellung auch bei Hochpotenzen noch Ausgangssubstanz vorhanden ist, aber ich glaube es ist fair zu sagen: Die Substanz, also die Moleküle selber, dürften für die homöopathische Arzneimittelwirkung keine Rolle spielen. Das ahnte schon Hahnemann. Daher sprach er von der „geistartigen Wirkung“ der Arznei und sprach von „Dynamisierung“. Denn er machte die paradoxe Entdeckung: je höher verdünnt und potenziert die Arzneien, desto höher die Anforderung an die Ähnlichkeit zwischen Arzneiwirkung und Patienten-Symptomen, desto größer aber offenbar die Wirkung bei hinreichender Ähnlichkeit. Es ist diese große Paradoxie, die der Homöopathie den größten Spott einträgt. Und man muß fairerweise zugeben: Es gibt im Moment kein kluges Argument, mit dem man verstehbar machen kann, warum eine solche Arznei Wirkung entfalten könnte, ausser dem empirischen, dass man das immer wieder beobachtet hat. Nicht nur in der klinischen Praxis, sondern auch in kontrollierten Studien, in Tier- und in Pflanzenexperimenten. Warum? Kein Mensch weiss es. Es gibt ein paar abgedrehte Theorieversuche, auch von mir;7 aber ich finde nicht, dass irgend eine dieser Theorien ausreichend gut gestützt oder akzeptiert ist. Daher sollten wir fairerweise sagen: Warum potenzierte Arzneien wirken sollten, weiss kein Mensch. Wenn sie es allerdings tun, dann wäre dies eine wissenschaftliche Anomalie allererster Güte, die es zu erkunden gilt. Denn Wissenschaft schreitet in der Regel voran, indem sie sich darum kümmert wie man Anomalien, die nichts ins herrschende Weltbild passen, verstehen kann.8

Aus dem Ähnlichkeitsprinzip ergibt sich das Individualisierungsprinzip: Man wendet Arzneien nicht für bestimmte Krankheitsentitäten an – also Belladonna bei Fieber und irgendwas anderes bei Kopfschmerzen – sondern bei Symptomkonstellationen. Und diese sind mehr oder weniger individuell. Zwar gibt es immer wieder Typen – daher kann man auch häufig vorkommende Arzneimittel bei bestimmten Krankheitsentitäten zusammengeben und eine Art Schrotschussarznei basteln, die dann vielleicht bei 70% aller Zustände funktioniert – aber die rechte Kunst ist es, für die Gesamtheit aller Symptome eines Patienten, auch die in der Vergangenheit vorhandenen oder die scheinbar nicht mit der Krankheit in Verbindung zu bringenden, eine passende Arznei zu finden. Dieses Prinzip wurde wohl von der Homöopathie zum ersten Mal so konsequent in der Medizin angewandt.

Nun, wie sieht es in der modernen konventionellen Medizin aus. Fangen wir von hinten an. Der neueste theoretische Schrei der modernen Pharmakologie ist die „personalisierte“ oder „individualisierte“ Medizin. Sie hat damit, Halleluja, ein Prinzip entdeckt, das die Homöopathie schon seit über 200 Jahren anwendet. In der modernen Medizin ergibt sich dies aus der Einsicht, dass es sehr unterschiedliche genetische Typen gibt, die die enzymatische Verstoffwechslung von pharmakologischen Substanzen definieren und dass es genetische Untertypen von Krankheiten, z.B. Tumoren, gibt, die verschiedene therapeutische Ziele bieten. Wir kennen das: Die einen nehmen irgendeine Tablette und haben schreckliche Nebenwirkungen, die anderen nehmen drei davon und merken nichts. Der Hintergrund ist die enzymatische Effektivität im Umbau der Substanzen: Wieviel davon für den Organismus verfügbar ist bestimmt der individuelle Metabolismus. Aus dieser Einsicht heraus lernt man langsam zu verstehen, dass man pharmakologische Rezepturen fein abstimmen muss, eben individualisieren. Bei Tumoren hat man begonnen zu verstehen, dass sie ganz unterschiedliche genetische Marker tragen, die sie für unterschiedliche therapeutische Massnahmen empfindlich machen. Das nennt sich dann „personalisierte Medizin“: man beginnt den individuellen Konstitutionstyp eines Menschen aufgrund seiner Genetik bei der Therapie in Rechnung zu stellen. Der Unterschied zur homöopathischen Individualisierung besteht darin, dass die Homöopathie auf der phänomenologischen Oberfläche bleibt, also die Ebene der Symptomatik für die Individualisierung verwendet und die moderne Medizin diese versucht aufgrund der Genetik besser zu verstehen. Ich finde: Das ist beides Individualisierung, für den Patienten gut und sinnvoll und muss sich nicht ausschließen. Nicht entweder oder, sondern sowohl als auch.

Die moderne Medizin verwendet auch das Ähnlichkeitsprinzip und in Grenzen das Potenzierungsprinzip. Weniger sichtbar zwar, aber immerhin. In der Allergologie wird etwa damit gearbeitet, dass Substanzen, die eine Allergie verursachen, in absteigender Verdünnungsreihe als Medikamente verabreicht werden. Hier wird der umgekehrte Weg wie bei der Homöopathie beschritten: Man sucht die Verdünnung des Allergens, die gerade keine oder nur eine minimale Allergie auslöst, gewöhnt den Organismus daran und nimmt dann die nächst höhere Konzentration. Man kann auch die Psychotherapie als eine Anwendung des Ähnlichkeitsprinzips verstehen, zumindest bestimmte Formen: Der Krankheitsauslöser wird in veränderter Form präsentiert – durch Verstehen, durch Imagination, durch sprachliche Verarbeitung aufbereitet.

Abgesehen davon verwendet die Medizin als praktische Wissenschaft sehr viele Erkenntnisse und nicht nur einen einzigen Erkenntnisweg. Es ist ein weit verbreitetes (Selbst-)Missverständnis der Medizin, sie sei eine Naturwissenschaft. Das ist sie definitiv nicht.9-11 Sie ist eine Handlungswissenschaft, die u.a. naturwissenschaftliche Erkenntnisse verwendet, aber auch andere, z.B. sozialwissenschaftliche und psychologische. Das führt dazu, dass es nicht DEN Erkenntnisweg in der Medizin gibt, oder DIE rationale Therapeutik. Es gibt viele. Einer von den vielen ist der, den die moderne Pharmakologie beschreitet. Dort versucht man, aufgrund pathophysiologischer Erkenntnisse zu verstehen, wie man intervenieren kann. Dann werden Substanzen entwickelt, die etwa ein bestimmtes Enzym blockieren, oder einen bestimmten Rezeptor aktivieren. Dieser Weg funktioniert so einigermassen, ist aber erstens alles andere als rational, ist zweitens nicht immer zielführend und drittens nicht sehr kostengünstig. Denn welche der Erkenntnisse aufgegriffen werden, hängt oft davon ab, wo man sich einen großen Markt verspricht. Dort wird dann geforscht. Vieles, was erforscht wird, funktioniert im Tiermodell ganz gut. Aber nur sehr wenig von dem, was dort funktioniert, findet seinen Weg in die klinische Anwendung. Einfach deshalb, weil es beim Menschen eben nicht funktioniert oder weil das Ganze doch etwas komplexer ist als anfangs gedacht. Alles in allem betrachtet ist es ein extrem aufwändiger Weg. Wir begehen ihn, weil er sich eben so eingebürgert hat und weil wir meinen, er sei gut. Ob er das wirklich ist, wage ich sehr zu bezweifeln.

Hier sind zwei Beispiele, die sich vermehren liessen, und die zeigen, dass es mit der vermeintlichen Rationalität nicht so weit her ist:

Irgendwann – im Laufe der 60er Jahre oder so – kam die Idee auf, psychiatrische Erkrankungen seien Erkrankungen des Gehirnstoffwechsels. Die biologische Psychiatrie war geboren. Auf dieser Idee aufbauend entwickelte man eine ganze Reihe von Substanzen, die die vermeintlichen Entgleisungen des Gehirnstoffwechsels wieder richten sollten. Berühmt geworden sind die selektiven Serotonin-Reuptake Inhibitoren (SSRIs). Diese wurden übrigens ursprünglich, das weiß kaum jemand, für ganz andere Probleme entwickelt: zur Schmerztherapie; später dachte man, sie könnten bei Gewichtsproblemen nützlich sein, bis wer auf die Idee kam sie für Depression einzusetzen. Dann wurden sie als „happy pills“ vermarktet. Spezialisten in der Psychiatrie geben seit einiger Zeit unumwunden zu dass die Serotoninhypothese bankrott sei12,13: Sie sei wissenschaftlich nie bewiesen, sie funktioniere therapeutisch nicht richtig und das Festhalten an ihr blockiert den Fortschritt. Die modernen Antidepressiva sind manchmal Serotoninwiederaufnahmenhemmer, die Serotonin zur Verfügung stellen, sie sind manchmal Serotoninblocker, die Serotonin aus dem System entnehmen, sie sind manchmal ganz anderer Natur.14,15 Wo genau sind hier die Rationalität und der Fortschritt, frage ich mich? Möglicherweise ist Depression etwas ganz anderes? Eine komplexe Störung, bei der Traurigkeit ein Symtpom ist? Manchmal durch Ernährung verursacht, manchmal durch soziale Umstände, manchmal durch persönliches Fehlverhalten, manchmal genetisch, manchmal durch ein Zusammenwirken all dieser Faktoren. Und wer sagt, dass eine Krankheit auf der Ebene zu behandeln sei, auf der sie sich äußert? Wenn man etwas tiefer schürft merkt man schnell, wie tönern die Beine und wie schief sie sind, auf denen dieses Gebäude ruht. Und überlegt man, wieviel Geld nicht nur die Industrie, sondern die öffentliche Hand durch Subventionierung dieses Modells in die Entwicklung dieses Wolkenkuckucksheims der biologischen Psychiatrie, der Serotoninhypothese der Depression zumal, gepumpt hat, dann muss man sich wahrlich fragen, wie rational es hier wirklich zugeht.16

Ein zweites Beispiel: Die Alzheimer Demenz wird gemeinhin als eine komplexe Entzündung des Gehirns verstanden, die durch die Ansammlung von Amyloid-Beta, einem Protein und die Hyperphosporylierung von Tau, einem anderen Protein, ausgelöst wird, wodurch eine Entzündungspirale entsteht, die zum Untergang der Neuronen und am Ende zur Demenz führt.17 Aufbauend auf diesem biologischen Modell wurden Arzneien entwickelt, die entweder die Actylcholinesterase hemmen sollen – denn Acetylcholinerzeugende Neuronen gehen zuerst zugrunde -, oder die das Erregungsniveau durch den neurotoxischen Transmitter Glutamat hemmen sollen. Oder Impfungen gegen das Amyloid Beta. Alle diese Ansätze haben im Tierversuch sehr gut funktioniert, sind theoretisch-pathologisch irgendwie einsichtig und rational, funktionieren aber beim Menschen gar nicht oder nur in Grenzen. Die Impfversuche wurden eingestellt. Die auf dem Markt befindlichen Medikamente haben sehr schwache Wirkungen und erhebliche Nebenwirkungen. Seitens der pharmazeutischen Firmen, die sich eine Weile am Rennen um die Blockbusterarznei beteiligt haben, wurde ein höherer dreistelliger Milliardenbetrag in die Entwicklung gesteckt. Das Resultat ist ärmlich: es ist keinerlei pharmakologische Therapie in Sicht.18 Die vier derzeit zugelassenen Arznein sind allenfalls kurzfristig palliativ und in keinem Fall therapeutisch dauerhaft wirksam.19 Alternative Denkrahmen und Handlungsansätze gibt es,20,21 sie werden aber derzeit nicht priorisiert. Warum? Vermutlich weil alle auf den großen pharmakologischen Durchbruch warten und weil das herrschende Denkmodell die Phantasie hat verarmen lassen – scheint mir.

Das waren zwei Beispiele im Kurzdurchgang die zeigen, dass es um die theoretisch-therapeutische Rationalität in der modernen Medizin nicht so gut bestellt ist, wie man das gerne hätte. Ich weiss, das ist ein bisschen unfair: Ich habe zwei deutliche Negativbeispiele gewählt. Ich finde aber, sie sind durchaus repräsentativ. Denn sie betreffen weit verbreitete Probleme. Es gäbe viele andere Beispiele: die mangelnde Wirksamkeit pharmakologischer Ansätze bei der Schmerztherapie,22-25 die langfristigen Nebenwirkungen vieler akut sehr gut wirksamer Therapien,26 die Tatsache, dass die Krebsinzidenz steigt trotz eines nunmehr Dekaden währenden „Krieges gegen den Krebs“,27,28 die Tatsache, dass immer mehr Kinder mit ernsthaften neurologischen Störungen diagnostiziert werden,29,30 usw. Es geht mir auch nicht darum, die moderne Medizin schlecht zu reden sondern plausibel zu machen: Was im Akutfall gut funktioniert ist nicht unbedingt auch wirksam und hilfreich im chronischen oder funktionellen Fall. Das Denkmodell der Medizin, so hilfreich es im Notfall ist, erweist sich als Bumerang, der im chronischen und funktionellen Fall auf denjenigen zurückkommt, der ihn verwendet hat. Und das erinnert mich an die alte Geschichte von dem Mann, der sich darüber beschwerte, dass er seinen alten Bumerang nicht los wird, weil er immer wieder zurückkommt…

Literatur

  1. Bayr G. Hahnemanns Selbstversuch mit der Chinarinde im Jahre 1790. Heidelberg: Haug; 1989.
  2. Vonessen F. Was krank macht, ist auch heilsam. Mythisches Gleichheitsdenken, Aristoteles‘ Katharsis Lehre und die Idee der homöopathischen Heilkunst. Heidelberg: Haug; 1980.
  3. Gantenbein UL. Similia Similibus: Samuel Hahnemann und sein Schatten Paracelsus. Nova Acta ParacelsicaBeiträge zur Paracelsusforschung 1999; 13: 293-328.
  4. Schadewaldt H. Der Ähnlichkeitsgedanke bei Paracelsus. Allgemeine Homöopathische Zeitung 1972; 217: 265-8.
  5. Schadewaldt H. Der Ähnlichkeitsgedanke bei Paracelsus. Allgemeine Homöopathische Zeitung 1973; 218: 12-20.
  6. Walach H. Wissenschaftliche Homöopathische Arzneimittelprüfung. Doppelblinde Crossover-Studie einer homöopathischen Hochpotenz gegen Placebo. Heidelberg: Haug; 1992.
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  9. Wieland W. Diagnose. Überlegungen zur Medizintheorie. Berlin: de Gruyter; 1975.
  10. Meyer-Abich KM. Wie naturwissenschaftlich ist die Medizin? Das Leitbild Gesundheit in der Medizin und in den Umweltwissenschaften. Forschende Komplementärmedizin und Klassische Naturheilkunde 2001; 8: 34-8.
  11. Meyer-Abich KM. Was es bedeutet, gesund zu sein. Philosophie der Medizin. München: Hanser; 2010.
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  13. Kleinman A. Rebalancing academic psychiatry: why it needs to happen – and soon. The British Journal of Psychiatry 2012; 201(6): 421-2.
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  15. Blease C, Kirsch I. Special Issue: The Placebo Effect and Psychotherapy: Implications for Theory, Research, and Practice. Psychology of Consciousness: Theory, Research, and Practice 2016; 3(2): 105-98.
  16. Gøtzsche PC. Deadly Psychiatry and Organised Denial. Copenhagen: People’s Press; 2015.
  17. Pantel J. Alzheimer Demenz von Auguste Deter bis Heute. Fortschritte, Enttäuschungen und offene Fragen. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 2017; 50: 576-87.
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  21. Loef M. Moderner Lebensstil und Demenzrisiko – Empirische Untersuchungen. Essen: KVC Verlag; 2013.
  22. Gregori D, Giacovelli G, Barbetta B, et al. Association of pharmacological treatments with long-term pain control in patients with knee osteoarthritis: A systematic review and meta-analysis. JAMA 2018; 320(24): 2564-79.
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Diskutieren statt debattieren: Den kranken Menschen in den Mittelpunkt stellen!

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Hartmut Schröder

Die gegenwärtigen Angriffe gegen die Homöopathie, die in der Forderung nach einer Abschaffung der ärztlichen Zusatzbezeichnung gipfelten, sehe ich keineswegs als Beitrag zu einer (durchaus erwünschten und auch notwendigen) kritischen Diskussion zur Homöopathie. Es handelt sich vielmehr um eine Debatte, die vor allem emotional und mit dem Ziel des kompletten Ausschlusses einer traditionellen Richtung der Medizin geführt wird. Diskussion und Debatte unterscheiden sich grundlegend voneinander. Während es in einer Diskussion darum geht, Ansichten und Meinungen auszutauschen sowie eine Übereinstimmung herzustellen, geht es in der Debatte darum, einen vermeintlichen Gegner mit der Macht des Wortes zu schlagen, die eigene Position durchzusetzen und die andere zu vernichten. Die Debatte kennt nur ein entweder-oder – für die Diskussion ist auch ein sowohl-als-auch möglich. Ist die Debatte eher eine Art Gegeneinander, so ist die Diskussion immer ein Miteinander.

Als Sprachwissenschaftler fällt mir in der gegenwärtigen Debatte zur Homöopathie besonders auf, dass es hier keineswegs um die Sache bzw. den Austausch von Meinungen geht. Vielmehr sollten Menschen emotional beeinflusst werden. Dies lässt sich am gewählten Wortschatz und an den benutzten Argumentationsmustern gut erkennen, soll hier aber nicht weiter Gegenstand der Betrachtungen sein. Stattdessen möchte ich ein zentrales Argument aufgreifen, dass in der Debatte eine besonders wichtige Rolle spielt: „Homöopathie als reiner Placebo-Effekt“.

Die Aussage „Homöopathie ist ja nur ein Placebo“ ist als Vorwurf gedacht und soll Globuli in den Bereich der Irrationalität und Pseudowissenschaft verbannen. Dabei wird schlicht übersehen, dass der Placebo in gewisser Weise der am besten erforschte Effekt in der Medizin ist und in keinem Heilprozess fehlt. Bei diesem Effekt geht es auch keineswegs nur um Glauben und Erwartung, sondern es geht um die Wirkmächtigkeit von Sprache und Information in einem bestimmten Kontext. Und hier wird es interessant: bloße Informationen, d.h. etwas Immaterielles ohne jedweden Wirkstoff, können zugleich heilen und schaden.

Dazu ein beeindruckendes Beispiel zum Potenzial von Information, Kommunikation und Sprache als Stimuli für innere Wirkprozesse. In einer renommierten Studie von Silvestri et al. (2003) [1] wurde aufgezeigt, wie durch Information unerwünschte Nebenwirkungen verursacht bzw. durch das Fehlen von Information vermieden werden können. In der Studie geht es um erektile Dysfunktion im Kontext der Einnahme eines Betablockers. Gefragt wird, ob durch Information erektile Dysfunktion erzeugt bzw. verstärkt werden kann. Männliche Patienten, denen ein Betablocker verordnet worden war, wurden in drei Gruppen eingeteilt: Die erste Gruppe erhielt keine Information darüber, dass sie einen Betablocker einnimmt. Die zweite Gruppe bekam die Information, dass ein Betablocker verordnet wurde. Und die dritte Gruppe wurde explizit darüber aufgeklärt, dass das Medikament als unerwünschte Nebenwirkung auch „gelegentlich“ eine Störung der Erektion auslösen kann. Drei Monate später wurde in allen Gruppen die Häufigkeit einer erektilen Dysfunktion per Befragung erhoben. In der ersten Gruppe betrug sie 3,1 Prozent, in der zweiten Gruppe 15,6 Prozent und schließlich in der dritten Gruppe 31,2 Prozent. Eine spätere ähnlich angelegte Studie von Cocco (2009) [2] bestätigte die Ergebnisse der Studie von Silvestri et al. (2003) weitgehend.

Kann man den Teilnehmern dieser Studien, die erektile Dysfunktion entwickelt haben, nun – in tröstender Absicht – mitteilen, dass das alles nur ein Nocebo war? Würde diese Information ihr Problem dann lösen? Vermutlich nicht, denn das „Wirken des vermeintlich Wirkungslosen“ entsteht in einem sehr komplexen Prozess der Interaktion zwischen Arzt und Patient. Prof. Jütte, der Vorstand des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer argumentiert in einer Stellungnahme der Bundesärztekammer zum Thema „Placebo in der Medizin“: „Die Arzt-Patienten-Interaktion ist ganz zentral. Mit seinem Verhalten kann der Arzt ungemein viel erreichen – mit Empathie, Vertrauen und dem therapeutischen Setting. All das muss stimmen, damit der Arzt mit seiner Maßnahme – auch wenn sie noch so evidenzbasiert sein mag – Erfolg haben kann.“ Und weiter: „Es kommt also nicht selten vor, dass eine Maßnahme mit geringerer Evidenz effektiver ist, weil die Umstände besser passen und der Gesamteffekt damit größer wird.“ [3]

So gesehen wäre der Placeboeffekt also unverzichtbarer und wünschenswerter Kern einer jeden Behandlung. Allerdings kann er sich – und das ist die Gefahr in der gegenwärtigen Debatte – in bestimmten Kontexten auch in einen Noceboeffekt verwandeln bzw. neutralisiert werden. Die Ideologie eines Arztes und Berichte in den Medien können zu einem Nocebo-Reiz für Patienten werden. Viele Ärzte der komplementären Medizin machen in dieser Hinsicht die Erfahrung, dass ihre Patienten durch direktes Infragestellen und/oder implizite Verunglimpfung bzw. in milderer Form durch Lächerlichmachen durch zusätzlich konsultierte Schulmediziner zumindest verunsichert werden. Damit können diese Ärzte diesen Patienten schaden, ohne dass dies ihre Absicht ist.

Die gegenwärtigen Angriffe gegen die Homöopathie leisten also nicht nur keinen konstruktiven Beitrag in einer durchaus zu führenden Diskussion zur Homöopathie, sondern sie schaden objektiv all den Patienten, die homöopathisch behandelt werden. Auf diesen Umstand hat vor einigen Jahren in einem Editorial der Münchner Medizinischen Wochenschrift Prof. Füeßl, der damalige Chefredakteur dieser sicher nicht unter Esoterik-Verdacht stehen Fachzeitschrift, hingewiesen. Er schreibt: „Schließlich wird das Befinden eines Patienten und damit die tatsächliche oder empfundene Besserung seiner Beschwerden ganz wesentlich vom Vertrauensverhältnis zu seinem Arzt beeinflusst. Doch dieses ist mit wissenschaftlichen Methoden kaum zu untersuchen, da es von irrationalen Momenten gefördert oder gestört wird. Die Wirkung alternativer Verfahren anzuzweifeln könnte genau dieses Vertrauensverhältnis stören und dadurch per se kontraproduktiv sein.“ [4]

Es ist zutiefst unethisch, wenn auf Grund von unterschiedlichen Ideologien in polemisch geführten Debatten kranke Menschen verunsichert werden, ihnen das Vertrauen genommen wird und letztendlich heilende Placebo-Reize in schadende Nocebo-Reize verwandelt werden. Selbst wenn Homöopathie nicht über einen reinen Placeboeffekt hinausgehen würde, so ist sie dennoch für eine patientengerechte Versorgung von großer Bedeutung. Einen Streit darüber zu führen ist nicht zielführend – in einem pauschalen entweder-oder kann der kranke Mensch nur verlieren. Schul- und Komplementärmedizin können und sollen (durchaus auch in einem Spannungsfeld) miteinander diskutieren, sich aber mit gegenseitigem Respekt und in einer Haltung des sowohl-als-auch begegnen. Das Wissen über den Placebo- und Nocebo-Effekt kann neuen Wind in die Medizin bringen und zu einer Kulturheilkunde erweitern, die spezifische Wirkmittel keineswegs ausschließt, sondern diese durch die sogenannten unspezifischen Wirkmittel bzw. Kontextfaktoren noch wirksamer machen könnte. Eine solche Kulturheilkunde wirkt durch folgende Faktoren:

  • Autonomie, Kompetenz und Selbstwirksamkeit des Patienten;
  • Empathie, Haltung und Intuition des Therapeuten;
  • Passung und Resonanz zwischen Patienten und Therapeuten;
  • sowie durch ein heilendes Umfeld in Gesellschaft, Medien und Politik, das Resilienz und Salutogenese fördert.

Wir brauchen also keine Debatte, wir brauchen eine Diskussion, die den kranken Menschen in den Mittelpunkt stellt.

Hartmut Schröder ist Inhaber des Lehrstuhls für Sprachgebrauch und Therapeutische Kommunikation an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. Hartmut Schröder

Therapeium – Zentrum für Natur- und Kulturheilkunde

Hohenzollernstr. 12

14163 Berlin

E-Mail: h.schroeder@therapeium.de

Literatur:

[1] Silvestri A, Galetta P, Cerquetani E, Marazzi G, Patrizi R, Fini M, Rosano GM: Report of erectile dysfunction after therapy with beta-blockers is related to patient knowledge of side effects and is reversed by placebo. Eur Heart J. 2003 Nov; 24(21):1928-32.

[2] Cocco G: Erectile dysfunction after therapy with metoprolol: the Hawthorne effect. Cardiology. 2009;112(3):174-7.

[3] Deutsches Ärzteblatt, 19. Juli 2010.

[4] MMW-Online, 3-4/2009

 

 

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Spieglein, Spieglein in dem Sand…

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Homöopathie und grössere Kosten? Schlechte Daten falsch interpretiert.

Ein paar Anmerkungen zum Artikel „Die Macht der Heiler“, Spiegel Nr. 34 2018

Harald Walach

Regelmässig im Sommerloch geht das Homöopathie-Bashing los, weil man ja sonst nichts Besseres zu berichten hat. So verkündet Frau Hackenbroich wieder einmal im Spiegel: Homöopathie sei die „absurdeste aller Heilmethoden“ und alles sei „ein großer Bluff“. Ich habe Frau Hackenbroich einmal auf dem Podium einer Fachkonferenz der Journalisten in Bremen erlebt. Dort sagte sie: „Die Homöopathie gehört in die Medizingeschichte und meine Aufgabe ist es, sie dorthin zu befördern.“ Das finde ich bedenklich, wenn Journalisten sich zu Vollstreckern der Geschichte machen (wollen), aber das nur am Rande.

 

SPIEGEL 34/2018

Als eine der Argumente zitiert sie dann eine Studie aus dem Online Fachjournal PLoS One (steht für „Public Library of Science“; und ist ein allgemeines Journal mit normalerweise robustem Peer-Review) [1]. Die Studie wurde von Kollegen der Charité durchgeführt anhand eines großen Datensatzes der Technikerkrankenkasse. Dort wurden die Kosten von Menschen mit und ohne integrierter Versorgung „Homöopathie“ verglichen. Es wurde ein sehr aufwändiges Vergleichsverfahren gewählt, bei dem aufgrund von verschiedenen bekannten Variablen eine Person der Vergleichsgruppe – hier: normale Versicherte – mit einer Person der Testgruppe – hier: Versicherte mit Einschreibung in den Homöopathie-Vertrag – verglichen wurde, so dass beide möglichst ähnlich sind. Das Verfahren – technisch: propensity score matching – ist höchst aufwändig und ergibt sehr gute Ergebnisse. Die Voraussetzung: man weiss, was man mit was vergleicht und man hat die wirklich entscheidenden Variablen gefunden, auf Grund derer man den Vergleich anstellt.

Aber schon dem kursorischen Leser fällt beim Lesen dieser Studie auf: Hier wurden nicht Menschen, die Homöopathie wirklich benützt haben mit solchen verglichen, die Homöopathie nicht verwendet haben. Sondern hier wurden diejenigen Menschen verglichen, die ein Zusatzangebot gebuchte hatten, egal ob sie Homöopathie benützt haben oder nicht. Wörtlich heisst es: „For this analysis patients belonged to the homeopathy group if they subscribed to the integrated care contract in 2011 and if they were continuously insured through the TK for the observational period (12 months before and 18 months after subscription to the integrated care contract), regardless of whether they used homeopathy during the study period.“ (S. 2 der Publikation, 2. Satz in “Methods”)

Also, nochmals zum Mitschreiben, liebe Frau Hackenbroich, auf Deutsch: In dieser Analyse gehörten Patienten zur “Homöopathie-Gruppe”, wenn sie im Jahre 2011 einen integrierten Versorgungsvertrag über die zusätzliche Behandlung mt Homöopathie abgeschlossen hatten, völlig unabhängig davon, ob jemand wirklich Homöopathie in Anspruch genommen hat. Und dennoch wird hinfort davon geredet, dass die Benützung von Homöopathie, der Konsum von Homöopathie etc. mehr Kosten verursacht. Solide?

Ich finde es nicht sonderlich erstaunlich, dass Leute, die Homöopathie zusätzlich zur konventionellen Versorung in Anspruch nehmen, mehr Kosten verursachen. Nur: das Extra-Angebot der integrierten Versorgung an Patienten, die einfach mal kurz ausprobieren wollen, wie das mit der Homöopathie ist, aber nebenher noch allerhand andere Dinge machen bildet nicht die reale Situation ab. Die ist vielfach untersucht und sieht eher so aus, dass Menschen dann, wenn ihnen die gewöhnliche Versorung durch ihren Haus- oder Spezialarzt nicht mehr weiterhilft oder zu viele Nebenwirkungen produziertzum homöopathischen Arzt begeben oder manchmal zum Heilpraktiker, und dort nach Linderung Ausschau halten. Es wäre also für eine wirklich gute Untersuchung zwingend nötig, dass man konkret untersucht, wieviele Patienten die Behandlung nun auch wirklich richtig in Anspruch genommen haben, wie lange und ob und wie sich ihr Gesundheitszustand verändert hat. Das ist, soweit aus den bisher publizierten Daten ersichtlich, nicht erfolgt. Aber aus der Folgestudie wissen wir: Nur etwa ein Drittel der Patienten ist dabeigeblieben [2]. Die Studie dürfte also eher die höheren Kosten abbilden, die durch „doctor hopping“ entstehen, und das wundert eigentlich keinen. Sie aber als Beleg für gesteigerte Kosten durch Homöopathie zu verwenden, erscheint mir fragwürdig.

Auf jeden Fall dient diese Studie weder dazu, irgendwas über die Kosten der Homöopathie zu sagen, noch als Argument dafür, wie schlimm die Homöopathie denn nun ist. Sie dient eigentlich zu gar nichts ausser dazu, zu sagen, Menschen, die Zusatzangebote in Anspruch nehmen, erzeugen mehr Kosten. Vielleicht sind sie ängstlicher und gehen häufiger zum Arzt? Vielleicht haben sie mehr chronische Krankheiten oder haben mehr Probleme? Vielleicht nehmen sie mehr verschiedenen Behandlungen in Anspruch?

Da wäre es schon zielführender, die Studie von Baars und Kollegen zu zitieren, die ich auf meiner Homepage vor einer Weile besprochen hatte [2] (https://harald-walach.de/2014/10/14/versicherungen-herhoeren-komplementaermedizin-ist-billiger/). Diese hatte nämlich eine Kohorte über 6 Jahre verfolgt, die wirklich komplementärmedizinisch – homöopathisch und anthroposophisch-medizinisch – versorgt worden ist. Die Versorgung war nicht nur billiger, der Gesundheitszustand war besser. Die Autoren extrapolierten eine Kostenersparnis von 3.2 Milliarden Euro für Holland, wenn sich alle Menschen so behandeln liessen.

Liebes Spieglein: das war in den Sand gesetzt.


Hier noch Beiträge, die diesen Text von anderen Seiten beleuchten

Ein Leserbrief, der im SPIEGEL nicht abgedruckt wurde

Ein Beitrag im Tagesspiegel: Für eine Medizin auf Beweis- und Erfahrungsbasis

Fairplay bitte!

Spieglein, Spieglein an der Wand…

Die Europäischen Wissenschaftsakademien und die Homöopathie


Literatur

[1] Ostermann, J. K., Reinhold, T., & Witt, C. M. (2015). Can additional homeopathic treatment save costs? A retrospective cost-analysis based on 44.500 insured persons. PLoS One, 10(7), e0134657. https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0134657

[2] Ostermann, J. K., Witt, C. M., & Reinhold, T. (2017). A retrospective cost-analysis of additional homeopathic treatment in Germany: Long-term economic outcomes. PLOS ONE, 12(9), e0182897. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0182897

[3] Baars, E. W., & Kooreman, P. (2014). A 6-year comparative economic evaluation of healthcare costs and mortality rates of Dutch patients from conventional and CAM GPs. BMJ Open, 4, e005332. https://bmjopen.bmj.com/content/4/8/e005332

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Fairplay bitte!

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Ein Plädoyer für unparteiische Berichterstattung und Forschung in der Homöopathie

Einige Gedanken zu aktuellen Berichterstattungen zur Homöopathie und warum Homöopathie in der Kinderonkologie weder gefährlich noch irreführend ist

«To be free is not merely to cast off ones chains, but to live in a way that respects and enhances the freedom of others»  Nelson Mandela

Katharina Gaertner, Universität und Inselspital Bern

Es ist schon verwunderlich, wie viel Misstrauen homöopathischen Arzneimitteln und ihren Anwendern entgegengebracht wird. Kritiker werden nicht müde sich in Wortspielereien oder wiederholten Zitaten von unwissenschaftlichen Artikeln und Falschmeldungen zu ergehen, ohne eigene Untersuchungen anzustellen oder wissenschaftliches Arbeiten zu unterstützen um offene Fragen zu beantworten. So kam es kürzlich wieder zu diversen Anschuldigungen auf universitäre Einrichtungen, welche integrative Konzepte mit unterstützenden, zusätzlich zur konventionellen Therapie eingesetzten, homöopathischen Interventionen verfolgen [1 – 3]. In der Argumentation stützen  sich die Autoren dabei erneut hauptsächlich auf eine sinnlose, indikationsübergreifende und wissenschaftlich höchst fragwürdige [4] Untersuchung des australischen Gesundheitsministeriums [5] und lassen ausser Acht, dass es unzählige gegensätzliche Untersuchungen gibt [e.g. 6, 7].

Wäre es nicht an der Zeit, dem Wunsch der Bevölkerung (auch in Deutschland) [8, 9] nachzukommen und genauer hinzusehen, anstatt sich in Allgemeinplätzen zu verlieren und ein und dasselbe, bereits widerlegte Argument [6, 7], es gäbe keine wissenschaftlichen Beweise wieder und wieder herunterzubeten und als einzigen Beleg dafür ein oder zwei „Expertenmeinungen“ zu zitieren? Wäre es nicht an der Zeit, sich auf ein Fairplay zu einigen, Transparenz für die Bevölkerung zu schaffen und die Universitäten ihre Arbeit machen zu lassen?

Beginnen wir also mit Fairplay von unserer Seite:

Ja, über alle verschiedenen medizinischen Anwendungen homöopathischer Arzneien für die unterschiedlichsten Krankheitsbilder kann keine allgemeine Aussage hinsichtlich der Wirksamkeit getroffen werden. Bei genauerem Hinsehen finden sich jedoch 53 unterschiedliche Indikationen zu denen mindestens zwei kontrollierte Studien vorliegen, welche eine spezifische Intervention mit einer oder mehreren spezifischen homöopathischen Arzneie(n) testen [10]. Zumindest diese Studien sollten für diese spezifischen Fragestellungen hinsichtlich Ihrer Güte näher untersucht werden. Betrachten wir also zum Beispiel die gerade so in Verruf geratene, zusätzlich homöopathische Behandlung in der (Kinder-)onkologie: In der laufend aktualisierten, auf den «Clinical Practice Guidelines» des Institute of Medicine basierenden, online Version für therapeutische Praxisempfehlungen «uptodate» wird hierzu eine Kohortenstudie [11] und zwei unkontrollierte Beobachtungsstudien [12, 13] bezüglich der Symptomkontrolle durch individualisierten homöopathischen Verschreibungen zitiert. Die Autoren sehen damit genügend empirische Grundlage diese Therapie in dem so schwierigen Feld austherapierter Patientinnen als additive Therapie einzusetzen [14]. Dem könnten nach ausführlicher Recherche sogar noch weitere pragmatische randomisiert-kontrollierte Studien mit gutem klinischen Erfolg hinzugefügt werden [15, 16]. Ebenfalls existieren Studien zu homöopathischen Routineverschreibungen, mit positiven Effekten bei der Nebenwirkungskontrolle von Krebspatienten [17, 18]. Nun beziehen sich diese Empfehlungen natürlich auf erwachsene Patientinnen und noch liegt keine Evidenz durch kontrollierte Studien im Bereich der pädiatrischen Krebspatientinnen vor, jedoch zeigen Fallserien und langjährige positive Erfahrung durch Betroffene und Behandelnde [19], dass es längst an der Zeit wäre eine weitere kontrollierte Studie finanziell zu unterstützen. Das wäre dann, nun ja, fairplay eben.

Die angesprochenen Universitäten tragen mit ihrem Angebot zu der Möglichkeit der weiteren Erforschung der subjektiv und objektiv erfolgsversprechenden homöopathischen Therapien bei. Sie handeln damit ganz im Sinne universitärer Grundsätze. Wir können als faire Player in einer demokratischen Gesellschaft natürlich dieser Kakophonie der Hetzer nicht die Meinungsäusserungen verbieten,  jedoch plädiere ich dafür, dass Universitätskrankenhäuser sich nicht durch das Foulplay einiger mächtiger Unwissender beirren lassen und Patienten und Ärzten weiterhin die Möglichkeit und Freiheit lassen, sich nach bestem Wissen und Gewissen, und auf Basis der vorliegenden international anerkannten Empfehlungen [11], für die im Einzelfall als beste erscheinende Therapie entscheiden zu dürfen.

Referenzen

[1] Karberg S & Woratschka R. Heftige Kritik an Berliner Uniklinik: Charité-Webseite enthielt Lob für Homöopathie gegen Krebs [Internet, 22.08.2018: https://www.tagesspiegel.de/politik/heftige-kritik-an-berliner-uniklinik-charite-webseite-enthielt-lob-fuer-homoeopathie-gegen-krebs/22941508.html, zitiert am 12. September 2018].

[2] Feldwisch Drentrup H. Charité in der Kritik: «Homöopathie hat an Uniklinika keinen Platz» [Internet, 06.08.2018: https://medwatch.de/2018/08/06/charite-in-der-kritik-homoeopathie-hat-an-uniklinika-keinen-platz/, zitiert am 12. September 2018].

[3] Winnat C. Münchener Uniklinik wegen Homöopathie in der Kritik [Internet, 20.08.2018: https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/gesundheitswirtschaft/article/966347/muensteraner-kreis-uniklinik-wegen-homoeopathie-kritik.html, zitiert am 12. September 2018].

[4] Tournier A & Roberts R. Response by the Homeopathy Research Institute to ‘the Australian Report’ NHMRC Information Paper: ‘Evidence on the Effectiveness of Homeopathy for Treating Health Conditions’ National Health and Medical Research Council, März 2015.[Pressemitteilung]. Homeopathy Research Institute, 2016. [Internet: https://www.hri-research.org/wp-content/uploads/2016/02/HRI-Response-to-NHMRC-Information-Paper.pdf, zitiert am 15. August 2018].

[5] Council AHaMR. NHMRC Information Paper: Evidence on the effectiveness of homeopathy for treating health conditions. National Health and Medical Research Council; 2015. [Internet: www.nhmrc.gov.au/guidelines-publications/cam02, zitiert am 15. August 2018].

[6] Bornhöft G, Wolf U, von Ammon K, Righetti M, Maxion-Bergemann S, Baumgartner S, Thurneysen AE, Matthiessen PF. Effectiveness, safety and cost-effectiveness of homeopathy in general practice – summarized health technology assessment. Forsch Komplementmed. 2006;13 Suppl 2:19-29. Epub 2006 Jun 26.

[7] WissHom. Forschungsbericht Homöopathie: Der aktuelle Stand der Forschung zur Homöopathie: Versorgungsforschung, Randomisierte kontrollierte klinische Studien, Meta-Analysen und Grundlagenforschung. Hrsg.: Wissenschaftliche Gesellschaft für Homöopathie (WissHom). Köthen (Anhalt), Mai 2016. 56 Seiten.

[8] De Sombre S. Homöopathische Arzneimittel 2014. Bekanntheit, Verwendung und Image. Ergebnisse einer bevölkerungsrepräsentativen Umfrage. Allensbach: Institut für Demoskopie Allensbach; 2014 [Internet: https://www.bah- bonn.de/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=4233&token=8724d36ab6615321300b76f72312 6d5e07d6e21e, zitiert am 07.08.2015]

[9] DHU Pressemitteilung.  August 2018 [Internet: http://httpwww.dhu.n2g32.com/cnyhl59z-nnkgk907-mtyc76jn-qza, zitiert am 12.09.2018]

[10] Gaertner K, Torchetti L, Kundi M, Mittal R, Khurana A, Manchanda RK, Frass M. Literature overview of Controlled clinical studies with Homeopathic Medicines and Interventions. 72nd LMHI-Kongress, 05.-08. September, Kapstadt, Südafrika. Vortrag

[11] Guethlin C, Walach H, Naumann J, et al. Characteristics of cancer patients using homeopathy compared with those in conventional care: a cross-sectional study. Ann Oncol 2010; 21:1094.

[12] Thompson EA, Mathie RT, Baitson ES, et al. Towards standard setting for patient-reported outcomes in the NHS homeopathic hospitals. Homeopathy 2008; 97:114.

[13] Thompson EA, Reilly D. The homeopathic approach to the treatment of symptoms of oestrogen withdrawal in breast cancer patients. A prospective observational study. Homeopathy 2003; 92:131.

[14] Strada EA, Russel KP. Psychological, rehabilitative, and integrative therapies for cancer pain. Abraham J, ed. UpToDate. Savarese, DMF: UpToDate Inc. http://www.uptodate.com [Internet: https://www.uptodate.com/contents/psychological-rehabilitative-and-integrative-therapies-for-cancer-pain?topicRef=14248&source=see_link#H44713537, zitiert am 12. September 2018]

[15] Frass M, Friehs H, Thallinger C, Sohal NK, Marosi C, Muchitsch I, Gaertner K, Gleiss A, Schuster E, Oberbaum M. Influence of adjunctive classical homeopathy on global health status and subjective wellbeing in cancer patients -a pragmatic randomized controlled trial. Complement Ther Med. 2015;23(3):309-317.

[16] Thompson E, Montgomery A, Douglas D, Reilly D. A Pilot, Randomized, Double-Blinded, Placebo-Controlled Trial of Individualized Homeopathy for Symptoms of Estrogen Withdrawal in Breast-Cancer Survivors. J Altern Complement Med. 2005;11(1):13-20.

[17] Balzarini A, Felisi E, Martini A, De Conno F. Efficacy of homeopathic treatment of skin reactions during radiotherapy for breast cancer: a randomised, double-blind clinical trial. Br Homeopath J. 2000;89:8-12.

[18] Schlappack O. Homeopathic treatment of radiation-induced itching in breast cancer patients. A prospective observational study. Homeopathy 2004; 93:210.

[19] Magi T, Kuehni CE, Torchetti L, Wengenroth L, Lüer S, Frei-Erb M. Use of Complementary and Alternative Medicine in Children with Cancer: A Study at a Swiss University Hospital. PLoS One. 2015 Dec 22;10(12):e0145787. doi: 10.1371/journal.pone.0145787. eCollection 2015.

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Die Deutschen wollen Homöopathie

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Ergebnisse einer repräsentativen Befragung

Harald Walach

Die Deutsche Homöopathie Union ist Deutschlands größter Hersteller homöopathischer Arzneimittel. Sie hat eine repräsentative Umfrage durchführen lassen, die die Einstellungen und Erfahrungen der Deutschen zur Homöopathie erfassen sollte. Klugerweise wurde eine Firma beauftragt, die solche Studien professionel in ihrem Portfolio hat. Die Firma Kantar TNS beschreibt sich so: Sie sei „eines der renommiertesten Institute für Marktforschung sowie Politik- und Sozialforschung in Deutschland. … In der politik- und sozial­wissenschaftlichen Forschung haben wir mit Großprojekten zur sozialen Sicherheit und öffentlichen Gesundheit immer wieder Wissenschaftsgeschichte geschrieben. Besonders in der Bildungs- und Arbeits­marktforschung, in der Familien- und Seniorenforschung oder in der Gesundheits­vorsorge.” Profis also.

Diese Profis haben nun eine repräsentative Befragung der Deutschen durchgeführt und 1050 Deutsche im Alter zwischen 16 und 64 Jahren befragt. Die Pressemeldung und die Kurzdarstellung der Befunde gibt es hier:

PressemeldungGrafiken

Kurz gefasst zeigen die Daten, was wir seit den ersten Allensbach-Befragungen aus den 60er Jahren wissen: Die Deutschen mögen ihre Homöopathie, sie haben gute Erfahrungen damit und befürworten ein friedliches Nebeneinander von konventioneller und komplementärer Medizin in der Allgemein-versorgung und Forschung. Ganz kurz: Die Bürger sind weniger leicht ins Bockshorn zu jagen als man denkt. Gottseidank, könnte man dazusagen, in Zeiten von Fake-News, Social-Media Propaganda und was es sonst so alles an Verballhornungen gibt.

75% der Befragten befürworten nämlich das Miteinander von Schulmedizin und komplementärer Medizin wie Homöopathie und Naturheilverfahren. Das kommt nicht von ungefähr. Denn 56% haben Erfahrung mit homöopathischen Arzneimitteln aus eigener Hand, meistens bei Erkältungskrank-heiten. 80% wollen mitentscheiden, welche Arzneimittel in ihrem Fall verwendet werden, und 60% wollen in der Apotheke wählen können, wollen, dass ihr Hausarzt zwischen diesen Möglichkeiten auswählen kann und dass die Kasse dies erstattet. 72% lehnen ein Verbot von Medikamenten der Homöopathie und Naturheilkunde ab.

Es wäre nun schön, wenn diese Befragung zur Gänze publiziert wird, idealerweise in einer peer-reviewten Zeitschrift.

Die Daten zeigen aus meiner Sicht: Menschen machen ihre Erfahrungen mit und im Gesundheitssytem. Wer seine Kinder zum xten Mal mit einer kurzfristig wirksamen Antibiotikabehandlung bei Ohrenentzündung behandelt sieht und erlebt wie jeder Rückfall schneller kommt und anschließend durch eine homöopathische Kur Ruhe einkehrt, der hat eben seine Erfahrung gemacht. Dem ist es anschließend egal, ob ihm hundert Skeptiker klarmachen wollen, das sei nur ein Placebo-Effekt gewesen, wohingegen Antibiotika wirklich gegen Erreger wirken. Tun sie auch; das Problem ist aber, dass sie noch verschiedene andere Wirkungen haben, die wir nicht wollen, z.B. dass sie das Mikrobiom angreifen, unsere schützende und nährende Schicht aus Darmbakterien; dass sie Resistenzen fördern; und dass sie langfristig die Abwehrkraft eben nicht stabilisieren.

Dies zeigt aus meiner Sicht: es gibt disparate Welten. Die Welt der klinischen Forschung, die sich allzusehr, technisch gesprochen, auf interne Validität verlegt, also die methodische Gültigkeit der Ergebnisse, aber sich wenig um die externe Validität kümmert, also die Brauchbarkeit der Ergebnisse. Das habe ich verschiedentlich diskutiert [1-3]. Dies führt dazu, dass wir viel gültiges Wissen über in der Praxis wenig brauchbare Praktiken haben und dass in der Praxis hilfreiche Dinge entweder nicht oder schlecht beforscht sind oder so, dass die Ergebnisse nicht für die Praxis relevant sind.

Jetzt wurde die Welt der Bürger sichtbar, wie sie sich in ihrer persönlichen Erfahrung darstellen. Wer dazu beitragen will, kann sich beteiligen. Unter #MachAuchDuMit kann sich jeder mit seinen eigenen Geschichten in den sozialen Medien melden oder seine Geschichte an die DHU direkt schicken (dhu@homoeopathie-natuerlich.de). Ich gehe davon aus, dass auch die Geschichten über die vielen schrecklichen Fehlgriffe homöopathischer Ärzte und Praktiker dort ebenso Platz haben, liebe Skeptiker, wie die Heilungsgeschichten. Dann wird sich ja zeigen, welche Wahrnehmungsverzerrung die grössere ist.

[1] Walach, H., Falkenberg, T., Fonnebo, V., Lewith, G., & Jonas, W. (2006). Circular instead of hierarchical – Methodological principles for the evaluation of complex interventions. BMC Medical Research Methodology, 6(29). https://bmcmedresmethodol.biomedcentral.com/articles/10.1186/1471-2288-6-29

[2] Walach, H., & Loef, M. (2015). Using a matrix-analytical approach to synthesizing evidence solved incompatibility problem in the hierarchy of evidence. Journal of Clinical Epidemiology, 68, 1251-1260. https://www.jclinepi.com/article/S0895-4356(15)00321-2/abstract

[3] Klement, R. J., Bandyopadhyay, P. S., Champ, C. E., & Walach, H. (2018). Application of Bayesian evidence synthesis to modelling the effect of ketogenic therapy on survival of high grade glioma patients. Theoretical Biology and Medical Modelling, 15(12). https://tbiomed.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12976-018-0084-y

 

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Depression als Nebenwirkung

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bei bis zu 60% der Konsumenten von Arzneimitteln

– und die Homöopathie

Harald Walach

Eine neue, große Kohortenstudie an mehr als 25.000 Patienten zeigt [1]: Medikamente, die Depression oder Suizidalität als mögliche Nebenwirkung verursachen können, werden von 37% der amerikanischen Bevölkerung eingenommen, und der Konsum stieg seit der ersten Befragung 2005 kontinuierlich an. Knapp 10% nehmen 3 oder mehr solche Medikamente ein. Der Konsum von Medikamenten mit Suizidalität als Nebenwirkung stieg von 17% auf 23% an.

Diese Daten stammen aus der großen US-amerikanischen Ernährungsstudie NHANES, die in Zweijahres-Abständen seit 2005 in einer ausgeklügelten repräsentativen Stichprobenauswahl von etwa 38.000 Personen und mit Interviews die amerikanischen Haushalte befragt. In diese Auswertung gingen die Daten von den Personen ein, bei denen alle hier interessierenden Informationen vorlagen. Das war die Erfassung der Depression, die mit einem kleinen Fragenbogen (Patient Health Questionnaire 9) dokumentiert wurde. Sehr solide sind die Arzneimittel mit Nebenwirkungspotenzial erfasst, nämlich mit einem Computer vor Ort, der über eine Datenbank die von den Befragten vorgezeigten Arzneien anhand ihres Namens auf das Nebenwirkungspotenzial anhand der bekannten Profile analysiert. Dabei wurden nur solche Arzneimittel berücksichtigt, bei denen diese Nebenwirkungsprofile bekannterweise Depression oder Selbstmordgefährdung oder –gedanken enthalten.

Die wichtigsten Arzneien in diesen Gruppen sind die Beta-Blocker Metoprolol und Atenolol, die bei Bluthochdruck und zur Migräneprophylaxe verschrieben werden, der Protonenpumpeninhibitor Omeprazol, der gerne bei saurem Aufstoßen und Magengeschwüren verwendet wird, Hydrocodon, das bei uns als Hustenmittel und als Schmerzmittel verwendet wird und Gabapentin, das als Antikrampfmittel, als Mittel gegen neuropathische Schmerzen und zur Sedierung eingesetzt wird. Als Mittel gegen neuropathische Schmerzen bescheinigt ihm die Cochrane-Collaboration Wirkung auf neuropathische Schmerzen bei einigen Menschen. Außerdem gehören Schmerzmittel (deren Konsum aber nicht gestiegen ist) zu dieser Gruppe, und Kontrazeptiva, die sog. „Antibabypillen“. Für Protonenpumpeninhibitoren ist schon länger ein 2,3-faches Risiko für Depression als Nebenwirkung bekannt und bei Kontrazeptiva ein 1,7-faches  Risiko. Antidepressiva selber und andere Psychotropika wurden übrigens auch berücksichtigt, denn sie gehören ebenfalls zu den Arzneien mit Risiko für Suizidalität; ihr Konsum ist um beinahe 4% gestiegen, ebenso wie Anxiolytika, also Medikamente zur Angstlösung mit einem Anstieg des Konsums um 2,4%. Wer es genau wissen will, ob seine Depression von der Medikation kommen könnte, die er oder sie einnimmt, schaut sich am besten selber die Tabelle 2 in dieser Publikation an, die frei verfügbar ist. Dort sind die wichtigsten Generika, also die Namen der chemischen Substanzen aufgelistet. Gibt man diese in deutsche Internetsuchmaschinen ein, erhält man meistens Links zu den wichtigsten in Deutschland zugelassenen Handelsnamen der Präparate. Die Häufigkeit von Depression liegt im niedrigsten Fall bei 16% für Finasterid, das Männer gerne zur Behandlung des Haarausfalls nehmen oder zur Behandlung der gutartigen Prostatahyperplasie, das aber auch zu Erektionsproblemen führt. Die höchste Zahl fanden die Forscher für Gabapentin mit mehr als 60% Nebenwirkungspotenzial für Depression. Gabapentin wird zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen, als Antikrampfmittel und zur Behandlung von Epilepsie verwendet und leicht veränderte Substanzen werden zur Angstlösung eingesetzt. Sensitivitätsanalysen, bei denen Depressionspatienten mit Antidepressiva oder Bluthochdruckpatienten aus der Analyse genommen wurden, veränderten die Ergebnisse der Analyse nicht wesentlich, so dass sie wohl robust sind.

Klarerweise kann man aus einer solchen Querschnittstudie keine eigentliche Kausalität ableiten. Dazu hätten die Autoren die Daten von vor 2 Jahren mit der Depression heute vergleichen müssen oder noch besser, über längere Zeit den Konsum und dann das Auftreten der Depression dokumentieren. Aber die große Zahl der Patienten und die Robustheit der Analysen zeigen, dass das Potenzial für solche Nebenwirkungen groß ist.

Was ich an all dem bemerkenswert finde ist zum einen die große und steigende Zahl von Menschen, mehr als ein Drittel der Bevölkerung in den USA, die mit drei oder mehr Medikamenten behandelt werden, die ein solches synergistisches Nebenwirkungspotenzial haben. Denn wenn solche Menschen dann an Depression leiden, ist die Chance groß, dass sie von einem Spezialisten oder Psychiater ein weiteres Medikament zur Behandlung ihrer Depression verschrieben bekommen, das dann das Risiko für Suizidalität wiederum erhöht. Auf diese Dynamik hat Peter Gøtzsche hingewiesen, dessen Buch ich vor Kurzem besprochen habe [2].   Dabei wäre in diesem Falle vermutlich die beste Intervention: Medikamente absetzen oder wechseln und schauen, was passiert.

Depression und Homöopathische Behandlung

Liebe Kollegen von der Homöopathiekritik: Verstehen Sie jetzt vielleicht etwas besser, warum eine „unwirksame“ Methode wie die Homöopathie in vielen Fällen unter Umständen therapeutischer sein kann als alles, was unsere „wirksame“ Medizin zu bieten hat? Darauf habe ich vor einer Weile schon mal hingewiesen in einem Buch, das demnächst wieder erscheinen wird [3].  Denn sie behandelt „mit praktisch nichts“, ausser mit wohlwollender Intention und möglicherweise mit einer spezifischen Arznei die allenfalls zusätzlich noch die eigenen Selbstheilungskräfte anregt. Und damit kann man wenigstens nichts kaputtmachen, und wenn sie in der Hand eines guten Behandlers liegt, der genug von Diagnostik versteht, wird auch keine wesentliche Maßnahme versäumt. Daher dient der fanatische Kampf gegen die Homöopathie niemandem, ausser der Industrie.

Depression und Psychotherapie

Diejenigen, die an Depression leiden, sollten also in meinen Augen zunächst mal Ihren Arzneischrank und ihre regelmässige Medikation überprüfen. Wenn dann nichts darunter ist, was die Depression durch Nebenwirkungen erklärt, wäre als allererste Wahl der Behandlung Psychotherapie ins Auge zu fassen. Die funktioniert in aller Regel gut [4] und ist auf jeden Fall nachhaltiger wirksam, als pharmakologische Therapie mit Antidepressiva [5].

Homöopathie und Fluoxetin im Vergleich

Wer das aus irgendeinem Grund nicht tun will kann immerhin auch Homöopathie ins Auge fassen. Eine Vergleichsstudie mit dem Antidepressivum Fluoxetin gibt es dazu [6]. 91 Depressionspatienten erhielten dabei entweder homöopathisch individualisierte Therapie mit den homöopathischen Q-Potenzen, oder sie erhielten Fluoxetin, ein klassisches Antidepressivum aus der Kategorie der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Q-Potenzen sind 50.000er Verdünnungsreihen, wie sie Hahnemann am Ende seines Lebens verwendet hat. Diese kann man eine Weile lang täglich einnehmen und ihre Wirkung besser steuern. Die Studie war verblindet, also erhielten alle Patienten auch die jeweils andere Substanz als Placebo, eine sog. double-dummy Methode. Wer Homöopathie erhielt, wusste es also nicht und erhielt ein Fluoxetinplacebo verpackt. Wer Fluoxetin erhielt, wusste es auch nicht und bekam ein Homöopathieplacebo. Nach 4 Wochen konnte die Versorgung noch einmal angepasst werden und nach 4 und 8 Wochen wurde der Erfolg mit der Montgomery-Asperger Skala gemessen. Die Patienten hatten alle eine mittelschwere bis schwere Depression, und Patienten mussten mindestens einen Monat vorher frei von Medikation gewesen sein. Die Studie war als Nicht-Unterlegenheitsstudie angelegt, d.h. getestet wurde, ob die homöopathische Therapie der Fluoxetinbehandlung ebenbürtig war. Das war sie; sie war sogar leicht besser, aber um einen Vorteil gegenüber Fluoxetin nachweisen zu können hätte sie wesentlich grösser sein müssen. Die Patienten im Fluoxtin-Arm schieden tendenziell häufiger wegen Nebenwirkungen aus (alles andere würden einen auch skeptisch machen), und Patienten in der Homöopathiegruppe schieden tendenziell öfter aus wegen einer Verschlimmerung; ob aufgrund der Unwirksamkeit der Homöopathie, oder weil sie auf Antidepressivum-Entzug waren, oder weil sie eine Erstverschlimmerung erlebten ist nicht klar. Insgesamt hat die Studie, wie fast alle Depressionsstudien, viele Patienten im Laufe der Studie verloren, weil sie nicht wiederkamen oder abbrachen, so dass nur insgesamt 55 Patienten die Studie beendet haben. Daher sind die Ergebnisse aus meiner Sicht allenfalls vorläufige Hinweise. Aber sie zeigen: auch mit Homöopathie kann man Depression behandeln.

Vermutlich ist die Nichtbehandlung, wie ich vorher sagte, und zwar mit Wohlwollen und Feinfühligkeit, in vielen Fällen die beste Behandlungsoption. Und wenn noch Homöopathie hinzukommt, dann ist es auf jeden Fall kein Schaden. Wer weiss, vielleicht ist das sogar eines der Geheimnisse der Homöopathie: Nicht zu behandeln und das gekonnt.

Literatur

[1] Qato, D. M., Ozenberger, K., & Olfson, M. (2018). Prevalence of prescription medications with depression as a potential adverse effect among adults in the United States. JAMA, 319(22), 2289-2298.

[2] Gøtzsche, P. C. (2015). Deadly Psychiatry and Organised Denial. Copenhagen: People’s Press.

[3] Walach, H. (2011). Weg mit den Pillen! Selbstheilung oder warum wir für unsere Gesundheit Verantwortung übernehmen müssen – Eine Streitschrift. München: Irisiana.

Walach, H. (2016). Selbstheilung – die Medizin denkt um. Momentum – Gesund leben bei Krebs(1), 1-13.

Walach, H. (2018, im Druck). Heilung kommt von innen: Verantwortung und Selbstheilung – ein neues Denkmodell für die Medizin. München: Droemer Knaur.

[4] Barth, J., Munder, T., Gerger, H., Nüesch, E., Trelle, S., Znoj, H. J., et al. (2013). Comparative efficacy of seven psychotherapeutic interventions for patients with depression: A network meta-analysis. PLoS Medicine, 10(5), e1001454. http://journals.plos.org/plosmedicine/article?id=10.1371/journal.pmed.1001454

Zimmermann, J., Löffler-Stastka, H., Huber, D., Klug, G., Alhabbo, S., Bock, A., et al. (2015). Is it all about the higher dose? Why psychoanalytic therapy is an effective treatment for major depressoin. Clinical Psychology and Psychotherapy, 22, 469-487. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/cpp.1917

[5] Vorderholzer, U., & Barton, B. (2016). Langfristige Wirkung von Psychotherapie bei nichtchronischen Depressionen: Ein systematisches Review von Studien im Vergleich mit Pharmakotherapie. Verhaltenstherapie, 26, 108-115. https://www.karger.com/Article/FullText/446674

[6] Adler, U. C., Paiva, N. M. P., Cesar, A. T., Adler, M. S., Molina, A., Padula, A. E., et al. (2009). Homeopathic individualized Q-potencies versus fluoxetine for moderate to severe depression: double-blind, randomized non-inferiority trial. eCAM, doi:10.1093/ecam/nep114. https://www.hindawi.com/journals/ecam/2011/520182/

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Spieglein, Spieglein an der Wand…

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wer heilt Atemwegsinfekte im Land?

Ein Review der Cochrane Collaboration zur homöopathischen Behandlung von Atemwegsinfekten stellt fest: Keine Wirkung über Placebo hinaus. – Lesen Sie die Details

Harald Walach, Katharina Gaertner

Die Grippewelle ist gerade vorbei, da verkündet die Cochrane Collaboration: Homöopathie hilft bei Atemwegsinfekten von Kindern nicht besser als Placebo [1]. Und damit es auch keiner übersieht, legt Spieglein an der Wand nach und meint, wieder einmal sei die Unwirksamkeit der Homöopathie bewiesen. Wollen wir ein paar genauere Blicke auf die Daten und ihre Interpretation werfen und die Frage stellen: falls Homöopathie wirklich so unwirksam ist, welche anderen, wirksamen, vielleicht konventionellen Alternativen hat denn unsere Medizin so auf Lager, wenn man der Cochrane Collaboration folgt? Aber der Reihe nach:

Wirkt Homöopathie bei oberen Atemwegsinfekten von Kindern?

 

Die Autoren des Cochrane Reviews(*) sagen: Nein. Sie stützen ihre Aussage auf acht Studien, und zwar nur auf doppelblinde, placebo-kontrollierte. Das ist allgemeiner Standard bei den Cochrane Reviews, falls es solche Studien gibt, weil sie laut geltender Lehrmeinung die besten Aussagen zulassen. Dass diese Meinung nicht unbedingt überzeugend ist, habe ich mehrfach dargelegt [2,3], weil sie zu Paradoxa, u.a. dem Wirksamkeitsparadox führt [4]. Dieses ist mittlerweile auch von anderen mit Hilfe von Daten aus der Migräneforschung nachgewiesen worden [5]; aber das wollen wir jetzt nicht weiter verfolgen.

Die älteste Studie von Elli de Lange de Klerk [6] untersuchte insgesamt 175 Kinder über ein halbes Jahr, die individualisiert homöopathisch behandelt worden waren. Der Effekt ist nicht signifikant und klinisch klein (d = 0.14, also etwas mehr als eine zehntel Standardabweichung, was wirklich nicht sehr viel ist). Allerdings zeigt sich bei den homöopathisch behandelten Kindern weniger Antibiotikaverbrauch nach einem Jahr. Dieser Effekt ist mit einer Odds Ratio von 1.68 interessant (p = 0.09), weil er einen langfristigen Präventionseffekt zu spiegeln scheint. [Eine Odds Ratio ist das Verhältnis von gebesserten zu nicht gebesserten Patienten. Wenn sie gleich 1 ist, gibt es keinen Unterschied. In diesem Falle hätten homöopathisch behandelte Kinder eine 68% höhere Chance ohne Antibiotika auszukommen.]

Jennifer Jabocs [7, 8] legte zwei Studien vor, bei denen der akute Effekt bei Otitis media bzw. Atemwegsinfekten überprüft werden sollte. Die erste Studie war eine Pilotstudie mit wenigen Kindern, die den akuten Effekt über einen komplexen Symtpomenscore nach 3 Tagen überprüfte. Die homöopathisch behandelten Kinder waren tendenziell nach 3 Tagen eher geheilt; die Odds Ratio (OR) betrug 1.84, die allerdings aufgrund der kleinen Patientenzahl nicht signifikant war. Die zweite Studie untersuchte die Wirksamkeit eines homöopathischen Hustensirups, allerdings mit der etwas merkwürdigen Zielgröße von Symptomenscores nach einer Stunde. In diesem Falle war die Placebogruppe mit einer OR = 0.95 leicht besser. Eine neuere spanische Studie [9] untersuchten die Wirksamkeit einer fixen Kombination bei Otitis media gegenüber Placebo als Zusatzbehandlung. Der Effekt war mit einer OR = 1.36 nicht signifikant und klein. Kombiniert man diese Studien meta-analytisch – etwas was die Autoren nicht getan haben – dann findet man eine nichtsignifikante Effektgröße von OR = 1.26 (p = 0.16). Homöopathisch behandelte Kinder haben also eine 26% bessere Chance einen Therapieerfolg zu erleben oder am Ende bessere Symptomenscores zu haben; allerdings ist die Irrtumswahrscheinlichkeit für eine solche Aussage hoch.

Eine indische Studie fällt etwas aus dem Rahmen [10]: sie verglich homöopathische Therapie mit konventioneller bei 80 Patienten. In der Homöopathiegruppe wurden 38 von 40 geheilt, zwei konnten nicht dokumentiert werden. In der konventionellen Gruppe waren am Ende alle 40 geheilt. Allerdings hatte in der Homöopathiegruppe kein Patient Antibiotika nötig, wohingegen in der konventionellen Gruppe 39 von 40 Patienten Antibiotika erhalten hatten. Die Autoren folgern, dass homöopathische Therapie genauso gut wie konventionelle funktioniere, vor allem auch deshalb, weil der Therapieerfolg in der Homöopathiegruppe schon früher eintritt.

Eine südafrikanische Studie untersuchte an 30 Kindern mit Tonsillitis den Effekt eines homöopathischen Komplexarzneimittels und fand einen sehr großen, statistisch signifikanten Effekt (d = 1.4) [11].

Aslak Steinsbekk  und Kollegen untersuchten einen präventiven Ansatz: Eltern von Kindern mit wiederkehrenden Infekten konnten entsprechend der Konstitution ihrer Kinder eine von drei homöopathischen Arzneien auswählen, die dann 3 Monate lang gegeben wurden, verglichen mit Placebo. Der Symptomenscore war am Ende der Untersuchungszeit in beiden Gruppen gebessert, in der Placebogruppe sogar leicht besser.

Schließlich wird noch eine präventive Studie aus Brasilien angeführt [13]: Insgesamt 600 Kinder erhielten präventiv entweder einen homöopathisch zubereiteten „Impfstoff“ aus lebendigen Grippeviren in der Potenz D30, oder eine homöopathische Arznei aus abgetöteten bakteriellen Erregern (eine sog. Nosode), ebenfalls in der D30, oder Placebo. 12 Monate später wurde über das öffentliche Gesundheitssystem die Anzahl der Grippefälle und akuter respiratorischer Infekte dokumentiert. Von den 75% der Kinder, die die Studie über durchgehalten haben zeigten diejenigen, die die homöopathischen Nosoden erhalten hatten, signifikant weniger Grippe- und akute Atemwegsinfekte ein Jahr später.

Lassen wir einmal die Frage außer Acht, wie gut die Studien waren – sie waren in den meisten Fällen einigermaßen in Ordnung, sieht man von der indischen und brasilianischen ab – und fragen uns: Wie gut war die Methode der Homöopathie in diesen Studien umgesetzt worden, so sehen wir: Nur de Lange de Klerk und Sinha haben Homöopathie in ihrer Bandbreite untersucht. Alle anderen Studien haben eine Kurzform oder eine Spielart der Homöopathie untersucht. Der Bericht von Sinha lässt einige wichtige Details vermissen und dokumentiert die annähernde Gleichwertigkeit konventioneller und homöopathischer Therapie. De Lange de Klerk zeigt eine marginale Überlegenheit der Homöopathie. Die andern Studien eignen sich nicht wirklich dazu, eine Aussage zu treffen. Die brasilianische Präventionsstudie ist interessant, hat aber eine zu große Anzahl von fehlenden Daten. Die südafrikanische Tonsillitis-Studie zeigt einen großen Effekt, welcher jedoch nur auf einer sehr kleinen Studienpopulation beruht. Die spanische Studie und die zweite Studie von Jennifer Jacobs untersuchten eine Fixarznei-Kombination, was eigentlich dem Individualisierungsprinzip widerspricht. Die Indikationen der norwegischen und der ersten Jacobs-Studie sind ebenfalls eher sehr grobschlächtig.

Wir halten fest:

  1. Homöopathie im eigentlichen Sinne ist schlecht untersucht und sollte von der Einnahme von potenzierten Arzneimitteln unterschieden werden.
  2. Die hier aufgenommen Studien lassen keinen allgemeinen Schluss zu.
  3. Fasst man die Daten, die einigermaßen gut verglichen werden können statistisch zusammen, sieht man nicht-signifikante Effekte zugunsten von Homöopathie und potenzierten Arzneimitteln.

Damit ist die Aussage: „Der Cochrane Review zeigt, dass Homöopathie nicht wirkt“ sachlich falsch und methodisch-inhaltlich aufgrund der Daten gar nicht zu treffen. Mal abgesehen von der Tatsache, dass das Vorliegen mangelnder Wirksamkeitsdaten kein Beweis für die mangelnde Wirksamkeit wäre. „Wir wissen nicht, ob x wirkt“ heisst nicht „Wir wissen, dass x nicht wirkt“. Falsche Logik, liebes Spieglein.

Gibt es andere Hinweise auf die Wirksamkeit der Homöopathie?

Cochrane Reviews nehmen i.d.R. nur randomisierte, oft placebo-kontrollierte Studien in ihre Reviews auf. Dahinter steckt die Logik: nur diese Studien sind so verzerrungsfrei wie möglich. Dies ist auch nicht falsch, aber nicht die ganze Wahrheit. Denn andere Studie geben uns oft andere wichtige Informationen (zum Beispiel, welche Interventionen bei welchen Kollektiven (Patienten) positive oder negative Effekte zeigen und damit sinnvoll oder nicht sind). Randomisierte Studien haben ihre eigenen Probleme: Sie erfassen immer nur ein sehr begrenztes Kollektiv in einem experimentellen Setting. Das führt dazu, dass viele Praktiker beklagen die Ergebnisse nicht in den Alltag integrieren zu können (Freeman AC, Sweeney K. Why general practitioners do not implement evidence: Qualitative study. BMJ 2001;323:1100– 1102; Green ML, Ruff TR. Why do residents fail to answer their clinical questions? A qualitative study of barriers to practic- ing evidence-based medicine. Acad Med 2005;80:176–182). In Anbetracht der Tatsache, dass es für viele medizinische Interventionen gar keine Evidenz durch kontrollierte Studien, geschweige denn randomisierten gibt (so wie dies Untersuchungen des British Medical Council für 3000 beispielhafte medizinische Interventionen belegen), fragt sich daher ob sich der erheblich höhere finanzielle Aufwand der randomisierten Studien für die klinische Praxis letztendlich wirklich lohnt. Diese Frage wird allerdings leider weder von Betroffenen noch von den Medien diskutiert. Abgesehen davon kann man auch inhaltlich argumentieren, dass eine lebensweltliche Untersuchung, also ohne irgendeine experimentelle Intervention näher an der Wirklichkeit ist. Daher wären naturalistische Kohortenstudien an sich mindestens ebenso gut geeignet, die Effekte der Homöopathie zu untersuchen. Und eigentlich hätten die Cochrane-Review Autoren auch an den Stellen, wo sie selber fanden, dass zu wenig Daten vorliegen oder die vorliegenden Daten nicht ausreichend stabil sind, auf solche Kohortenstudien zurückgreifen müssen, wenn sie ihrem eigenen Handbuch gefolgt wären. Haben sie aber nicht. Daher werden wir das bei Gelegenheit nachholen und die insgesamt 25 Kohortenstudien, die es auch noch gibt, in einem matrix-analytischen Verfahren mit den Daten der vorliegenden randomisierten Studien verknüpfen, wie wir es vorgeschlagen [3] und anhand eines anderen Modells gerade eben vorgeführt haben [14].

Einen kleinen Hinweis mag uns die zweite Studie von Aslak Steinsbekk geben, die nicht in den Review aufgenommen wurde [15]: Dort wurden 82 Kinder mit oberen Atemwegsinfekten von Homöopathen klassisch und individualisiert behandelt. Die Kontrollgruppe, 87 Kinder, mussten erst 3 Monate auf eine Behandlung warten, erhielten danach aber eine. Das ist insofern eine realistischere Situation, weil damit alle Patienten die Behandlung bekommen, deretwegen sie an der Studie teilnehmen. Die Behandler sind nicht verblindet und können frei aus ihrem Arzneischatz wählen. Damit ist die Studie pragmatisch, weil sie nicht die Frage stellt, ob Homöopathie besser ist als Placebo, sondern ob Homöopathie den normalen Krankheitsverlauf verändert. Das ist exakt die Frage, die auch einen kranken Menschen interessiert. Homöopathie verändert den Krankheitsverlauf: der Symptomenscore ist mit 24 signifikant tiefer als bei der Kontrolle mit 44. Die Patienten sind ohne Homöopathie im Median 13 Tage krank, mit Homöopathie 8 Tage, ein deutlicher und statistisch signifikanter Unterschied.

Wir hatten noch nicht die Zeit, uns alle 25 Kohorten- oder pragmatischen Studien anzusehen. Aber an dem kleinen Beispiel sehen wir: Das letzte Wort dürfte noch nicht gesprochen sein

Welche anderen Optionen bietet uns die moderne Medizin?

Nun könnte ja der postmoderne Fan der pharmakologischen Wunderwaffen auf die Idee kommen, die moderne Medizin hat doch sicher noch ein paar wirksame Pfeile im Köcher, ohne dass man die armen Kinder und die noch ärmeren Eltern an die Medizin der finsteren Zeiten, die magische Homöopathie verweisen muss, nicht wahr? Daher haben wir uns mal die Cochrane Library durchgesehen. Wenn man diese Datenbank mit dem einfachen Suchbegriff „Upper Respiratory Tract Infection in Children“ durchsucht, erhält man 15 Treffer, unseren Review von Hawke [1] mit eingeschlossen. Zwei von diesen Treffern sind allerdings nur Studien an Erwachsenen und fallen weg.

Die anderen Studien sind in der Tabelle zusammengefasst:

Autoren Ergebnis Kommentar
Gegenstand
Anzahl Studien
Hawke 2017 kleine, nicht signifikante Effekte Siehe Text
Homöopathie bei URTI
8 Studien, 1562 Kinder
Chalumeau 2013 Fieber: Risk Difference = 5% (ns) (3 Kinder vs. 0) nach einer Woche; Husten: Risk Difference = 10% (sign) Dyspnoea: RD = 3% (ns), alles nach einer Woche kleiner und lt. Autoren unbedeutender Effekt
Acetylcystein bei URTI bei Kindern
6 Studien;  n =  497
Su 2016 insufficient evidence
Astragalus (TCM Arznei) zur Prävention häufiger URTI Infekte bei Kindern
120 Publikationen, keine Studien einschliessbar
Galvao 2016 Amoxicillin zur Verhinderung von Otitis: RR = 0.7, nicht sign. Ampicillin RR 0 1.05, nicht sign kein Effekt; nicht empfohlen; Nebenwirkungen nicht untersuchbar
Antibiotika zur Prävention eitriger Komplikationen bei Kindern mit häufigen URTIs
4 Studien; n = 1314 Kinder
O’Sullivan 2016 Information reduziert die Verschreibung von Antibiotika (RR = 0.47) und die Verwendung (RR = 0.53) durch Eltern allerdings erhöht Rückmeldung wiederum die Verschreibung
Written information to reduce antibiotic use
2 Studien, n = 827
King 2015 d = 0.31 in einer Studie mit Kindern; kleiner Effekt auf einer 4 Punkte Skala
Salzlösungsspülung zur Behandlung von URTIs
5 Studien, 544 Kinder, 205 Erwachsene
Fortanier 2014 Relative Risikoreduktion von 5% (high risk) und 7% (insgesamt); anderes Vakzin 33% kleine Effekte; keine Kontrollen gegen nicht behandelte Kinder; keine Sicherheitsdaten
Pneumokokken Vakzin zur Verhinderung von Otitis Media
9 Studien, 48.426 Kinder
Sjoukes 2016 Unterschied zwischen Placebo und Paracetamol (10% Kinder mit Schmerzen vs. 25% Kinder nach 48 Stunden; RR = 0.38) und Ibuprofen (7% Kinder mit Schmerzen vs. 25% Kinder nach 48 hM, RR = 0.25); low quality evidence; kein Unterschied zwischen den Substanzen; keine guten Daten zu Sicherheit Despite explicit guideline recommendations on its use, current evidence on the effectiveness of paracetamol or NSAIDs, alone or combined, in relieving pain in children with AOM is limited. Low quality evidence indicates that both paracetamol and ibuprofen as monotherapies are more effective than placebo in relieving short-term ear pain in children with AOM.
Paracetamol bei Ohrschmerzen
3 Studien, 327 Kinder
Moraa 2013 Kurzfristiger Effekt in einer Studie; evtl. ist der Effekt gleich wie der von Sauerstoff; insgesamt nicht klar grössere Studien nötig
Helium-Oxygen Inhalation bei Krupp
3 Studien, 91 Kinder
Kenealy 2013 kein Effekt: RR = 0.95, aber mehr Nebenwirkungen RR = 1.8, vor allem bei Erwachsenen RR = 2.61 für Nebenwirkungen; bei Schnupfen war der Effekt etwas besser (RR = 0.73), aber nicht signifkant, die Nebenwirkungen schon sollte man definitiv nicht anwenden
Antibiotika bei Erkältung und eitrigem Schnupfen
11 Studien, 1047 Patienten
Smith 2014 Bei Kindern waren Antitussiva, Antihistaminika und Bronchodilatoren nicht effektiver als Placebo; eine Studie zeigte einen Effekt von Mukolytika; eine Studie zeigte Überlegenheit zweier Expektorantien über Placebo; eine Studie zeigte Überlegenheit von Honig gegenüber Kontrolle There is no good evidence for or against the effectiveness of OTC medicines in acute cough. This should be taken into account when considering prescribing antihistamines and centrally active antitussive agents in children; drugs that are known to have the potential to cause serious harm.
OTC Medikation für Husten (Standardexpektorationen, Codein, etc.)
29 Studien, 4835 Patienten
Hayward 2015 zwei Studien zeigten keinen Effekt, eine Studie war schlecht gemacht und zeigte einen Effekt Current evidence does not support the use of intranasal corticosteroids for symptomatic relief from the common cold.
Corticosteroids for the common cold
3 Studien, 353 Patienten
Hayward 2012 nach 24 Stunden RR = 3.2, nach 48 h RR = 1.7, hochsignifikant keine Unterschiede in Relapse oder Nebenwirkungen, aber schlechte Dokumentation von Nebenwirkungen
Corticosteroids for sore throat
8 Studien, 743 Teilnehmer
van Aardweg 2010 in einer Studie keine Effekte, ansonsten keine interpretierbaren Ergebnisse die homöopathische Studie fehlt
Adenoidektomie bei wiederkehrenden Erkältungssymptomen
2 Studien
De Sutter 2015 kurzfristiger Effekt: OR = 0.74 (45% vs 38% unter Placebo hatten eine Besserung am 1. Tag); kein Effekt danach; kleiner Effekt auf Symptome wie Schnupfen (d = 0.23) und Niesen (d = 0.35); Nebenwirkungen: Müdigkeit; bei Kindern kein klarer Effekt There is no evidence of effectiveness of antihistamines in children.
Antihistaminika für Erkältung
18 Studien, 4243 Patienten

Eine TCM Intervention (Su 2016) lässt sich nicht interpretieren, weil keine entsprechend einschließbaren Studien vorliegen. Die berühmteste Intervention von allen, Antibiotika-Therapie, wird aufgrund der vorliegenden Datenlage definitiv nicht empfohlen. Sie wirkt nicht und sie führt zu Resistenzen und Nebenwirkungen. Antihistaminika haben einen kleinen Effekt, aber auch deutliche Nebenwirkungen (Müdigkeit); bei Kindern sind die Effekte unklar, weswegen sie nicht empfohlen werden. Ibuprofen und Paracetamol, also Entzündungshemmer, wirken bei Ohrenschmerzen besser als Placebo, allerdings fehlen Daten zur Sicherheit (und angesichts der Tatsache, dass diese Entzündungshemmer in England zu den Einzelsubstanzen mit den meisten Todesfällen gehören [16], fragt man sich, ob eine Empfehlung bei Kindern wirklich verantwortbar ist). Corticosteroide wirken bei Halsweh, nicht aber bei Schnupfen. Man könnte noch eine Salzlösungsspülung ins Auge fassen. Die funktioniert nämlich sogar. Besser sind allerdings Probiotika. Die wirken tatsächlich; eine andere komplementärmedizinische Intervention übrigens, die vor gar nicht allzu langer Zeit noch verteufelt wurde. Die übrigen Sachen, die der Doktor so gerne verschreibt: Schleimlöser und andere Dinge, die man so gegen Husten in der Apotheke bekommt: mindestens bei Kindern wirken sie nicht. Dann schon lieber Honig. Der wirkt. Pneumokokkenimpfung könnte man noch präventiv gegen Otitis media überlegen. Allerdings ist die relative Risikoreduktion gering und die Studien geben wenig Information zur Sicherheit. Die beliebte Mandeloperation hat langsam ausgedient: sie zeigt keine Wirkung.

So, damit wären wir am Ende der Leiter, mindestens was die von der Cochrane Collaboration erfassten Interventionen angeht, die allerdings in der Regel die wichtigeren und umstritteneren zuerst unter die Lupe nimmt.

Fassen wir zusammen:

Groß sind die Behandlungsoptionen für Kinder mit oberen Atemwegsinfekten nicht, wenn man wirksame und sichere Behandlungen sucht. Auch für diese Indikation gibt es keine guten Belege für die meisten Standardinterventionen. Hustenlöser, Schleimlöser, Antibiotika, Antihistaminika und Co, sind nicht wirksam. Manche sind wirksam, aber nicht unbedenklich. Am ehesten noch Probiotika, Kochsalzlösung zum Nasenspülen. Corticosteroide funktionieren definitiv, wenigstens bei Halsschmerzen (puh, wenigstens irgendwas, könnte man denken). Aber wollen wir damit wirklich schon bei kleinen Kindern anfangen? Also wollen wir vielleicht doch lieber mal unser Glück bei so einem wachsweichen, unklaren, schlecht verstandenen, die postmoderne Rationalität ärgernden Verfahren wie die Homöopathie versuchen? Die Daten sind mindestens so vielversprechend oder nichtssagend wie bei irgendeiner anderen Intervention, die der Hausarzt so im Köcher hat. Aber es gibt möglicherweise noch ein paar Daten, die bislang nicht berücksichtigt worden sind.

Spieglein, Spieglein an der Wand…. wer heilt jetzt Atemwegsinfekte im Land?

(*) Cochrane Reviews werden von einem Netzwerk von freiwilligen Forschern nach einheitlichen Qualitätskriterien erstellt. Meistens suchen sich Autoren, die sich für ein Krankheitsbild interessieren, Interventionen, die in der Regel bei diesem Krankheitsbild angewandt werden. Die Autoren sind gehalten möglichst umfassende Suchstrategien anzuwenden und die Studien nach einem Schema danach zu bewerten, wie hoch die Gefahr ist, dass die Daten aufgrund methodischer Schwächen verzerrt sind. Normalerweise werden nur randomisierte Studien verwendet. Wo diese nicht vorliegen, oder zu unklaren Ergebnissen führen, sollten an sich auch andere Daten – Kohortenstudien oder pragmatische Vergleichsstudien – herangezogen werden. Das unterlassen aber viele Autoren, weil damit deutlich mehr Aufwand einher geht. Wenn möglich, werden die Daten quantitativ mit einer Meta-Analyse zusammengefasst. Da sich die Arbeitsgruppen dazu verpflichten, ihre Reviews auf dem Laufenden zu halten, werden sie i.d.R. immer dann auf den neuesten Stand gebracht, wenn wieder neue Informationen vorliegen. Cochrane Reviews stehen daher im Ruf besonders zuverlässig, aber auch besonders streng zu sein.

Literatur

[1] Hawke, K., van Driel, M. L., Buffington, B. J., McGuire, T. M., & King, D. (2017). Homeopathic medicinal products for preventing and treating acute respiratory tract infections in children (review). Cochrane Database of Systematic Reviews(4), Art. CD005974.

[2] Walach, H., Falkenberg, T., Fonnebo, V., Lewith, G., & Jonas, W. (2006). Circular instead of hierarchical – Methodological principles for the evaluation of complex interventions. BMC Medical Research Methodology, 6(29).

[3] Walach, H., & Loef, M. (2015). Using a matrix-analytical approach to synthesizing evidence solved incompatibility problem in the hierarchy of evidence. Journal of Clinical Epidemiology, 68, 1251-1260.

[4] Walach, H. (2001). Das Wirksamkeitsparadox in der Komplementärmedizin. Forschende Komplementärmedizin und Klassische Naturheilkunde, 8, 193-195.

[5] Meissner, K., Fässler, M., Kleijnen, J., Hróbjartsson, A., Schneider, A., Antes, G., et al. (2013). Differential effectiveness of placebo treatments: A systematic review of migraine prophylaxis. JAMA Internal Medicine, 173, 1941-1951.

[6] De Lange De Klerk, E. S., Blommers, J., Kuik, D. J., Bezemer, P. D., & Feenstra, L. (1994). Effect of homoeopathic medicines on daily burden of symptoms in children with recurrent upper respiratory tract infections. British Medical Journal, 309, 1329-1332.

[7] Jacobs, J., Springer, D. A., & Crothers, D. (2001). Homeopathic treatment of acute otitis media in children: a preliminary randomized placebo-controlled trial. Pediatric Infectious Disease Journal, 20, 177-183.

[8] Jacobs, J., & Taylor, J. A. (2016). A randomized controlled trial of a homeopathic syrup in the treatment of cold symptoms in young children. Complementary Therapeis in Medicine, 29, 229-234.

[9] Pedrero-Escalas, M. F., Jimenz-Antolin, J., Lassaletta, L., Diaz-Saez, G., & Gavilán, J. (2016). Hospital clinical trial: Homeopathy (Agraphis nutans 5CH, Thuja occidentalis 5 CH, Kalium muriaticum 9 CH and Arsenicum iodatum 9 CH as adjuvant, in children with otitis media. International Journal of Pediatric Otorhinolaryngology, 88, 217-223.

[10] Sinha, M. N., Siddiqui, V. A., Nayak, C., Singh, V., Dixit, R., Dewan, D., et al. (2012). Randomized controlled pilot study to compare homeopathy and conventional therapy in acute otitis media. Homeopathy, 101, 5-12.

[11] Malapane, E., Solomon, E. M., & Pellow, J. (2014). Efficacy of a homeopathic complex on acute viral tonsillitis. Journal of Alternative & Complementary Medicine, 20, 868-873.

[12] Steinsbekk, A., Bentzen, N., Fonnebo, V., & Lewith, G. (2005). Self treatment with one of three self selected, ultrmolecular homeopathic medicines for prevention of upper respiratory tract infections in children. A double-blind randomized placebo controlled trial. British Journal of Clinical Pharmacology, 59, 447-455.

[13] Siqueira, C. M., Homsani, F., da Veiga, V. F., Lyrio, C., Mattos, H., Passos, S. R. L., et al. (2016). Homeopathic medicines for prevention of influenza and acute respiratory tract infections in children: cling, randomized, placebo-controlled clinical trial. Homeopathy, 105, 71-77.

[14] Klement, R., Bandyopadhyay, P. S., Champ, C. E., & Walach, H. (2018). Modeling the effects of ketogenic therapy on survival in patients with high grade glioma using Bayesian evidence synthesis. (Abstract) Poster to be presented at „Ernährung“, Berlin, 2018.

[15] Steinsbekk, A., Fonnebo, V., Lewith, G., & Bentzen, N. (2005). Homeopathic care for the prevention of upper respiratory tract infections in children: A pragmatic, randomised controlled trial comparing individualised homeopathic care and waiting-list controls. Complementary Therapies in Medicine, 13, 231-238.

[16] Tramèr, M. R., Moore, A. R., Reynolds, J. M. D., & McQuay, H. J. (2000). Quantitative estimation of rare adverse events which follow a biological progression: a new model applied to chronic NSAID use. PAIN, 85(1), 169-182.

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Hirntumor macht sexsüchtig, Homöopathie heilt Akne

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 – ein paar Gedanken zu klinischen Fällen

Harald Walach

In einem mittlerweile klassischen neurologischen Fallbericht findet man folgende skurrile Geschichte [1]:

Hirntumor und Sexsucht

Ein Mann mittleren Alters, gesund und unbescholten, Schullehrer entwickelt plötzlich eine unkontrollierte Sexsucht: er lädt sich heimlich Kinderpornographie und andere Pornographie auf den Computer, bestellt sich Prostituierte und macht der Stieftochter Avancen. Als die Ehefrau das merkt rollt die juristische Lawine auf ihn zu. Ein Richter verurteilt ihn zu Therapie oder Gefängnis. Aber obwohl er die Gefängnisstrafe vermeiden will, geht er sogar auf die Therapiemitarbeiterinnen los, so dass er aus der Therapie geworfen wird. Kurz bevor er ins Gefängnis geht, stellt er sich noch mit starken Kopfschmerzen und neurologischen Symptomen in der Klinik vor, wo ein Gehirntumor im orbitofrontalen Cortex diagnostiziert wird. Dieser wird operativ entfernt, worauf die Symptome verschwinden und er nach einer Weile als geheilt nach Hause entlassen wird. Als die Symptome nach einer Weile wiederkehren, wird er erneut untersucht: der Tumor ist zurückgekehrt, wird wieder entfernt und die Symptome verschwinden. Diese direkten Zusammenhänge zwischen Auftritt und Verschwinden der Symptome nach der Tumoroperation werten die Autoren als Hinweis auf Kausalität:

His symptoms resolved with the excision of a right orbitofrontal hemangiopericytoma, further establishing causality.

Dieser und andere ähnliche Fälle werden in der neueren Debatte gerne zitiert, wenn es um die Frage geht, wie frei Straftäter sind, wenn Sie ihre Taten begehen, eine Debatte, die im Übrigen ihre eigenen Absonderlichkeiten hat, wie man dem exzellenten Buch von Hasler, „Neuromythologie“, entnehmen kann, in dem ich auch diesen Fall gefunden habe [2].

Fallbeispiele und ihre Struktur

Die Struktur der Argumentation erinnert mich an homöopathische Fallberichte und Argumente:

Man hat einen empirischen Corpus von Wissen. Im Falle des neurologischen Falles sind es regelhafte Beobachtungen darüber, welche Auswirkungen Läsionen im orbitofrontalen Cortex in der Regel haben. Im Falle der Homöopathie sind es die vielen Beobachtungen aus Arzneimittelprüfungen von Substanzen und ihre Anwendung in der Praxis bei der Behandlung von Patienten. Diese sind zwar stärker phänomenologisch, also rein beobachtend, aber dennoch in etwa ähnlich korrelativ und fransig wie die Beobachtungen der Neuropsychologie.

Man hat einen konkreten Fall. Hier den Patienten mit Sexsucht, der durch Tumordiagnose und –OP geheilt wird und bei dem durch die Wiederkehr der gleichen Symptome und der gleichen Behandlung die vermutete Kausalität gestärkt wird. Bei der Homöopathie sind es ebenfalls Fälle, bei denen Symptome mit großer Zuverlässigkeit nach einer indizierten Behandlung dauerhaft verschwinden.

Homöopathischer Fallbericht: Homöopathie heilt Akne

Ein Beispiel dafür bietet eine kürzlich publizierte Fallserie aus Bukarest von zwei Fällen mit sehr starker Akne, die mit Homöopathie in hohen Potenzen behandelt worden sind [3]. Die Nachbeobachtungen dauerten 1-2 Jahre und die Patienten besserten sich drastisch; die Besserung hielt auch nach der Behandlung an und die Symptome kehrten nicht mehr zurück, wie die Bilder zeigen, die man sich ausführlicher im online Material anschauen kann [4].

Fall 1 – Bild A
Fall 1 – Bild F

 

Nun ist Akne natürlich kein Hirntumor, meistens selbstlimitierend und geht auch meistens irgendwann in der frühen Adoleszenz von selber weg, hinterlässt aber dann oft Narben. Das Interessante an diesen Fällen ist aber, dass die Akne mitten im Blühen der Pubertät verschwand und nicht mehr wiederkam. Und dies ist nur ein kleines, aktuelles Beispiel. Demnächst publizieren wir auch eine Fallserie die zeigt, wie kindliche Neutropenie, also eine schwer zu behandelnde Blutabnormalität homöopathisch geheilt wurde. Und die Literatur ist voll von ähnlichen, oft schweren Fällen.

Einzelfälle und Kausalität?

Mir geht es hier um die Struktur: Offenkundig haben wir kein Problem, im Falle einer neurologischen Erkrankung eine Kausalität zu akzeptieren, wenn die Beseitigung eines Tumors zur Beseitigung von skurrilen Symptomen führt; ähnlich argumentieren auch Kiene und Kollegen [5]. Das lässt sich sogar in den renommierten Archives of Neurology publizieren (vielleicht auch, natürlich, weil sich Sex besser verkauft als Globuli). Rein epistemologisch ist die Struktur bei vielen homöopathischen Fallgeschichten ähnlich: Man hat eine Reihe Symptome. Man sucht das passende Arzneimittel. Die Symptome verschwinden. Bei Wiederkehr der Symptome sind die Effekte dann ebenfalls reproduzierbar. Der Homöopath folgert daraus: die Arzneimittel haben (kausal) gewirkt. Klar, man sieht nicht, was weggeschnitten ist, und auch nicht, was vorher da war. Da ist so ein knackiger Tumor handfester. Aber mal abgesehen davon, dass wir es mit einer manifesten, materiell sichtbaren Ursache zu tun haben, wenn man einen Tumor herausschneidet, was man sieht ist der Sache nach das Selbe: eine starke Korrelation von Behandlung und Effekt. Dazu hat man noch, im Fall der Neurologie, ein einigermaßen fransiges Wissen über die Rolle, die bestimmte Hirnpartien spielen, und über die Symptomatologie der Arzneien im Fall der Homöopathie.

Empirisch und von der Struktur her sind die Argumentationen ansonsten gleich. Mit dem einen subtilen Unterschied: bei der Homöopathie haben wir nicht die geringste Ahnung, wie die ursächlichen Zusammenhänge laufen; beim Gehirn bilden wir uns ein, zumindest teilweise zu wissen, wie sie funktionieren. Wir ignorieren einfach all die Unklarheiten. Wer das nicht glaubt, dem empfehle ich die Lektüre von Haslers Buch, immerhin einem aktiven Neurowissenschaftler mit einer soliden Publikationsliste. Der wirkliche Unterschied: bei der Neurowissenschaft gibt es einen breiten Konsens, auch wenn wir im Detail immer noch sehr im Dunklen tappen. Bei der Homöopathie tappen wir noch mehr im Dunkeln, was Ursachen und Theorien angeht, obwohl die empirische Datenlage recht ähnlich der ist, mit der in der konventionellen Medizin Schlußfolgerungen gezogen werden. Ich habe das schon des öfteren gesagt: die Homöopathie ist kein empirisches, sondern ein konzeptuelles Problem. Denn sonst würden wir die Aussage problemlos akzeptieren: ja klar, Homöopathie heilt Akne (oder Leukopenie, oder Neurodermitis….), genauso wie ein Hirntumor eben Sexsucht macht und seine Beseitigung diese heilt.

Literatur

[1] Burns, J. M., & Swerdlow, R. H. (2003). Right orbitofrontal tumor with pedophilia symptom and constructional apraxia sign. Archives of Neurology, 60(3), 437-440.

https://jamanetwork.com/journals/jamaneurology/fullarticle/783830#nob20054f1

[2] Hasler, F. (2015). Neuromythologie: eine Streitschrift gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung (5., unveränd. Aufl ed.). Bielefeld: transcript. https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-1580-7/neuromythologie/

[3] Nwabudike, L. C. (2018). Case reports of acne and homeopathy. Complementary Medicine Research, 25, 52-55.

https://www.karger.com/Article/Abstract/486309

[4] https://figshare.com/articles/Supplementary_Material_for_Case_Reports_of_Acne_and_Homeopathy/5938249

[5] Kiene, H., Hamre, H. J., & Kienle, G. S. (2013). In support of clinical case reports: A system of causality assessment. Global Advances in Health and Medicine, 2, 28-39.

s. auch www.ifaemm.de/Abstract/PDFs/CBM_Buch.pdf

 

 

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Norbert Aust – der Regenmacher

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Curt Kösters

Hat Norbert Aust recht, wenn er die Homöopathie zur Esoterik erklärt, die ihre ausbleibenden Erfolge mit allerlei Schutzbehauptungen hinwegerklärt?

Harald Walach schrieb in seinem Beitrag Ist Homöopathie also nun ein Placebo?

Effekte tauchen häufig erst nach einer dritten oder vierten Verschreibung auf, wenn zusätzliche Informationen vorliegen und oft, wenn die Hoffnung bereits verpufft ist.

Dazu schreibt nun Norbert Aust, ein bekannter Vertreter der Skeptiker-Szene, dass man die Spezifität der Homöopathie schlecht mit der Wirksamkeit von Verschreibungen erst nach dem 3. oder 4. Mal begründen könne. Genauso gut könne man dann behaupten, dass man mit Tangotanzen Regen machen kann. Denn wenn man es richtig macht, lange genug wartet etc. dann würde es auch irgendwann mal regnen. Und wenn man dann das Regnen auf das Tangotanzen zurückführen wolle, dann sei das doch offensichtlicher Unsinn. – Der vollständige Text findet sich auf dem Blog von Norbert Aust. [Link]

Sehr geehrter Herr Doktor Aust!

Möglicherweise verstehen Sie hier etwas falsch – vielleicht wollen Sie aber auch falsch verstehen.

Lassen Sie uns doch zunächst von akuten Erkrankungen sprechen – da ist es übersichtlicher und einfacher zu verstehen.

Wenn ich einfach mal die letzten 20 akuten Erkrankungen in meiner Praxis durchsehe, dann zeigt sich, dass die erste Verschreibung zu etwa 50% erfolgreich ist. Nun ist mir nicht unbekannt, dass Sie diese Behandlungserfolge ohnehin zum Placebo-Effekt erklären werden. Und auch wenn ich das nur begrenzt nachvollziehbar finde, kann ich das einfach mal so stehen lassen; und daher fängt hier das eigentliche Argument erst an.

Steigende statt sinkende Erfolgsraten mit wachsender Enttäuschung?

Wenn man den Effekt homöopathischer Arzneimittel ausschließlich mit Placebo erklären möchte, dann sollte man erwarten, dass bei den nachfolgenden Verschreibungen die Wahrscheinlichkeit des Erfolges rapide absinkt, bedingt durch wachsende Enttäuschung der Patienten. In der Tat liegt  die Erfolgsrate der zweiten Verschreibung dann bei etwa 40% – und Ihre Begeisterung über diese Aussage kann ich mir jetzt schon vorstellen!

Die Erfolgsrate der nächsten Verschreibungen sinkt dann aber nicht weiter – sondern steigt tendenziell. Wie erklären Sie sich das mit der Placebo-Hypothese?Und wie erklären Sie sich, dass die Erfolgsrate nur wenig mit der Schwere der Erkrankung korreliert – aber deutlich korreliert mit der Präzision der geschilderten Symptome?

Anmerkugen

Und nun noch einige Präzisierungen meinerseits – schon zur Vermeidung weiterer Missverständnisse:

  1. Ich habe hier zwecks Übersichtlichkeit etwas vereinfacht und nicht jede Besserung der Symptomatik als Erfolg bezeichnet – sondern nur Besserungen, die so deutlich waren, dass eine weitere Behandlung nicht erforderlich ist. Die 40%-Erfolgsrate der zweiten Verschreibung bezieht sich also nur auf die verbleibenden 50% noch nicht erfolgreich behandelter Patienten.
  2. In der täglichen Praxis gehe ich bei akuten Krankheiten von einer kausalen Verbindung zwischen Verschreibung und Besserung nur dann aus, wenn die Besserung innerhalb von zwei Stunden auftritt. Wenn also Patienten berichten: „Die Nacht war schlecht, aber heute geht es mir besser“ – dann bin ich äußerst skeptisch hinsichtlich der Kausalität und werte das auch nicht als Behandlungserfolg.
  3. Das Krankheitsspektrum ist in meiner Praxis wahrscheinlich recht ähnlich zu anderen hausärztlichen Praxen – alles zwischen banal und lebensbedrohlich. Lebensbedrohliche akute Krankheiten sind allerdings eher selten in einer hausärztlichen Praxis; und bei diesen 20 Fällen war kein Fall lebensbedrohlich. Nicht überraschend allerdings angesichts der aktuellen epidemiologischen Situation: Etwa die Hälfte hatte eine Influenza.

Die durchschnittliche Krankheitsdauer bis Behandlungserfolg lag bei 2,4 Tagen – bei Patienten mit Influenza bei 2,8 Tagen. Die Erklärung der tendenziell steigenden Erfolgsrate mit natürlichem Verlauf zieht hier also auch nicht so recht.

Und wenn Sie als Regentänzer eine wenigstens annähernd ähnliche Erfolgsbilanz zeigen können, empfehle ich Sie gerne weiter – z.B. an einige Länder in der Sahel-Zone. Die Menschen dort haben  ein Problem.

  • Und das war nun zugegeben polemisch: Denn die Sahel-Zone hat erkennbar kein akutes, sondern ein chronisches Problem.

Hier in Hamburg habe wir nur sehr selten Probleme mit mangelndem Regen; aber schon in Meck-Pomm klagen die Landwirte hin und wieder: Und wenn Sie denen zusagen könnten, dass mit einer 50%igen Wahrscheinlichkeit der Regen innerhalb von 24 Stunden auftritt, könnte ich Sie empfehlen!

Eine Vorwarnung allerdings: Sie müssen dann schon auch liefern! – und in meiner Praxis ist das auch nicht anders. Wenn ich nicht liefere, bleiben die Patienten aus.

Da meine Kompetenz hinsichtlich Regentanz allerdings äußerst begrenzt ist, schlage ich ein anderes Modell vor – wenngleich auch dieses nicht an Erfahrungen in Hamburg anknüpft:

Lawinen?

Angenommen:

  • Sie leben in einem Alpental und die Gefahr von Lawinen ist bedrohlich.
  • Im Nachbartal gibt es jemanden, der behauptet eine Lösung zu haben.
  • Dessen Idee: Die Lawinen auslösen, um sie zu entschärfen.
  • Er hat eine Kanone – und behauptet, damit Lawinen auslösen zu können.

Auf Anhieb klingt das etwas absurd: Lawinen auszulösen, um sie damit zu entschärfen! Noch absurder ist allenfalls seine Behauptung, dass das im Prinzip auch mit der Flinte möglich sei; dann müsse er allerdings sehr viel genauer treffen.

Aber weiterhin angenommen: Sie sind bereit, diese Idee zu erproben (natürlich nicht das mit der Flinte). Ihre Überlegung ist: Im schlimmsten Fall passiert gar nichts; im besten Fall geht die Lawine ab und ist harmlos – und in jedem Fall wissen Sie wenigstens den Zeitpunkt und können sich an einem sicheren Ort aufhalten.

Sie bringen daher diesen Einwohner des Nachbartals – samt seiner Kanone – in Ihr Tal, obwohl das doch ein gewisser Aufwand ist – und dann:

  • Als erstes fragt der nach genauen Karten!
  • Und dann möchte er auch noch Fotografien der Lawinenabgänge aus den letzten Jahren sehen!

Ich verstehe gut, dass Sie an diesem Punkt schon ziemlich genervt sind!

Der Einwohner des Nachbartals erklärt, dass er präzise Informationen braucht – und selbst damit keine 100%ige Erfolgsgarantie für seine Kanonenschüsse abgeben könne. Letzten Endes benötigt er dann sogar zehn Schüsse innert zwei Stunden um die Lawine endlich mal auszulösen. Das ist eine wirklich schwache Leistung – geradezu skandalös!

So wie ich Sie nun als Skeptiker kenne, würden Sie diesen obskuren Einwohner des Nachbartals darauf hinweisen, dass Lawinen so oder so irgendwann abgehen und dass Sie jedenfalls keinen kausalen Zusammenhang erkennen können – und dann würden Sie ihn einfach stehen lassen; soll er doch zusehen, wie er nach Hause kommt (mitsamt seiner Kanone).

Und ich verstehe das vollkommen: Recht haben Sie!

Mit freundlichen Grüßen

Curt Kösters

Placebowirkungen

PS: Ich glaube eigentlich nicht, dass Placebos bei einer akuten Infektion eine entsprechende Erfolgsrate haben. Gut belegt ist das eigentlich nur für Schmerzzustände. Und auch Frau Grams ist uns den angekündigten Nachweis noch schuldig, dass sie

schwere Angstzustände und Depressionen verschwinden, bösartige Krebsgeschwüre zurückgehen und akute eitrige Mandelentzündungen heilen sehen

kann unter einer psychosomatischen Behandlung. Ihr Buch „Homöopathie neu gedacht“ beginnt ja damit, dass sie diese Behandlungserfolge unter einer homöopathischen Behandlung gesehen habe – und auf den weiteren 220 Seiten legt sie dann dar, dass das nur ein Placebo-Effekt gewesen sein könne und dass sie konsequenterweise nun eine psychosomatische Ausbildung machen wird, offenbar um auf diese Weise ähnliche Behandlungseffekte zu erzielen. Ich warte immer noch gespannt.

Reproduzierbarkeit

Und dann gibt es in der Praxis ja noch weitere Phänomene, die aus meiner Sicht schwer mit der Placebo-Hypothese in Einklang zu bringen sind.

Was würden Sie als Regentänzer denken, wenn es nach ihrem Tanz sofort anfängt zu regnen – leider aber nur wenige Minuten? Und nach der Wiederholung regnet es dann wieder nur einige Minuten. Und nach der dritten Wiederholung tanzen Sie mit gesteigertem Rhythmus und dann endlich setzt der erhoffte Dauerregen ein. – Alles Zufall?

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